Laufen und lesen, lesen und laufen
Sport, und speziell das Laufen, haben seit jeher auch die Kulturschaffenden inspiriert, zu eigener sportlicher Betätigung oder zur Umsetzung in literarische Werke. Hier fünf Buchtipps zum Thema Laufen – und ein Spezialhinweis.
1. Haruki Murakami: «Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede»
Ein Muss für jeden Laufbegeisterten. Haruki Murakami lässt den Leser tief in seine Privatsphäre blicken – ohne sie schönzureden. In diesem Buch habe ich mich x-fach wiedererkannt – ich teile die beiden Leidenschaften des japanischen Autors: schreiben und laufen. Die Aussage «Normalerweise mag ich Strecken mit Steigungen, weil ich dort andere Läufer überholen kann. In den Hügeln des Central Parks muss ich mich aber geschlagen geben», könnte von mir stammen. Auch Haruki Murakami sucht immer wieder seine ganz persönlichen Grenzen. Und zeitweise gilt auch für mich: «Auch wenn es zwei von mir gäbe, wäre ich nicht in der Lage, all das zu erledigen, was ich sollte. Was aber auch geschieht, ich halte mein Lauftraining aufrecht.» Murakami legt in seinem süffig geschriebenen Werk den Finger auf «Wunden» – auf Probleme von Menschen, die intensives Training und ein ebensolches Berufsleben unter einen Hut packen wollen, weil Laufen ihnen einen wertvollen Ausgleich bietet. Murakami ist dabei kein Moralapostel, sondern erfrischend ehrlich – ganz zur Erheiterung des Lesers. Sein Werk ist eine gelungene Mischung aus Erzählung und Denkanstoss.
Haruki Murakami, Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede. btb 2010, ca. 26 Franken
Quelle: Youtube
2. Laura Hillenbrand: «Unbeugsam»
Der Tod von Louis Zamperini vor einigen Wochen liess mich eine unglaublich bewegende Geschichte entdecken. Laura Hillenbrand hat das Leben eines Mannes niedergeschrieben, der dem Tod etliche Male von der Schippe sprang. Auf ihrem Werk basiert der neuste Film von Hollywood-Diva Angelina Jolie. «Unbeugsam» schildert die Geschichte des Sprosses einer italienischen Migrantenfamilie, der in Kalifornien aufwächst. Zamperini wird von seinen Mitschülern gefoppt und bekommt es immer wieder mit den Ordnungshütern zu tun. Sein Bruder schickt ihn ins Leichtathletiktraining, um ihn von der Strasse zu holen. Dort tut der junge Mann, was er am besten kann: laufen. Seine rasante Erfolgsgeschichte führt ihn an die Olympischen Spiele in Berlin (1936) und beschert ihm eine Audienz bei Adolf Hitler. Als Heckschütze eines amerikanischen Bombers zieht er in den Zweiten Weltkrieg.
Er überlebt nach einem Flugzeugabsturz über dem Atlantik 47 Tage auf hoher See in einem Rettungsfloss und trotzt zwei Jahre lang den Torturen eines Gefangenenlagers, bevor er nach Amerika zurückkehrt, wo sein Leiden noch kein Ende nimmt. Spannung und Tränen sind bei der Lektüre garantiert.
Laura Hillenbrand, Unbeugsam. Klett-Cotta 2011, ca. 33 Franken
Quelle: Youtube
3. John L. Parker: «Cassidys Lauf»
Bei diesem Kultbuch zum Thema Laufen heisst es: träumen erlaubt. John L. Parker entführt den Leser mit zuweilen humorvoller Schreibe in das leidenschaftliche Leben eines Eliteläufers. Protagonist Quenton Cassidy studiert und erläuft im Team seiner Universität regelmässig Erfolge. Sein erklärtes Ziel ist es, eine Meile (1609 Meter) in weniger als vier Minuten zurückzulegen. Das verlangt ihm etliche Opfer ab: Er bricht sein Studium ab, zieht hinaus aufs Land und lässt seine Beziehung in die Brüche gehen. Parker – selbst ein ambitionierter Läufer – weiss, wovon er spricht, wenn er über das Laufen schreibt. Das merkt man. Die teils minutiösen Schilderungen des Alltags empfand ich keineswegs als langweilig, im Gegenteil. Die Authentizität wirkt wie ein Sog – hinein in die Dunkelheit, die Cass bei seinen nächtlichen Trainings umgibt, hinaus an die Wettkämpfe. Gut vorstellbar, dass Parker mit der Geschichte nicht nur Menschen berührt, die mit viel Herzblut auf ein sportliches Ziel hingearbeitet haben – denn für einen Traum Opfer bringen müssen nicht nur Athleten. Am Schluss des an die 300 Seiten schweren Werks kann ich jedenfalls nicht anders, als mit Cass mitzufiebern – der magischen 4-Minuten-Grenze entgegen.
John L. Parker, Cassidys Lauf. Aufbau-Verlag 2011, ca. 30 Franken
Quelle: Youtube
4. Frank Lauenroth: «Boston Run»
Der deutsche Autor Frank Lauenroth ahnte nicht, welche Brisanz der Titel seines Marathon-Thrillers «Boston Run» im Jahr 2013 erlangen sollte, als bei der Ziellinie des Boston Marathons zwei Bomben detonierten. Er schrieb das Buch einige Jahre früher. Der rund 200-seitige Thriller hat denn auch nichts mit dem Attentat der Brüder Dzhokhar und Tamerlan Tsarnaev zu tun, mit der Ziellinie des Marathons in Boston hingegen sehr wohl. Wenn Brian Harding sie überqueren wird, soll in seinem Körper keine Spur des neuen Dopingmittels zu finden sein. Die NSA will aber der Dopingformel habhaft werden. Sie muss dies also tun, noch bevor Harding ins Ziel läuft – die Agenten haben dafür genau 42 Kilometer und 195 Meter Zeit. So der Plot des fesselnden Buches. Der Autor schaut beim Erzähltempo eher nicht bei den Langstreckenläufern ab, die Geschwindigkeit gleicht eher einem Sprint – und ist genauso packend, auch ohne grosses Blutvergiessen. Lauenroth – auch er ein Marathonfinisher – schafft es, dass mir sein betrügerischer Läufer sympathisch wird. Und nicht nur das, er strapaziert mit verschiedenen unerwarteten Wendungen meine Nerven. Dazu aber nur so viel: Das Finale überrascht. Die Fortsetzung von «Boston Run» erschien 2012 und heisst «New York Run» – es steht auf meiner To-read-Liste.
Frank Lauenroth, Boston Run. Sportwelt 2010, ca. 14 Franken
5. Tom McNab: «Trans-Amerika»
Man schreibt das Jahr 1931, als der Promoter Charles C. Flanagan einen Lauf von Los Angeles nach New York organisiert. Tim McNab bettet seinen Roman in die historischen Begebenheiten der Depression und trifft mit der geschichtlichen Anlehnung absolut meinen Geschmack. Er hat sich beim «Great Bunion Derby» in den 1920er-Jahren Inspiration geholt (mehr dazu im Artikel von «Runner’s World»). Die Strecke des Laufs im Buch von McNab führt die Athleten von der Stadt der Engel über die Rocky Mountains und durch Chicago bis nach New York, wo eine horrende Siegesprämie auf den Gewinner wartet – die reinste Verlockung in einer von Arbeits- und Hoffnungslosigkeit dominierten Gesellschaft. Die Läufer kämpfen deshalb besonders erbittert um den Sieg. Die Kontrahenten könnten verschiedener nicht sein – was ebenfalls zum Reiz der Geschichte beiträgt: Unter ihnen ist ein Gewerkschafter, der des Mordes verdächtigt wird; ein Sprinter, der in einer Kohlengrube arbeitet; ein Lord und eine junge Tänzerin. McNab lässt sie alle der Ziellinie entgegenlaufen und dabei Momente des Schmerzes und der Hoffnung erleben. Die Frage, mit der wohl jeder Leser am Schluss kämpft: Wem gönnt er den Sieg?
Tom McNab, Trans-Amerika. Aufbau-Verlag 2010, ca. 18 Franken
Das «Bunion Derby» (1929) war als Lauf quer durch die USA das Vorbild für Tom McNabs Buch «Trans-Amerika»:
Und hier der Spezialtipp ausser literarischer Konkurrenz, wie es sich für einen Olympiasieger gehört:
Dieter Baumann: «Laufende Gedanken»
Mein Geheimtipp! Dieter Baumanns Leben ist genauso facettenreich wie die Sammlung von Kurzgeschichten, die in seinem Buch vereint sind. Der einstige Olympionike ist ein erfolgreicher, deutscher Leichtathlet, der 1999 positiv auf Doping getestet wurde. Ein Jahr später sprach der Deutsche Leichtathletik-Verband ihn vom Vorwurf des vorsätzlichen Dopings frei. Als möglichen Grund für den positiven Test präsentierte Baumann damals mehrere präparierte Zahnpastatuben, die bei Versuchen zu einer vergleichbaren Konzentration von Dopingrückständen im Urin führten. Der Internationale Leichtathletik-Verband sperrte ihn trotzdem bis Januar 2001. Die Geschichte wurde deshalb als Zahnpasta-Affäre bekannt. Baumann thematisiert den Vorfall selbstironisch in seinem Kabarettprogramm und bezeichnet sich dort als Zahnpaschta-Män. Im 200-Seiten-Buch vereint Baumann Kolumnen, die er zum Thema Laufen verfasst hat. Er schildert darin etwa, dass ein Läufer, der einige Zeit unterwegs ist, den «läuferischen Idealzustand» erreicht und an nichts mehr denkt. Schon erlebt? Ich schon – ein Hochgenuss! Oder das berauschende Glücksgefühl, wenn ich mich übermütig der Verlockung eines spontanen Tempotrainings hingebe und zwar nicht, weil es im Plan so vorgesehen ist, sondern weil ich Lust darauf habe – ebenfalls schon erlebt! Baumann gibt aber in seinem Buch auch Anekdoten aus seiner Zeit als Profisportler zum Besten, Einblicke in eine zuweilen skurrile Welt – etwa seine Erlebnisse beim Training mit den Einheimischen von Nyahururu, der höchstgelegenen Stadt Kenias. Der Kabarettist kann aber auch tiefer schürfen – so hab ich von ihm gelernt, was ein Lebensläufer ist.
Dieter Baumann, Laufende Gedanken. Klöpfer & Meyer (z. Zt. nur antiquarisch erhältlich)
Baumanns Schweiz-Premiere als Kabarettist – in Markus Ryffels Runningshop in Uster:
2 Kommentare zu «Laufen und lesen, lesen und laufen»
Meiner Meinung nach ist „Cassidys Lauf“ wohl nur für Bahnläufer zu empfehlen.
Weitere Tipps:
– „Marathon des Todes“, rororo-Krimi von Linda Barnes (spielt lange vor 2013 am Boston-Marathon)
– „Lauf oder stirb“, kein Krimi, sondern eine Art Autobiografie des katalanischen Skyrunners „Kilian Jornet“ (Sieger Sierre-Zinal 2014)
Und vielleicht noch „Die blaue Linie“ des Schweizers Daniel de Roulet (1996, Limmat Verlag Zürich)