Ultracycling: Schlaflos im Sattel
Liebe Leserinnen und Leser, Anette Michel wird am Langdistanzrennen Tortour 2013 teilnehmen und in unregelmässigen Abständen darüber bloggen. Im ersten Blog spricht sie mit einen Teilnehmer der letzten Tortour und macht sich Gedanken über den Tross an motorisierenden Fahrzeugen, der die Velosportlerinnen und -sportler begleitet. Viel Vergnügen bei der Lektüre! Die Redaktion.
Die Idee der «Tortour» ist einfach, der Name passend: Wer kann am schnellsten ohne Pause 1000 Kilometer auf dem Velo durch die ganze Schweiz zurücklegen? Dieses Jahr findet die fünfte Ausgabe des Anlasses statt. Neben den 35 angemeldeten Solo-Athleten werden auch Zweier-, Vierer- und Sechser-Teams antreten. Auf Anfrage des Teams «Tamedia» habe ich zugesagt, mich im August auf das Abenteuer mit dem abschreckenden Namen einzulassen, im Team mit fünf weiteren Radsportlern.
Ins Leben gerufen wurde das Ultra-Radrennen der Schweiz von ehemaligen Triathleten, nachdem sie als Vierer-Team am legendären Race Across America (RAAM) teilgenommen hatten. Das RAAM ist die Mutter aller Ultracycling-Anlässe: von der West- an die Ostküste der USA über fast 5000 Kilometer mitten durch leere Wüsten und brütende Hitze. Das Schweizer Team wollte daheim ebenfalls ein Ultracycling-Rennen auf die Beine stellen, und dabei einiges besser machen als das grosse Vorbild in Amerika.
Die Tortour gilt heute als der am besten organisierte Ultracycling-Anlass, lobt Roman Glaus, der die Tortour zwei Mal bestritten hat. Glaus ist einer von weltweit rund 150 Langdistanz-Radsportlern, die Distanzen um die 1000 Kilometer oder mehr «solo» und kompetitiv unter die Räder nehmen. «Die Organisatoren der Tortour schaffen es, dass man sich wie ein Star fühlt.» Bei anderen Anlässen wie dem RAAM kann es hingegen vorkommen, dass man nach mehr als einer Woche auf dem Velo mitten in der Nacht ohne Publikum über die Ziellinie rollt.
Glaus hat jahrelang als Velokurier in Winterthur und Basel gearbeitet, hat aber Anfang Jahr die Stelle gewechselt, um mehr Zeit fürs Training zu haben und dem Radsport «semiprofessionell» zu frönen. Wöchentlich trainiert er rund 30 Stunden, inklusive Krafttraining. Dauern seine Trainingseinheiten denn immer 12 Stunden und mehr? Lachend winkt er ab. Er trainiere ziemlich normal, in der Regel zwischen 3 und 6 Stunden pro Einheit. Mit einem guten Trainingsplan reiche das. Glaus gefällt es, auf Ultradistanzen vermeintliche Grenzen zu verschieben: Die Leistungs- und Leidensfähigkeit von Körper und Kopf sei eindrücklich. Die Erkenntnis, dass Müdigkeit und auch Schmerzen unterwegs vergehen, hilft ihm, zwei Tage ohne Schlaf auf dem Velo durchzuhalten. Ein zentraler Aspekt sei auch das Zusammenspiel mit seinem Team, das ihn unterwegs unterstützt. Ohne funktionierendes Mannschaft kommt ein Langdistanz-Radsportler nicht ins Ziel.
Tatsächlich ist der administrative und logistische Aufwand für ein solches Rennen enorm. An der Tortour haben jeder Soloathlet und jedes Team mehrere Begleitfahrzeuge – das ergibt einen Wagenpark von bis zu 400 Autos, die durch die Schweiz fahren und dabei die Sportler verschieben, verpflegen und in der Nacht begleiten. Ich persönlich finde es bedauerlich, dass ein Radrennen zu einem solchen Aufkommen von motorisiertem Verkehr führt. Doch lässt sich ein Rennen auf hohem Leistungsniveau und über eine grosse Distanz wohl nicht anders organisieren. Das OK der Tortour bestätigt, alle Register zu ziehen, um den Fuhrpark auf das Nötigste zu beschränken. Höchstens zwei bis drei Fahrzeuge pro Athlet oder Team sind zugelassen. Doch habe Sicherheit oberste Priorität: Die Begleitautos beschützen die Radfahrer in der Nacht und leuchten ihnen den Weg. «Wenn du am Wochenende mitten in der Nacht auf der Hauptstrasse im Wallis unterwegs bist, ist es schon beruhigend ein Begleitauto hinter dir zu wissen», so Glaus.
Dem grossen Aufwand an Logistik, Material und Training entsprechend geht das Dasein als Ultra-Radfahrer ins Geld – ohne Sponsoren geht es nicht. Diese zu finden, ist nicht ganz einfach. Glaus’ Hauptsponsor, der zugleich sein Arbeitgeber war, hat sich kürzlich wegen finanziellen Schwierigkeiten zurückgezogen. Nun ist er nicht nur seinen Job los, sondern kann auch seine Saison nicht wie geplant bestreiten. Er will aber alles daran setzen, seinen Traum für diesen Sommer dennoch zu verwirklichen: Ende August fällt der Startschuss zum ersten Race across Europe, das über 5000 Kilometer von Nordfrankreich rund um und teilweise über die Alpen nach Gibraltar führt. Der Sieger der Erstausgabe wird Sportgeschichte schreiben.
Haben Sie schon mal mit dem Gedanken gespielt, an einem Ultra-Radrennen teilzunehmen? Was halten Sie von solchen Anlässen?
15 Kommentare zu «Ultracycling: Schlaflos im Sattel»
Warum macht man das?
Aus Interesse daran, wie man sich verhalten wird, aus Lebensfreude, aus Lust, sich selber kennen zu lernen.
Man fragt keinen, warum er im Beruf erfolgreich sein will; warum fragt man das ständig im Sport?
Wäre ich fit genug, ich würde schon heute starten. Es ist eines meiner Ziele, einmal eine Tortour fahren zu können; hätte ich einen Wunsch frei, am liebsten solo.
Kann mir jemand erklären wie das genau abläuft? 1000 Km kann ja niemand durchfahren. Muss man da einfach soviel Gas geben wie man kann und schläft danach eine runde um weiter zu fahren? Ich hatte mal eine Idee um Geld für mein Projekt zu sammeln 500 Km mit dem Rad zu fahren. 5000 Km ist doch etwas weit. Ich war lange so was wie ein Velokurier musste aber aus Gesundheitlichen Gründen aufhören. Bitte um mehr Infos.
Zuschauen werde ich nicht wie Ihr Strampelt (Langweilig) aber die Ergebnisse und Zeiten werde ich mir anschauen.
Gute Fahrt
1000km kann niemand durchfahren? Klar doch. Die Solisten an der Tortour fahren/fuhren die Strecke am Stückk, nonstop, höchstens kleinere Pausen aber sicherlich kein Schlaf – die Kontrollzeiten lassen die auch nicht zu. Dies gehört nämlich mit zur Challenge – das ganze mental durchzustehen. Und darum ist auch das Begleitfahrzeug so wichtig, denn es hilft einerseits beim navigieren (wenn man 30h auf dem Velo sitzt sieht man nicht mehr jedes Schild…) und anderseits such zur Sicherheit. Und da der Spass eben etwa 2 Tage dauert braucht es optimalerweise auch mehrere Fahrzeuge zur Ablösung der Crew. Schauen Sie sich die Berichte zum im Moment laufenden Race Across America an – das dauert 8 Tage, geschlafen wird im Schnitt vielleicht 2h p. Tag.
Für mich war die Teilnahme an der Tortour (mixed Team) eine tolle Erfahrung, ein absolut unvergessliches Erlebnis. Zum anderen nimmt man die faszinierende Landschaft viel intensiver war und bekommt ganz andere Eindrücke, als wenn man „nur“ mit dem Auto durchfährt. Ebenso wurden wir durch unsere Betreuer perfekt unterstützt und vermochten dadurch unsere Leistungsfähigkeit und deren Grenzen auszuloten.
Ein perfekt organisierter Event. Dank allen, die immer wieder mithelfen und uns Sportlern ermöglichen wieder an den Start zu gehen.
4heart4pain
Sandra Wagner
Die Tortour war für mich ein unglaublich wertvolles Erlebnis. Als Fahrer habe ich enorm viel Unterstützung von meinen
Teamkollegen und allen Betreuern gespürt, was stark motivierte und ermöglichte, bis an die eigenen Grenzen zu gehen!
Im Ziel ist man einfach dankbar für das geniale Team-Erlebnis und dass alles unfallfrei geklappt hat. schwitz4kids.ch
Spannend ist auch das RACE AROUND AUSTRIA http://www.racearoundaustria.at/d, das härteste Extremradrennen in Europa. Mit Nicole Reist, die jüngste und erste Frau, die ihren Titel vom letzten Jahr verteidigt und und Beny Furrer, der einarmig fährt nehmen auch wieder zwei Schweizer daran teil. Mehr unter http://www.nicolereist.ch/ sowie http://www.furybeny.ch/
Interessant wäre gewesen zu erfahren, wofür es denn diese ganzen Begleitfahrzeuge braucht. Eins pro Fahrer und ein zweites als Ablösung oder um irgendwoher etwas zu holen sind ja durchaus zu verstehen, aber drei und mehr?
Das erste Begleitfahrzeug ist der Support des fahrenden Athleten selbst. Bei SOLO reicht das in der Regel. Sobald jedoch ein Team unterwegs ist, sind da noch die weiteren Fahrzeuge wie Wohnmobile für die ablösenden Fahrer und auch ablösende Teammitglieder mit von der Partie. Da es keinen Rennunterbruch gibt, können die Teams kaum mit Hotels arbeiten sondern müssen dem Rennverlauf folgen – auch die ruhenden Elemente.
Die Herausforderung besteht für mich nicht unbedingt im Rennen selber, sondern schon in der langen Vorbereitung – vor allem bei einem Frühling wie in diesem Jahr, wo viele Stunden Indoor oder in der Kälte trainiert wurde. Wenn unter solchen Umständen das Radfahren immer noch Spass macht und dabei Körper und Geist im Einklang sind, ist das eine gute Sache. Persönliche Fortschritte sind einen Ansporn, die vermeindlichen Leistungsgrenzen noch etwas zu verschieben und neue Grenzen aus zu loten … Ein Danke an die Organisatoren solcher Anlässe!!
Warum man so etwas macht? Man fragt ja auch niemanden, warum er einen Grossteil seines Lebens vor dem Fernseher verbringt… Ich selbst bin nicht ganz so hart wie Roman Glaus und mein Trainingsaufwand beträgt 15 Stunden pro Woche. Dies sollte reichen, um in zwei Monaten die TORTOUR challenge über 560 km als Solofahrer zu finishen. Warum ich das mache..? Es macht Freude, die eigenen Grenzen auszuloten und mein Leben ist wohl durch den Trainingsaufwand oftmals stressig, aber auch sehr spannend. Und die 15 Stunden sind sicher besser investiert ins Training, als vor dem Fernseher
zu verbringen.
Keep mooving Roman und lebe weiter deinen Traum!
Genau! Wir Couch-Potatoes sitzen nämlich auch wegen der Herausforderung und um die persönlichen Grenzen auszuloten vor dem Fernseher. Aber das versteht ihr Sportler halt nicht.
„am Wochenende mitten in der Nacht auf der Hauptstrasse im Wallis“ hätte ich auch gerne ein Begleitfahrzeug VOR mir ;-)
tortour. ja. glaube ich auch. warum macht man das?
Auf jeden Eintrag vom Bund einen Kommentar schreiben, warum macht man das?
‚Der Sieger der Erstausgabe wird Sportgeschichte schreiben‘ garantiert nicht…