Wenn Stürzen Spass macht
Ein Beitrag von Emil Zopfi*
Kürzlich bin ich wieder mal ins Seil geflogen. Als ich eben mit zwei Fingern die schmale Leiste hoch oben erreichte, rutschte ein Fuss weg. Shit… Der Fels flitzt vorbei … die harten Meter der Schlüsselstelle … dann spannt sich das Seil. Nichts passiert, Glück gehabt. Ich hangle mich wieder hinauf.
Ich habe Erfahrung im Stürzen, obwohl ich nie ein Sturztraining absolviert habe. Dass es so etwas gibt, habe ich erst vor wenigen Jahren in einer Kletterhalle festgestellt. Eine Gruppe von Anfängern übte dort unter Anleitung nicht nur klettern, sondern auch ins Seil springen. Ich fand das ziemlich komisch, aber inzwischen gehört es offenbar zur Grundausbildung im Klettersport. Zum Beispiel für den Erwerb eines Kletterscheins des Deutschen Alpenvereins (DAV).
Angstfrei ans Limit dank Sturztraining?
Ich gehöre noch zur Generation, die nicht stürzen durfte. Die Felshaken waren nicht durchwegs zuverlässig, die Abstände weit, jeder Sturz konnte fatal enden. Später, als Sportkletterer, habe ich mich ans gelegentliche Stürzen gewöhnt. Man klettert immer wieder mal an der Grenze, um sich zu steigern – oder das Niveau zu halten. Wie im realen Leben in einer Leistungsgesellschaft, denn auch da heisst es: Nur wer etwas riskiert, hat Erfolg. Sturztraining dient der Leistungssteigerung, aber auch der Sicherheit. Der Kletternde trainiert sich die Sturzangst weg, der Partner oder die Partnerin übt den korrekten Umgang mit dem Sicherungsgerät.
«Als Sportkletterer weiss ich, wie viel eleganter und schwerer ich klettere, wenn ich angstfrei ans Limit gehen kann», preist ein Klettertrainer des DAV das Sturztraining. Um zwei Schwierigkeitsgrade könne man sich damit verbessern. Ist wohl ein bisschen übertrieben, denke ich. Um vom Fünfer- zum Siebnerkletterer zu werden, braucht es etwas mehr als den Mut, ins Seil zu springen.
Mittlerweile gibt es Anleitungen fürs Sturztraining zuhauf auf Websites, Youtube oder auch im Ausbildungshandbuch «Bergsport Sommer» des SAC. Selbst die Bergsteigergruppe Alpina BGA, ein Elitekletterclub mit Tradition, publizierte eine umfangreiche Studie zum Thema. Vom «Sensorarm» des Sichernden ist da die Rede, der erfühlen soll, wann die Dynamik des Bremsvorgangs einzuleiten ist.
Richtig stürzen «macht sehr viel Spass»
Meine Kletterpartnerin macht zum Glück auch ohne Sturztraining alles richtig. Auch diesmal hat sie meinen Sturz perfekt weich gebremst, nur ein Kratzer am Arm ist mir geblieben. Anders vor Jahren, als ein schmales Felsband meinen Fall störte. Die Spitze des Kletterschuhs schlug auf, das Sprunggelenk wurde zum Bremsgerät. Den schlecht verheilten Bruch spüre ich noch immer. Ob ich mit Sturztraining geschickter gefallen wäre, weiss ich nicht. Viel Zeit zum Überlegen bleibt einem nicht, wenn Finger oder Sohlen rutschen, die Kraft wegbleibt oder ein Griff ausbricht.
Stürzen im Fels ist jedenfalls nicht so harmlos, wie der Autor einer Website behauptet: «Beim richtigen Stürzen und Sichern ist der Sturz nicht gefährlich.» Wenn man es kann, schreibt er, «macht es sehr viel Spass.» Über stürzende Spassvögel ärgere ich mich gelegentlich in der Kletterhalle. Sie hängen die Umlenkung am Ende der Route nicht ein, sondern springen ins Seil.
Der Spass kann blutig enden
In der Halle mag das angehen, im Fels allerdings ist damit nicht zu spassen. Klettere ich über einem Felsband, ist Stürzen keine Option, wie mich mein Fuss täglich erinnert. Ebenso in Bodennähe bis über den zweiten Haken. Leider sind nicht alle Routen intelligent eingebohrt, der erste Haken zu hoch oder zu tief – oder nach statt vor der Schlüsselstelle. Bohrhaken haben eine begrenzte Lebensdauer, sitzen oft nicht so fest, wie sie scheinen – oder waren schon von Anfang an schlecht gebohrt.
Der Begriff «Plaisir» für gut abgesicherte leichtere Routen scheint mir ebenfalls problematisch. Gerade im weniger steilen, strukturierten Gelände kann ein Sturz zu schweren Verletzungen führen. Und selbst wenn alle Haken und Stricke halten, sich jedoch ein Fuss im Seil verfängt, wird der Sturz zum Salto. Mit weniger Angst klettern dank Sturztraining ist sicher gut, wenn dabei der Respekt vor dem Fels nicht verloren geht. Sonst kann aus dem Spass auch blutiger Ernst werden.
*Emil Zopfi ist Rentner, Schriftsteller und lebt in Zürich. Er ist seit über fünfzig Jahren Bergsteiger und Kletterer, www.zopfi.ch.
3 Kommentare zu «Wenn Stürzen Spass macht»
Gabi & Andi: Ich vermute Ihr habt Emil’s Standpunkt nicht ganz richtig verstanden. Er (so verstehe ich das jedenfalls) hat nicht grundsätzlich etwas gegen das Sturztraining und kann sogar nachvollziehen dass das heute dazu gehört. Aber: er weist darauf hin, dass man das gefahrlose Stürzen aus der Halle nicht 1:1 an den Fels übertragen darf bzw. es fatal enden kann wenn man das tut. Ich kann dies nach einer Thalusfraktur beim hängen des zweiten Hakens in „Rüedeli“ in Ponte Brolla bestätigen. Und dabei hat mein Sicherungspartner absolut nichts falsch gemacht…
Der Fels verlangt etwas mehr Bedacht und es gibt Stellen da ist stürzen definitiv keine gute Option. Diese Stellen zu erkennen gehört auch dazu. Und genau dies ist gemäss meiner Auffassung die Message von Emil.
Guten Flug ;-)
Auch ich eine stürzendes Spassvögelchen wundere mich was am sturztraining lustig und nervtötend sein soll. 1. macht es wirklich spass. und 2. finde ich sturztraing vorallem für den sichernden sehr wichtig! richtig und dynamisch sichern will gelernt sein. erst wenn man regelmässig stürze hält, aus allen möglichen höhen, beim clipen etc wird man ein richtig guter sicherer! einfach nur halten reicht meist nicht aus. man muss auch wissen wie weit jemand fällt. wann sollte man eher seil geben und wann eng sichern. es ist eine wissenschaft für sich die nur duch viel üben perfektioniert warden kann. hab letzte woche grad wieder eine blessur davongetragen weil mein seilpartner eifach blockiert hat. bin zwar nicht auf den boden gesürzt dafür voll gegen die wand geknallt. Folge: Bänderzerrung am Sprungelenk. minimum 2 Wochen pausieren. und warum? weil der unten nicht wusste was er tut. das nächste mal wird gestürzt damit er lernt was im fall der fälle zu tun ist! besser wird man nur wenn man am limit klettert und ja, hin und wieder stürzt! ansonsten könnte man ja grad so gut ohne seil klettern!
Lieber Emil Zopfi,
Als „stützender Spassvogel“ nimmt es mich Wunder, was genau Sie daran stört, wenn die Umlenkung nicht gehängt wird und stattdessen ins Seil gesprungen wird (bei freiem Sturzraum natürlich.)
Reines Sturztraining ist mir persönlich zu langweilig. Auf diese Weise habe ich jedoch trotzdem mindestens einen Sturz pro Route.
Lasse mich gerne eines Besseren belehren, wenn es gute Gründe dagegen gibt.