Elektronische Seilschaft


Ein Trekkingstock zischt knapp an meinem Gesicht vorbei. Aufgeschreckt folge ich der Bewegung des Stocks bis zu seinem Besitzer. Ein Wanderer, der seiner Begleitung lehrerhaft jeden einzelnen Gipfel in der Umgebung mithilfe seiner «Zeigehilfe» veranschaulichen möchte. Doch plötzlich ein Stocken in der Bewegung. «Wie heisst nochmal dieser unscheinbare Gipfel genau gegenüber?» Smartphone raus, auf den Gipfel richten und schon erkennt der Bergfex-Lehrer dank seiner Peakfinder-App auch den letzten Gipfel. Erleichterung!

Digitale Gipfelbücher, Sicherheits-Apps und Schneeberichte erklimmen die Bergwelt in Datenform. Ich gebe zu, auch ich ertappe mich oft beim Blick auf das Smartphone und der Abwägung, ob eines meiner Programme mir in der momentanen Situation von Nutzen sein könnte: Hochtouren-Packliste, White-Risk, Schneelage…. Doch von Zeit zu Zeit entsteht der Eindruck, dass sich unsere digitalen Begleiter von hilfreichen Spielzeugen hin zu Risiko-Analysten und Erziehern entwickeln, die uns sagen wollen, wann ein Schneefeld oder die Wetterlage sicher ist. Wer voll «ausge-apped» ist, dürfte sich also nie wieder verlaufen und bei einem Ausflug in die Natur auf keinerlei Hindernisse treffen. Doch sollten wir uns in der Realität wirklich darauf verlassen?

Rundumschutz für die Hosentasche

Dank durchdachter Apps werden viele Gefahren reduziert und Teile der Bergwelt sicherer gemacht. Nützlich zum Beispiel die Erfindung von Notruf-Apps. Eine «lebensrettende Idee» hatte der Lausanner Arzt Jocelyn Corniche während der Arbeit. Er stellte fest, dass eines der grössten Probleme die Lokalisierung der Verletzten in den Bergen ist. Daraufhin entwickelte er die Echo112-Notruf-App – The Pocket Lifesaver – welche die Position des Handynutzers ortet und an den Rettungsdienst im jeweiligen Land übermittelt. Bereits Hunderte Verletzte konnten dank der unkomplizierten Bedienung nach einem Unfall in den Bergen lokalisiert und gerettet werden. Vorteil: Die App ist gratis und funktioniert nach dem gleichen Prinzip auch im Ausland. Und was passiert im Funkloch? Die Uepaa-App sorgt dafür, dass Bewusstlose und Nutzer ohne Empfang nicht «übersehen» werden. Eine speziell entwickelte Ortungstechnik macht es möglich: Dank der App verbinden sich Handys automatisch bis zu einer Distanz von 450 Metern untereinander und bilden ein vom Mobilfunknetz unabhängiges Netzwerk, das zur Lokalisierung genutzt wird. Der umfassende Uepaa-Schutz für ein komplettes Jahr kostet den Alpinisten 70 Franken (die Grundfunktionen gibt es schon für einen Bruchteil). Eine stattliche Summe – aber wenns hilft…

Mentaler Download

Das ist nur ein Teil der verfügbaren Notruf-Apps, die scheinbar perfekt ausgereift sind, tipptopp Nutzer-Bewertungen haben und nicht selten in der Entwicklung und bei Tests direkt von erfahrenen Rettungshelfern, wie zum Beispiel der Rettungsflugwacht Rega, unterstützt werden. Es bleibt spannend, welche Art von Sicherheit uns Technik schon in ein paar Jahren ermöglichen kann. Eines sollte bei diesen förderlichen Innovationen nicht vergessen werden: Es handelt sich nur um Hilfsmittel, die Wissen und Erfahrung nicht ersetzen. Denn eine Sache gibt es bisher leider noch nicht zum Download. Da war noch etwas?! Ach ja, der menschliche Verstand! Denn haben Sie nicht auch manchmal den Eindruck, dass die Digitalisierung am Ende dazu führt, dass wir uns vor einem Tag am Berg kaum mehr Gedanken machen oder Risiken abwägen und uns leichtsinnig auf die neueste Technik verlassen?

Welche Erfahrungen haben Sie mit «digitalen Bergführern» gemacht? Welche Apps nutzen Sie aktiv?

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10 Kommentare zu «Elektronische Seilschaft»

  • Peter Knecht sagt:

    Wie lange wird eigentlich noch für die kontraproduktive und gefährliche App „Uepaa“ geworben? Alles, was diese App in der Praxis erreicht, ist dass sich der Akku des Smartphones unterwegs mit aktivierter App sehr schnell leert. Mit einem „toten“ Handy kann man dann in einem echten Notfall weder mit noch ohne Empfang einen Notruf oder Notanruf absetzen. Dann ist man dann auch bald mal selbst tot. Besser also diese App nicht laufen lassen und dafür ein Handy im Notfall haben, das noch funktioniert und dann wenigstens per GPS noch die genaue Position anzeigen kann!

    • Rob sagt:

      Genau. Uepaa ist nichts mehr als eine unsinnige Idee einiger geschäftstüchtiger Gadget-Freaks.
      Da die App im besten Fall (!) über 500m eine Verbindung zum nächsten Gerät mit genau dieser App (!) aufbauen kann, nützt sie in der Praxis gar nichts – wenn schon nur in überlaufenen Beggegenden – da wird man ohnehin gefunden.
      200, 300 Meter ist mit Rufen oder Trillerpfeife zu überbrücken. Funktioniert kostenlos und ohne Akku.

      Lieber Menschenverstand, gute Vorbereitung, Karte und Kompass, funktioneren ohne Akku, kostenlos. Und: Augen & Herz auf anstatt trauriges Bildschirmstarren – hilft ungemein

    • Schafhirt sagt:

      Ich bin froh, dass es wenigstens ein paar Leute zu geben scheint, die nicht alles einfach so fressen, was ihnen von der Medien- und PR-Maschine aufgetischt wird. Die Swisscom, Mammut und andere unterstützen UEPAA lauthals, weil es sich eben gut macht, um die Sicherheit der lieben Mitmenschen besorgt zu sein. So ein unkritischer Media-Hype kann durchaus ins Auge gehen. In der Praxis funktioniert so etwas nie und nimmer, und da wo es funktioniert (wegen der Personen-Dichte) wird es nicht benötigt, weil dann meist Empfang gewährleistet ist. Eine komplett überflüssige App, die nur die Batterie entlädt.
      Wenn, dann eine viel einfachere App, die nichts kostet und auch funktioniert, z.B. Echo112.

  • Delta sagt:

    Diese unausgegorenen GSM Produke helfen nun absolut niemanden. Entweder ein richtiges Satelliten Tracking Teil oder überhaupt nichts. Wer mit Karte und Kompass unterwegs ist hat die besten Überlebenschancen. Uebrigens helfen „Winterkarten“ jedem Schneeschuh-wanderer aus der Patsche. Diese Tools verbrauchen auch viel zuviel Strom. Batterien sind teilweise nach 2 Std. down wenn Sie noch aus versehen auf Schnee oder Eis gelegt werden.

  • Claudia sagt:

    Die REGA App & co ist ok, alles andere nervt und ist Ballast im Funkloch.

  • hallo mitenand

    das ist alles einfach übertriebene technik. das beste ist immer noch, wenn man den mechanischen kompass, mechanischen
    höhenmesser und die karte bestens beherrscht.
    durch diese schule sollte jeder bergsteiger gehen. und vergesst nicht, ein computer wird nie jahrelange alpine erfahrungen
    wett machen.
    gruss
    raphael wellig
    http://www.raphaelwellig.ch

  • Erich sagt:

    Natuerlich koennen news Apps und Tools Risiken minimieren indem sie Orientierung bieten in Wetter und Geografie. Sie helfen aber nicht bei subjektiven Gefahren (ich muss mich immer selbst richtig einschaetzen und verhalten) und (ver)leiten zu viele sich in schwierige Situationen zu begeben. Daher versuch ich soweit als moeglich darauf zu verzichten und damit mein Abenteuer ohne elektronisches Sicherungsnetz selbstverantwortlich zu erleben. Fuer ein Bagatellproblem ist es nicht notwendig und bei einem ernsthaften Unfall in schwerem Gelaende ist es oft nicht mehr notwendig.

  • Joachim Adamek sagt:

    Ich lasse die Zivilisation zuweilen gerne hinter mir, um mich von allem unnötigen (inneren & äusseren) Ballast zu befreien. Deshalb nehme ich dann meistens auch keine Elektronik mit. Sich gelegentlich vollständig abzunabeln, unter den Sternen zu sitzen, die schwarzen Schatten vor sich zu sehen und die Steine herabfallen zu hören, ist nicht nur ein grossartiges Erlebnis, dann füllen sich auch die Energiespeicher enorm auf. — Ok, es gibt auch andere Situationen, wo ich ohne Elektronik nicht unterwegs sein möchte.

  • Ahn Toan sagt:

    Zur Zeit klettern wir noch auf Berge und sehen dabei auf Bildschirme statt auf die Landschaft.

    Bald werden wir aufhören, auf die Berge zu klettern, die Sache auf dem Bildschirm ist ohnehin spannender: Statt uns bis nach Zermatt zu quälen, dort abgezockt zu werden, ohne Schlaf in der Hörnlihütte eine Nacht tot zu schlagen und anzustehen beim Gipfelsturm, auf dem Rückweg das ganze Abteil mit Fuss- und anderem Schweissgeruch eindeckend, spielen wir zu Hause am Computer umweltkorrekt und gesellschaftsverträglich das Game „Matterhorn Nordwand“.

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