Das dicke Ehepaar und der sehr heisse Stein
Diese Woche auf Neuenburgs Hausberg Chaumont
Der Jurasüdfuss-Nebel ist ein Bettnässer, alles hat er über Nacht feucht gemacht, denke ich auf den ersten Metern in der Seyon-Schlucht. Zuvor auf der Anreise hatte ich kaum Sicht. Und auch in Neuenburg lag Nebel, als ich den Bahnhof durch den Nordausgang verliess und von der Place Blaise Cendrars gleich am Ende der Unterführung den Bus Nummer zehn nahm.
Blaise Cendrars – was für ein pralles Leben! 1903 mit 16 Jahre von zuhause abgehauen, die Welt durchstreift, in der Fremdenlegion die eine Hand verloren, Medizin und Philosophie studiert, sich Paris zum Lebensort erwählt und viele, viele Bücher geschrieben.
Geschmirgelte und gerundete Kalkstein-Buchten
Bei der Bushaltestelle Pont des Parcs steht der Wanderwegweiser wie ein Freund, der auf mich gewartet hat. Er führt die Treppe hinab in die Gorges du Seyon. Nass, eben, ist in der Schlucht alles. Die Schnecken lieben es.
Die Hangpassage über dem Seyon Richtung Valangin ist herrlich mit einer Ausnahme: Auf der anderen Hangseite lärmt die vielbefahrene Strasse. Ansonsten: Freude über das Juraambiente. Über meinem Pfad hängt zur Rechten eine Kalkfluh, eine Folge geschmirgelter und gerundeter Buchten. Ich muss immer wieder innehalten und schauen.
Ich werde erleuchtet
Schliesslich der Abzweiger. Geradeaus ginge es nach Valangin. Ich biege rechts ein. Valangin kenne ich schon, es ist ein komplettes Mittelalter-Städtchen mit Hauptgasse, Stadttor, Kirche, Schloss auf kleinstem Raum. Wer es nicht kennt, leiste sich den Umweg, Gehzeit und Besichtigungszeit zusammengerechnet braucht er gut anderthalb Stunden länger.
Via Trois Bornes steige ich durch den Forst auf breiten Wegen auf zum Chaumont. Kurz bevor ich oben bin, vollzieht sich wieder einmal das Wanderwunder: Ich werde erleuchtet. Der triefende, satt dunkelgrüne Wald vollzieht einen Farbwechsel und changiert ins Pastellene, der Himmel wechselt von grau zu blaugrau und blau, und voilà die Sonne.
Das Aussichtsminarett
Das letzte Stück führt eine Strasse entlang – kein Abenteuertrack für allradgetriebene Förster, sondern eine ganz normale Strasse wie unten im Mittelland. Ein Schild kündigt die Topeka Ranch an, Pferdepension und Reitzentrum. Das Golfhotel gleich danach ist semimoderne Gruselarchitektur.
Dann das Minarett. Ich dachte, wir Schweizer hätten Minarette verboten? Das filigrane aufragende Dingelchen, durchbrochen auf orientalisierende Art, erweist sich als Aussichtsturm. Auf der Plattform trete ich ans Geländer. Unten wabert Restnebel, doch See und Stadt sind erahnbar. Und der Horizont am Alpenkranz könnte sichtbarer nicht sein. Allein dieser Blick lohnt die Ersteigung des Neuenburger Hausberges.
Es ist noch längst nicht abend, doch der Nebel ist bereits wieder da
Im nahen Petit Hôtel de Chaumont genehmige ich mir ein blutiges Rumpsteak in einer Art Wintergarten. Am Nebentisch sitzt ein Ehepaar, dessen Gesamtgewicht ich auf 285 Kilo schätze. Die zwei haben Lätzchen umgehängt. Als ihr Essen kommt, ist mir klar, warum. Es ist Fleisch auf dem heissen – sehr heissen – Stein. Ich muss das Hemd hinunterkrempeln, weil es derart spritzt.
Als ich mit der Standseilbahn nach Neuenburg niederfahre, ist es längst nicht Abend und schon gar nicht Nacht. Doch der Jurasüdfuss-Nebel hat sich bereits wieder in alle Winkel ausgebreitet und tut, was er am liebsten tut: feuchteln und nässen.
Route: Neuenburg, Bushaltstelle Pont des Parcs (Bus 10 ab dem hangseitigen Bahnhofsausgang) – Gorges de Seyon – Abzweiger vor Valangin – Les Trois Bornes – Chaumont Bergstation der Standseilbahn.
Gehzeit: 2 3/4 Stunden.
Höhendifferenz: 650 Meter aufwärts, 60 abwärts.
Charakter: Mittlere Anstrengung. Zwei grundverschiedene Teile: Zuerst ein schmaler Pfad durch eine Juraschlucht. Und dann ein breiter Waldweg zum Gipfel.
Höhepunkte: Die Schlucht des Seyon mit der Kalkfluh zur Rechten. Die Aussicht vom Gipfel. Die Steil-Abfahrt mit der Standseilbahn.
Hund: Gut machbar.
Einkehr: Petit Hôtel de Chaumont. Sieben Tage die Woche offen.
Privater Blog: widmerwandertweiter.blogspot.com
4 Kommentare zu «Das dicke Ehepaar und der sehr heisse Stein»
hallo thomas
dem dicken ehepaar nebenan hätte man sagen sollen… „machen Sie doch auch diese wanderung… den Sie uebergewichtigen
kosten das gesundheitswessen 3 milliarden im jahr…
ihr solltet 20 – 30% mehr krankenkasse prämien bezahlen… und noch ein tipp an die dicken: „zweimal essen genügt am tag.“
danke.
gruss von
raphael wellig / http://www.raphaelwellig.ch
hallo thomas
vielen dank für die interessante tour.
das werde ich mal im spätherbst angehen.
ich wünsche allen einen schönen bergsommer 2012.
gruss von
raphael wellig / http://www.raphaelwellig.ch
Prima. Genau so eine Tour habe ich gesucht.
kompliment herr widmer – ihre routenbeschreigungen sind wirklich erste güte – man kann sich das bildlich vorstellen – cool!
ps: ich denke das 285kg-ehepaar ist mit dem auto angefahren?