Muskelaufbau unter freiem Himmel
Sie können einfach nicht genug kriegen. Ihre Sucht ist weitverbreitet – auf den Strassen Moskaus, New Yorks, Hamburgs, L.As und St. Gallens. Sie lassen ihre Muskeln auf Spielplätzen, in Schutthalden und unter Brücken spielen und sie fordern einander heraus: die Muskelberge der Ghettos, die Kraftprotze der Strassen. Was als Zeitvertreib in den verarmten Stadtvierteln von Millionenmetropolen und in Gefängnishöfen begann, hat sich weltweit zum Fitnesstrend gemausert: Urban Workout. Für die Süchtigen ist es indes nicht nur ein Training, es ist ein Lifestyle, ein Körperkult.
Jude, SlikRic, Mad Money und Zeph gehören zur Elite ihresgleichen im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Sie sind der harte Kern der Bar-barians. Einer Fitness-Gang, die 2004 aus der Taufe gehoben wurde. Während andere eingesperrt in Fitnesszentren Gewichte stemmen, nutzen die Bar-barians die Parks des Big Apple. Ihre Sportgeräte sind in erster Line Bars, zu Deutsch Stangen – Barren und Recks auf den Spielplätzen. Wer im erlauchten Kreis aufgenommen wird, kann sich fit schimpfen, denn die Feuerprobe ist nicht ohne: 5 Mal an einer Stange hochstemmen (Muscle-ups), 45 Dips (am Barren aus dem Stütz absenken), 25 Klimmzüge (Pull-ups), 55 Liegestützen (Push-ups) und zuletzt nochmals 5 MuscleUps. Der Prüfling hat für dieses schweisstreibende Programm nur gerade sechs Minuten Zeit, denn «Bar-barian-Blut kann man dir nicht schenken. Du musst es in deinen Adern haben». Das ist die Philosophie hinter den unzähligen Trainingsstunden der Muskelberge. Und für die athletischen Gangmitglieder ist klar, was sie tun ist «viel mehr als ein Training, der ‹Bar-barismus› ist eine Verbindung der Psyche, des Körpers und der Seele».
Mister Sixpack wagt sich auf die Strasse
Die Strassen von Los Angeles und London sind das Revier von Rob Riches. Er ist Mister Sixpack schlechthin. Der «World Fitness Model Champion» von 2009 nutzt Betonsockel und Sandsäcke, um seine Muckis auf Trab zu halten. Eigentlich in Fitnesszentren zu Hause hat das gestählte Unterwäschemodel eine Reihe Übungen für Sportler, die an der frischen Luft trainieren wollen, ausgearbeitet. Der blonde Engländer lässt keine Ausreden gelten. Auch Krafttrainingsmuffel, die die Arbeit vorschieben, finden bei ihm kein Gehör. Er muntert die Bürohengste auf, Schlüsselwörter zu definieren. Sobald diese am Arbeitsplatz fallen, heisst es Ärmel hochkrempeln und am Sixpack feilen – auf der Stelle.
Wie die Bar-barians hat auch Erwan le Corre sein Krafttraining nach draussen verlegt. Sein Stadion ist aber die Natur. Der gebürtige Franzose läuft, balanciert, springt, fängt, stemmt, kriecht, robbt und wirft an der freien Luft. Denn er ist überzeugt, dass Menschen in einem Fitnessstudio die Geräte ihrem Körper anpassen. In der Natur hingegen, sei es am Sportler, sich den Begebenheiten anzupassen. Er will damit die vernachlässigten natürlichen Bewegungsabläufe des menschlichen Körpers fördern und damit sämtliche Muskeln stärken. Seine Trainingsmethode entbehrt der (Brech-)Stange gänzlich, dafür hebt er Baumstämme und Felsen – ansehnlich ist das Resultat alle mal.
Rezept für Fitness-Studio-Muffel
Eines habe ich mit den Bar-barians und le Corre gemeinsam: Ich liebe es, draussen zu trainieren. Anders als Rob Riches verabscheue ich Fitnesscenter. Mir graut es davor, zusammengepfercht mit unzähligen Leidensgenossen in einem Raum Gewichte zu stemmen, um meinen Körper für längere Läufe zu wappnen. «Probier’s zu Hause während der Tagesschau», lautet ein gutgemeinter Ratschlag meiner Freunde. Hoffnungslos: Es kostet mich eine immense Überwindung, in meinen eigenen vier Wänden eingesperrt meine Muskeln zu stärken.
Markus Ryffel war es schliesslich, der meinen Widerstand gegen Krafttraining brach – mit einer «Bänkli-Tour». Sie ist genauso harmlos, wie sie tönt und vereint meine Laufleidenschaft mit der Passion der «Bar-barians». Das Prinzip ist einfach. Die Bänkli-Tour besteht aus einer lockeren Laufrunde in der Natur. Geeignet sind sämtliche Wanderwege, die von Bänkchen gesäumt sind. Jeder dieser Rastplätze bedeutet eine Laufpause und eine Krafttrainingseinheit (siehe Fotos oben):
- Bänkchen (Rumpfmuskeln): Auf dem Rücken auf die Bank liegen, Knie anwinkeln. Ein Set (12 bis 20 Wiederholungen) Rumpfbeugen. Eine Minute Pause, das Spiel der Wolken am Himmel geniessen, gut ausatmen. Ein zweites Set Rumpfbeugen.
- Bänkchen (Liegestütze): Die Hände an der Kante der Sitzfläche aufstützen. Ein Set Liegestütze (10 bis 20 Wiederholungen). Eine Minute Pause, auf der Bank sitzend die Arme ausschütteln, das Pfeifkonzert der Vögel geniessen, ruhig ausatmen. Ein zweites Set Liegestütze. Für diese Übung eigenen sich auch Baumstämme, die am Wegrand liegen.
- Bänkchen (Dip): Mit den Händen auf der Sitzfläche des Bankes abstützen, Beine nach vorne strecken, Fussfläche auf den Boden absetzen, Knie anwinkeln. Körper langsam absenken, Position halten und wieder in Anfangsposition hoch drücken. Ein Set (10 bis 20 Wiederholungen). Eine Minute Pause. Hinsetzen Arme ausschütteln, die frische Luft geniessen, tief durchatmen. Ein zweites Set Dips.
- Bänkchen (seitlicher Stütz): Auf der Seite auf der Bank hinlegen. Körper auf dem Unterarm und dem Fuss aufstützen. Mit Spannung Position halten und oberes Bein langsam nach oben abspreizen und wieder senken. Ein Set (10 bis 20 Wiederholungen). Eine Minute Pause. Hinlegen, Augen schliessen und die Ruhe geniessen, tief durchatmen. Für das zweite Set die Seite wechseln.
Die Übungen können je nach belieben an weiteren Bänkchen wiederholt werden.
Wie und wo trainieren Sie Ihre Muskeln?
23 Kommentare zu «Muskelaufbau unter freiem Himmel»
Was gibt es schöneres als im freien zu trainieren. Toller Artikel.
Was die Kraftpakete wohl jetzt zur Winterzeit so machen?
Draussen zu trainieren ist sicherlich für viele keine schlechte Möglichkeit. Es kostet nichts und man macht es draussen unter freiem Himmel. Jedoch denke ich dass es nur für Länder Sinn macht welche über ein Jahr recht lange warm sind. In der schweiz könnte man das schlecht wegen dem Wetter. Deswegen werden Studios in kalten Ländern bevorzugt. Die Workouts welche die Jungs machen finde ich nicht so stark , in Amerika gibts auch diese Ghetto Workouts mit Leuten welche deutlich besser gebaut sind und die schwierigeren Übungen machen. Ist sehr interessant sicherlich mal Wert einige Videos anzuschauen mein Tipp ;)
Vita Parcour.
Tochter: „Maami, auf dem Spielplatz ist ein halbnackter Mann, der macht so komische Sachen!“
Mutter: „Ui, da rufen wir besser gleich die Polizei.“
ich sehe schon, ich bin da ganz zufällig in einen todernsten muskelprotzenblog geraten. niemand tuts leicht und locker und aus freude!
:–((
… der würde so manchem olympischen Reckturner etwas vormachen!
Einem Reckturner eher nicht, vielleicht würde sich jemanden von den Ringen das mal anschauen.
Trainiere seit Jahren draussen am Spielplatz. 120 Liegestütze, 45 pull ups, 20 dips, und 80 sit ups, und dies jeden zweiten Tag. Output: Toned, schlank, sehr fit, viel Kraft, gutes Wohlbefinde, aber Masse eher schwer zum aufbauen. Bodyweight exercises sind excellent für die Fitness. Wird auch von Soldaten in den USA, in Ghettos, und Athleten benutzt. Kanns nur empfehlen. Auf tube gibts viel Videos.
Unglaublich, was diese Jungs draufhaben – Respekt! Aber holen die sich ihre Grundlagen für diese z. T. schon sehr speziellen Bewegungsabläufe nicht doch auch zu Hause oder im Studio mit regelmässigem Basistraining? Irgendwie erinnert mich das Ganze an die frühe Kindheit, als man (von Natur aus) spielerisch begann, seinen Körper und die damit verbundenen Möglichkeiten zu erkunden.
Als älteres Semester wäre mir die exhibitionistische Seite draussen allerdings sehr unangenehm. Ich mag es, diskret, wetterunabhängig und zeitlich absehbar mein Fitnessprogramm zu absolvieren, vor allem auch, weil mein Alltag ja auch noch aus Arbeit und anderen Interessen besteht. Immerhin hat mich dieser Bericht aber dazu verleitet, vielleicht auch mal wieder spontan auf einem Spaziergang einfach was Verrücktes auszuprobieren.
Eher satirisch scheint mir allerdings das hier gezeigte Bürotraining zu sein. Abgesehen von den Unfallgefahren (Pultplatte, die nachgibt; Stühle, die kippen..), dürfte nach solchen Kraftübungen doch unterm Hemd ziemlich übler Achselschweiss hervordampfen…
von wegen diskretion: als ebenfalls altes semester, siehe oben, kann ich Ihnen sagen, es guckt kein mensch! eine parkrunde ist zeitlich genau so absehbar wie das fitness-programm, aber eben weniger vorhersehbar! die freude an der natur und eine gewisse unerschrockenheit ist vielleicht etwas kindlich, aber selbst das können wir uns leisten ab 60! viel spass drinnen oder draussen!
ich trainiere schon seit Jahren draussen … und diese Übungen am Reck etc. habe ich schon in den 70er Jahre gemacht. Diese gezeigten Trainingsmethoden sind alle sehr alt und habe ich alles schon vor langer Zeit gemacht. Bitte mal was neues bringen und nicht immer die alten Zeiten kopieren. Danke.
Da draussen hängen ja gar keine Spiegel, in denen man sich selbst betrachten könnte!!
Ausserdem ist es draussen kälter als Nachts :(
Ja, ich hab den Spruch falsch geschrieben, aber anders würde er hier nicht als Antwort passen.
Das ist auch nicht ganz neu: David Belle hat mit parKour ende 80er schon den Weg gezeigt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Parkour
Früher war aber noch Georges Hérbert http://de.wikipedia.org/wiki/Georges_H%C3%A9bert mit seiner „méthode naturelle“. Dort knüpfte dann der im Artikel erwähnte Erwan Le Corre an und baute das naturorientierte Trainingskonzept MovNat auf.
Jeder hat schon mal Venice Beach in einem Film gesehen, Venice Beach wird auch Muscle Beach genannt und diesen gibt es schon über 70 Jahre. Dort wird genau dies gemacht, training unter dem freien Himmel.
ich bin eine alte lady von 62 und trainiere schon seit jahren und völlig ausser der mode 4 mal die woche draussen: 3 mal die lange parktreppe hoch und runter (federn nicht hopsen), liegestützen am geländer, dehnen am bänkli, laufen rund ums stillgelegte friedhöfli. nichts schöneres als das: licht, luft, vogelflug, regen fühlen, sonne tanken, höckeln und ausruhen und die halsmuskeln dehnen beim himmel schauen. so 30 bis 40 minuten.
liberty
ja klar; nach ein paar testosteron kuren würden mir körpergewichtsübungen im freien auch reichen, um den körper straff zu halten. für alle anderen reicht das leider nicht zum muskelaufbau.
also bei mir klappts bestens, auch ohne „testosteron kuren“ (was auch immer das sein soll)… wenn’s bei ihnen nicht reicht, fehlt’s wohl eher wo anders… ;-)
Was ist an der Idee neu? und für diejenigen, denen das, was man so draussen automatisch antrifft reicht, wurde schon vor vielen vielen Jahren der Vita-Parcours erfunden.
Neu ist, dass man sich nicht mehr auf dem Vita-Parcours tummelt, sondern auf Spielplätzen, d.h. vor (jungen) Müttern mit Kleinkindern seine Mukis spielen lässt, bzw. den kräftigen Hengst spielt. Heutzutage macht man auch nicht mehr in einem alten T-Shirt Sport, sondern kauft sich ein extra-geiles Outfit von Nike hierzu :-D
Auf dem guten alte Vita Parcours. Da mache ich jeweils die roten „Kraft“-Übungen.