Die Geometrie der Natur
Eines schönen Julitages gondelte ich hinauf nach Melchsee-Frutt. Die Fahrt ist ein Erlebnis. Vor allem die endlose Felswand zur Rechten tat es mir an, sie ist bestes Geologiekino. In grauer Vorzeit – der Ausdruck passt farblich perfekt – haben die unheimlichen Kräfte der Gebirgsfaltung den Stein so souverän gebogen, gepresst, geformt, als sei er Plastillin.
Zwei Frauen waren mit mir in der Gondel, Einheimische. Bei der Bergstation sahen wir das neue Hotel «Frutt Lodge & Spa», das im Dezember eröffnet wird. Die Frauen schnödeten über die minimalistische Schachtel und schimpften sie «Bunker». Mein Fazit fiel genau gegenteilig aus: Ich zog los, fand meinen Startort trist, ärgerte mich über die Schäden und Spuren des Skitourismus in Form bröckeliger Wiesen, Masten allenthalben, Zubringersträsschen noch und noch. Und vor allem waren da etliche Gebäude von Hütte bis Hotel, die in irgendeinem lieblosen Stil vor sich hinwittern. Im Vergleich ist der erwähnte Neubau eine visuelle Wohltat. Er nimmt die Kargheit der Bergwelt auf, er spielt mit der Geometrie der Natur.
Der Höhenrausch auf dem Höhenweg
Am Melchsee und an der Kapelle vorbei, wo die Angler ihre Köder auswarfen, und dann alles gerade hinauf zum Balmeregghorn: So verlief der erste Teil der Wanderung. Ich genoss es, Abstand zum Melchsee-Plateau zu gewinnen. Und ich duellierte mich mit einer Gruppe junger Leute um die Ehre, zuerst auf dem Gipfel zu stehen. Ich schaffte sie alle – absurd, die alpine Rivalität, ich zahlte mit einem totalverschwitzten Hemd und einem feuerroten, lächerlich laternenartig leuchtenden Kopf.
Aber die Aussicht da oben! Man erblickt die dramatischen Berge über dem Haslital, hat direkt unter sich das Gental, und gegen Planplatten zu zieht sich ein ingeniös angelegter Bergpfad durch eine brutal steile Flanke. Menschen waren auf ihm unterwegs, und ich dachte: Die haben Mut! Die Karte brachte mir bei, dass dies auch mein Weg war. Als ich ihn bald beging, merkte ich, dass er keine besondere Tapferkeit und keine gesteigerte Schwindelfreiheit braucht. Er ist breit und sicher. Immer hoch über dem Gental, passierte ich zäh wider die Unbill des Klimas im Boden sich festkrallende Blümchen, ein einzelnes scheues Schaf und rostroten Fels. Das Gestein der Gegend enthält Eisen, wovon Namen wie «Erzgrueben» und «Erzegg» zeugen. Allerdings realisierte ich den Zusammenhnag erst später. Auf dem Pfad war ich irgendwie beduselt. Euphorisiert. Das Panorama bewirkte einen Höhenrausch.
Jeder Gast wird gebraucht
Auf Planplatten nüchterte ich bei einem Entrecôte aus. Ich hätte nun mit dem «Eagle Express» über den Hasliberg niederschweben können. Aber mein Tag war noch nicht voll genug. Ich nahm den Weg hinab zur Gummen-Alp und war vorerst lange allein. Nach Gummen geriet ich allerdings an Scharen entzückter Kinder. Der dem Zwerg «Muggestutz» gewidmete Themenpfad ist offenbar ein Erfolg. Die Bergbahnen am Hasliberg brauchen aber auch jeden Gast. Schwer verschuldet, konnten sie nur dank einer Nachlassstundung zur Sommersaison wieder losfahren. Allerdings hängt an ihnen soviel, das Reka-Feriendorf etwa, aber auch Hotels und Gastrobetriebe wie jenes Viktoria in Hasliberg-Reuti, auf dessen Terrasse meine Wanderung endete – undenkbar, dass diese Bahnen nicht mehr verkehren. Da könnte man ja grad den Hasliberg für den Tourismus schliessen!
Route: Melchsee-Frutt (Gondel ab Stöckalp) – Balmeregghorn – Planplatten – Gummenalp – Hasliberg-Reuti.
Gehzeit: 5 Stunden.
Höhendifferenz: 400 Meter aufwärts, 1250 abwärts.
Einkehr unterwegs: Bergrestaurant auf Planplatten.
Charakter: Zuerst touristische Hässlichkeit. Dann Aussicht vom Balmeregghorn. Ein spektakulärer Höhenweg nach Planplatten. Ein strenger Abstieg zum Hasliberg.
Variante: Nur bis Planplatten laufen (3 Stunden). Dann mit der Gondel via Mägisalp bis Hasliberg-Reuti. Diese Kurzversion eignet sich für Familien mit Kindern, die man freilich auf dem Höhenweg Balmeregghorn – Planplatten beaufsichtigen muss.
Höhepunkte: Einer der schönsten Höhenwege der Schweiz: Balmeregghorn-Planplatten. Die ruhige Gummenalp. Bergblumen, Dohlen und Munggen.
Thomas Widmers Wanderbücher gibt es im Echtzeit-Verlag: www.echtzeit.ch.
Wanderblog: widmerwandertweiter.blogspot.com
6 Kommentare zu «Die Geometrie der Natur»
Die Region ist traumhaft um zu Fuss zu erkunden. Die Melchsee-Frutt hat aber das gleiche Problem wie viele kleinere Skigebiete, im Winter verlangt der Tourist von heute leider immer mehr. Somit bleiben den Gebieten nichts anderes übrig als fortlaufend zu investieren, damit die Toursiten weiterhin kommen. Anscheinend reicht die reine Natur nicht mehr aus. Auch zu Fuss sind die meisten wohl nicht mehr gerne unterwegs.
Die investitionen der Frutt waren im letzten zwei Jahren der Ausbau der Beschneiungsanlagen und neue Pisten, die Eingriffe in der Natur sind leider jetzt noch zu sehen… Doch ohne diesen Ausbau würden die Touristen von Aussen nicht mehr kommen, den diese verlangen immer mehr. Damit wäre der langfristige bestehen der Bergbahnen gefährdet. Mir persönlich brauche ich als Einheimische keine Touristen aus der ganzen Schweiz, trotzdem bin ich mir bewusst das ohne diese Touristen das langfristige bestehen der Bahnen gefährdet wäre. Wie zum Beispiel der Bau der neuen Gondelbahn die nächstens ansteht..
Zum Bunker im Dorf: Was wäre gegen einen Bau als Holz entgegen zu setzten!? Ein natürlicher Rohstoff der in der Region vorkommt, somit würde der Bau auch eher wärme ausstrahlen als solche Kälte wie die neue Lodge ausstrahlt. http://www.st.gallen.ch/news/detail.asp?ID=166631 für mich hatte das „alte“ Kurhaus seinen eigenen Charme.
Das die Melchsee-Frutt neuen Wind braucht ist unbestritten. Doch brauchen wir kein weiteres Davos, Saas Fee oder neu entstehendes Andermatt.
Bald sind sämtliche mittleren Erholungsgebiete gleich verbaut. Rückbauten gibt es kaum oder gar nicht. Nimmt mich wunder, wo das Pendel einmal definitiv umschlagen wird, d.h. wo trotz noch mehr Beton, Liftbauten, Erlebnisparks doch keine zusätzlichen Gäste mehr kommen. Leider sind die Tourismusverantwortlichen selten weitsichtig genug, wie ein kürzlicher Austausch im Obergoms gezeigt hat, und bauen halt so weiter wie’s die kurzfristige Nachfrage halt gebietet.
Thomas, eine wirklich tolle Wanderung. Habe ich letzten Sommer gemacht. Das aus meiner Sicht Beste hast Du aber verpasst: Die Trotti-Bike Abfahrt von der Mägisalp bis zum Bidmi. Huu…. das hat sogar meiner über 60-jährigen Mam saumässigen Spass gemacht! Und sie war mehr als froh, dass sie das nicht auch noch alles runterlaufen musste. :o)
Schöner Vorschlag. Aber an Wochenenden ist dort zielich viel los, Sa/So eher meiden.
hmm…, tatsächlich ist es ein bild des architektonischen grauens, den bild 1 bietet, aber wenigstens ist es von der üblichen organisch gewachsenen hässlichkeit, die man in den alpen allenthalben antrifft. der neubau ist tatsächlich eine optische wohltat und fügt sich trotz seiner ecken und kanten harmonischer in die bergwelt ein als der rest. na ja, schnee drüber.
die wanderung ist wirklich schön.
Das war auch unser Eindruck: Möglichst schnell weg von der verschandelten Melchsee-Frutt. Der Rest der Wanderung und die gute Kost auf Planplatten waren grandios. Es lohnt sich.