«Die Alpinisten sassen beim Wein, wir Kletterer rauchten die Joints»
Seit den 80er-Jahren prägt Pesche Wüthrich den Klettersport in der Schweiz mit. Nach langen Jahren im Tessin ist er in seine alten Jagdgründe zurückgekehrt. Zur Ruhe betten wird sich Pesche im Berner Oberland nicht.
Heute ein Gastbeitrag von Matthias Ryffel*

Pesche Wüthrich in seiner von ihm eingerichteten Route Costa Brava (7c) im Klettergarten Winteregg oberhalb von Kandersteg BE. (Foto: Adrian Stämpfli)
Die Menschen suchen: Liebe, Glück, Reichtum, den perfekten Augenblick, oder die perfekte Linie durch eine Felswand. Irgendwann finden sie sie, geben auf, oder werden alt. Einer, der viel gefunden hat, nicht mehr der Jüngste ist, und der dennoch nie ganz aufgehört hat zu suchen, ist Peter «Pesche» Wüthrich, eine Art Schweizer Kletterlegende. An diesem wolkenlosen Sommertag hängt Pesche am rauen Kalkfelsen des Klettergarten Winteregg, hoch über Kandersteg. Der Wind fährt in seine langen braunen Haare, als wolle er den Kletterer ins Tal zerren. Pesches sonnengebräunter Oberkörper schmiegt sich eng an die Felswand, Sehnen und Muskeln treten unter der dunklen Haut hervor, als er zum Sprung ansetzt. Mit einem Schrei schnellt er hoch und schnappt nach einem abschüssigen Felsvorsprung. Die Linke findet Halt und krallt sich fest. «Schiiss knapp gsi», tönt es kurz darauf fröhlich von oben.
Während Pesche in der Wand hängt, richten sich jüngere Kletterer am Fels ein. Sie grüssen. Man kennt den 48-Jährigen in der Szene noch immer, was eigentlich nicht weiter verwundert. Der Mann fällt auf, hochgeschossen wie er ist, drahtig und muskulös mit langen Haaren und einem Ziegenbärtchen. Vor allem aber klettert er mit «Costa Brava» heute eine Route, die er vor 24 Jahren selber eingerichtet hatte, soll heissen mit Bohrhaken versehen, damit sie sich am Seil gesichert klettern lässt. Es ist eine von «wahrscheinlich 500 Routen», die Pesche im Kanton Bern eröffnet hat; gut doppelt so viele dürften es in der Schweiz insgesamt sein.
Auch Steck profitierte von Wüthrich
Der 1964 geborene Berner war einer der Wegbereiter des Booms, den der Klettersport in den letzten 30 Jahren durchlaufen hat. Mit 13 Jahren trat er dem SAC bei, seine klassische Bergsteigerkarriere allerdings endete früh: «Wir waren die erste Generation von Jugendlichen, die auf den ‹Sportkletterzug› aus Nordamerika aufsprangen», erzählt er. Die Gipfel überliessen die jungen Wilden in ihren neonfarbigen Leggins anderen, versuchten stattdessen, ohne technische Hilfsmittel die härtesten Linien im Fels zu klettern. Zwei Welten taten sich damals auf: «In der Rinderalphütte sassen die Alpinisten an einem Tisch beim Wein – wir rauchten an unserm Tisch die Joints», erzählt Pesche und die Erinnerung legt ihm Lachfalten um die blauen Augen.
Das Abenteuer habe ihn damals herausgefordert, die Freiheit, Neues zu entdecken, neue Wände, neue Routen. «Bald merkte ich, dass ich sogar ein gewisses Talent besass.» Tatsächlich: Der Berner eröffnete im Oberland Jahr für Jahr härtere Routen, lotete seine Leistungsgrenzen aus. Auch ein Ueli Steck hat davon profitiert: «Pesche war zu meiner Jugendzeit eine der treibenden Kräfte in der Sportkletterszene in der Schweiz». Pesche habe ihn, Ueli, damals motiviert, am «Harder» in Interlaken eine Route zu probieren, die er selber für viel zu schwierig gehalten habe. «So konnte ich meine erste Route im Grad 8a realisieren – das werde ich ihm nie vergessen.» Bevor Pesche 30 war, hatte er den Franzosengrad 8c geknackt. Etwas, was noch heute einer Handvoll Kletterern vorbehalten bleibt in der Schweiz. Da war es Zeit für eine Auszeit, Pesche nahm Abstand vom Leistungssport. Kurz darauf, im Jahr 1999, wanderte der gelernte Tiefbauzeichner mit seiner damaligen Frau ins Tessin aus – «auf der Suche nach Sonne», wie Pesche sagt. Im felsverwöhnten Tessiner Maggiatal baute er sich eine neue Existenz auf: Familie, Eigenheim, Kletterschule, Kletterladen. Dem Deutschschweizer schlug im Tessin zuerst viel Skepsis entgegen. «Zu Beginn fragte ich nicht gross, ging einfach bohren.» Das führte zu Missverständnissen. «Mein Italienisch war aber auch schlecht», ergänzt Pesche, und kann heute darüber schmunzeln. Mit der Zeit habe man sich gefunden und bald schon gemeinsam am Fels gearbeitet.
Disput um die Ethik des Routenerschliessens
Die Unbeschwertheit und Offenheit, die den «Zucchin» damals ins Tessin begleitete, kommt ihm 15 Jahre später im Berner Oberland wieder zu gute. An der Winteregg lässt es sich einer der jungen Kletterer nicht nehmen, Pesche darauf hinzuweisen, dass er den «Tabufinger» am Abendberg ohne die künstlichen Löcher habe klettern können. Er weiss offensichtlich um die Kritik, die Pesches Erschliessungsarbeit in den späten 90ern auf sich gezogen hatte. Zwei künstliche Löcher; mit dem Handbohrer in den Fels getrieben, gaben dem Tabufinger seinen Namen. Die Löcher hätten eine schwierige Passage entschärfen sollen, lieferten stattdessen aber Zündstoff für einen Disput rund um die Ethik des Routenerschliessens.
Wohl nicht zuletzt dank solcher Auseinandersetzungen sind heute künstliche Griffe im Fels unter Sportkletterern in der Schweiz nicht mehr opportun – auch Pesche würde den Bohrer zu diesem Zweck nie mehr zur Hand nehmen. Er hat aber auch längst gelernt, mit Kritik umzugehen. Im Schatten der überhängenden gelbgrauen Felswand, an der er so viele Routen eigenhändig eingerichtet hat, hört er geduldig dem Jüngeren zu, zeigt Interesse und Freude an dessen Leistung. «Tabufinger frei geklettert, super!» «Neue Routen am Abendberg? Interessant!» Später werden die zwei die Telefonnummern austauschen – vielleicht ist damit ja der erste Haken geschlagen für ein generationsübergreifendes Routenprojekt.
Pendeln zwischen Fels und Zürich
Das Tessin, den Laden und die Schule hat Pesche Wüthrich hinter sich gelassen, seit knapp einem Jahr lebt er wieder in Bern. Aus den Gründen macht er keinen Hehl: Nach der Trennung zog es seine Ex-Frau nach Bern, Pesche wollte in der Nähe der beiden Töchter bleiben. Nicht immer ist dem Suchenden auch das Finden vergönnt. Fragt man Pesche, ob er im Tessin die Sonne gefunden hat, lautet die Antwort «Jein». Wahrscheinlich hat der Mann auch deshalb die Felskletterei in der Schweiz entscheidend mitgeprägt. Weil er denkt, dass es mit dem Leben so sei wie mit dem Klettern: «Man muss immer wieder Neues wagen». Der Vergangenheit, so sagt Pesche, trauere er nicht hinterher. «Es tut gut, das Leben manchmal umzukrempeln.» Der Wechsel nach Bern sei auch für seine Töchter gut. «Schule und Arbeitsmarkt sind hier deutlich besser.» Er arbeitet jetzt bei einem Outdoor-Sportartikelverkäufer, fährt dafür drei Tage die Woche nach Zürich. Er geniesse es, dann frei zu haben, wenn die andern auch frei haben. Künftig will er sich aber wieder hauptsächlich auf seine Kletterschule konzentrieren, dort explizit im Bereich Bigwall-Führung.
Der Zeit entgeht man auch am Fels nicht. Noch immer klettert Pesche praktisch jede Woche. «Solange ich dazu in der Lage bin, wird sich das auch nicht ändern.» Die neuen Wegmarken setzen inzwischen aber andere. «Heute gebe es neue Helden», sagt Pesche. Und das sei gut so. Pyramiden zu bauen, habe ihn nie gereizt. «Es gibt nichts Vergänglicheres als die eigene Leistung.» Man kauft Pesche die Gelassenheit ab, wenn er an der Winteregg nach einem Durchstieg mit breitem Grinsen im Gesicht zu Boden schwebt, obwohl die gekletterte Route weit unter seinem Niveau liegt; wenn er inmitten dieser idyllischen Bergwelt plötzlich lachend vom Rollerfahren in Griechenland zu schwärmen beginnt; oder wenn sein Blick auf der Rückfahrt nach Bern ständig an irgendeiner Felswand kleben bleibt, die man sich «mal genauer anschauen müsste».
Mag sein, dass die Jungen nachrücken. In einem Sport aber, wo die heimlichen Helden noch immer jene sind, die an ihrem Tun die grösste Freude empfinden, die neue Wege gehen wo die alten ausgetreten sind, ja in einem solchen Sport dürfte einer wie Pesche noch ein Weilchen ein Held bleiben.
*Matthias Ryffel ist freier Journalist und Mitherausgeber der Reportagezeitschrift «Zalle*». Sein Interesse gilt den Menschen und ihren Geschichten – ob auf Reisen, in den Bergen, oder in der Wahlheimat Bern.
22 Kommentare zu ««Die Alpinisten sassen beim Wein, wir Kletterer rauchten die Joints»»
Also dieses theater wegen dem joint.im leben probiert jeder mal etwas um zu spühren welchen weg er gehen will.und pesche kifft nicht.er ist ein lebe mensch und voller power.ich weiss dass ,da ich die jüngste schwester von ihm bin.er hat mir durch seine positive art viel kraft gegeben ,und dieser bericht finde ich sehr schön über ihn .er wird noch viele felsen erklimmen denn das ist seine welt.
Ich habe Pesche extrem gern…und er raucht sehr lange kein Joint mehr. Jugendsünden hat doch jeder…
Pesche (Kochanie ) – Du bist einfach grossartig – weiter so…
Ein sehr guter Bericht von Pesche! Wann immer man Pesche in irgend einem Gebiet gesehen hat, war er aufgestellt und immer lustig. Man muss in einfach gern haben!
Und wegen irgend einer Aussage wegen eines Joints in zu kritisieren schon gar nicht. Und ein Joint mit Krebs in Verbindung zu bringen ist auch heikel. Meine Schwester hat nie geraucht noch getrunken, hat gelebt wie ein Uhrwerk und ist trotzdem an Krebs erkrankt. Also hört auf mit Moralpredigten, das Leben ist irgendwie auch eine Glücksache. Das schlimmste am Ende des Lebens, wäre ja gesund zu sterben. Also Pesche, bleib wie du bist!
Auch wenn ich nicht sehr sportlich bin (wandern, Hund) so finde ich den Artikel sehr bemerkenswert. Auch mal kiffen oder andere Laster sind endlich mal nicht „nur“ verwerflich sondern geben auch Energie und wie man liest Lebensfreude in Bezug auf Freizeit. Pesche geniesst das Leben auf seine Art und ich finde sie richtig. Mach weiter so!
Man sollte Pesche ein Denkmal bauen !! Herzlichen Dank für all die Routen und Klettergärten im Tessin bzw. der ganzen Schweiz.
hallo mitenand
sehr guter bericht über pesche wüthrich.
an dieser stelle danke ich Ihm für seine grossartige arbeit im klettersport.
ich wünsche Ihm weiterhin viel erfolg und spass.
gruss von
raphael wellig http://www.raphaelwellig.ch
Guter Artikel. Aber Pesche ist ja erst 48 und nicht 88… 48 ist bei einem sportlichen, gesunden Menschen kein Alter! Da haben Mann und Frau noch ein paar Jährchen vor sich, in denen sie sich sogar verbessern können. Sicher wird Wüthrich noch längere Zeit ein „Held“ bleiben, auch wenn er gelegentlich einen Joint raucht:-)
Guter Bericht über Pesche. Bisher wurden seine sportlichen Leistungen viel zu wenig gewürdigt, da er sich wohl nicht in den Vordergrund drängelte. Auch S. Sigrist hat in der JO SAC Bern mit Klettern begonnen. Das Erfreulichste am SAC aber auch anderen Sportvereinen ist die Ausbildung der Jungen. Das weniger Rühmlichste bedeutet für mich, dass KKW-Betreiber als Sponsoren akzeptiert werden. Die Erhaltung unserer Berg- und Umwelt ist nämlich auch ein Ziel des SAC.
Klettern gehört zu den Risiko-Sportarten welche die Natur stören. Wild wird vertrieben, Metallpflöcke in bisher seit Jahrtausenden von der Natur geschliffenen Felsen getrieben, seltene Pflanzen in Felsritzen niedergetrampt, Trampelpfade
durch Wiesen und Wald zur Felswand erstellt. Jedem Berggänger sei gedankt, der sich an offizielle Wanderwege hält und nicht unbedingt die Aussicht auf einem schwierigen Gipfel geniessen will.
Hi John. Schön, dass du dich offenbar von den KIettergebieten fernhältst. Meine Kollegen und ich haben beim Durchsteigen von Felswänden noch selten Wild vertrieben und das mit dem Trampelpfaden hast du wohl mal geträumt (sogenannter Alp-Traum).
Schon mal ein Skigebiet im Sommer von oben betrachtet?
Das stört die Natur und das Wild. Metallmasten hoch wie Häuser werden zu hunderten im Boden verankert, in bisher seit Jahrtausenden von der Natur geformten Landschaften.
Wie ist das eigentlich mit dem Auto fahren und der Eisenbahn? Und den Lebensmitteln. welche jeden Tag für 3 Millionen Menschen importiert werden müssen?
Ja, wir werden alle langsam älter. Kein Dank dafür, dass mir dies, als zweite Sportklettergeneration, in Erinnerung gerufen wurde aber danke für das Erfassens des Kerngedankens des Kletterns. Wüthrich, den ich nicht persönlich kenne, aber im Tessin oft am Felsen sah, hat diese Würdigung verdient. Und an alle Ereiferten wegen dem Joint: Klettern war schon immer mehr, als die pure Leistung – Klettern ist eine Lebenshaltung.
Ein Vorbild !
Way to go, Pesche! Soulclimber
Die Tatsache dass einer ein guter Extrem – Sportler ist, sagt noch nichts Betreff seinem Charakter betreffend Vorbildfunktion aus.
Hat das jemand behauptet? Im Artikel geht es um’s Klettern – nicht um Charaktereigenschaften….
ein wirklich schöner bericht. ich habe pesche im laufe meiner zeit bei der mammut kennen gelernt. bei ihm habe ich auf profesionelle aber entspannte art die ersten kletterzüge erlernt. pesche ist ein typ den man einfach gern haben muss, er lebt nicht nur von sprüchen und träumen sondern er lebt sie intensiv, spontan und direkt im wahren leben. wer einmal das glück hat mit pesche ein paar worte zu wechseln, der wird sofort verstehen, was das heisst. sein grinsen, seine positive energie, sein wesen sind einfach ansteckend und bei einem sport wie klettern supermotivierend. pesche witer so!
Warum nur musste Pesche Wüthrich „wir rauchten an unserm Tisch die Joints“ erwähnen? Ist das, was die jüngere Generation Kletterer wirklich braucht als Ermutigung oder Aufforderung? Waren seine Pionierarbeit im Felsen klettern und seine anerkannte Erfolge nicht ausreichend? Leider, ein guter Freund von mir, der nie kletterte in seinem Leben, starb durch das Rauchen von ‚Joints‘ während vielen Jahren von Lungenkrebs. Lassen wir das Thema…. zu Klettern….!
Also gestorben ist er an Lungenkrebs durch Joints?! Wohl am Tabak der dazu verwendet wurde, Grass pur ist nicht halb so schädlich!! Ich finds peinlich wenn ein Erwachsener Mann allen Ernstes erzählt jemand sei wegen dem ‚Kiffen‘ gestorben!! Vielleicht mal etwas Weiterbildung (und nicht die die mich lehrt wie ich andere abzocken kann). Ich finde tragisch ist Ihr Freund Tod ist, dass steht ausser Frage, aber solche Aussagen sind wohl auch ein Hohn über seinen Tod!
@Rene Kurz
…doch gehörig „spitzfindig“, das mit dem Joint rauchen und Lungenkrebs….
Joints sind leider nicht harmlos. Ca 20% der Bevölkerung sind allergisch gegen THC, wodurch Psychosen wie Schizophrenie, Paranoia und andere ausgelöst werden können.