Was Sportkletterer wollen

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Plaisir bedeutet Genuss: Lorena in der Route «Biceps» in Oetz. (Foto: Mike Gabl)

Früher war alles besser? Punkto Sportklettern stimmt das nur bedingt. Steile Felswände blieben vor noch nicht allzu langer Zeit «Freaks» vorbehalten. Sie waren Alpinisten, die mehr oder weniger ihr ganzes Leben den Bergen verschrieben hatten. Jeder Sturz bedeutete Schmerzen, wenn nicht gebrochene Knochen. Inzwischen ist das anders. Die Ausrüstung hat sich enorm weiterentwickelt. Sportklettern ist eine massentaugliche Freizeitbeschäftigung geworden, der man relativ risikofrei nach Feierabend frönen kann. Kletterhallen mit perfekt abgesicherten Routen boomen. Hier spielt das Wetter keine Rolle, man kann mit dem Auto bequem vor dem Gebäude parkieren, Erfahrung am Berg ist nicht Voraussetzung.

Trotz der «Konsumkritik» der alteingesessenen Traditionalisten: Schlecht sind diese Veränderungen nicht. Niemand muss in die Halle. In der Schweiz gibt es Tausende von Felsrouten. Gut oder sparsam abgesicherte. Jeder findet, was er sucht. Welche Vorstellungen, Wünsche, Anforderungen und Motivation die heutigen Kletterer haben, weiss Sandro von Känel. Er veröffentlichte soeben zwei Kletterführer: «Plaisir Ost» und «Extrem Sud». Wie vom altbewährten Filidor-Verlag gewohnt, sind die Neuauflagen im handlichen A5-Format und bieten übersichtlich alle nötigen Informationen zu den einzelnen Routen: Skizzen, Charakter, vorhandene Absicherung, welche Ausrüstung empfohlen ist, wie man den Einstieg erreicht etc.

Aber die frisch gedruckten Auflagen zeigen nicht nur, wo neue Routen erschlossen wurden. Ein Vergleich mit den alten Ausgaben gibt auch interessante Einblicke in die Entwicklung des Sportkletterns.


«Schweiz Plaisir Ost» umfasst die Klettergärten und Mehrseillängenrouten vom Berner Oberland über die Innerschweiz bis zum Alpstein – und neu auch das Ötztal in Österreich:

umschlag_OST_2015_kleinInsgesamt sind im neuen 372-Seiten-Band mehr als 20 neue Gebiete zu finden, zum Beispiel Lunghin oberhalb des Malojapasses im Engadin. Weggefallen ist dagegen etwa der Westgrat am 2981 Meter hohen Salbitschjen im Kanton Uri. Obschon der maximale Schwierigkeitsgrad mit «nur» 6a angegeben ist, entspricht er nicht mehr der heutigen Definition von «Plaisir», also Genussklettern. «Plaisir hat sich verändert», sagt Sandro von Känel. «Heute gibt es viele, die im Klettergarten ein 6a locker bewältigen. Aber der Salbit-Westgrat ist eine ernsthafte Tour mit 30 Seillängen, nimmt 12 Stunden in Anspruch und verlangt alpine Erfahrung.» Manche schauen bei der Planung nur auf die angegebene Kletterschwierigkeit, nicht aber auf die weiteren Herausforderungen.»

«Plaisir-Klettern» bedeutet heute: sehr gut abgesicherte Routen, familienfreundlich, gemütliches Ambiente, ungefährliche und kurze Zustiege. Ein Rückzug ist auch bei Mehrseillängenrouten fast jederzeit möglich.


«Schweiz Extrem Sud» richtet sich dagegen an ambitionierte Kletterer, die sich auch selber absichern können:

umschlag_extrem_SUD_kleinDer neue 358-Seiten-Band umfasst Gebiete im Tessin und dem angrenzenden Italien. Einige davon waren bei uns in der Deutschschweiz noch wenig bekannt, weil sie bis vor wenigen Jahren von manchen Tessinern «geheim» gehalten werden wollten. «Ihre Einstellung hat sich inzwischen geändert», sagt von Känel. «Sie sind durchaus interessiert, dass ihre Routen geklettert werden.» Besonders lohnenswert, jedoch weniger bekannt als das Tessin, sei das Ossola-Tal. «In der Schweiz gibt es keine vergleichbare Risskletterei.» Für die Zustiege benötigt man gegen zwei Stunden. «Dafür herrscht dort nie viel Betrieb.» Näher ist der Fels etwa am Comersee oder am Lago di Lecco.

Sandro von Känel klettert «möglichst viele» Routen selber, bevor er sie in seine Führer aufnimmt. Darum kennt er die Gebiete sehr genau, ebenso die stets wachsende Szene. «Es gibt zwar immer mehr Leute, die sich fürs Sportklettern begeistern. Der grösste Teil bleibt jedoch in den Hallen. An den Felsen hat es immer noch etwa gleich viele Leute wie vor fünf Jahren.»

Wer verspürt da nicht schon beim blossen Gedanken an Granit, Kalk oder Gneis ein Kribbeln in den Fingern?

Hinweis: Die neuen Führer «Plaisir Ost» und «Extrem Sud» gibt es in den meisten Bergsportgeschäften – und direkt via Filidor.ch.

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4 Kommentare zu «Was Sportkletterer wollen»

  • this sagt:

    Eigentlich braucht es nicht mehr Kletterer am Fels, die Leute dürfen gerne in der Halle bleiben. An schönen Wochenenden tummeln sich so viele Leute in den beliebten und einfach erreichbaren Klettergebieten (z.B. Ponte Brolla, Galerie, Gempen) dass es sich schon beinahe wie nach Feierabend in der Halle anfühlt. Was der altbewährten Serie der Plaisir-Führer aus dem Hause Filidor gut täte wäre eine Art Kletter-Knigge für angehenden Outdoor Kletterer in der Einführung: -keinen Abfall liegen lassen, -kein unnötiges Schreien, -braucht es wirklich soooo viel Magnesia? -tickmarks entfernen.. um nur ein paar Punkte zu nennen. Die aktuellen SAC-Kletterführer (oder die unschlagbare „Fluebible“) sind da ein gutes Vorbild indem sie auf solche Punkte eingehen und z.B. die lokale Flora & Fauna erklären.

  • Peter sagt:

    Ich kann die Tessiner (und btw auch die Hasler) gut verstehen, wollen sie nicht für eigenes Geld und Zeit die Routen einrichten und Filidor verdient danach ab dem Verkauf… wäre schön, wenn es respektiert würde, wenn neue Gebiete erst veröffentlicht werden, wenn es die Erschliesser wollen und nicht wenn Filidor das entscheidet (siehe Beatenberg oder früher schon einzelne Felsen im Haslital)

  • Roland K. Moser sagt:

    Die Aussicht auf dem ersten Bild ist bezaubernd und erfreut der Männer Herz und Augen.
    Vielleicht nehme ich meine Kletterfinken auch wieder mal hervor :-)

  • Markus sagt:

    Ich verstehe die Tessiner, die ein paar Spots geheim halten wollen und das sollte meiner Meinung nach auch so bleiben. Als Wiedereinsteiger mit 10 Jahren Kletterpause graust es mich sehr oft ab der vielen Leuten :-(((

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