Eigernordwand: Wie ein Zwerg am Berg

Eigernord

Eine Tür direkt in die Eigernordwand: Das Stollenloch der Jungfraujochbahn ist bis oben zugeschneit. Dani Arnold schaufelt den Durchgang frei. Drinnen ist es stockdunkel, der Blitz meiner Taschenkamera funktioniert offensichtlich blendend.

Heute etwas, was ich vielleicht zu selten mache: Einen Blog in Bildern. Anlass ist die Eigernordwand im Berner Oberland, die diesen Sommer vor 75 Jahren erstmals durchstiegen werden konnte. Vom 21. bis 24. Juli 1938 von den Deutschen Anderl Heckmair und Ludwig Vörg sowie den Österreichern Fritz Kasparek und Heinrich Harrer. Damals ein bewegendes Ereignis und bis heute eines der ungewöhnlichsten Kapitel in der Geschichte des Alpinismus.

Als Journalistin fragte ich Eiger-Speedrekordhalter Dani Arnold (29), ob er für einen Tag mit mir in die gewaltige, 1800 Meter hohe Wand einsteigt. Am vergangenen 8. Mai machte sich der Urner Profialpinist dann mit mir auf. Die Verhältnisse waren winterlicher als im Winter. Ein Durchstieg vom Wandfuss bis zum Gipfel ist im Moment undenkbar. Ausserdem wäre ich zurzeit für die ganze Heckmair-Route selbst bei guten Bedingungen nicht bereit. Trotzdem: Unser Vorhaben, vom Stollenloch zum Schwierigen Riss und hinauf zum Hinterstoisser-Quergang zu steigen, konnten wir realisieren. Auch wenn das bei so viel Schnee Zeit, Kraft und Nerven beanspruchte.

Eigernord

Dani Arnold, Profialpinist und diplomierter Bergführer: Im April 2011 durchstieg er die Heckmair-Route in 2 Stunden 28 Minuten. Bis heute Rekord. Hier unmittelbar neben dem Stollenloch in der Eigernordwand, 700 Meter über dem Wandfuss.

EigernordDie Traverse vom Stollenloch Richtung Schwieriger Riss: Ich fühle mich wie ein Zwerg am Berg. Wenn hier kein Schnee liegt, quert man am Kurzsseil. Bei diesen Verhältnissen gehen wir einzeln. Dani Arnold steigt voraus. Würde ich fallen, dann nur ins Seil. Bei dieser Distanz zur nächsten Sicherung wäre es allerdings ein gewaltiger Pendelsturz, der wahrscheinlich Schmerzen verursachen würde. Aber ich müsste schon sehr ungeschickt sein, um da rauszupurzeln.

Eigernord Nach dem ersten Quergang vom Stollenloch wird der Aufstieg langsam steiler. Unten schön zu sehen: der Schatten des Eigers.

EigernordDani Arnold, der «Putzmann»: Wir kommen jetzt in plattiges Gelände. Um da hinaufzusteigen, fegt er den Schnee aus dem Weg. Heikel und zeitraubend.

EigernordIn der Eigernordwand selten und schwierig zu finden: Fixe Sicherungen. Für mobile Sicherungen ist die Felsqualität oft nicht gegeben.

Über uns die Rote Fluh: Sie ist überhängend und schützt uns hier vor Steinschlag aus dem oberen Teil der Eigernordwand.

Ich steige nach: Mit dem rechten Fuss im Schnee, mit dem linken auf dem Fels. Mit den Eisgeräten im Fels unter dieser Schneeschicht Halt zu finden, empfinde ich als besonders knifflig.

Der Talboden auf der Kleinen Scheidegg und in Grindelwald ist grün. Die Sonne scheint frühlingshaft warm. In der Eigernorwand herrscht ein eigenes Klima: Hochwinter und kalt.

Wir sind beim Schwierigen Riss angekommen: Er heisst so, weil er die erste Schlüsselstelle der Heckmair-Route darstellt. Wer hier, in der ersten Steilstufe der Eigernordwand Schwierigkeiten hat, sollte schleunigst umkehren. Weiter oben wird es immer anspruchsvoller. Dani Arnold putzt im Vorstieg weiterhin fleissig Schnee aus dem Weg.

Der Schwierige Riss ist ein dreissig Meter hoher Felskorridor, die untersten Meter sogar  überhängend. Ich musste bei diesen winterlichen Verhältnissen im unteren Teil kämpfen. Wenn die Verhältnisse für den Durchstieg der Heckmair-Route stimmen (das ist nur an ganz wenigen Tagen im Jahr der Fall), dann ist der Schwierige Riss zumeist schneefrei und kann ohne Eisgeräte geklettert werden, manchmal sogar ohne Steigeisen.

EigernordNach dem Schwierigen Riss folgt dieses sehr steile Stück zum Fuss der Roten Fluh. Ich fotografiere Dani von unten …

… Dani fotografiert mich von oben. Ich persönlich mag solch steile Aufstiege, weil man schnell Höhenmeter gewinnt. Nach all dem Zickzack auf den Skihochtouren der vergangenen Wochen geradezu eine Wonne.

EigernordDie Aussicht wird mit jedem Höhenmeter fantastischer. Wir sehen aus der Eigernordwand bereits zum Thunersee.

EigernordFlacher wird es nicht: Nach dem steilen Schneefeld gehts jetzt durch dieses Couloir hinauf zum Hinterstoisser-Quergang.

Hinterstoisser-Quergang trotz schwieriger Verhältnisse erreicht: Dani Arnold freut sich – und ich mich noch mehr. Hier wird es fürchterlich ausgesetzt, mehr als alles, was ich an diesem Tag gesehen habe. Mich zu drehen und bergab zu fotografieren, kommt mir nicht mal in den Sinn.

EigernordMittag, 12.22 Uhr: Von oben beginnt es zu tropfen, Spindrifts wirbeln herab, höchste Zeit für den Abstieg. Der Hinterstoisser-Quergang befindet links oben. Auf der Spur in der Mitte des Bildes sind wir davor aufgestiegen. Wie schon gesagt: Es ist exponiert und heikel, Dani versichert mir, weiter oben werde es nicht einfacher.

Eigernord 1Zurück im zugeschneiten Stollenloch: Abseilen und Abstieg kosteten mich nochmals Konzentration. Dieser Tag wird mir nachhaltig in Erinnerung bleiben. Danke an Dani Arnold, der die Eigernordwand so gut kennt wie sein Wohnzimmer. Bei diesen Verhältnissen wären sicher nicht viele andere mit mir eingestiegen. Danke auch an die Jungfraubahn, die uns «Normalsterbliche» ausnahmsweise beim Stollenloch aus- und einsteigen liess.

Anmerkung:
Die mächtige und schattige Eigernordwand hat trotz modernster Bergsteigerausrüstung nichts an ihrer Ernsthaftigkeit verloren. Jedes Jahr werden Leute gerettet, welche die Anforderungen unterschätzt haben. Manche, auch wenn das selten vorkommt, können die hochprofessionellen Retter der Rettungsstation Grindelwald trotz Grosseinsatz nicht erreichen. Dani Arnold sagt: «Die Eigernordwand bedeutet Bergsteigen und ist nicht so simpel wie ein 7a im Klettergarten.»

Was die Eigernordwand so anspruchsvoll und gefährlich macht, welche Voraussetzungen nötig sind, wie stark die Psyche gefordert wird, welche Qualen ich in dieser Kälte zu spüren bekam: All das schildere ich in der grossen Reportage – morgen Donnerstag, 30. Mai 2013, auf der Alpinismusseite im «Tages-Anzeiger».

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27 Kommentare zu «Eigernordwand: Wie ein Zwerg am Berg»

  • Bär Hans sagt:

    Ich möchte ganz gerne wissen, wie man bei der Eigernordwand auf ein Wandhöhe von 1800m kommt.

  • Joachim Adamek sagt:

    Nachdem ich erst den Blog mit seinen eindrucksvollen Aufnahmen und jetzt die spannende Reportage über die Tour gelesen habe, bleibt mir nicht mehr viel zu sagen: Danke, weiter so! Ich würde mich freuen, wenn Sie uns bald wieder ein Highlight des Alpinismus vorstellen würden. Allmählich begreife ich, was die besondere Ernsthaftigkeit der Eiger-Nordwand ausmacht.

  • hallo natascha

    der titel zu deinem hervorragendem bericht ist bestens gewählt.
    ja, man ist in der tat einfach ein zwerg in dieser wand…
    wie sagte ein berühmter bergsteiger einmal: „ist es nicht ein wunder. die berge sind unendlich viel groesser als wir, und
    trotzdem können wir sie besteigen.“

    treffender kann man es nicht mehr formulieren.
    ich wünsche allen eine gute touren saison 2013.

    gruss von
    raphael wellig http://www.raphaelwellig.ch

  • hallo natascha und daniel

    vielen dank für den tollen bericht, und die super fotos…
    gratulation auch zu natascha leistung, und daniel arnold rekord, einfach super.

    der bericht und die fotos zeigen ganz eindeutig, die eiger nordwand wird immer ein extrem harter prüfstein für jeden
    alpinisten sein. trotz bestem material, das die erfahrung, psyche, kondition und technisches können nie ersetzen wird, bleibt
    diese wand auch in 100 jahren immer noch extrem schwierig.

    ich wünsche allen eine gute sommer saison 2013.

    gruss von
    raphael wellig http://www.raphaelwellig.ch

  • Walter Keusen sagt:

    Echt tolle Bilder einer sagenhaft winterlichen Welt – gratuliere!. Erheblich steiler ist die Eigerwand seit unserer eigenen Begehung im Sommer 1969 im Zeitalter der Digitalfotografie halt schon geworden! Ich bin aber auch so gespannt auf den sicher tollen Bericht.

  • Aschi sagt:

    Nicht übel die Fotos. Das Vorstellen von Klettterpassagen ist zu begrüssen. Das Staunen hat für mich Stubenhocker auch seinen Reiz.

  • Sigi sagt:

    Wow.. sehr schöne Teaser! Bin gespannt auf den großen Bericht!

  • Alfredo Garcia sagt:

    Kompliment für ein so prächtiges Sahnehäubchen!

  • Hansruedi Brawand sagt:

    Als nach Australien ausgewanderter Grindelwalder haben mich diese fantastischen Eigernordwand Bilder und der Bericht besonders fasziniert und viele alte Erinnerungen wieder erweckt. Mir kleinem „Birschtel“ hat mir die Mutter jeweils den Feldstecher gegeben und gezeigt wo ich 1938 die winzigen schwarzen Punkte der vier Erstbesteiger finden konnte auf der
    Heckmayr Route. Jetzt, 75 (!) Jahre später, kann ich dank Tagesanzeiger und Internet ein paar wenige, dieser legendären Stellen und Abgründe von oben bestaunen. Ganz herzlichen Danke liebe Natascha Knecht und Dany Arnold, Ihr habt mir eine grosse Freude gemacht.

  • Christoph Peter sagt:

    Wow, ganz toll, herzlichen Dank für die ehrliche und tolle Reportage. Für mich Genussbergsteiger ist diese Wahnsinnswand nur vom Träumen und aus all der Eigerliteratur bekannt. Bin gespannt auf die Beilage morgen im Tagi.

  • Thomas sagt:

    Ein autentischer Bericht bei dem man das Kribbeln und Zittern bekommt. Phantastische Bilder dieser meist nur vom Hörsensagen bekannten Stellen dieser legänderen Route (Robert Bösch muss aufpassen …). Danke, dass Du uns an dem Abenteur teilhaben lässt.

    Dir Natascha wünsche ich, dass Du einmal die ganze Eiger Nordwand durchsteigen kannst. Aber bitte die Kamera nicht vergessen.

  • Abkürzung über den Stollen und Aufstieg (nur) zum Hinterstoisser-Quergang.
    Die kurze Reportage und die beeindruckenden Aufnahmen beschreiben und zeigen gerade darum gut, was unsere Eiger Nordwand einem abverlangt. Man spürt im Artikel auch, dass in diesem Projekt Sicherheit oberstes Gebot war. Was gerade in Blogs leider nicht immer der Fall ist.

    Die Erinnerungen an den Tag lassen sich nicht mehr nehmen, mein Kompliment für die Story folgt hier.
    Freue mich auf weitere Geschichten.

  • mel sagt:

    wow, das möcht ich auch mal machen :-)

  • Urs Kyburz sagt:

    Beeindruckend! Vor allem mit diesen Sicherungsmöglichkeiten. Da wird am langen Seil geklettert ohne Sicherungspunkte? Was, wenn jemand ausgerutscht wäre? Kann mir das mit dem Sichern nicht so vorstellen, wäre noch eine Ergänzung wert.

    • Lieber Urs Kyburz

      An gewissen Stellen gibt es fixe Sicherungsmöglichkeiten, die Dani Arnold trotz der Schneeschicht gefunden hat. Ansonsten hat er mobile Sicherungen gelegt.

      Lieber Gruss, Natascha Knecht

  • Daniel Meier sagt:

    Respekt!

  • Joachim Adamek sagt:

    Irgendwie bekam ich beim Betrachten der Fotos ganz kalte Hände und manchmal hatte ich da so ein Sog im Rücken gespürt, als wenn als ob …. — Schön, dass Herr Arnold Ihnen bei der Realisierung dieses Projektes geholfen hat. Bin gespannt auf die angekündigte Reportage.

  • captain kirk sagt:

    Da wird man doch glatt neidisch! Na ja vielleicht (vermutlich nie) habe ich irgendwann auch das nötige Können um mit Bergführer in die Wand der Wände einzusteigen.

  • Peter Wenger sagt:

    hübsche bilder, fairerweise sollte man aber die kamera immer schön waagrecht hlaten.. :-P

    • Nadine Münger sagt:

      Ja, genau. Es ist schade zu sehen dass die Steilheit bei ettlichen Bildern übertrieben dargestellt ist. So was sollte man nicht nötig haben. Aber den meisten Leuten dürfte dies nicht auffallen.

      • @nadine münger: Dani Arnold und ich sind keine Profifotografen. In diesem Gelände bei diesen Verhältnissen mit extrem kalten Fingern zu fotografieren, war für uns weder einfach noch das Ziel dieses Tages. Ziel war eher, unser Ziel zu erreichen und heil zurückzukehren. Da haben wir sicher nicht noch darauf geschaut, irgend etwas übertrieben darzustellen, oder beim Fotografieren Zeit zu verlieren. Wozu auch? Waren Sie selber schon mal in der Eigernordwand? Sie ist unglaublich mächtig und steil, da brauchts nichts extra.

  • Daniel sagt:

    Super Bericht und vorallem ganz tolle Bilder!

  • Peter Gubler sagt:

    Sehr schöner Artikel Frau Knecht, herzlichen Dank!

  • Patrik Walther sagt:

    Herzlichen Dank für den etwas anderen Einblick in diese grandiose Wand. Nach all den Meldungen über Geschwindigkeit verliert man etwas den Resprekt und hat ein leicht verschobenes Bild. Bitte weiter so.

  • Mättu sagt:

    Beeindruckend schöne Bilder!

  • frau knecht, ein sagenhafter artikel auf den morgen, danke!!!

  • wau, sehr geiler Bericht und Respekt für diese Leistung, beeindrucken!

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