Visite beim Koch der Borers
Wir sind nur zu viert; auch schön, so «en famille» zu wandern. Das Abenteuer des Tages beginnt mit einer langen Busfahrt vom Bahnhof Neuenburg. Wir steigen zum Pass von La Tourne auf, unten bleibt die weite Fläche des Neuenburgersees zurück.
In Les Ponts-de-Martel steigen wir aus. Ein Schwerbesoffener macht das Bahnhofbuffet unsicher, brabbelt uns an, zupft an meiner Jacke, wir fliehen. Vorbei an einer Bäckerei, in der ich mir eine Crèmerolle hole, geht es aus dem Ort, der einst ein Zentrum der Spitzenklöpplerei war und hernach der Uhrenmacherei.
Sumpf der sprachlichen Missverständnisse
Die ganze Gegend wiederum war berühmt für ihren Torf. Der Talboden, über den die Langläufer flitzen, ist moorig. Dass Les Ponts-de-Martel im Wappen einen Hammer zeigt, ist denn auch ein sprachliches Missverständnis. Martel ist zwar die alte Form von Marteau gleich Hammer. Aber der Ortsname geht zurück auf Marais, Sumpf. Und die Ponts sind Stege über diesen Sumpf.
Wir geraten auf freies Feld, halten vorwärts, kommen vorbei an Combes Dernier, einer weiten Talmulde, keuchen empor auf den Kamm, der uns vom Hochtal von La Brévine trennt. Kamm? Das ist eine stolze Antiklinale! Eine Falte, die entstand, als unter Druck der Boden sich in der Urzeit wölbte. Nachdem wir die Antiklinale gequert haben, gelangen wir ins Hochtal von La Brévine – und um die schöne Wanderung, die dort endet, samt ihrem Ambiente in drei Punkten zusammenzufassen: Sie führt über Pâturage boisé, mit Fichten und Fichtengruppen bestandenes Weideland. Wir sahen Rehe. Und die Hofhunde sind so einsam, dass sie einem die Pfote reichen, wenn man sie nur lässt.
Preisgekrönter warmer Käse
La Brévine gilt als Sibirien der Schweiz. Hier mass man im Januar 1987 minus 41.8 Grad Celsius, es war die tiefste offiziell registrierte Temperatur des Landes. Dass es in La Brévine derart frostig werden kann, hat damit zu tun, dass kalte Luft schwer ist und bodennah verharrt. Die Mulde von La Brévine ist das perfekte Kaltluftbecken. Es gibt auch keine Seitentäler, in denen sich Wirbel bilden könnten, die die Luft durchmischen.
Seltsamerweise zeigt das Wappen von La Brévine einen Brunnen. Angebracht wäre ein Schneemann mit Eiszapfennase. Ein Gefrierschrank. Ein explodierendes Thermometer.
Wir besichtigen das 1604 gebaute Kirchlein von liebenswerter Bescheidenheit. Dann entern wir das Restaurant Hôtel-de-Ville. Das Fondue ist köstlich. Es habe einen Preis gewonnen, sagt der Wirt. Ich stelle mir eine Gala vor, eine glamouröse Oskarverleihung der Käsebranche. Und eine schöne Schauspielerin à la Gwyneth Paltrow in schulterfreier Abendrobe ruft in den Saal: And the Academy Award for best Cheese Fondue goes to…
Eine lohnenswerte Sünde
Mit dem Wirt, einem Romand, kommen wir ins Gespräch. Er kann sehr gut Hochdeutsch und erzählt, er habe zwei Jahre in Berlin gekocht. Und zwar auf der Schweizer Botschaft. Zu Zeiten der Borers. «Wie waren die?», fragen wir. «Er war sehr okay», sagt der Wirt. Und sie? Er seufzt und wahrt die Diskretion.
Im Restaurant wird Absinth feilgeboten, in Viertel-Liter-Flaschen, 52-prozentiger. Das Art-Déco-Etikett zeigt eine junge Dame mit tiefem Décolleté, die ein Glas Absinth in der Hand balanciert und sagt: C’est mon péché mignon. Ich kaufe – und beim Probieren muss ich dann sagen: Diese Sünde lohnt sich in der Tat.
Route: Les Ponts-de-Martel, Bahnhof (schnellste Verbindung per Bus ab Bahnhof Neuenburg) – Combes Dernier – La Brévine (Bus).
Gehzeit: Knapp vier Stunden.
Höhendifferenz: 250 Meter auf-, 200 abwärts.
Charakter: Verschneite Winterwälder, karge Moorflächen, windige Höhen. Ungefährlich, trotzdem macht man im Winter die Wanderung nicht allein! Mittlere Anstrengung.
Tipp: Je nach Wetter und Schneesituation braucht man Schneeschuhe.
Höhepunkte: Die einsamen Höfe. Das Ruhen der Natur. Die Ankunft im «sibirischen» La Brévine, die Einkehr dort. Und das Kirchlein von La Brévine – rührend schlicht.
Einkehr am Ende: «Hôtel-de-Ville» in La Brévine. Über Weihnachten offen. Di, Mi Ruhetage.
Privater Blog: widmerwandertweiter.blogspot.com
3 Kommentare zu «Visite beim Koch der Borers»
Drei weitere Hignlights in der Umgebung:
1. Bei Les Ponts-de-Martel Moorlehrpfad: Entstehung des Hochmoors, Torfabbau, „Reparatur““ der zerstärten Oberfläche.
2. Lac des Taillères 2 km südwestlich La Brévine: idyllischer See, Wanderweg am Südufer.
3. „Glacière de Monlési“, 3 km südlich vom See, 500 m westlich von Les Sagnettes, Koordinaten 535/199: Eishöhle (siehe Internet), Abstieg über Metall-Leiter in eine Doline, am Grund Eingang in die Höhle auf den unterirdischen „Gletscher“. Mit Taschenlampe (noch besser Stirnlampe) kann man am rechten Rand etwa 50 m hineingehen. Eissäulen von der Decke zum Gletscher. Einmaliges Erlebnis!
… und noch etwas: Bilder von den Winterlandschaften im Jura können Sie unter Google Earth jederzeit anklicken.
Wunderbar, aber in der verschneiten Winterlandschaft ist die Gegend noch bezaubernder!
Variante: La Corbatière (Bahnhof) – Entre-deux-Monts – Grand Som Martel (Restaurant, Auberge) – Grande Joux – La Chaux-du-Milieu – La Brévine. Mit LL-Skis ist man in 6 – 7 Stunden am Ziel, oder man übernachtet auf Gran Som Martel.
1) Im Hôtel-de-Ville gibt es auch Zimmer zum Übernachten.
2) Empfehlenswert: Ausflug nach Châteleu (ca. 1 Std., retour weniger) mit LL-Skis oder mit Raquettes. Beides kann man in
La Brévine mieten (Sportgeschäft). Châteleu ist ein franz. Gasthof mit viel Ambiente!
Ausflug nach Le Cernil (ein Weg: 2 Std.), Rückweg mit dem Postauto oder noch besser umgekehrt. Auf Le Cernil gibt es auch ein währschaftes Gasthaus (chez le Grand Fritz). Viel Vergnügen!