Wunder dauern etwas länger

Christian Lüscher am Mittwoch den 4. November 2015

«Watson»-Chefredaktor Hansi Voigt: Vom Branchenmessias zum erfolgreichen Krisenmanager? (Bild: Keystone/Gaetan Bally)

Sie haben es mitgekriegt: Das viel gefeierte Medienprojekt «Watson» muss den Gürtel enger schnallen. Chefredaktor Hansi Voigt verkündete letzte Woche in einem Interview auf Persoenlich.com eine Sparübung (Minus 8 Prozent der Kosten). Das überraschte uns nicht. Bereits im Januar hatten wir in diesem Blog berichtet, dass Verleger Peter Wanner die Kosten reduziert haben möchte. Damals ernteten wir für den Beitrag Kritik. Rückblickend lässt sich festhalten: Falsch lagen wir nicht. Hansi Voigt suchte im Ausland neue Geschäftspartner. Wanner drängte auf ein Sparprogramm. Zudem haben in der Zwischenzeit mit dem Chef Unternehmensentwicklung und dem IT-Leiter zwei Schlüsselspieler das Team verlassen.

In diesen Tagen kursieren Zahlen aus dem Businessplan von «Watson» (Stand Oktober 2015). Notiz: Auf Anfrage kommentieren Peter Wanner und Hansi Voigt die Zahlen nicht.

Beginnen wir mit der Einnahmenseite. Hier hat «Watson» die Ziele recht sportlich angesetzt. Im ersten Jahr rechnete man mit zwei Millionen Franken Umsatz. In diesem Jahr waren vier Millionen budgetiert. Im nächsten Jahr müsste «Watson» acht Millionen Franken mit Werbung umsetzen, um den Break-even zu erreichen. In diesem Jahr wird sich aber laut einer zuverlässigen Quelle der Werbeumsatz auf weniger als drei Millionen Franken belaufen.

Interessanter sind allerdings die Ebitda-Zahlen (die wichtigste Kennzahl des operativen Geschäfts). Laut Businessplan hatte «Watson» im ersten Jahr ein Ebitda von minus 10 Millionen Franken budgetiert. In diesem Jahr wurde ein Minus von 7 Millionen budgetiert, was Ende Jahr kumuliert einen Verlust von 17 Millionen Franken macht. 20 Millionen Franken soll Investor Peter Wanner für den Aufbau von «Watson» bewilligt haben. Nun kann jeder selbst den Taschenrechner in die Hand nehmen: Rein rechnerisch wird «Watson» im ersten Halbjahr 2016 das Geld aus dieser Anfangsinvestition ausgehen. Die acht Prozent Kostenersparnis würden die Frist bis zu diesem Zeitpunkt nur um ein paar Wochen verlängern – es sei denn, das Szenario ändert sich.

Aus unserer Sicht sind folgende drei Szenarien möglich:

Szenario I

Alles kommt gut. «Watson» verringert die Kosten und erhöht in den nächsten Monaten die Einnahmen. Der Break-even wird eineinhalb Jahre später erreicht. Die Mittel reichen aber. «Watson» etabliert sich als neuer Newsplayer im Schweizer Markt.

Szenario II

«Watson» spart wie angekündigt. Die Einnahmen verbessern sich allerdings nicht signifikant. Investor Peter Wanner glaubt trotzdem an den Erfolg und schiebt den Zeitpunkt für den Break-even nochmals hinaus. Das Projekt würde ihn dann deutlich mehr kosten als die ursprünglich geplanten 20 Millionen. «Watson» hätte sich aber etabliert.

Szenario III

Wanner will den Zeitpunkt bis zum Break-even nicht ein zweites Mal hinausschieben und verlangt von Hansi Voigt einen radikalen Kostenschnitt. Voigt müsste massiv abbauen. Die Frage drängt sich auf: Würde Voigt das auch mittragen? Via Mail schreibt Voigt nämlich, dass sich «Watson» unter diesen Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht durchsetzen würde.

Was glauben Sie? Szenario I, II oder III?

Auf Anfrage zeigen sich Peter Wanner und Hansi Voigt zuversichtlich, mit den beschlossenen Massnahmen nun die Voraussetzungen geschaffen zu haben, das Ziel von Szenario I zu erreichen. Man glaubt, dass man auf dem neuen Niveau für die nächsten drei Jahre gut aufgestellt sei. Billiger werde es nicht. Weitere radikale Schnitte mit neuen Entlassungen seien nicht vorgesehen.

Branchenbeobachter sind da skeptischer. «Watson» senke zwar die Kosten, aber die beschlossenen Sparmassnahmen könnten die Erreichung der Traffic- und Umsatzziele zusätzlich gefährden – diese Gefahr sieht auch Voigt im Interview mit Persoenlich.com. Unsichere Aussichten also. Im Team war die Stimmung denn auch schon besser als heute. Einzelne Mitarbeiter empfinden die Sparmassnahmen als «Verrat am Projekt». Immerhin ist «Watson» damit definitiv vom Sonder- zum Normalfall geworden, und Hansi Voigt hat in den nächsten Monaten die grosse Chance, sich neu zu erfinden: vom Branchenmessias zum erfolgreichen Krisenmanager.

 

Update 18. November 2015: AZ-Verleger Peter Wanner will weitere zehn Millionen Franken in Watson investieren. Zudem steht eine Reorganisation an. So soll ein Delegierter des FixxPunkt-Verwaltungsrates bestimmt werden, der das Geschäft von Watson im Auge behalten soll. Auch ist die Rede von der Anstellung eines kommerziellen Leiters, um das darbende Werbegeschäft in die Gänge zu bringen. Eine schriftliche Anfrage zu Zahlen und Personalentscheiden liess Peter Wanner unbeantwortet.

13 Kommentare zu “Wunder dauern etwas länger”

  1. […] Wunder dauern etwas länger (Christian Lüscher, «Tagesanzeiger.ch») […]

  2. Antoine Huwyler sagt:

    Irgendwo hatte der Chefredaktor von Watson gesagt, dass die Einnahmen weniger stark angestiegen sind, wie ursprünglich angenommen. Dabei hiess es doch immer, bei Watson läuft alles nach Businessplan?
    Bei solchen widersprüchlichen Aussagen würde ich mich als Watsonmitarbeiter verschaukelt fühlen und mir eine neue Stelle suchen. Das ist nämlich so glaubwürdig, wie das Ergebnis der Medienstudie der Fög, watson sei qualitativ überdurchschnittlich gut. Waren die überhaupt mal auf watson und haben gesehen, was dort für ein Schrott drauf ist? Stinkt für mich alles nach Vetterliwirtschaft.

  3. Roland Grüter sagt:

    Kein Problem. Ist ohnehin ein überflüsiges “Produkt”.

  4. Marcel Hauri sagt:

    Wer nur ein wenig eine Ahnung von Kostenstruktur und Einnahmenseiten eines reines Webprojektes hat, weiss, dass es mit dem aktuellen Personaletat bei Watson nicht aufgehen kann. Was bleibt? Expansion nach Deutschland. Aber das wird schwierig. Inhaltlich wie auch finanziell. Ohne Risikokapital kann das nicht funktionieren. Für mich ist somit eher die Frage, ob Wanner (oder wer auch immer) bereit ist, zusätzliches Geld zu investieren.

  5. René R. Meier sagt:

    Um erfolgreich zum sein müsste Watson einen konsequent bürgerlichen Kurs vertreten. Es kommt nicht so sehr auf sachliche Richtigkeit, saubere Recherche und rechtlich einwandfreie Grundlagen an – konsequent bürgerlich muss es sein, so wie uns die Wahlen das gezeigt hönd. Märssi.

    • Sabina sagt:

      Leider bietet watson auch keine sachliche Richtigkeit, saubere Recherche oder einwandfreie Grundlagen, sondern einfach nur journalistischen Müll in teilweise schon absurder Fehlerhaftigkeit. Je schneller die Welt von diesem Müll befreit wird, desto besser!

    • Christoph Mathis sagt:

      Ich fasse das mal als Ironie auf!

  6. Oliver Brunner sagt:

    Ganz klar Szenario 1. P. Wanner hat mehr Geld investiert, als er eigentlich wollte, zu Beginn suchte er einen Partner. Mittlerweile hat sich auch gezeigt, dass im grenznahen Ausland niemand kooperieren will. Aber ist es ein Verlust für die Schweizer Medienszene? Listings von Buzzfeed zu übersetzen und immer krankhaft originell sein zu wollen, dabei keine relevanten Themen zu begleiten (vielleicht mal eine Einzeltext), dafür Foodporn und Bauchnabelschau von diversen Autoren, die das bei anderen Medien schon gemacht haben. Ich weiss nicht, ob das zweistellige Millionbeträge rechtfertigt.

  7. Marcel Zufferey sagt:

    Was für ein giftiger und vor Häme triefender Beitrag! Wieviele Mitglieder hat die Tagi-Redaktion wieder an Watson verloren..? Diese Animositäten unter den Verlagen- zur Weltwoche pflegt der Tages Anzeiger ja auch eine ganz spezielle Beziehung- wirken langsam etwas peinlich. Man hat als Leser manchmal das Gefühl, wieder auf dem Schulhof zu sein: Ich bin besser und schöner als du und sowieso, ätschibätsch..!!

    • Tom Bigler sagt:

      Herr Zufferey….sie haben es aber so was von auf den Punkt gebracht !!!

    • Christoph Mathis sagt:

      Ich finde den Beitrag doch ziemlich objektiv. Und Häme sehe ich erst recht nicht. Das Watsons wirtschaftliche Basis prekär ist, kann man sich denken, denn wie soll ein einzelner Zeitungsverleger über Jahre so ein Projekt am Leben erhalten, wenn er kein zweites Standbein ausserhalb der Medien hat?

    • Lichtblau sagt:

      Watson war anfangs äusserst gewöhnungsbedürftig. Aber obwohl ich nicht zur Zielgruppe (Friseuse mit Tattoos?) gehöre, schaue ich je länger je lieber rein. Die Schreiber haben an Profil gewonnen, die Kommentare haben im Gegensatz zur direkten Konkurrenz kaum Fremdschäm-Charakter und gerade die Foodporn-Artikel mag ich sehr. Genauso wie die Blogs – gutes Antiprogramm zu der hier leider zunehmenden Betulichkeit. Wohin ist der Proseccofaktor im Flaggschiff-Blog des Tagi verschwunden?

  8. Martin Kallmann sagt:

    Watson’s Hauptproblem ist, dass sie uninteressanten Content produzieren. Listen und gif’s machen halt noch kein News- und Infoportal.