Eine wichtige Lektion der Corona-Krise

Neben ausverkauften Desinfektionsmitteln drohen nun auch Medikamente knapp zu werden. Foto: Keystone
Nicht nur Menschen, sondern auch die Wirtschaft wird vom Coronavirus heimgesucht. In der Schweiz konnten wir das in verschiedenster Hinsicht feststellen: es gibt weniger Touristen aus China, die Uhrenexporte nach Asien sind eingebrochen, und der Automobilsalon in Genf findet nicht statt.
Doch der Corona-Schock zeigt noch etwas anderes. Die Globalisierung der Wirtschaft bringt nicht nur Wohlstand, sondern führt auch zu erheblichen Risiken. Plötzlich erkennen wir, dass die Wirkstoffe für wichtige Medikamente knapp werden, weil wir diese nicht mehr selbst herstellen, sondern aus China importieren. Über 90 Prozent der Wirkstoffe für Generika stammen mittlerweile aus dem Reich der Mitte. Und die Zwischenprodukte reisen oft rund um die Welt von Fertigungsstätte zu Fertigungsstätte, bis sie schliesslich in Schweizer Arzneischränken landen.
Schweizer Produktionen sind zu teuer
Unter normalen ökonomischen Bedingungen ergibt das absolut Sinn. Für die Herstellung von Standardprodukten ist die Schweiz mittlerweile ein viel zu teures Pflaster. Deshalb wurden immer mehr «produktive» Tätigkeiten in Länder mit geringerem Lohnniveau verlagert, wo bei praktisch gleicher Produktivität und Qualität wesentlich billiger produziert werden kann. Das gilt auch für pharmazeutische Produkte, die wir mit der Schweiz assoziieren. Denn die meisten Komponenten von Schweizer Medikamenten genau wie bei Maschinen oder Präzisionsinstrumenten werden in Wirklichkeit im Ausland produziert und dann als Zwischenprodukte in die Schweiz importiert.
Diese Produktionsverlagerungen ins Ausland haben zur Folge, dass die Wertschöpfung in der Schweizer Wirtschaft immer weniger mit Produktion zu tun hat, denn damit verdient man ausser bei hochspezialisierten Produkten kaum Geld. Die Schweiz ist heutzutage nicht wirtschaftlich erfolgreich, weil sie begehrte Produkte und Dienstleistungen produziert, sondern weil sie begehrte Produkte und Dienstleistungen entwickelt, organisiert und vermarktet. All diese Tätigkeiten sorgen für wesentlich mehr Wertschöpfung als die Produktion selbst. Deshalb ist der Begriff Bruttoinlandprodukt mittlerweile irreführend. Eigentlich müsste man von Bruttoinlandorganisation sprechen. Und je weniger wir produzieren, umso besser scheint die Wirtschaft zu laufen. Die Schweiz hat trotz der ganzen Verlagerungen produktiver Tätigkeiten ins Ausland kaum Arbeitslosigkeit, und das Einkommen pro Kopf ist hoch.
Versorgungssicherheit in der Landwirtschaft
Doch die Abkehr von der Produktion birgt auch Risiken. In der Landwirtschaft hat man das bereits vor langer Zeit festgestellt, und man reagiert. Aus rein ökonomischen Überlegungen lohnt sich die Landwirtschaft in der Schweiz nämlich schon lange nicht mehr. Doch im Ersten Weltkrieg zeigte es sich, dass rein ökonomische Überlegungen zu kurz greifen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte die Schweiz ihre eigene Landwirtschaft vor allem beim Getreideanbau weitgehend aufgegeben und sich von Importen abhängig gemacht. Als dann die Versorgung im Ersten Weltkrieg zusammenbrach, wurden Lebensmittel knapp, und es herrschte teilweise Hunger. Nach dem Krieg war man sich deshalb einig: So etwas darf sich nicht wiederholen. Versorgungssicherheit wurde zum Hauptziel der Schweizer Agrarpolitik, die dafür sorgen soll, dass wichtige Nahrungsmittel weiterhin in der Schweiz produziert werden.
Vermutlich müssen wir das Ziel der Versorgungssicherheit in Zukunft auf andere lebenswichtige Stoffe ausdehnen. Es geht nicht mehr ausschliesslich um Lebensmittel, sondern auch um wichtige medizinische Grundstoffe. Plötzlich auftretende Störungen der Weltwirtschaft, wie sie das Coronavirus verursacht hat, zeigen dies deutlich. Versorgungsengpässe werden zu einem umso grösseren Risiko, je globalisierter die Wertschöpfungsketten organisiert sind. Und ein Land wie die Schweiz, in dem kaum noch produziert wird, ist von diesem Risiko ganz speziell betroffen. Das ist eine wichtige Lektion, die uns das Coronavirus derzeit vor Augen führt.
5 Kommentare zu «Eine wichtige Lektion der Corona-Krise»
Die Ketten der interkontinentalen Wertschöpfung wurden im industriellen Bereich vorgenommen, nicht so sehr im Bereich der Dienstleistungen trotz den Call-Zentren in Indien und den Philippinen. Der Aufschwung Chinas zur Werkstatt der Welt hat wohl die Inflation erheblich zurückgehalten, obwohl sich die Geldmenge der Reservewährung US$ massiv ausgeweitet hat.
Dabei wurde, wie im Artikel erwähnt, der Aspekt der Sicherheit und auch nicht zu vergessen derjenige der Qualität für ganz Europa vergessen.
Mit der Aussage über die Schweizer Agrarwirtschaft bin ich nicht einverstanden. Im Ersten Weltkrieg war unsere Verwaltung nicht so effizient in der Verteilung der Lebensmittel wie im Zweiten. Die Rationierung wurde spät eingeführt und die Preise stiegen schneller als die Löhne, was vielen Reichen wegen dem guten Geschäftsgang völlig gleichgültig war. Wir benötigen auch im Zweiten Weltkrieg Getreide-Importe aus dem Ausland, was ein ständige Auseinandersetzung mit den Alliierten und den Deutschen verursachte. Die Deutschen wurden wir ab 1943 los, die Alliierten hatten wir dann nach Krieg 1945 am Hals, wobei der Diplomat Stucki und Bankier Rudolf Pfenninger verhinderten, dass es nicht schlimmer wurde.
Wir hatten 1941 rund 240’000 Bauernhöfe bei einer Wohnbevölkerung von 4,3 Mio. und nach den ersten Nachkriegsjahren war wohl die Bevölkerung auf 4,8 Mio. gestiegen, aber die Anzahl Höfe hat nur unwesentlich abgenommen. Die Agrarpolitik ab 1955 diente nicht wie angegeben der Landesversorgung, sondern war in erster Linie eine politische Maßnahme zum Erhalt der Bauernsame und damit der bürgerlichen Mehrheit. Auch mit 10’000 Betrieben heute kann man heute soviel ökologisch produzieren wie mit 50’000 2020.
Versorgungssicherheit auf andere Bereiche ausdehnen heisst noch mehr Hochpreisinsel und Subventionen. Das geht am Schluss nur mit konsequenter 2 Klassen Medizin und Abschaffung des Obligatoriums.
Man könnte auch Pflichtlager bei kritischen ‚durable goods‘ einführen. Der Bund könnte zB solche Lager für Medikamente und medizinische Produkte einführen oder den Produzenten aufs Auge drücken. Für Oel (und Erdgas?) gibt es diese ja bereits.