Mediterrane Träume
Unsere Jahreszeiten folgen weniger aufeinander, als sich zu bedrängen und zu überlappen, so dass jede gleichzeitig ihr Gegenteil enthält. So war es letzte Woche, als ich am späten Vormittag nach Zug fuhr: Der Winter war auch ein Frühling. In Zug nahm ich den hinteren Bahnhofs-Ausgang, ging auf der Gubelstrasse westwärts, bog links ab in die Aabachstrasse – und schon war ich am Mittelmeer. So generös beschien die Sonne den See und blendete mich, dass ich wähnte, auf der Südseite der Alpen zu sein, in San Remo oder Livorno. Einzig Rigi und Pilatus am Horizont markierten die Realität.
Ich ging nun Richtung Cham, vorbei an vertäuten Passagierschiffen, dann Jachtbooten. Danach lenkte mich der Wanderweg für ein paar Minuten weg vom See. Dafür schenkte er mir die Schutzengelkapelle. Endlich weiss ich, weswegen die nahe S-Bahn-Station heisst, wie sie heisst: «Zug Schutzengel». Die namensgebende Kapelle stammt aus dem Jahre 1804 und ersetzte eine viel ältere Vorgängerin.
Fürs Nacktbaden zu kalt
Es kam das Strandband. Es kam das Gebiet Brüggli. Es kam ein Stück Strand, das laut Schild Nacktbadern vorbehalten ist. Für Nudismus war es aber doch zu kalt. Ich genoss die Landschaft, das Gehen, die Weite – ich atmete durch. Immer wieder mal schoss zur Rechten ein Zug vorbei. Dann die Nadel des Kirchturms von Cham. Grandios fand ich Chams Uferabschnitt «Villette» mit Gruppen hoher Bäume, Brücklein, Enten. Der Zürcher Bankier und Handelsunternehmer Heinrich Schulthess-von Meiss kaufte 1863 das Areal südlich der Bahngeleise. Er liess sich einen Palast im Neurenaissance-Stil bauen, verbrachte im «Villettchen», wie er die Prachtsvilla nannte, mit seiner Gattin den Sommer, lustwandelte durch seinen Park.
Hernach musste ich endgültig weg vom See, ich wanderte fortan auf Hartbelag; offenbar war dies die alte Landstrasse von Cham nach Buonas. Indem ich die Augen zukniff, konnte ich mir die Kutschenpassagiere vorstellen, durch die sanft gewellte Landschaft rollend, die Wasserfläche mit den Augen überstreichend, den Zugerberg und Rossberg musternd, dem Bäuerlein auf dem Felde gnädig zunickend.
So tun, als sei schon Frühling
Ein Anwesen machte mich neugierig, das durch Hecken und Mauern abgeschirmt war. Grosser Reichtum steht auch hinter dieser Anlage: Erwin Hürlimann, Generaldirektor und Verwaltungsratspräsident der Schweizer Rückversicherungsanstalt, liess ab 1929 hier bauen. Er spannte englische Stararchitekten ein, wohl auch, um seiner Gattin Eleanor, geborene Ridge, zu gefallen – eine Engländerin. In Hürlimanns Pförtnerhaus würde ich mit Freuden wohnen, dachte ich.
Buonas ist oberhalb der Durchgangsstrasse Küssnacht-Cham dominiert von modernen Wohnungen gehobenen Stils. Unterhalb duckt sich zum Wasser hin der alte Weiler in den Hang. Zwei Attraktionen hielt er mir bereit: zum einen die Kapelle St. German, die leider verschlossen war. Und zum anderen das Gasthaus zum Wildenmann, eine Stätte der gehobenen Kochkunst; ich nahm allerdings, da die Esszeit fast vorbei war, mit einem Kaffee vorlieb.
Bei der Bushaltstelle an der Strasse hätte ich die Wanderung beschliessen können. Doch eben, das Wetter, das Licht, die Sonne! Ich tippelte auf Asphalt dreissig Minuten weiter, zum Bahnhof Rotkreuz. Unterwegs fragte ich mich, ob ich nicht den Rest des Winters ignorieren soll – und so tun, als sei schon Frühling.
Route: Bahnhof Zug – Hafen – Schutzengel – Brüggli-Gebiet – Cham Alpenblick – Cham – Dersbach – Buonas – Bahnhof Rotkreuz.
Gehzeit: 3 Stunden. Wenn man in Buonas aufhört, eine halbe Stunde weniger.
Höhendifferenz: praktisch keine.
Charakter: Im ersten Teil Kies, Erde, Waldboden, Asphalt im Wechsel, im zweiten ab Cham Hartbelag. Die Strecke eignet sich für den Kinderwagen. Leicht, bis Cham zu einem guten Teil am See. Ab Cham in Sichtdistanz zum See. Viel Aussicht auf die Berge der Innerschweiz und den Zugersee.
Höhepunkte: Mediterrane Stimmung am Zugersee. Die Chamer Villette, einer der schönsten Flanierorte der Schweiz. Der Blick von Buonas auf den See.
Einkehr: Zug, Cham, Buonas. Teuer, aber sehr gute Küche: Wildenmann in Bunoas (www.wildenmann-buonas.ch). Ruhetage So/Mo. Ab 29. Januar drei Wochen Betriebsferien.
Privater Blog: widmerwandertweiter.blogspot.com
5 Kommentare zu «Mediterrane Träume»
Schee is scho. Auch fuer Exil-Bajuwaren.
Gerade im Mangel an Spektakel liegt hier das Spektakuläre.
Pssst, nicht weitererzählen, sonst kommen noch mehr :-)
Jaja, das Pförtnerhaus der Hürlimanns habe ich schon seit Jahren im Auge…. Ach es wär zu schön, dort zu wohnen….
Danke, Hr.Widmer auch für diesen Beitrag. Als ehemaliger Zuger hat diese Wanderroute ‚memories‘ aufgeweckt ;-)