Die Römer von Ziegelbrücke
Beginnen wir mit etwas Ziegelbrückologie. Der SBB-Teil liegt auf St. Galler Boden, die Häuserballung von Ziegelbrücke aber, darunter viel Industrielles und Werktätiges, gehört zu Glarus. Und wer nun schnödet, wie unwirtlich der Niemandsflecken sei, der höchstens zum Umsteigen tauge, dem sei gesagt: Hey, dies war, als hier noch Linth und Maag sich vereinigten, eine wichtige Zollstation. Die Bronzestatue Merkurs, des römischen Handelsgottes, die man in Ziegelbrücke fand, zeugt davon.
Wir ziehen los. Unser Ziel? Der bewaldete Hügel gleich vor uns, wenn wir vom Bahnhof Richtung Walensee blicken; der Zug nach Chur unterquert diesen Hügel namens Biberlichopf im Tunnel. Wir folgen dem Wegweiser, überqueren bald die Strasse und stossen auf das Denkmal für Hans Konrad Escher, 1767 bis 1823. Er war es, der die Linth korrigierte und kanalisierte, sie in den Walensee leitete und dessen Ausfluss ebenfalls kanalisierte. Seither wird die weite Linthebene nicht mehr überflutet, man gewann viel Land, und die Malaria, «Gfrörer» genannt, verschwand.
In der Ebene rauscht die Autobahn
Auf der Brücke gelangen wir über die Geleise und steigen recht steil auf in der Falllinie des Hanges. Weiter oben ein kurviges Strässchen, und bald sind wir auf dem Biberlichopf. Es wäre totenstill, wenn nicht unten in der Ebene die Autobahn rauschte. Zu sehen gibt es abgesehen vom Gewaltspanorama mit vielen Bergen eine Fernmelde-Antenne samt Wartungsgebäude. Und vor allem die berühmte Ruine. Die Römer unterhielten auf dem aussichtsreichen Hügel einen Wachturm und schützten so zur Zeit des Kaisers Augustus die Achse Walensee-Zürichsee. Im ersten Weltkrieg wiederum pflanzte man auf die Reste des Kastells respektlos einen Unterstand.
Auf dem glitschigen Waldpfad steigen wir ab. Unten steht ein Wegweiser. Wir wählen Weesen, der Pfad am Hang ist ein Idyll, bis der Ortsrand erreicht ist. Wer nicht ins alte Städtchen will, muss bald rechts halten. Im Restaurant Bahnhof kann er einkehren, an der Tür gibt’s den Spruch zu lesen: «Der liebe Gott sieht alles, der Nachbar sieht mehr.»
Der Ärger mit der Backware
Dann über die Autobrücke, die den Linthkanal unweit des Walensees überquert, und gleich links hinab und dem Kanal Richtung See gefolgt – so beginnt der Wanderung zweiter Teil. Dem unverbauten Seeufer entlang laufen wir Richtung Westen. Weit schweift der Blick über die Wasserfläche, mustert die Churfirsten, verweilt bei den quakenden Enten. Was sie uns mitteilen wollen? «Gib Brot!», vermutlich. Irgendwann führt der Weg in lichten Wald, zeigen sich Badeanlagen. Im Sommer ist das Gäsi-Areal sozusagen eine Paradiesesfiliale. Es wird geschwommen, gegrillt, gesonnt, ge-ghettoblastert und mehr; so manches Glarner Baby wurde hier wohl gezeugt.
Die Autobahn macht sich zusehends bemerkbar. Beim Punkt «Alte Eisenbahnbrücke» ist ein Entscheid zu fällen: Weiter dem verschatteten See entlang? Oder ins Glarnerland hinein? Diesmal sei es… Glarus. Es folgt eine schön monotone Wanderung am Escherkanal. Wir laufen, in Gehrichtung gesprochen, endlos lang rechts auf dem erhöhten, breiten Dammweg. Die Unternehmung endet beim Bahnhof Näfels-Mollis. Dort ärgern wir uns nicht zum ersten Mal über das Avec-Kiosk-Sortiment: die 08/15-Backware ist schrecklich.
Route: Bahnhof Ziegelbrücke – Escher-Denkmal – Biberlichopf – Rüti – Autobrücke über den Linthkanal – Walensee-Ufer – Gäsi – Alte Eisenbahnbrücke – Escherkanal – Bahnhof Näfels-Mollis.
Gehzeit: 3 ½ Stunden.
Höhendifferenz: Einzig beim Biberlichopf, je 150 m auf- und abwärts.
Charakter: Abwechslungsreiche Route, kurz coupiert, dann prononciert flach. Mit einigen historischen Reminiszenzen.
Höhepunkte: Die Ruine des Römerkastells auf dem Biberlichopf. Das unverbaute Ufer des Walensees beim Gäsi. Der endlose, gerade Escherkanal.
Hund: Keine Gitterroste, keine Leitern; gut machbar.
Einkehr: Direkt an der Route liegt einzig das Restaurant Bahnhof in Weesen. Wer gut essen will, begibt sich ins Städtchen Wessen; mehrere gute Lokale.
Privater Blog: widmerwandertweiter.blogspot.com
2 Kommentare zu «Die Römer von Ziegelbrücke»
Dass die alte Bahnlinie mitunter auf dem Wanderweg entlang des Waldes fuhr, nachdem sie den Biberlichopf umfahren hatte, lässt er unerwähnt; auch dass das Hotelresto „Bahnhof“ auf dem alten Bahnareal von Weesen (damals Bahnknoten) liegt. Die genannte Strassenbrücke ist ein Nachfahre der ehemaligen Linie ins Glarnerland, welche quasi im Anschluss an Eurem erspazierten Damm entlangfuhr. Die „Alte Eisenbahnbrücke“ ist Urzeuge (inklusive das dahinterliegende Tunnelportal) davon, als der „Direct-Orient“ genau dort am See entlangklackerte, auf deren Urtrasse die spätere Walensee-Autostrasse zu liegen kam. Noch früher war Weesen DER Verschiffungshafen; die Ärmeren + Postreiter bemühten sich über den Kerenzerberg (Linie Seidenstrasse-Venezien-Bünden-Gallofrankenland und umgekehrt – Koloniesatoren)…!
wieder eine gute Reportage, nur würde ich sagen die Ebene wird nicht mehr so oft geflutet.
e‘ schöne Wandergruess
hans Scheurer