Skitouren mit Köpfchen
Sie sind Skitourengänger und womöglich sogar SAC-Mitglied? Dann sind Sie hoffentlich nicht auf den Kopf gefallen! Nach meiner kleinen Milieustudie stehen die Chancen nämlich extrem gut, dass selbiger höchstens von einer dünnen Strickmütze geschützt wird. Helm zieht Mann beim Skitouren nicht an, auch bei den Damen steht er nur unwesentlich höher im Kurs. Am ehesten noch trifft man behelmte Snowboarder an – beim Freestyle-Spross gehörte die harte Schale von Anfang an zum coolen Auftritt. Ohne an dieser Stelle prominente Schicksale bemühen zu wollen, lässt sich jedenfalls konstatieren: Im Vergleich zum heroischen Wettrüsten, mit dem die Skitourengänger seit einigen Jahren der Lawinengefahr entgegentreten, nehmen sich die Bemühungen zum Schutz ihres fragilsten Körperteils geradezu lächerlich aus. Was doch einigermassen erstaunlich ist. Ja, ich würde sogar schreiben «kopflos», trüge ich nicht selber einen solchen auf meinem Hals – und darauf nur allzu selten den Helm. Dabei sind die Risiken für den Kopf auch jenseits abgesteckter Pisten völlig offensichtlich: Eis, harter Schnee, Steine, Bäume, herumfliegende Ski, Lawinenkegel – sie alle können im Sturz verhängnisvoll sein.
Mike Tyson vs. Spartacus
Ist es da nicht paradox, dass der Helm auf der Piste inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden ist, auf Tour aber die absolute Ausnahme bildet? Mir persönlich hat dieses Paradoxum vorletztes Wochenende zwar den Kopf gerettet: Hochdruck im Engadin, knietiefer Pulver zwischen lichten Tannen und ein Tellerlift in Maloja quasi im Monopolbesitz – da wagt unsereins schon mal zu viel. So viel, dass ich Kopf voran in einen abgesplitterten Ast krachte. Ein lustiges Gefühl, ungefähr so, als verpasste Mike Tyson einem mit seiner Führhand eine knackige Gerade. Wäre ich allerdings auf Skitour und somit wie üblich helmlos durch diesen Wald gefahren, man müsste für die Gleichung jetzt den Namen eines berühmten Speerwerfers googeln.
Wieso zur Hölle tragen wir Skitourengänger also so ungern Helm?! Verschiedene Argumentationsweisen lassen sich hier nachvollziehen – und demontieren:
a) Die reaktionäre: «Hab ich in vierzig Jahren nie getragen, trage ich auch heute nicht.» (Hätten Dickschädel tatsächlich besonders dicke Schädel, wäre dagegen wenig einzuwenden.)
b) Die hippe: «Ich bin zu hübsch für einen Helm.» (Der Helm ist wohl eher zu hübsch für Sie, mit Skibrille merkt das allerdings keiner.)
c) Die scheinheilige: «Ich trage immer die Sonnenbrille, weil ich meine Augen schützen will, die aber passt nicht zum Helm.» (Denken Sie, Ihre Augen kümmern Sie noch, wenn erst ein Ast dazwischen steckt?)
d) Die liberale: «Verbote und Gebote überall! Auf der Piste gilt neu Tempo 30; Skitourengänger dürfen nicht mehr auf Skitouren gehen, weil sie dabei eine Lawine auslösen könnten; selbst der Pfannenstiel ist inzwischen Wildschutzgebiet. Und ich darf vor dem Sport nicht mehr ins Après-Ski. Da lasse ich mir doch nicht auch noch den Helm vorschreiben!» (Gratulation, Märtyrer braucht der Sport.)
e) Die professionelle: Ich fahre so gut Ski, mein Kopf ist auf Tour sicherer als im Bett auf dem Kissen. (Dagegen ist ebenfalls nichts einzuwenden, nur schlafen Sie nicht ein bei der Abfahrt.)
f) Die technische: Ich muss extrem schnell aufsteigen, der Helm ist zu schwer. (Mit Helm könnten Sie ohne eine einzige Kurve runterfahren, das spart enorm viel Zeit.)
Sie sehen: Ich bin zum glühenden Verfechter des behelmten Tourengehens mutiert. Und beim nächsten Mal, das nehme ich mir fest vor, ist der Helm dabei. Und Sie? Im Video gibts den anschaulichen Baumtest.
In diesem Sinne: Hals- und Beinbruch!
Baumtest:
Das Ganze in echt, bitte nicht nachmachen:
Matthias Ryffel ist freier Journalist und Mitherausgeber der Reportagezeitschrift «Zalle*». Sein Interesse gilt den Menschen und ihren Geschichten – ob auf Reisen, in den Bergen oder in der Wahlheimat Bern.
22 Kommentare zu «Skitouren mit Köpfchen»
Glück gehabt. Nach 15 Jahren als aktiver Skitourengänger und immer war ich ohne Helm unterwegs. Jetzt habe ich die Tourenski mit Schneeschuhen eingetauscht. Da wird es wohl keine Diskusion geben über Helm tragen oder nicht.
„Sind Sie sicher, dass der Helm Ihre Sichtweise nicht einschränkt?“ könnte man auch fragen.
Einmal mehr frage ich mich, weshalb Helmträger ständig einen vorwurfsvollen Ton in die Diskussion einbringen müssen. Liegt das vielleicht daran, dass sie selbst doch auch lieber auf den Helm verzichten würden, sich aber nicht trauen?
Von uns Nicht-Helmträgern wird auch nicht ständig moniert, dass die Helmträger
– mit einem Helm rund 5 km/h schneller nterwegs sind als ohne (ohne einen Deut besser Skifahren zu können) und damit für andere eine erhöhte Gefahr darstellen
– ein martialisches Bild abgeben und oftmals ein ebensolches Verhalten an den Tag legen, was zumindest meine Freude am Skifahren stark beeinträchtigt
– ebenso fragwürdige Entscheidungen treffen, da trotz Helms die Anzahl Kopfverletzungen beim Skifahren nicht zurück geht (wie diese Zeitung kürzlich vermeldete)
Führt die Diskussion wirklich in die richtige Richtung, wenn sie einzig die technologische Aufrüstung fokussiert, oder sollten wir uns nicht wieder vielmehr auf die Verhaltensebene konzentrieren? Nun, da die Skifahrer aufgerüstet sind, werden eine Pistenpolizei, eine Raserkartei und erhöhte Strafen für Auslöser von Lawinen gefordert – ist das wirklich die Antwort? Oder geht es nicht vielmehr darum, das Risikobewusstsein wieder in die Köpfe zu bringen? Voraussetzung ist natürlich, dass die Helme nicht vor Erkenntnisgewinn schützen….
Helmtragen auf Skitouren käme mir nicht in den Sinn, Zu viel Volumen und Gewicht. Helm beim Aufstieg auf dem Kopf geht schon wegen des schwitzens nicht. Die Abfahrten auf Skitour erfolgen sehr viel kontrollierter und auch langsamer als auf der Piste oder beim Freeriden. Genuss steht im Vordergrund. Bin auch schon vor dem Gipfel umgekehrt weil zu viele Steine eine sichere Abfahrt nicht erlaubt hätten. Wenn überhaupt gefährde ich ja dadurch nur mich selbst. Habe übrigens auch keinen ABS Rucksack, deren Wirksamkeit ist äusserst umstritten und das Zusatzgewicht spar ich mir ebenfalls. Besser einen Hang nicht befahren als mit der Illusorischen Sicherheit eines ABS Rucksackes.
hallo mitenand
es wird nicht mehr lange dauern, dann sind 90% der skitourengeher mit helm unterwegs.
er wird sich auch hier durchsetzen, und es macht absolut sinn.
gute touren.
gruss von
raphael wellig
Habe mich auch schon gefragt, weshalb auf den Pisten ein Helm getragen wird, auf der Skitour-Abfahrt hingegen nicht – im Gegensatz zur Piste sind die Steine und Felsen auf der Skitour-Abfahrt nämlich nicht alle fein säuberlich in orange Schaumstoffblöcke gepackt und man kann – wie Schumi – mit der Skispitze einhängen und kopfvoran auf einen Felsen krachen. Schon ein Velohelm würde einen besseren Schutz bieten als die Zipfelmütze.
Die Begründung f) ist tatsächlich die beste: Mit dem Helm kann man viel schneller fahren, sogar geradeaus und ohne zu schauen. Mit dem Barrivox kann man ja auch in die Lawinenhänge fahren, man ist ja gesichert. Und das REGA-Abo hat man ja auch.
Schlussendlich geht es doch bei allem um eine Risikoabschätzung. Ohne die Daten zu kennen vermute ich, dass prinzipiell die Sturzgefahr mit Kopftrauma auf Skitouren deutlich geringer ist als auf der Piste. Zudem ist Gefahr eines Zusammenstosses mit einem anderen Skifahrer abseits der Piste immens kleiner. So ist es dem abfahrtsorientierten mit Breitskieren ausgerüsteten Skitüürler sicher empfohlen ein Helm zu tragen, doch der typische SAC Skitourengeher mit Pommes frites-Ski und dem Kurzschwung-Abfahrtsstil wie anno dazumal geht wahrscheinlich kein wesentliches Risiko ein, wenn er sich nur mit seiner selbst gestrickten Mütze schützt.
Mit oder ohne Helm, soll jeder selber wissen und entscheiden. Ich gehe ohne. Zuviel volumen beim hochtragen und eklig beim schwitzen. Nehme bewusst nicht das letzte Risiko. Gehöhre Skitechnisch zu den sehr guten Fahrern. Weiss nicht wann es mich das letze Mal in den Schnee gehaut hat. Wenn’s dann halt doch mal passiert, gewisses Restrisiko bleibt immer. Mit oder ohne
Die Diskussion rund um den Helm zeigt auch, in welch kurzer Zeit sich unser Sicherheitsdenken radikal geändert hat. Bis vor 10 Jahren war es noch das normalste auf der Welt, dass man ohne Helm auf SKitouren geht. Niemand wäre auf die Idee gekommen, einen Helm zu tragen. Heute wird einem von allen Seiten (auch in diesem Aritkel) das Gefühl gegeben, man sei der grösste Kamikaze-Typ, wenn man sich ohne Helm auf Skitouren begibt. Da ist doch etwas faul daran? Das Risiko, auf einer Skitour eine Kopfverletzung zu erlangen hat nämlich bei weitem nicht im gleichen Ausmass zugenommen, wie der Anteil an Helmträgern. Fazit: Wer nicht mehr bereit ist, ein bisschen Restrisiko in Kauf zu nehmen, der soll besser zuhause bleiben. Und dann gibt es ja noch die Helmträger, die einfach mehr Risiken eingehen, als wenn sie ohne Helm unterwegs wären. Ob das im Sinne der höheren individuellen Sicherheit ist, wage ich zu bezweifeln.
Danke, Sie sprechen mir aus der Seele!
Hahahah das ist aber komisch, trage auf der Piste KEIN Helm aber bei Skitouren schon…..
Ein Tourenguide hat mir letztes Jahr vom Helm abgeraten: Wenn sich der Helm in einer Lawine mit Schnee füllt dann zieht der Riemen vom Helm kräftig am Hals, soll schon vorgekommen sein dass dann ein Verschütteter fast daran erdrosselt wurde. Ein Überlastmechanismus wie beim Militärhelm wo das Problem auch bekannt ist könnte da Abhilfe schaffen.
Die Risiken muss jeder für sich abwägen dürfen und dann die für ihn passende Ausrüstung wählen.
Gestern beim freeriden: Der Trend geht auch da wieder in Richtung Mütze oder Stirnband, ca 1/3 der Fahrer oben ohne…wieso kann ich eigentlich nicht verstehen..hmm, Style vor Schutz..dazu kommt: viele Läden verkaufen fast nur in-mold helme ohne dicke Aussenschale (leichter, teurer..also wohl mehr Marge..)..aber die nützen halt nur auf der Piste, aber nicht bei Bäumen oder Stürzen..ihr Kommentar, Herr Ryffel? das fehlte in Ihrem Artikel..gilt nämlich auch für Skitourenhelme…wer die Kraft hat, einen >10cm breiten Ski und einen Lawinenrucksack zu schleppen, sollte auch die paar hundert Gramm für den Helm aufbringen:-) Und Style im Backcountry? Hallo? Ist nicht das schöne am Touren dass man allein da oben ist? Also Style fürs Facebookprofil oder den Parkplatz unten oder wofür eigentlich?
Ist für mich die gleiche Diskussion wie beim Velo fahren – die Alten, Eitlen oder Überheblichen sieht man nie mit Helm, diejenigen mit Köpfchen schon.
Skitourengängerin, SAC-Mitglied und – natürlich – Helmträgerin auf (Touren-)Ski und Velo :-)
Trage ebenfalls einen Helm (leichter Bergsteigerhelm) auf der Skitouren-Abfahrt. Beim Aufstieg im RUSA – ausser bei Skihochtouren, da ist er ebenfalls auf dem Kopf. Man gewöhnt sich sehr schnell daran. Zudem praktisch bei Sturm, mit Skibrille und mit der Stirnlampe.
Ich trage ebenfalls einen Helm beim Biken, Ski fahren und auf Hochtouren. Vor einiger Zeit ist mir am Matterhorn ein knapp faustgrosser Stein auf die Hand geknallt. Vor kurzem bin ich bei einer etwas rassigen Abfahrt unverhofft über eine 2m Felsstufen gesprungen und anschl. sehr(!) unsanft gestürzt.
Viele Skitourengänger resp. eingefleischte SACler sind Traditionalisten… Ein Helm – unvorstellbar :-)
LSV, Schaufel, Sonde, Funk, ABS, Avalung, Helm, GPS, und was noch ?
Ein bisschen Vernunft und Vorsicht statt illusorischen Gefühl von Sicherheit dank alle diese Instrumente.
Für mich kommt nur ein Helm mit, wenn ich ein steiler Couloir fahre.
Eigentlich spricht tatsächlich nichts dagegen, auch beim Skitouren einen Helm zu tragen. Er ist leicht und gibt zudem schön warm. Notwendig scheint er mir indessen nicht. Im Hochgebirge liegt es schlicht nicht drin, derart risikoreiche Abfahrten zu machen wie auf oder grad neben der Piste. Herumfliegende Skis oder unkontrollierte Stürze sind daher die absolute Ausnahme. Das Risiko, sich den Kopf anzuschlagen ist entsprechend gering. Das dürfte auch die Unfallsstatistik bei den Skitourenfahrern zeigen.
Notwendig scheint er ihnen nicht? Im Hochgebrige, also 2000 Meter und höher sollte man keinen Helm tragen? Ich kann ihrer Begründing nicht folgen. Genau dort passieren die Unfälle wo es teilweise Stunden geht bis die Rettung kommt. Wenn im Hochgebrige kein Helm getragen werden soll, dann wüsste ich nicht wo sonst.
Ich schliesse mich Thomas an. Das Lawinenrisiko erachte ich als wesentlich grösser als das Risiko, am Kopf verletzt zu werden. Mit der „Helm-Logik“ müsste ich auch Rückenpanzer, Protektoren u.ä. tragen, auch wenn das RIsiko dort geringer ist. Freeriding ist etwas anderes. Fragt sich allerdings, was Leute unter „Skitouren“ verstehen. Mit Tempo und Risiko runterbolzen gehört m.E. in eine andere Kategorie. Der Helm brauche ich schon, bei heiklen Stellen.
Also ich bin Skitourengänger und Sac- Mitglied und Helmträgerin auf Skitouren. :-)
Nach dem Erwähnen der vielen Ausreden gegen den Helm, hier noch ein weiterer Vorteil: Mit keiner Mütze ist man so gut gegen Wind geschützt wie mit dem Helm. Deshalb ziehe ich den Helm bei starkem Wind bereits im Aufstieg an und habe superwarme Ohren.
Finde es aber auch ineressant, wie sich die Kollegen immer besser gegen Lawinen schützen mit entsprechenden ABS-Rucksäcken, aber der Schutz des Kopfes wird meist vernachlässigt.
Ich überlege mir, in kurzen Hosen auf Skitouren zu gehen. Kurzärmliges T-Shirt ist sowieso schon standard und auch dann, bin ich immer total verschwitzt, auch bei Minustemparaturen.
Wenn ich mir dan noch den Aufstieg mit Helm vorstelle…. Ich müsste mit dieser schönen Freizeitbeschäftigung wohl aufhören. Aber so sind halt die Voraussetzungen verschieden. Wie ich Sie beneide!
Es gibt sie also immer noch: Leute, die mit offenen Augen unterwegs sind. Hier ist mal einer in den Bergen, der nicht nur die Hänge betrachtet (Pardon für diese Zweideutigkeit), sondern unvermittelt ins Nachdenken gerät: Warum tragen so wenige Skittourengänger Helm? Woher kommt die Ablehnung? — Keine Ahnung. Vielleicht sind die Menschen träge, vielleicht lieben sie ihre Gewohnheiten zu sehr, als dass sie sie aufgeben möchten. Jedenfalls scheint die Beobachtung von Herrn Ryffel zu beweisen, dass die Redewendung “Gefahr erkannt, Gefahr gebannt” nicht in jedem Fall zutreffend ist.