Das Matterhorn als Extremsex-Ersatz
Auf «Spiegel Online» lese ich, dass Deutschlands bekanntester Hobby-Läufer, Wunderathlet und Kolumnist Achim Achilles, der schon Marathon und Ironman hinter sich gebracht hat, jetzt höher hinaus will – am besten aufs Matterhorn. Auf diesen «steilen grauweissen Zahn oberhalb von Zermatt», der zwar «nur halb so hoch ist wie der Mount Everest, aber mindestens so gefühlsecht». In seiner Kolumne «Achilles Verse» schwärmt er: «Ach Matterhorn, du alte Sau, so geil und grausam gleichermassen. Du bist besser als jeder Marathon, genauso ungesund für den Körper, exklusiver Balsam für die Wohlstandsseele, Viagra für das Angstzentrum wegen dieses netten Restes an Todeswahrscheinlichkeit.»
Achim Achilles alias Hajo Schumacher berichtet von Matterhorn-Helden, die in der Hörnlihütte in einem muffig-wildromantischen Massenlager nächtigen und den kräftigen Duft von Basislager schnuppern, vom Männermythos zwischen Bergtod und Fussschweiss, von Tragödien und Endorphinfluten, von den über 500 Menschen die am «Sehnsuchtsberg» bereits starben, «abgestürzt, kreislaufverendet, von tückischen Bröckelsteinen erschlagen». Wer die Tour über den Hörnligrat überlebe, «und das sind die meisten», nerve Mitmenschen für den Rest seiner Tage mit Heldengeschichten vom Horn.
Ein Gipfel fürs Ego
Da die Kolumne über seine Matterhornbegegnung Anfang August erschienen ist, schätze ich, dass Herr Achilles im Juli im Wallis war. «Tausende lauern in diesen Sommertagen wieder auf gutes Wetter, um sich einen Lebenstraum zu erfüllen: einmal da oben stehen, mit bebenden Knien am Gipfelkreuz.» Manager, die sich mal wieder spüren wollen, depressive Familienväter in der Midlife-Krise, die auf den Heldentod hoffen, Angeber, die das Gipfelbild als Bildschirmschoner brauchen, so Achim Achilles.
Ja, der Schweizer Nationalberg biete noch «echte Angst, echte Gefahr, echtes Adrenalin und für den Rest des Lebens echtes Did-it-Glück. Was dem Bezahlfernsehgucker seine TV-Erotik, das bedeutet dem Menschen mit Restnatürlichkeit der Aufstieg zum Toblerone-Gipfel. Marathon, Ironman, Finalkarten für DSDS – wer alles hatte im Leben und die letzte Grenze sucht, der krönt sein Dasein mit dem Höhepunkt im eisigen Wind, 4478 Meter über einem Meeresspiegel, an dessen Stränden Millionen rundum-sorglos-versicherter Normalos grillen. Der Berg als Extremsex-Ersatz – Mountainporn am Matterhorn.»
Erotisierende Berge
Ach, Herr Achilles, herzlich willkommen in den Schweizer Alpen! Wir haben noch andere hohe Gipfel auf Lager, die wir zur «Premiumklasse globaler Erhebungen» zählen. Schreiben Sie bitte noch viele Kolumnen über Ihre Bergtouren, sie sind lustig (finde ich). Und sie öffnen mir die Augen! Zum Beispiel wusste ich gar nicht, dass Männer am Berg alles mit Sex vergleichen. Jedenfalls habe ich im Zusammenhang mit Alpinismus noch selten so viele erotikbezogene Formulierungen gelesen.
Und wenn Sie am Schluss absolut korrekt relativieren: «Der Aufstieg von der Hörnlihütte ist eine ordentliche Leistung, keine Frage, aber nichts Übermenschliches.» Oder: «Auch ein mässig fitter Niederländer mit fortgeschrittener Adipositas darf halbwegs sicher sein, zum Gipfel gehievt zu werden, wenn er zwei Bergführer-Tagessätze von je 600 Franken berappt und die Nacht im animalischen Dunst der Hörnlihütte überlebt hat. Nur umkehren wollen darf er nicht.» Vergessen Sie nicht: Ein Zmuttgrat aufs Matterhorn, oder gar die Nordwand wären alpinistisch sicher höher zu werten. Aber auch auf eine Normalroute wie den Hörnligrat darf man durchaus stolz sein – und das öffentlich zugeben, als Flachlandtiroler sowieso. Abertausende weltweit träumen von diesem Abenteuer, nur Tausende schaffen es. Immerhin. Auf Ihren angekündigten zweiten Teil «Last Exit Hörnli-Hütte – die grausame Nacht vor dem Tag der Tage» freue ich mich schon!
27 Kommentare zu «Das Matterhorn als Extremsex-Ersatz»
Jaja, der Horu. Dabei gibt es in der Schweiz 10x schwierigere und auch super schöne Gipfel. Schon mal auf dem Hängeten Ostgipfel gestanden? Oder der Vorgipfel vom Turner? Nein? Ja, diese sind eben nicht so Medienkonform wie das Matterhorn
Hat einer ein Haar gespalten und darüber eine Rede gehalten, ein anderer setzt das Haar wieder zusammen und muss die Ansicht des ersten verdammen. Im Buch des dritten kann man lesen, es sei das falsche Haar gewesen. (nicht von mir, noch ein Bier)
:)
Ein paar Gratistipps für diesen Herrn Schumacher: 1. eine verständnisvolle Sexpartnerin suchen oder 2. regelmässig ins Puff gehen oder 3. täglich fünfmal kalt duschen oder 4. eine Selbsthilfegruppe gründen oder 5. professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
aber-aber, es sind ja nicht alle so wie sie, herr stoffel!
Nicht jeder, der das Matterhorn besteigt, ist nur darum bemüht sein Ego aufzupolieren. Das Matterhorn ist doch einfach ein traumhaft schöner Berg und der Hörnligrat eine sehr schöne Klettertour in fantastischer Umgebung. Der Berg ist ein Mythos und hat eine bewegte Geschichte. In der Hörnlihütte ist es nicht animalischer als in anderen SAC-Hütten auch, die Stimmung sehr gut. Es ist auch nicht so, dass am Berg ein Riesenstress mit Massentourismus mit irgendwelchen unerfahrenen Hobbyalpinisten urbanischen Ursprungs herrscht. Also bitte Stop dem Matterhorn-Bashing!
guten abend miteinander
eine matterhorn besteigung hat doch nichts mit erotik zu tun.
aber der text ist sehr gut formuliert, und sagt die wahrheit. das heisst, viele sind keine „echten“ bergsteiger, sie steigen auf diesen berg, um zu sagen: „ich war oben.“ und dabei haben Sie keinen respekt, achtung und ehrfurcht vor dem berg. Sie kennen bestimmt auch nicht den hintergrund über diesen berg.
und wie sie den berg bestiegen haben, über das wird kein wort gesprochen. verstehen sie mich nicht falsch, es gib sehr viele „seriöse“ alpinisten.
gruss
r.w.
http://www.raphaelwellig.ch
Es ist eine bekannte Tatsache das, im Auge des womöglichen Todes die Sexualität einen letzten aufbäumer loslässt…
Eigentlich fantastisch, wie sich der Körper bei unmittelbarer Todesgefahr noch fortpflanzen möchte.
finde ich auch und so fuer mich auch das verstehen das wir menschen sehr den tieren aehnlich sind, mehr als wir wahrnehmen wollen.
Wir Menschen sind wohl die am weitesten entwickelte Version Tier. Auch punkto Sexualität sind wir nicht zu toppen, es gibt keine Tierart, ausser den Affen, die selbst dann noch Sex hat, wenn schon Nachwuchs unterwegs ist. Zum Glück steht uns Menschen eine ganze Palette von Verhütungsmitteln, bis hin zur Möglichkeit, abzutreiben, zur Verfügung. Damit haben wir es als einzige Spezies in der Hand, unsere Sexualität zu genießen, ohne dabei eine Überbevölkerung zu verursachen.
bitte erkären sie mir das.
http://de.wikipedia.org/wiki/Orgasmus
lesen sie unter parallelen zwischen……….|| es gibt einige beispiele von situationen welche, personen im akt verstorben sind, und auch einige vereinzelte faelle welche, todkranke menschen kurz vor dem tod (durch krankheit) sexuelle aktivitaet erlebten….//// der tibetische buddhismus erklaert das sehr einfach .
dankeschön. da habe ich doch tatsächlich mal noch was dazugelernt. ich wünsche mir eh beim koitus abzuleben, in der einen hand den schlot und in der andern das whisky-glas.
Gibt’s eigentlich ein anständiges Bier auf der Hörnli-Hütte?
Ja. Definitiv…
Es gibt auch prima Essen. Nur Händewaschen geht nicht.
Viele von uns brauchen es, an die Grenzen zu gehen, uns in Todesnähe zu bewegen, Angst zu überwinden und im besten Fall oben zu stehen oder sonst eine verrückte Leistung hinter uns zu bringen. Man kann sich darüber lustig machen, kann Sport und Bergsteigen mit sexueller Höchstleistung vergleichen – hat irgendwie etwas – aber es bleibt Tatsache: Irgendwie gehört das zu uns Menschen.
Ein Berg mit Erotik zu vergleichen ist zweifellos 100 Mal mehr daneben als Äpfel mit Birnen zu vergleichen – einfach unmögliche, wenig gesitreiche Wortspielerei.
Das Matterhorn ist 4478 m ü.M.
Vielen Dank für den Hinweis. Die Redaktion.
Im Zusammenhang mit extrem und Mountainporn: Vor rund einer Woche hat Kilian Jornet den ewigen Rekord von Bruno Brunod um 22 Minuten unterboten: von Breuil-Cervinia aufs Matterhorn und zurück in 2h52min. Das müsste in diesem Zusammenhang fast erwähnt werden. Gibt sogar ein kurzes Video, unglaublich…
Was ist mit den Frauen, die die animalische Hörnlihütte überlebten, den Berg in Männertauglichen Zeiten ersprinten und ihn dennoch eher als sportliche Herausforderung betrachten, denn als erotisches Phallusobjekt? Ich jedenfalls benutze mein Gipfelfoto als Bildschirmschoner und ja, es macht Eindruck dort oben zu frühstücken und der Sonne zu zu schauen, wie sie das Land unter ihr weckt. Das hat gewissermassen etwas erotisches, der Kuss der Sonne auf Gipfeln der Leidenschaft. Nun ja, eben die Schweizer Alpen haben davon noch mehr auf Lager. Ich freue mich auf diese Gipfel.
Da kommt mir vieles bekannt vor, als ich 1997 im zarten Alter von 21 diesen Berg – zusammen mit meinem Seilpartner und 198 anderen an einem Julitag erstürmte. Damals habe ich mir geschworen: nie wieder Matterhorn! Inzwischen sind 47 weitere 4’000er und 3 Kinder dazugekommen. Alle 47 4’000 waren angenehmer, als das Horu. Aber: falls ich nur einem meiner Kinder meine Bergsportbegeisterung vererbt habe, kann ich mir inzwischen vorstellen, den 1998 geleisteten Schwur zu verdrängen und das Horn erneut zu besteigen – vielleicht ja ganz entspannt über den Zmuttgrad (bitte nicht weitersagen !:)
Kleine Korrektur: Das Matterhorn ist 4478 m hoch, nicht 4468 m.
Kommt darauf an ob man die Nordsee oder das Mittelmeer als normal null annimmt.
zeitgeist. natur und körperliche betätigung werden aktiv vermarktet; ohne rücksicht darauf, sich der lächerlichkeit preis zu geben. der moderne (büro)-mensch will superlativen, raus aus dem sessel und rein in die extrem-kompensation zur aufpolitur des gechändeten egos. kolumnisten wie aa schlagen daraus profit, nichts weiter.