Der Mann, der von einem Hirsch gerammt wurde

Diese Woche Panoramawanderung über dem Saastal (VS)

Das erste, was ich auf der Homepage der Bergbahnen Hohsaas sehe, ist das Foto eines Buben im Go-Kart. Auf dem Kreuzboden, der Mittelstation, gibt es neuerdings eine Go-Kart-Bahn. Der Spruch dazu ist kurios: «Auch Kids müssen mal entschleunigen.»

Ich und mein alter Bergkollege Peter sind uns dann vor Ort einig, dass wir Rummelplatz-Einrichtungen auf 2400 Metern nicht mögen. Wir sind uns aber auch einig, dass uns die Sache letztlich egal ist. Wir wollen auf dem Kreuzboden, den wir von Saas-Grund per Gondel erreicht haben, ja nicht verweilen.

Es steigt und steigt

Wir gehen also gleich los, und nach zehn Minuten haben wir Ruhe. Wir sind in einer grossen, weiten Berglandschaft: Tundra-Ambiente über der Baumgrenze mit ausgezehrtem Gebirgsgras, das sich gegen Kälte und Schnee behauptet; die Felsbrocken sind mit hellgrünen Flechten bewachsen.

Unser Zwischenziel Triftgrätji will erobert sein. Dass der Weg stetig ein wenig steigt, ist nicht das Problem. Anstrengend ist vielmehr die Bewältigung des Blockschuttfeldes, durch das er sich windet; wir gehen weniger, als von Block zu Block zu springen. Gleichzeitig ist das lustig. Endlich Gelegenheit, sich in den Alltag eines Steinbocks einzufühlen.

Fein ist die Aussicht auf diesem Höhenweg: unter uns Saas-Grund, rechts die Terrasse von Saas-Fee und geradeaus das Ausgleichsbecken von Zer Meiggeru. Bald zeigt sich weit vorn auch der Mattmark-Stausee. Mit dem Bus dort hinauf und dann via Jazzilücke und Antronapass in weitem, Italien streifenden Bogen hinab nach Saas-Almagell: Das war ursprünglich unser Plan. Doch das Wetter ist dafür zu mittelmässig.

Direttissima?

Nach dem Triftgrätji beginnt es zu nieseln. Als Entschädigung ist die folgende Passage komfortabel: Der breite Pfad beginnt sich gegen die Almagelleralp zu senken. Schon machen wir das Berghotel gleichen Namens aus, das durch zwei Merkmale leicht identifizierbar ist. Erstens liegt es ganz für sich in einer gerölligen Wiese. Und zweitens hat es rote Fensterläden.

Wir kehren ein. Ich esse eine «Walsersuppe»: Bouillon, darin deftig Käse, Speck, Brotbocken. Doch, das ist die richtige Nahrung, wenn man wandert! Auch wenn ein Weight Watcher vermutlich in Ohnmacht fällt allein bei der Vorstellung der Speise.

Im Abstieg müssen Peter und ich uns bald entscheiden: Direttissima? Oder der längere «Erlebnisweg», der mit einer Hängebrücke startet, welche eine glattgeschmirgelte Felsflanke mit Tiefblick ins Tal quert? Wir nehmen die Direttissima. Was wir bekommen, ist enorm steil, doch fängt der Weg in unzähligen Kurven das Gefälle auf.

Der Hirsch

In Saas-Almagell stellen wir uns an die Bushaltestelle, und mir fällt ein, dass ich hier vor zwei Jahren schon einmal wartete. Ich traf damals einen Mann, der mir seine Leidensgeschichte erzählte. Es sei ein Wunder, sagte er, dass er nicht tot sei. Er sei von einem brünftigen 200-Kilo-Hirsch gerammt worden, sei fast gestorben, habe bereits die letzte Ölung erhalten, habe sich dann allmählich erholt, habe aber anderthalb Jahre auf der Intensivstation liegen müssen. Nun sei er invalid, helfe ein wenig in einem der Hotels im Ort mit.

Wie genau das mit dem Hirsch geschehen konnte – ich hätte es damals gern genauer erfahren. Doch da kam der Bus, der Mann stieg ein, kannte jemanden, setzte sich daher nicht zu mir. Und wenn ich jetzt auch nach ihm Ausschau halte, diesmal ist er natürlich nicht da, mir die Lücken in der Geschichte zu füllen.

Infos

  • Dauer: 4 Stunden.
  • Höhendifferenz: circa 200 Meter auf-, 900 abwärts.
  • Charakter: Höhenweg mittlerer Länge mit grosser Aussicht.
  • Höhepunkte: Das gewaltige Blockschuttfeld nach dem Kreuzboden. Der Blick auf Saas-Fee am Gegenhang und auf den Mattmarksee voraus. Die liebliche Almagelleralp.

Einkehr unterwegs: «Almagelleralp» in der Mitte der Wanderung, http://almagelleralp.it-solutioncenter.ch/

Landeskarte 1:25 000: 1329, «Saas».

Thomas Widmers Wanderbücher gibt es im Echtzeit-Verlag, www.echtzeit.ch, oder auf www.thomaswidmer.ch.

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