Wovon die Schweiz wirklich lebt

Die chemische Industrie schlägt alle anderen Industriezweige bezüglich Exporte: Produktionsanlage im Biochemieunternehmen Bachem in Bubendorf (BL). (Bild: Keystone)
Die schweizerische Exportindustrie kämpft mit bewundernswertem Einsatz gegen die Frankenstärke. Zur Erinnerung: Die reale Aufwertung von Mai 2010 bis August 2011 betrug nicht weniger als 25 Prozent. Man muss in der Geschichte des Schweizer Frankens mehr als 30 Jahre zurückgehen, um einen vergleichbaren Wechselkursschock zu finden.
Die neuen Exportdaten machen aber auch klar, dass die Branchen sehr unterschiedlich abschneiden. Wie die Grafiken aus der neusten Ausgabe der «Volkswirtschaft» (Monatsbulletin des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements) zeigen, lassen sich die grossen Exportbranchen in zwei Gruppen einteilen:
- Die erfolgreiche Gruppe besteht aus den Branchen Chemikalien und verwandte Erzeugnisse und Präzisionsinstrumente, Uhren und Bijouterie. Ihre Exportwerte sind heute höher als unmittelbar vor dem Beginn der Krise (4. Quartal 2008).
- Die zweite Gruppe hat das Vorkrisenniveau noch nicht erreicht. Sie besteht aus den Branchen Maschinen, Apparate, Elektronik und Metalle (MEM). (Die Branche Leder, Kautschuk, Kunststoffe, die nur rund 2 Prozent aller Schweizer Exporte ausmacht, lassen wir einstweilen weg.)

Weil die beiden erfolgreichen Branchen Chemie/Pharma und Uhren 55 Prozent aller Exporte ausmachen, ist auch das Gesamtbild recht positiv. Die Branche Maschinen, Apparate und Elektronik ist gleich stark wie die Uhrenindustrie (18 Prozent). Alle anderen Branchen tragen weniger als 10 Prozent zum Gesamtexport bei.

Damit verstärkt die aktuelle Frankenstärke einen Trend, der seit den 1980er Jahren im Gang ist. Die Chemie- und die Uhrenindustrie werden immer wichtiger für den Gesamtexport, während die einst dominierende Maschinen- und Metallindustrie an Bedeutung verliert. Besonders frappant ist die Zunahme der Chemieexporte.

Das bedeutet auch, dass sich die grossen Exportzentren regional immer stärker auf Basel und den Jurasüdfuss konzentrieren. Noch vor dreissig Jahren war dies anders: Es gab sehr viele Regionen, die vom Export lebten. Die MEM-Branchen waren regelmässiger über das Land verteilt als die Pharma- und die Uhrenindustrie.
Ist diese Konzentration unvermeidlich? Vergleicht man die Exportindustrie mit dem Finanzplatz, so scheint es tatsächlich eine Art Gesetz zu geben. Die Finanzplätze Basel und Genf haben gegenüber Zürich stark an Bedeutung verloren. Nicht nur die Grossbanken, sondern auch die Versicherungen konzentrieren sich in der Limmatstadt. Die Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung führt im Inneren der Staaten zu einer starken regionalen Konzentration.
Und vor allem: Der alte Spruch, wonach die Schweiz vom Export von Uhren, Käse und Schokolade lebt, ist nicht mehr ganz aktuell. Die Schweizer Uhren findet man immer noch überall auf der Welt, aber die schweizerische Exportindustrie lebt heute hauptsächlich von «Chemikalien und verwandten Erzeugnissen». Wie man daraus einen knackigen Werbespot für die Schweiz entwickeln kann, ist vielleicht etwas schwieriger, aber die grenzenlose Phantasie unserer Werbewirtschaft wird mit Sicherheit auch hier einen Weg finden.
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Wer schickt diesen Artikel an Herrn BR Berset, der als Gesundheitspolitiker mit seinen Aktionen (erneute Preissenkungen), Wirtschaftspolitik betreibt und unsere gesunde Wirtschaft, so ins Wanken bringt. Er wird sich bestimmt nicht freuen, wenn vor seiner Haustüre plötzlich arbeitslose Hausärzte, Apotheker, Medikamentenverteiler und Angestellte der Pharmafirmen stehen!
Aufwachen! Auch sie Herr BR Schneider-Ammann…
leider erwähnt der autor nicht die dunklen seiten dieser profitablen geschäfte…:
ein artikel zu paraquat
http://www.evb.ch/p25019747.html
Wäre ja noch aufschlussreich gewesen wenn die Dienstleistungsexporte auch noch gleich dabei wären… einfach nur um den Kontext zu erweitern… und seit geraumer Zeit aktuell die Finanzwirtschaft in relation zum ganzen zu sehen.
😉
Die nominale Arbeitsplatzproduktivität in der Pharmaindustrie lag im Jahr 2010 bei rund 400’000 CHF und somit um den Faktor 3.6 über dem gesamtwirtschaftlichen Wert (112’000 CHF). (Quelle: interpharma.ch)
2009 steuerte das Kreditgewerbe 6,7% und das Versicherungsgewerbe 4,0% zum BIP bei. Zusammen leisten die beiden Sektoren einen ähnlichen Beitrag wie der Gross- und Detailhandel (13,3%) oder die Sektoren Immobilien, Informatik sowie Forschung und Entwicklung (10,3%). Grösser ist nur der Anteil der Industrie (18,5%), wozu aber nicht nur die Exportindustrie gehört, die Gegenstand dieses Blog ist. Auf die Frage wovon die Schweiz wirklich lebt würde ich zur Antwort geben -masgeblich von der Finanzindustrie. Grund ist die ungleich höhere Wertschöpfung der Finanzbranche, von denen lebt auch der Rest der Schweiz -auch wenn dies statistisch als der grössere Teil erscheint. Die Erklärung: 2009 erwirtschaftete eine beschäftige Person (Vollzeitäquivalent) im Kreditgewerbe 252 000 Franken und bei den Versicherungen 382 000 Franken. Für die Gesamtwirtschaft beläuft sich dieser Wert auf lediglich 161 000 Franken. Es lässt sich auch sagen, dass diese 161 000 Franken nur deshalb zustande kommen, weil die Finanzbranche mit der Realwirtschaft beim Personal konkurriert. Wäre es anders, dann hätten wir heute eher einen Zustand wie in Deutschland, das heisst stagnierende Löhne bei höheren Exporten -von denen in Deutschland die Arbeitnehmer seit 2004 nichts profitieren (stagnierende Nettolöhne).
Es wäre interessant zu wissen, was die stark gestiegene Kategorie „Chemikalien und verwandte Produkte“ tatsächlich in welchem Umfang enthält?
Nun, verglichen mit dem vorletzten Jahrhundert, hat sich einiges und wenig geändert. Nichts bleibt wie es ist und Beständigkeit, wie es scheint, ändert wenig. Geht es um Massenware, so sind viele Verschiebungen, auch in der Chemie zu sehen. Nach Asien. Geht es um Top-Qualität so sind wir immer noch, selbst bei Textilien, dabei. Die Arbeitsplätze sind aber durch Maschinen und Prozesse verdrängt. Ich als Mensch profitiere davon wenig. Ich behaupte, es liegt an der geistigen Einstellung. Dann die Politik. Was passiert dereinst, wenn seltene Erden in den Alpen abgebaut werden? Oder die Bioroboter kommen? Die Masse wird es schwerer haben. Dafür sollten wir heute schon die sozialen Weichen stellen. Basel ist seit mehr als hundert Jahre erfolgreich. Auch Dank solchem Denken und Handeln. Und gegen natürliche Einflüsse sind wir machtlos. Was ist bei grossen Katastrophen? Da hilft dann nicht mehr viel. Und diese Gefahren sind und bleiben. Eine davon die Migration. Hier muss viel getan werden. Oder Heuschrecken grasen das Feld ab. Da nützt weder Pharma noch die Uhr. Also kein Grund zur Freude und Entspannung.
„Wovon die Schweiz wirklich lebt“ … Stellen wir diese Frage in Zukunftsform, so lautet diese:
„Woran die Schweiz wirklich stirbt“ – so lautet die Antwort ohne zögern: an der Dichte und am horrenden Tempo der „physischen Mobilität“.
Nein stimmt nicht. Die Schweiz stirbt am eigenen Erfolg, den verkrusteten alten einstmals erfolgbringenden Strukturen und irgend eines Chnuschtis der in nostalgischer Manier den Phönix aus der Asche darauf beschwört.