Hellas liegt im Mendrisiotto

Diese Woche durch den Breggia-Geopark ins Muggiotal (TI).


Was für eine traurige Sache, denke ich im Bus zwischen Mendrisio und Balerna. Rundum Hügel, Berge, Wälder, alte Dörfchen – schön! Aber leider greift die Zersiedlung der Ebene zwischen Mendrisio und Chiasso auf die nahen Hänge über. Und der Verkehr ist mörderisch. Ohne Ampel schafft es die Nonna nicht über die Strasse.

Abstecher zum Mulino del Ghitello

Der Clou dieser Wanderung besteht darin, dass wir die Agglo-Depression in Windeseile los sind. Möglich macht es die Breggia, die vom Muggiotal heranfliesst. Sie hat ein tiefes Tobel ausgefressen, das weitgehend unbebaubar ist. Im untersten Teil bei Balerna gibt sich der Fluss dabei auf knapp zwei Kilometern zugänglich samt den Mergel- und Kalkwänden beidseits. Auf dieser Strecke hat man 2001 einen Geopark eingerichtet.

Diesem Parco delle Gole della Breggia strebe ich zu, nachdem ich in «Balerna, Piazza» ausgestiegen bin. Gut hundert Meter retour, dann sehe ich bei der Kirche in sattem Gelb meinen Wanderwegweiser. Er zeigt die Richtung zum Park. Kurz darauf mache ich einen Abstecher hinab zum Mulino del Ghitello. In der alten Mühle ist die Administration des Parks untergebracht, ein Wasserrad erinnert an das Gewerbe von einst.

Der Übersichtsplan treibt mich zum Wahnsinn. Es gibt mehrere Möglichkeiten, durch den Park flussaufwärts zu ziehen; es wimmelt von Brücklein, Themenpfaden, Varianten. Ich bitte den Nachwanderer in diesem Sinne, mich nicht zu verfluchen, wenn er sich ein Stück weit selber orientieren muss. Viel falsch machen kann er nicht.

Spektakuläre Gesteinsaufschlüsse

Ich verfahre so: wieder hinauf zum Abzweiger, vorwärts und bald wieder hinab zum Laghetto del Ghitello, einem verträumten Weiherchen im Laub. Und wieder hinauf und über zwei Brücken, Punt dala Bira und Punt dal Farügin, bis zu den Resten der Mühle von Canaa, die eindrücklich an einer Wasserrampe liegt. Hernach ein Abzweiger. Ich verlasse die Schlucht Richtung Morbio Superiore.

Eine Stunde hat das gedauert. Infotafeln erklärten im Park die spektakulären Gesteinsaufschlüsse; freilich sind die italienischen Einträge in ein schauderhaftes Deutsch übertragen. Mir machte es mehr Spass, einfach den Fluss zu geniessen, der mal zugänglich ist, mal sich verschliesst. Stellenweise gibt es Geländer, doch solange weder Schnee noch Eis liegen, hat der Wanderer kein Problem. Abgesehen vom Steinschlag, der stets droht.

Ein Energiegetränk für den zweiten Teil

In Morbio Superiore nehme ich in der kleinen  Osteria del Sole einen Teller Gnocchi und dazu eine Tessiner Gazosa. Eine Limonade also, Geschmacksrichtung Moscato. Sie schmeckt fein, ein wenig wie Sauser, aber spritziger. Ein Energiegetränk für den zweiten Teil der Wanderung.

Er ist der ideale Kontrast zu Teil eins: keine Themenschilder mehr, kein Lesen und Lernen, keine Wegentscheidungen. Stattdessen ein unbeschwertes Dörferhüpfen im naturnahen Muggiotal. Via Caneggio, Bruzella, Cabbio gelange ich nach Muggio; grossteils gehe ich im Wald und sehe abseits der Dörfer keinen Menschen.

In jedem Dorf gibt es übrigens mindestens eine Kirche der altehrwürdigen Art. Am Schluss bleibt mir ein anderes Bauwerk in Erinnerung. Unten in der Breggia-Schlucht steht die stillgelegte Zementfabrik der Holcim, die vormals den Kalk in der Schlucht ausbeutete. Die eleganten Stahlstreben gemahnen an einen lichten Tempel der griechischen Antike. Hellas liegt im Mendrisiotto.

***

Route: Balerna Piazza (an der Buslinie Mendrisio Bahnhof – Chiasso Bahnhof; hierhin auch zu Fuss in 10 Minuten vom Bahnhof Balerna) – gut 100 Meter retour (Richtung Norden) zur Kirche, dort Wanderwegweiser – Richtung Breggia-Park – Abstecher zum Mulino del Ghitello und retour – Abstecher zum Laghetto del Ghitello und retour – Breggia-Park – Punt dala Bira – Holcim-Betonwerk – Punt dal Farügin – Mulin da Canaa – Abzweiger Morbo Superiore – Morbo Superiore (bis hierhin eine Stunde) – Caneggio – Bruzella – Cabbio – Muggio.

Gehzeit: 3 1/4 Stunden.

Höhendifferenz: 620 Meter auf-, 270 abwärts.

Wanderkarte: Kümmerly + Frey «Tessin Sottoceneri» 1: 60’000.

Charakter: Zuerst eine gut gesicherte Schlucht mit interessanten Informationen zur Geologie. Dann Dörferhüpfen im Muggiotal.

Gefahren: Die Schlucht kann man machen, solange es kein Eis und keinen Schnee gibt. Steinschlaggefahr

Höhepunkte: Das gewaltige alte Betonwerk der Holcim in der Breggiaschlucht. Die prächtigen Kirchen in den Dörfern des Muggiotals, die stillen Verbindungswege zwischen diesen Dörfern. Der massive Leib des Monte Generoso von Muggio aus.

Kinder: keine Probleme.

Hund: machbar.

Einkehr: In den Dörfern (Achtung, manches Restaurant schliesst nach dem Mittag und öffnet erst gegen 17 Uhr wieder).

Breggia-Park: www.parcobreggia.ch
www.mendrisiottoturismo.ch

Wanderblog: widmerwandertweiter.blogspot.com

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4 Kommentare zu «Hellas liegt im Mendrisiotto»

  • Samuel Müller sagt:

    @Widmer: Weshalb haben Sie denn nicht die wunderschöne Terrassenlandschaft in diesem Tal photographiert? Immerhin ist dies unsere alte, ehemalige Kultur. Aber das war nunmal bevor die „altehrwürdigen“ Kirchen gebaut wurden. Ob dies vielleicht der Grund ist?

  • irene feldmann sagt:

    nach dem ich mir diese bilder betrachtete und den text las, wanderte in mir das fernweh nach diesen blaetterwaeldern hoch, es ist einfach die tollste wanderzeit, farblich, von den geruechen her und diese feine stille kurz vor dem ersten schnee……..

  • Susanne Hitz sagt:

    wow, schön!
    ein oder zwei Fotos erinnern mich an die toscana.

  • Sonje Meierhans sagt:

    Wunderschön!

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