Warum gehen Menschen über ihre Grenzen hinaus?

Basejumper mit Wingsuit springen im Lauterbrunnental in die Tiefe. (Foto: Keystone)

Was extrem ist, ist Ansichtssache: Basejumper mit Wingsuit springen im Lauterbrunnental in die Tiefe. (Foto: Keystone)

Wenn ein Felix Baumgartner in 39’000 Meter Höhe aus einer Heliumballon-Kapsel springt und im freien Fall die Schallmauer durchbricht, dann ist das Rekord, dann macht das irgendwie Sinn. Er bekommt viel Ruhm, Ehre und Geld. Für einen Profi-Extremsportler das absolute Glückslos. Spätestens ab jetzt kann er im Leben tun und lassen, was er will. Seine eigene Leistung wird er wohl kaum mehr übertreffen. Doch das macht nichts. Er hat ausgesorgt und geht als Held in die Geschichte ein. Er ist eine Liga für sich.

Profis machen uns vor, dass das Unmögliche möglich ist. Aber auch viele Hobbysportler versuchen, ihre Limite zu sprengen. Sie geben alles, um über ihre Grenzen hinaus zu kommen, um sich mit Extremleistungen zu verwirklichen – notabene ohne jemals einen Rekord zu brechen. Was treibt sie dazu? Diese Frage versuchte kürzlich «Der Spiegel» im Artikel «Sei ein Held» zu klären. Extremsport sei längst mehr als nur ein Trend und auch nicht mehr elitär. Extremsport sei eine Massenbewegung geworden. «Es sind Anwälte, Industriemechaniker und Optiker, Frauen und Männer, alt und jung, und sie leben extrem: Sie stürzen sich mit Fallschirmen von Wolkenkratzern, Türmen und Steilwänden, erklimmen zugefrorene Wasserfälle, steigen auf die höchsten Berge, manche mit Sauerstoffmaske und manche ohne. Sie springen mit Skiern an den Füssen aus dem Hubschrauber und fahren abseits der Pisten im Tiefschnee, stürzen sich im Kajak in Strudel, sie surfen auf Monsterwellen und klettern durch Schluchten.»

Was genau ist die Triebkraft?

Als Hobby-Alpinsportlerin frage ich mich manchmal auch, weshalb ich unbedingt durch eine hohe Felswand oder auf einen Gipfel steigen will, möglichst nicht über die einfachste Route. Warum ich dafür viele mühselige Höhenmeter in Kauf nehme, Entbehrung, Kälte, Wind, Wetter und Restrisiko. Mögliche Gründe dafür gibt es Tausend. Aber was genau ist die wahre Triebkraft, es wieder und wieder zu tun? Ich könnte meine Antwort nicht in einem Satz zusammenfassen. Zu komplex ist das Ganze. Fragt mich jemand, gebe ich ähnliche phrasenhafte Erklärungsversuche ab wie die Porträtierten im erwähnten «Spiegel»-Artikel. «In der Wüste wirst du zurückgeworfen auf deine Grundbedürfnisse», sagt etwa Ultraläufer Frank, 43, Hals-Nasen-Ohrenarzt. Oder Basejumper und Kletterer Lucky Chance, 28, aus Australien: «Unser Leben ist ein Korsett. Mikrowellen und Ampeln nehmen uns die Arbeit ab.»

Trotzdem habe ich diesen Artikel mit grossem Interesse gelesen, vielleicht in der Hoffnung, die Experten, die zu Wort kommen, würden mir plausiblere Antworten liefern. Karl-Heinrich Bette, Sportsoziologe an der Technischen Universität Darmstadt sagt zum Beispiel, Extremsport diene in erster Linie der Inszenierung von Individualität. «Es reicht heute nicht mehr aus, ein Kind zu zeugen, ein Haus zu bauen, einen Baum zu pflanzen – der moderne Mensch hält sich offensichtlich erst dann für wertvoll, wenn er allein die Welt umsegelt oder den Mount Everest bezwungen hat.» Werde das Extreme in Serie produziert, sei es nicht mehr anarchisch, sondern werde banal (z. B. ein gewöhnlicher Marathon, der einst als extrem galt). So werde der Extremsport immer extravaganter, verrückter, riskanter – und auch kritikwürdiger.

Ist es wirklich so dramatisch, wie Bette sagt? Falls er recht hat, wäre das sogar höchst besorgniserregend und traurig. Dann wäre ja nicht mehr der Extremsport das wirklich Extreme, sondern die Beweggründe und die Zwänge, welche so viele Leute dazu bringen, solche Abenteuer in Angriff zu nehmen. Geht es nur noch darum, der geilere Siech zu sein? Sportlich mehr zu leisten als der Bürokollege oder der Nachbar? Gehört man nur noch dazu, wenn man durch die Eigernordwand geklettert ist, oder einen 250 Kilometer weiten Ultratrail mit 7000 Höhenmetern überlebt hat?

Nicht-Sportler finden fast alles «extrem»

Zum Glück fühle ich mich keinem Wettstreit unterordnet. Ich will zwar auch immer eine Steigerung. Meine Grenzen ausloten. Wissen, wo meine Limite liegt. Doch ginge es mir darum, von meinem Alltags-Umfeld Anerkennung zu erhaschen, müsste ich mich gar nicht so sehr anstrengen. Es reicht nämlich schon, wenn man zum Beispiel erzählen kann, man sei auf einem Viertausender gewesen und ein paar Bilder mit Firn, Fels und Abgrund zeigt. Ob es ein schwieriger oder eher einfacher Gipfel ist, können Hochgebirgs-Laien nicht unterscheiden. Sie finden jede Route «extrem» und «dem Tode ins Auge geschaut». Es sind Leute, die – wie Basejumper Lucky im «Spiegel» sagt – so verängstig sind, dass sie «nicht mehr zwei Meter an einen Abgrund herantreten.» Ich selber sehe mich dagegen nicht mal als Extremsportlerin, nur weil mir Eisklettern Spass macht, oder weil ich mich über einen Grat getraue, der auf beiden Seiten mehrere hundert Meter steil abfällt. Zwar kann das nicht jeder, aber viele können es noch viel besser als ich.

«Ich klettere nicht, um Rekorde zu brechen, sondern die Barrieren in mir selber», schreibt der Engländer Andy Kirkpatrick in seinem Buch «Psychovertikal». Mit dieser Einstellung hat er Extremes erreicht. Allerdings im Stillen. Was ist uns lieber?

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37 Kommentare zu «Warum gehen Menschen über ihre Grenzen hinaus?»

  • Adrian Walther sagt:

    Schön das Sie so ausgewogen und erfüllt sind. Vielleicht ein bisschen wegen Kind, Haus, Baum, Blog aber bestimmt nicht ob den einfachen 4’000ern. Vielleicht könnten Sie ja ein Buch darüber schreiben!?

    Natürlich geht es bei den Profis um die Psycho-Faszination und die will man auch sehen. Ansonsten keine Werbung, kein Geld, Frau, Haus, Kind….

    Ach ja. Kein Kind dafür Basejumpen wäre vielleicht noch was. Für die Umwelt bestimmt weniger belastend.
    Und was ist eigentlich egoistischer Kinder machen oder Basejumpen??

  • hallo mitenand

    hier noch ein entscheidener punkt: „der stille neid, der oft aus ihren ( stubensitzern ) abschätzigen bemerkungen
    herausgehört wird, kommt wohl daher, weil wir bergsteiger, und extrem sportler einfache unsere lebens freude gefunden haben…“

    „die neider und kritiker muss man einfach reden lassen… sie haben einfach nichts anderes zu tun.“

    gruss von
    raphael wellig / http://www.raphaelwellig.ch

    • Roland K. Moser sagt:

      Kann ich bestätigen. Der Neid geht soweit, dass einem Bekannte vom MTB reissen wollen (Wenn man vorbei fährt!) oder einem in den Weg stehen beim MTB fahren oder joggen. Nur um eins reinzubremsen und die Freude zu stören.

  • hallo mitenand

    das ist doch normal, das menschen das extreme suchen. „ich weiss was ich suche, das leben… und habe es bei
    meinen extremen aktivitäten gefunden.“
    „nicht die jahre des leben zählen… sondern das leben in den jahren“

    es spielt doch keine rolle wie alt man wird… ein tibetische sprichwort sagt: „es ist besser nur ein tag als tiger gelebt zu haben, als 1000 jahre als schaf…“ frage: „sind sie lieber ein schaf oder ein tiger.“

    es ist grossartig was die heutigen extrem sportler machen… weiter so.
    die sofa sportler sind einfach nur neidisch.

    gruss von
    raphael wellig / http://www.raphaelwellig.ch

  • tom sagt:

    antwort hier: http://vimeo.com/49778759 meine favorisierte antwort bei 1:53

  • Joachim Adamek sagt:

    Die eigene Leistung zu toppen und Neues zu erkunden sind für mich alles andere als krankhafte Eigenschaften. Im Gegenteil, ich bin der Ansicht, dass jeder gesunde Mensch ein gewisse Portion Neugierde, Kreativität und einen Spieltrieb besitzt. “Urban Climbing”, die Fassadenkletterei, ist solch ein jüngstes Phäomen über das sich vorzüglich streiten lässt. Steckt Geltungssucht, eine Geschäftsidee, ein bestimmter Nervenkitzel oder einfach nur die Entdeckung eines neuen Klettergeräts dahinter?
    Ich glaube, alle Wanderer, Tourengänger und Kletterer fragen sich in regelmäßigen Abständen, was ihnen am Wandern und am Bergsteigen besonders gefällt. Sie dürften deshalb den heutigen Beitrag von Frau Knecht mit großem Interesse gelesen haben. Was das Bergsteigen betrifft, so bin ich mehr denn je überzeugt, das sein grösster Reiz darin liegt, dass hier vieles zusammenkommt und ein unzertrennbar Ganzes bildet.
    Die Profi-Kletterer sind für mich kein Vorbild, aber Lehrmeister. Mit grosser Achtsamkeit habe ich auch im Kletterjahr 2012 ihre Projekte verfolgt. Besonders gefielen mir bislang: Der Hochseilakt von Stephan Siegrist im Mai am Matterhorn, die eintägige Rotpunktbegehung des “Zauberlehrlings” in den Dolomiten durch Roger Schaeli im Juni, die Besteigung des Chogolisa in Pakistan durch David Lama und Peter Ordner im September. Und im selben Monat die Besteigung des Manaslu im Nepal durch Böhm, Haag und Pade. Nur Böhm hat den Gipfel erreicht. Aber alle drei hatten eine Woche zuvor nach einem Lawinenabgang Grossartiges geleistet und dank ihres schnellen Einsatzes etliche Menschenleben gerettet. Das alles sind ausgezeichnete Leistungen, und wenn Sie die Kletterer nach ihren Motiven befragen, so werden Sie festellen, dass die persönlichen nicht an erster Stelle standen.

  • Andreas sagt:

    Danke Natascha für den guten Artikel.
    Als Jugendlicher habe ich mir so Anerkennung geholt. Es war vor 20 Jahren am Sporttag der Realschule, dass wir auf einem Aussichtturm im Wald standen und einige Schüler damit geprahlt haben, dass ihr Freund oder Bruder schon einmal die Fahnenstange oben auf dem Turm erklommen hätten. Als sportlicher Junge dachte ich im Stillen, dass es ja eigentlich gar nicht schwer ist den ganzen Turm von unten zu erklimmen. Gleich nach der Schule hab ich die Idee in die Tat umgesetzt, um es den notorischen Angebern zu zeigen. Der 20 Meter hohe Turm war eigentlich kinderleicht zu klettern, doch ohne Seil war ich für die einen ein Held und für die andern ein Spinner. So hab ich es mir damals zum Sport gemacht, Aussichtstürme in der Region zu bezwingen und hab mir so regelmässig Selbstbestätigung und Anerkennung gesucht. Damals war ich einer schweren Zeit und ging durch einige depressive Phasen, in denen ich häufiger das Risiko und den Kick suchte. Ich fühlte mich manchmal so leer, dass es mir egal war bei meinen Egotouren zu sterben – bis ich an einem Turm in 45 Meter Höhe an einer überhängenden Plattform abgerutscht bin und ich mich wie durch ein Wunder mit einer Hand noch halten konnte.
    Dieses Erlebnis hat meinen Glauben an Gott vertieft und heute weiss ich, dass ich ein von Gott gewollter und wertvoller Mensch bin – egal ob ich stark und erfolgreich bin oder auch mal versage und schwach bin. Ich unternehm noch heute Berg- und Klettertouren, doch ich muss mich niemandem mehr beweisen. Ich geniess einfach gerne die Natur und kann mich dabei gut entspannen.

  • markus roth sagt:

    warum gehen „menschen“ über ihre grenzen hinaus heisst es im titel. meiner meinung nach sollte es heissen : warum gehen „männer“ über ihre grenzen hinaus, denn 95 prozent sind ja männer die das tun soweit ich das sehe. ich glaube viele suchen selbstbestätigung vor sich selbst, (und andern), vielleicht haben sie irgendwo ein manko aus der kindheit / jugendjahre ? Warum genügt ihnen z.B. eine 8 stündige wanderung nicht ? Wenn ihre taten schief laufen und sie den tod finden, sei es am mt. everest oder anderwo, bringen sie auch viel tragik, trauer und leiden an die angehörigen. Und auch die kosten für rettung, etc. sind hoch. Sind sie heimlich lebensmüde ? lonely wolfs ? Es gibt so viele ausdauer sportarten ohne todeskitzel und die finde ich persönlich viel besser.

    • Christoph Zimmerli sagt:

      Jedem das seine; Dieses Jahr sind alleine in der CH über 50 Menschen beim Wandern gestorben. Beim BASEjumping sinds grad mal 5. Die Kosten für Rettung anderer, nicht tödlicher Unfälle dürften sich in exponentiel gleichem Rahmen bewegen. Jeder der in der CH springt hat zumindest eine REGA-Karte.

  • U. Knecht sagt:

    Wahrscheinlich hat das auch mit dem Alter zu tun. Irgendwann merkt man, dass es das „immer höher, weiter, länger“ etc. nicht bringt. Man wird zufriedener und setzt auf Qualität. Aber bis dahin ist es möglicherweise ein weiter (Lebens-)Weg.

  • Beat Christian Huwiler sagt:

    Wir sind verwöhnte Kinder, die Extremes erreichen wollen. Wir sehen nur immer uns selbst, wir in Europa. Dass andere dauernd extrem am Limite leben, am Hunger sterben, sehen wir nicht. Die Hilfe für die Hungernden, sollte die wahr Herausforderung sein.

  • James Lehmann sagt:

    Ist doch wie bei jedem Trend. Die Menschen orientieren sich an anderen Menschen. Meine grosse Frage ist einfach: welche von diesen Helden würde auf einer einsamen Insel auch „Risikosport“ betreiben? Das sind wenige und das sind die echten Extremsportler. Die brauchen den Kick, das High und was auch immer sie suchen.

    Ich selber habe auch das eine oder andere ausprobiert. Und ich rede doch mit anderen und stelle immer wieder fest, dass sie solche Extremsportarten auf ihre eigene Person projezieren. Sie sind nun mal eben die tollen Typen. Das darf man ihnen nicht absprechen, schliesslich machen sie z.B. tolle Sprünge mit ihrem Mountainbike. Und da meine ich jetzt nur mal den gesellschaftlichen Teil.

    Der Extremsport als Trend in der Gesellschaft ist meiner Ansicht nach wirklich Inszenierung. Da muss man eben auch meinen: was ich gerade jetzt mache, macht sonst kein anderer. So ist das eben. Und dann muss man das auch im Tagi schreiben, in Facebook posten, bei Bekannten breittreten, live über den Globus senden. Denn sich solcher Gefahr aus zu setzen, macht man auf einer einsamen Insel generell nicht. Das müssen andere doch irgendwie mitkriegen und zwar auf so eine Art, dass es nicht aufreisserisch rüberkommt.

    Aber es gibt ja auch die andere Seite. Man steigt ja schliesslich nicht auf Skier, weil man irgendwo hin will, sondern weils Spass macht. Und auch Extremsport kann Spass machen, es gibt einen Kich, man fühlt sich lebendig und hat was geleistet, worauf man stolz sein kann (aber andere bitte auch).

  • Christoph Zimmerli sagt:

    Auch ich gehöre zu diesen „Verrückten“; dass ich für das Abenteuer BASE aber über 5 Jahre meines Lebens in Vorbereitung gesteckt habe, inkl. 400 Fallschirmsprünge und rund CHF 50’000.-.. interessiert die „Normalen“ leider wenig. Ich habe in dieser Zeit zahlreiche Freunde gewonnen, und einige habe ich tragischerweise verloren. Mir ist völlig bewusst dass wer lange genug diesen Sport ausübt sich irgendwann mal verletzen wird; vielleicht ist auch der Tod der letzte Preis den man zahlt.

    Diese 5 Jahre waren die besten meines Lebens. Und ich hoffe dass noch manch weiteres hinzu kommt. Ich bin in verschiedene Länder gereist, habe manch schönes erlebt, gute Parties gefeiert und mich mit den besten Mitmenschen amüsiert.

    Am Wochenende in die Glotze zu gucken und schon wieder den Montag zu verfluchen erscheint mir kein sinnvoller Zeitvertreib. Auf einem Sprungplatz zu sein oder in die Berge zu fahren, sich an wunderschönen Sonnenauf- und untergängen zu erfreuen und etwas aussergewöhnliches zu tun, das Lachen und die Freude auf den Gesichtern meiner Freunde zu sehen, das ist der Grund für mich zu leben.

    „BASEjumping is 30% the people, 30% the nature and 50% the actual jump; because on every BASEjump you must give 110%!“

    • Peter sagt:

      Da sauf ich ich doch lieber ein Bier mit Kollegen. Die sterben dann auch nicht so schnell weg, ausser sie saufen sich zu Tode;))))

    • Roland K. Moser sagt:

      Sie sterben so oder so.
      Bei den Wikingern war es eine Schande, den Strohtod zu sterben. Der Strohtod, war der Tod zu Hause altershalber im Bett liegend.
      Hornbach meint, dass Legenden nicht im Bett sterben.
      Ich habe jetzt ein wenig übertrieben, aber die Mitteilung kommt sicher an. Zudem: Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen und bestätigen, dass Sie Recht haben. Ich habe den Fehler gemacht auf das Sozialleben mit den Falschen Rücksicht zu nehmen.
      Sie haben offensichtlich ein Sozialleben mit den Richtigen. Gratuliere und Erfolg, Freude und Glück als Weg.

  • Joachim Adamek sagt:

    Die Menschen sind schon seit je gerne ans “Limit” gegangen. So neu ist das Phänomen nicht. Neu ist zweifellos, daß immer mehr Menschen im “sportlichen” Bereich nach “Selbstverwirklichung” streben. Diese Entwicklung kommt für mich keineswegs aus “heiterem Himmel”. Ein bestimmtes Gesundheitsbewußtsein, knallharte Geschäftsinteressen, grössere Mobilität, ein Mehr an verfügbarer Zeit, permanenter Stress und neue Ideale — um nur ein paar Faktoren zu nennen — haben diesen Trend hervorgebracht.
    Aber warum auch nicht in der Freizeit auf die Berge oder aufs Wasser gehen? Ein Leben, das nur aus Arbeit und Schlafen besteht, ist kümmerlich. Auszeiten in der Natur bringen Pepp ins Leben. Ein soziales Leben, das nur auf der dünnen Basis von Chats, Kartenspiel und gemeinsamen Essen besteht, ist längst nicht so unterhaltsam, macht aber süchtig, wenn beispielsweise gemeinsame Berg-Erlebnisse hinzukommen. Das “Abenteuer”-Urlaube hoch im Kurs stehen, ist keinswegs verwunderlich. Abwechselung war seit jeher begehrt. Auf den richtigen Mix kommt es an.
    Wer Extremsport mit Risikosport gleichsetzt, irrt in meinen Augen. Die meisten Extremsportler wägen die Risiken im gleichen Masse ab, wie jeder andere auch. Was dem Aussenstehenden verrückt und tollkühn erscheinen mag, ist das Ergebnis harter, meist jahrelanger Arbeit und die Einschätzung eigener Fähigkeiten. Auch wenn ich die Prinzipien von “clean climbing” und “by fair means” sehr hoch schätze, frage ich mich, ob das Höhenbergsteigen ohne Sauerstoff, das gerade angesagt ist, wirklich eine tolle Sache ist.

  • Richard Hennig sagt:

    Als Tauchlehrer habe auch ich wie fast jeder Tauchlehrer verrückte Tauchgänge gemacht. Als ich um die 90 Meter (alleine) tief getaucht bin,mit normaler Luft, wusste ich genau um das Risiko, aber der Kitzel war da und es war ein fantastisches Gefühl was zu machen das nur wenige andere Menschen je machen werden. Und ich glaube, da ist der Bewegungsgrund für diese Extremsportler, das Adrenalin dass im Körper rauscht, diese Gefühl von Unbesiegbarkeit und das Wissen dass nur wenige andere Menschen dass tun können was ich jetzt tue. Dass damit ein hohes Risiko verbunden ist, daran zu sterben ist eben Teil dieses Adrenalinflusses, Gefühl von Unbesiegbarkeit e.t.c. Ich kann dass durchaus verstehen und hab’s zum Teil selbst gemacht. Hingegen wo ich immer Grenzen gesetzt habe, ist ich habe immer nur mich selbst in Gefahr gebracht, nie Andere. Und da ist das Risiko vieler dieser Sportarten, wenn nicht genug trainierte Sportler ihren „Idolen“ nacheifern wollen und dann verunglücken. Jeder Extremsportler sollte unbedingt auch mitteilen, dass seine Leistungen auf jahrelanges Training basieren und auf eine sehr genau Planung, denn es kann immer was schief gehen. Ich persönlich hab nur einen dieser sehr tiefen Tauchgänge gemacht, denn das Risiko war mir zu hoch. In 15 Meter Tiefe während 1 Stunde die farbigen Korallen anzuschauen macht deutlich mehr Spass, auch wenn der „Adrenalinkick“ fehlt.

  • Roland K. Moser sagt:

    Weil es Freude macht.

  • marc schiesser sagt:

    immer mehr Menschen kennen nur noch materielle Werte.Spiritualität,Menschlichkeit,Wohltätigkeit und Suche nach Wahrheit haben ständig an Bedeutung verloren,während wir ständig zum Konsumieren und noch mehr Konsumieren animiert werden! Mensch fühlt mit der Zeit häufiger eine innere Leere, welche er mit neuen Reizen befriedigen versucht:Drogen,Extremsport,aus 30 km springen usw… eine traurige Entwicklung!!

    • Marcel sagt:

      Dem ersten Teil kann ich zustimmen. Ich würde mich aber hüten generell den sogenannten Extremsportler diese Attribute abzusprechen. Eventuell ist es das Gegenteil?

  • peter Meier sagt:

    Darum gibt es sowas wie Meditation. Um sich selber in sich selber zu finden und das ohne sein Leben zu riskieren.

    • Marcel sagt:

      Das mag sein und für die einen Stimmen.

      Was ist extrem?! Was ist Gefährlicher? Ein seriös ausgeführter BASE Jump oder das Telefonieren während des Autofahrens? Die Medien tragen auch viel bei – nicht immer zum Guten.
      Wieso sprechen soviele überhaupt über diese „extrem Sportarten“ – Weil auch eine gewisse Faszination dabei ist??

      Sugus hat mir aus dem Herzen gesprochen. Ich fliege seit 24 Jahren Hängegleiter (Delta) und fühle genau das selbe – PUNKT.

  • Lukas Elmiger sagt:

    Nun, für mich hat der Zuwachs der Extremsportler (und somit zwangsläufig auch der Unfälle) damit zu tun, dass man im Alltag
    überall massgeregelt wird, es keine zonen fürs Extreme mehr gibt, kein Raum um sich auzuleben oder Druck abzulassen. Das fängt bereits im kindergarten an, wo Jungs in die Sitzecke müssen, weil sie sich mit einen Kameraden gerauft haben oder ihn lediglich „virtuell“ erschossen. So wirkt Testosteron nun mal. Kollegen (mit durchaus hohem Bildungsniveau) lassen sich in MMA Fights verprügeln – Weekend für Weekend. Wieso? Weil sie die Enge und die moderne weichgewaschene Zivilisation sonst nicht ertragen können.

  • Peter sagt:

    Schöner Artikel, gefällt mir!
    Ich persönlich habe vor einiger Zeit beschlossen, mir die Frage nach dem „Warum“, bezogen auf fremde Leistungen, nicht zu stellen. Denn wenn jemand etwas tut, was ihm Zufriedenheit beschert und dabei keinen anderen aus böser Absicht heraus in irgendeiner Weise verletzt, dann hat es doch alle Berechtigung die es braucht. Man könnte sogar so weit gehen, dass die Frage nach dem „Warum“ das Tun einer Person in Frage stellt. Dabei sollte man doch erst mal sein eigenes Tun in Frage stellen um ein differenziertes Urteilsvermögen zu erlangen um anschließend das Tun anderer zu beurteilen.
    Und zuletzt: Wie kann etwas als extrem angesehen werden, wo doch alles relativ ist ;-)

  • Sugus sagt:

    Hinter „Extremsport“ stehen die selben Beweggründe und Zwänge wie beim Drogen-Konsum. Es geht darum high zu werden. Ein normales Runner’s High reicht nicht mehr, man will den Endorphin-Vollrausch. Und man will immer mehr davon. Den ultimativen Kick gibt man sich mit einer Mischung aus Anstrengung, Schmerz und viel echter Angst.

    Wenn ich auf einem Gipfel stehe oder perfekt gelaufen bin, dann habe ich manchmal das Gefühl über mich hinausgewachsen zu sein. Das ist ein erhebendes Gefühl. Draussen übermannt es einem, vermischt mit dem Naturerlebnis. Und gerne koste ich das aus. Das sind schöne Momente. Und dann hält das sogar manchmal noch ein paar Tage.

    Ich halte es damit wie mit dem Genuss von Alkohol: ein Gläschen Wein ist gut, ein paar davon sind manchmal lustig aber wer immer mal wieder mal eine eine Flasche Schnaps leersaufen muss ist süchtig, ruiniert seine Gesundheit, setzt sein Leben aufs Spiel und bringt sein soziales Umfeld in Gefahr.

    • Philipp Rittermann sagt:

      exakt auf den punkt gebracht. das nenne ich eine vernünftige einstellung. :)

    • Manu sagt:

      So ist es, sehe ich genau gleich!!

    • Christoph sagt:

      Ich denk, es ist zu einfach es auf den „Kick“ zu reduzieren, den gibts als Beilage dazu. Der Mensch muss sich Ziele setzen die hinter dem bekannten Horizont liegen. Dahin gehen, wo noch kein Mensch zuvor war. Sonst gäbs nur Stillstand und wir würden immer noch durch die Savanne stolpern und hätte keine Ahnung, wie man Feuer macht.
      Heute ist halt schon vieles ergründet und entdeckt, der Zugang zu weissen Flecken ist schwierig geworden. Der Mensch hat eine natürliche Grenze, rennen kann man nicht unendlich schnell, der Weltrekord knackt sich nicht mehr so leicht. Aber theoretisch kann man noch vom Mond aus auf die Erde jumpen. Eines Tages wird es einer tun. Es muss einfach so sein.

  • Ovy Ho sagt:

    Nun ja, in die Berge gehe ich für mich, und nicht, um anderen zu erzählen, welche „Heldentaten“ ich vollbracht habe (es gibt sowieso immer bessere, und wie im Text erwähnt, unkundige sind kaum in der Lage, die Schwierigkeiten zu beurteilen).

    Natürlich spielt es eine Rolle, den Alltag hinter mir zu lassen. Aber die grösste Triebfeder ist, dass ich bei derartigen Unternehmungen voll konzentriert bin und die Umwelt auf die vor mir liegenden Meter schrumpft. Es ist mir möglich, bei diesem Tun völlig abzuschalten und im Einklang mit Raum und Zeit zu sein. Klingt vielleicht pathetisch, ist im Grunde genommen aber völlig banal…

    Kirkpatrick ist meiner Meinung nach ein extremes Beispiel. Wer „Psychovertical“ liest, findet schnell heraus, dass er mit seinen Problemen erst durch das Klettern fertig und zum „vollwertigen“ Menschen wurde. Ersatzhandlung pur, um (erfolgreich) den richtigen Platz in der Gesellschaft zu finden, aber auch um den Preis, den Familienfrieden aufs Spiel zu setzen…

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