Kürzlich traf ich mich mit einem bekannten Werber und einem ebenso prominenten PR-Berater. Wir diskutierten den Wahlkampf im Kanton Zürich – den teuersten der Geschichte. Beide zeigten sich darüber entsetzt, dass die meisten Kandidaten Rekordbeträge für biedere Plakate ausgaben. Geld in Aussenwerbung zu investieren, hätte 2015 nachweislich eine geringe Wirkung. Zudem empfanden beide die Plakatkampagnen als ästhetische Verbrechen. Nichts, was die viel gerühmte Schweizer Grafik auszeichne – strenges Design, die Arbeit mit Schriften, die Fotografien –, sei in Wahlplakaten zu erkennen.
Eine smarte Medienkampagne sei für den Aufbau von Bekanntheit und Aufmerksamkeit erfolgversprechender. Wie denn eine gute Kampagne aussehe, fragte ich die Runde. Der Werber erwähnte das Beispiel der «20 Minuten Fight Night». Wir erinnern uns: Im September lieferten sich Roger «The Right Hook» Köppel (SVP) und Tim «The Rambassador» Guldimann (SP) im Zürcher Kaufleuten eine hitzige Debatte zu den Themen Zuwanderung, Asyl und Europa.
Der Event sei – Achtung O-Ton – ein «verdammter Geniestreich» gewesen. Man habe über Nacht einen nicht breit bekannten Ex-Botschafter als intellektuelles Gegengewicht zu Roger Köppel positioniert. Seither hätten die Medien prominent über dieses neue Duo berichtet. Der Werber meinte, dass der Dreh (im PR-Deutsch «Spin») das Werk des PR-Beraters von Tim Guldimann gewesen sei.
Ich hab dann recherchiert: Guldimann wird in PR-Fragen von David Schärer unterstützt. Er ist Partner der Zürcher Werbeagentur Rod Kommunikation, die mit Kampagnen für SBB, Love Life (BAG) und mit der Unfallprävention «Slow down, take it easy» national Erfolge feierte. An dieser Stelle soll aus Transparenzgründen auch erwähnt sein, dass Rod Werbeetats von Tamedia (u.a. «20 Minuten») und Schweizer Radio und Fernsehen hält.
Auf Anfrage gab sich Schärer etwas wortkarg. Die Wahl Guldimanns sei eine Teamleistung gewesen. Auch Altwerber Hermann Strittmatter habe einen wesentlichen Beitrag geleistet. Aber ja, er habe die «20 Minuten»-Redaktion von der Idee einer Fight Night überzeugen können. Solange das Streitgespräch ausgeglichen sei. Es sei sein Ziel gewesen, dass man Guldimann im Wahlkampf zusammen mit Köppel wahrnimmt.
Der Leistungsausweis ist beachtlich: Der inszenierte Polit-Boxkampf zwischen Guldimann und Köppel wurde von der NZZ als «Höhepunkt» bezeichnet. Sämtliche Medien berichteten prominent über den Ex-Botschafter. Der «Blick» brachte Guldimann und Köppel auf der Frontseite mit der Schlagzeile «Das Duell der Querköpfe». In den Monaten September und Oktober publizierten Schweizer Medien rund 50 Artikel zum Duo. Und auch jetzt, nach der glänzenden Wahl der beiden Kandidaten, bringt sich Guldimann mit klaren Aussagen gegen Köppel geschickt in die Medien. Es ist das Revival des klassischen Duells von lauten Männern. Früher war es Blocher vs. Bodenmann. Heute ist es Köppel vs. Guldimann. Claude Longchamp sagte am Sonntag auf SRF, dass Guldimann und Köppel deshalb glänzende Wahlresultate gemacht haben, weil sie als Einzige den Mut aufbrachten, sich zu duellieren. Die direkte Debatte mit dem politischen Gegner sei die klassische Form von Politik.
Rudolf Farner, der Gründer der gleichnamigen PR-Agentur, soll einst folgenden viel beachteten Satz gesagt haben: «Gebt mir eine Million, und ich mache aus einem Kartoffelsack einen Bundesrat.» Ab heute kann David Schärer seine Kundenmeetings mit folgendem Satz eröffnen: «Gebt mir einen Boxring, und ich mache aus einem Auslandschweizer einen Nationalrat.» Das hielt bis gestern niemand für möglich.
Ein höchst willkommener Artikel/Blog, denn er zeigt, was Erfolg hat.
Hier in Bern setzte sich in den letzten Jahren immer mehr die Gewohnheit durch, sich durch Lobbybüros beraten zu lassen. Erfolge konnten durch diese Hinterzimmer-Plauderer noch nie nachgewiesen werden, die Campaignings der Lobbyisten blieben bis auf die Präsenz in Form von Plakaten und Inseraten wirkungslos. Weil künstlich. Gerade der aktuellste Fall von Claudine Esseiva (eine beispiellose Bruchlandung), zeigte, dass man es besser anders macht, nämlich KREATIV.
Ob dies nun auf der klassischen Werbeschiene, via PR (Medienarbeit) oder Social media geht, ist dabei aber unerheblich. Wichtig sind Inhalte.
Für Guldimann/Köppel haben die Berater genau das getan: Sie setzten zwei politische Gegner auf die Bühne und liessen sie die Klingen kreuzen. Und auch wenn der routinierte (alles andere als unbekannte!) alt-Diplomat Guldimann farblos wirkte, er hatte schliesslich nur einen Konkurrenten (Köppel).
Wir können unsere Auftraggeber aber noch so viel beraten und beknien, KREATIVITÄT (ob inhaltlich oder strategisch) zuzulassen, die meisten bleiben in ihrer ängstlichen Mittelmässigkeit stecken. Und werden, und das trifft auf mindesten 80 % der Gewählten zu, trotz allem gewählt.
Zwischen Berlin und Bern hin und herfliegen und sich das Geld zurückerstatten lassen. Ich habe links gewählt, aber nicht einen solchen Schlaumeier wie Guldimann. Der würde sich gut machen in der Sünnelipartei, aber nicht in der SP, wo die Wähler für das Geld schwer arbeiten müssen.
schade, dass dieser clever angerichtete Vergütungskodex nicht früher bekannt geworden ist. Guldimann ist kein richtiger “Auslandschweizer”, da er sein gutes Geld ja als Botschafter in Berlin verdient hatte. Das er nicht in die Schweiz zurückkehren will ist seine persönliche Entscheidung – also muss er auch die Flugtickets selber bezahlen und nicht noch zusätzlich 400.-“Sackgeld” pro Flug bekommen – eine Schweinerei und Abzocke der Steuerzahler. Was wenn er vorher Botschafter in Indien oder den USA gewesen wäre?Müsste der Steuerzahler auch die Flugbillette übernehmen?Ein Auslandschweizer ist jemand, der schon jahrelang im Ausland wohnt, dort seinen Job,Geschäft hat -auch dieser müsste es sich überlegen, in die Schweiz zurückzukommen – man kann nicht den Fünfer und das Weggli haben. Die Sache mit Guldimann stinkt zum Himmel – hat wohl als Botschafter zuweig verdient – aber einmal mehr typisch SP
Wenn Wahlen von Werbeagenturen entscheiden werden, dann Gute Nacht Demokratie. Faire Wahlen kann ich mit nur mit einem anonymisierten Wahlkampf vorstellen. Jeder Kandidat bekommt eine Nummer, Name, Geschlecht, Alter, Beruf … bleiben unbekannt. Keine Bilder.
Auf maximal 1/2 A4- Seite schreibt jeder sein politisches Programm nieder. Das bekommt jeder Haushalt und ist neben der Parteizugehörigkeit und dem Programm dieser Partei die einzige Information vor der Wahl.
Na ich denke, ob ein Nationalrat etwas Ausstrahlung hat, ist nicht ganz zu verachten und wenn er dann auch noch zwei Sätze geradeaus sprechen kann, ist das wohl auch kein Nachteil. Stellen Sie sich vor, diese “Nummern” kommen in eine aussenpolitische Delegation und können vom Gegenüber einfach nicht ernst genommen werden…
Für Bewerbungen am Arbeitsplatz bin ich aber absolut Ihrer Meinung: Da sollen für die erste Runde der Selektion ausschliesslich Fakten entscheiden. Im Anschluss lernt man die Person ja in einem Gespräch kennen und wenn es nicht geigt, dann kann man immer noch sagen “leider nein” > siehe Link!
Ich finde die Plakate cleverer. Man erreicht damit im Endresultat zwar nichts, aber kommt schnell, praktisch ohne Arbeit zu viel Kohle. Aber die Auftraggeber machen mich echt nachdenklich.
Na wenn Spin-Doctors bereits die chirurgischen Eingriffe an unseren Wahlen vornehmen, dann kann in Zukunft die Wahlunterlagen tatsächlich ohne schlechtes Gewissen selber verbrennen anstatt sie der Urne zuzuführen…