Lehrer Bünzli und der Tintelompe
Diese Woche von St. Gallen nach Appenzell (SG/AR/AI)
Ich mag Wanderungen von Bahnhof zu Bahnhof. Sie haben etwas Schnörkelloses; man gibt sich nicht mit der Frage ab, welcher Bus wohl von der Stadtmitte an den Ortsrand fährt, so dass man im Grünen starten kann. Im Falle der Wanderung vom Bahnhof St. Gallen zum Bahnhof Appenzell wäre es sowieso ein Fehler gewesen, zuerst einen Bus zu nehmen. Gerade die Auftaktetappe durch die Stadt war ein Erlebnis.
Ich und mein unverwüstliches «Fähnlein Fieselschweif» begannen also am Bahnhof St. Gallen und zogen hinüber zum Kloster. Was für ein staunenswertes Stück Abendland, was für eine barocke Protzerei! Nächstes Ziel war die Mülenenschlucht. Gallus, der irische Wandermönch, soll an ihrem unteren Ende in die Dornen gestolpert sein. Er nahm es als Gotteszeichen und liess sich als Einsiedler nieder. So beginnt die Geschichte des Klosters und somit der Stadt.
Appenzeller-Klischees bedienen
Das Mühleggbähnchen, einst eine Wassergewichts-Seilbahn, dann eine Drahtseilbahn, jetzt ein Schrägaufzug, ignorierten wir und stiegen am Rand der Schlucht zu Fuss auf. Schilder informierten uns, dass sich in der Schlucht die allerersten Industriebetriebe St. Gallens ansiedelten, die mit Wasserrädern die Kraft der stürzenden Steinach nutzten.
Oben ein Wegweiser. Wir wählten Drei Weieren, gingen auf einer Krete, blickten auf die Stadt und auf ein Stück Bodensee. Dann zur Rechten der erste der Weiher. Ein Bijou. Drei Weieren ist berühmt als Plausch- und Plantschparadies. Man muss die Anlage mit dem nostalgisierenden Steg- und Kabinengebäude gesehen haben, oft wird sie als schönstes Freibad der Schweiz bezeichnet.
Vom nahen Freudenberg musterten wir den schneebedeckten Säntisriegel, kamen in die Senke von St. Georgen Bach, gewannen wieder Höhe im Wald. Bereits auf Ausserrhoder Gebiet, langten wir auf der aussichtsreichen Waldegg an. Das nach ihr benannte Restaurant bedient auf charmante Weise Appenzeller-Klischees und spielt mit der Nostalgie der Gäste. Der Wirt organisierte schon eigene Alpaufzüge, es wird show-gekäst, und Gruppen lieben die Retro-Schulstube «Tintelompe», in der ein Lehrer Bünzli Unterricht im Stile von 1930 gibt.
«Geen», Innerrhödlerisch für «gern»
Hinab zur Strasse von Teufen nach Speicher, wieder hinauf zum Ebnet und wieder hinab nach Bühler und wieder hinauf zum Saul und wieder hinab zum Sammelplatz und wieder, aber nur noch leicht, hinauf zum Guggerloch und ein letztes Mal hinab nach Appenzell, so verlief der Rest der Wanderung. Die Gegend ist nun einmal aussergewöhnlich coupiert. An unserem Tag präsentierte sie ihre beste Seite: saftiges Grün samtener Hügel, die Berge durch den Föhn wundersam körperhaft.
Die Einzelheiten zu dieser zweiten Wanderhälfte: In Bühler assen wir im «Sternen», einem meiner Lieblingsrestaurants, den perfekten Hackbraten. Auf dem Hügel Saul hatten wir grosse Sicht auf den Alpstein. Und unten im Sammelplatz, wo Wandermüde den Zug nehmen können, kauften wir in der «Landbäckerei» Biber. Die junge Verkäuferin quittierte unsere Wünsche mit «geen», Innerrhödlerisch für «gern». Die Hausfassade ist bemalt mit Kriegermotiven. 1405 sammelten sich hier die Appenzeller, als es gegen die Habsburger ging – die Schlacht am Stoss. Im Gegensatz dazu verkörperte die Waldkapelle der Heiligen Ottilie im Guggerloch den purlauteren Frieden. In Appenzell schliesslich kauften wir am Ende Käse und Pantli, eine Knobliwurst; so endete die Bahnhof-Bahnhof-Wanderung.
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Route: St. Gallen HB – Mühleggbähnli Talstation – Mülenenschlucht – Mühlegg – Drei Weieren – Freudenberg – St. Georgen Bach – Waldegg – Ebnet – Wissegg (nicht zu verwechseln mit der Wissegg zwei Kilometer nordöstlich) – Bühler – Saul – Sammelplatz – Guggerloch – Appenzell Dorf – Appenzell Bahnhof.
Gehzeit: 6 Stunden.
Höhendifferenz: 850 Meter auf-, 740 abwärts.
Wanderkarte: 227T «Appenzell» 1: 50 000
Charakter: Zuerst kurz Stadtwandern, dann Hügelwandern in stetem Auf und Ab. Coupierte Strecke, anstrengend. Enorm viel Aussicht.
Höhepunkte: Drei Weieren mit den Weihern und dem Bodensee zu Füssen. Der Blick von der Waldegg zum Säntisriegel. Die Einkehr in Bühler. Die Biber von der Landbäckerei Sammelplatz (www.land-beck.ch). Die stille Kapelle im Guggerloch.
Kinder: Weit, ansonsten problemlos. Keine Kinderwagenroute.
Hund: Weit, ansonsten problemlos.
Einkehr: «Waldegg» Teufen, www.waldegg.ch (Mo Ruhetag). Und im «Sternen» Bühler, www.sternen-appenzellerland.ch (Mi Ruhetag).
Wanderblog: widmerwandertweiter.blogspot.com
9 Kommentare zu «Lehrer Bünzli und der Tintelompe»
hallo mitenand
ich durfte selber diese schöne wander gegend schon kennenlernen.
ich finde es ist ein „muss“ im appenzell einmal gewandert zu haben… es ist eine kleine eigene schweiz…
und sind wir stolz auf die vielfalt der schweiz.
viel spass, und schöne wanderungen im 2013.
gruss von
raphael wellig http://www.raphaelwellig.ch
Lieber Herr Hänni. Nein, keine neue Kamera. Aber das Licht war toll, da kommt der mittelmässigste Amateurfotograf zu guten Fotos. Danke fürs Kompliment.
Die Photos sind besser als auch schon. Neue Kamera Herr Widmer?
danke für die tolle empfehlung!!!!!!
Chäppi? Wieso?
Die Ostschweiz ist zwar schön, aber auch etwas langweilig mit der Zeit. Und eng, auch geistig.
aber es gibt kobolde dort! :)
da hat wieder jemand in den spiegel gekuckt!!!!!!!!!!!
Chäppi Das ist nur so, wenn die Zürcher und andere Touristen ins Appenzellerland kommen! Sonst ist es nicht so eng und es ist schon etwas los, auch geistig!