Polen und Ungarn sind keine Schwellenländer

Warschau ist heute ein wichtiges Wirtschaftszentrum Osteuropas. Foto: iStock

In seiner Herbstprognose für die Weltwirtschaft hält der Internationale Währungsfonds an seinem Ansatz fest, Polen und Ungarn als Schwellenländer zu klassifizieren. Es ist an der Zeit, diese Praxis zu überdenken.

Der IWF verfügt über das grösste Know-how, wenn es darum geht, die Weltkonjunktur zu prognostizieren. Der riesige Ökonomenstab analysiert regelmässig fast alle Länder der Welt (ausgenommen Nordkorea, Kuba und Syrien). Die Weltwirtschaft teilt er dabei in zwei Gruppen: Die eine umfasst hochentwickelte Länder («Advanced Economies»), die andere Schwellen- und Entwicklungsländer («Emerging Market and Developing Economies»).

Die Hauptkriterien, nach denen der IWF die Welt in hochentwickelte Volkswirtschaften, Schwellenländer und Entwicklungsländer einteilt, sind nach eigenen Angaben:

  1. Das Pro-Kopf-Einkommen
  2. Die Diversifizierung der Exporte – um zu verhindern, dass Ölexportländer mit einem hohen Pro-Kopf-BIP automatisch den Sprung in die erste Gruppe schaffen, da rund 70 Prozent der nationalen Exporte sich aus Öl zusammensetzen
  3. Die Integration in das globale Finanzsystem

Insgesamt 39 Länder sind gemäss IWF hochentwickelt, 23 davon liegen in Europa. Die Tschechische Republik zählt seit vielen Jahren dazu, ebenso die Euromitglieder Slowenien und die Slowakische Republik. Nicht jedoch die Nachbarn Polen und Ungarn. Dabei liegt ihr Pro-Kopf-Einkommen nicht wesentlich tiefer. Mit rund 32’000 US-Dollar ist es bei beiden Ländern etwa gleich hoch wie das Pro-Kopf-BIP Portugals. Griechenland ist diesbezüglich schwächer.

Quelle: IWF

An der Wirtschaftskraft kann es also nicht liegen. Auch die Exportstruktur der beiden Staaten ist ausreichend diversifiziert. Und sowohl Polen als auch Ungarn weisen ein entwickeltes Finanz- und Bankensystem auf. Weshalb bleiben beide trotzdem aussen vor? «Eine Neuklassifizierung findet nur statt, wenn sich etwas Markantes verändert», schreibt der IWF, «oder wenn die Gründe für eine Änderung in Bezug auf die drei oben genannten Kriterien überwältigend sind.»

Welche Rolle spielen politische Überlegungen?

Tatsächlich klassifiziert der Ökonomenstab Länder nur ungern um. Im Jahr 2015 rückten die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen auf. Der Schritt sei im Zusammenhang mit der Euro-Einführung in diesen Ländern gestanden, erläutert der IWF. Denn durch den Euro-Beitritt habe sich deren Finanzsystem radikal verändert. Im gleichen Jahr wurde auch San Marino zu einem hochentwickelten Land heraufgestuft. 2016 handelte der IWF bisher zum letzten Mal: Macao und Puerto Rico stiessen zu den «Advanced Economies» als Nummer 38 und 39.

Der IWF zögert. Nur Ministaaten scheinen die Chance zu erhalten, in die Gruppe der fortschrittlichen Industriestaaten aufgenommen zu werden. Das mag im Sinne der statistischen Datenbewirtschaftung Sinn machen, aber der IWF analysiert auf diese Weise je länger je mehr an der wirtschaftlichen Realität vorbei.

Inzwischen stellt sich die Frage, ob nicht auch politische Überlegungen eine Rolle spielen. Polen und Ungarn haben sich auf internationaler Ebene in den vergangenen Jahren politisch isoliert. Sähe die Heraufstufung nicht wie ein Ritterschlag für die Wirtschaftspolitik der ungeliebten Rechtspopulisten aus, die in Warschau und Budapest regieren? Der Verdacht drängt sich auf, dass vor allem die Europäer im IWF ein solches Signal an die ungeliebten Partner in der Union verhindern möchten. Auch um ihn zu widerlegen, sollte der IWF endlich handeln.

29 Kommentare zu «Polen und Ungarn sind keine Schwellenländer»

  • Ulrich Hegner sagt:

    Einmal Ostblock, immer Ostblock. Zumal Gebiete wie Polen, Ungarn, Rumänien usw. ja auch schon früher, im Mittelalter, im 18. u. 19.Jhd. nie zum Westen gehört hatten. Die kulturellen, sprachlichen, religiösen Unterschiede zwischen dem katholischen, germanischen, romanischen, protestantischen Westen und dem slawischen, orthodoxen Osten waren und sind riesig.

    • Anton Paschke sagt:

      Polen und Ungarn sind orthodox. In der Alpenrepublik Dänemark schmelzen die Gletscher und der WWF bekämpft Holzkohle, die in Namibia durch Roden des Kalahari Urwaldes gewonnen wird. Sie Herr Hegner, haben Geographiekentnise als seien Sie in den USA in die Schule gegangen.

    • Rolf Zach sagt:

      Da erzählt uns aber die Geschichtsbücher etwas anderes und die müssen ja nicht alle falsch sein. Polen ist eindeutig katholisch und Ungarn katholisch und reformiert. Demzufolge gehören beide Länder zur europäischen Kultur. Nur Rumänien ist orthodox, aber als einziges dieser Länder mit lateinischem Alphabet.
      Österreich-Ungarn wurde durch die dumme Entscheidung von Franz Josef in den 1. Weltkrieg hineingezogen. Er dachte es werde nur einen lokalen Krieg geben. Ansonsten war Österreich-Ungarn wirtschaftlich erfolgreich, wenn auch nicht so wie Deutschland.

    • Ulrich Hegener sagt:

      @Zach, Paschke
      Polen ist slawisch. Ungarn weder romanisch noch germanisch. Rumänien orthodox. Und dann sagen Sie mir doch mal was diese 3 Staaten zur westlichen Kultur beigetragen haben sollen.

      • Rolf Zach sagt:

        Sie haben natürlich nie etwas von John von Neumann und Leo Szilard noch von Marie Curie gehört oder gelesen. Auch der berühmte französische Schriftsteller Eugene Ionesco lebte in seinen jungen Jahren in Rumänien. Die wären nie nach den USA und Frankreich ausgewandert, wenn ihre Länder nicht die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts, nämlich den 1. Weltkrieg erlebt hätten.

        • Ulrich Hegner sagt:

          @Rolf Zach
          Nein, won den obgenannten Herren habe ich noch nie etwas gehört. Ausser von Ionesco. Aber der schrieb in Frankreich und auf französisch, kann damit wohl kaum als rumänischer Schriftsteller bezeichnet werden.
          Mit der Auswanderung aus Osteuropa haben Sie völlig recht. Das bestätigt ja genau meine Feststellung: In Osteuropa ist das materielle und kulturelle Niveau tief, darum ziehen die Leute weg. Und gehen dorthin, wo es besser ist – eben in den Westen.

  • Jessas Neiau sagt:

    Wieviel Geld nochmal sind allein aus der Schweiz via „Kohäsionsmilliarde“ nach Polen geflossen? Der Löwenanteil. Von den Zuzahlungen der EU (bzw. von Deutschland) gar nicht zu reden. Entwickelte Länder empfangen keine Almosen und haben sie auch nicht nötig. Polen ist zwar auf gutem Weg, aber längst noch nicht da angekommen, wo die entwickelten Länder sind. Warum Portugal als „entwickelt“ angesehen wird, dass muss man wohl die mehreren hunderttausend Portugiesen fragen, welche ihr entwickeltes Land Richtung Schweiz verlassen haben, weil ihre linke Regierung keine geordnete Entwicklung hinkriegt.

    • Rolf Zach sagt:

      Sie wollen also ernsthaft behaupten, Salazar sei ein linksgerichteter Regierungschefs von Portugal gewesen und dies seit 1928 bis 1968 bzw. mit Nachfolger bis 1974. Während dieser Zeit verließen mehr als ein Neuntel aller Portugiesen das Land Richtung Westeuropa (hauptsächlich Frankreich) trotz Kolonialreich, wo auch viele dorthin gingen. Die wirtschaftlichen Versäumnisse der Salazar-Diktatur waren so groß, dass auch nach Einführung der Demokratie 1974 die Auswanderung weiterging und dank EU-Beitritt hat es neuerdings aufgehört. So typisches Gerede von linksgerichtet ohne Kenntnisse der Geschichte von Portugal.

  • Anh Toàn sagt:

    Ohne Rechtsstaat gibt es kein „entwickeltes Finanz- und Bankensystem“. Und insbesondere die Rechtsstaatlichkeit ist in Polen und Ungarn zumindest akut gefährdet. Ist kein Verlass aufs Recht, ist kein Verlass auf gar nichts, denn die Macht die noch immer ist, macht was sie will.

    • Ralf Schrader sagt:

      Es ist von Schwellenländern, nicht Schwellenstaaten die Rede. Das Land Polen hat kein „entwickeltes Finanz- und Bankensystem“, so etwas hat nur der aktuelle Staat Republik Polen.

    • Rolf Zach sagt:

      Da bin ich nicht so pessimistisch. Auch die jetzige rechtsgerichtete Regierung in Polen weiß ganz genau, dass sie ohne den EU-Binnenmarkt nicht überleben kann.
      Nun alle Polen werden vom Kindergarten an gelernt, dass sie als heldenhaftes und gutmütiges Volk von allen Bösewichten in Europa gequält und verraten wurden. Sie sind immer das Opfer gewesen und sie sind es heute noch. Diese Haltung verstärkt die jetzige Regierung, wo sie nur kann und erhofft sich damit Vorteile auf allen Ebenen und ungestörtes regieren. Brüssel zahlt zu wenig und ist natürlich feindlich gegen die Polen als aufrechte Patrioten.
      Interessant ist, dass die Rechtspartei für Recht und Gerechtigkeit ihr soziales Füllhorn geöffnet hat, im Gegensatz zu unserer SVP.

  • Josef Marti sagt:

    Dass man die Ölländer bei den IWF Kriterien derart diskriminiert ist unerhört. Insbesondere die Saudis verfügen über ein gut funktionierendes Feudalsystem welches den sog. fortschrittlichen Nationen weit überlegen ist. Die sozialistische Variante Venezuela hingegen funktioniert definitiv nicht, daran sieht man exemplarisch dass für Menschen generell ein Feudalsystem die beste und sicherste Gesellschafts- und Wirtschaftsform ist.

    • Rolf Zach sagt:

      Zu Recht ist Ihnen das sozialistische Caudillo System von Venezuela suspekt und unsympathisch. Was Sie aber über das Feudalsystem von Saudi-Arabien schreiben, ist aber ein Witz, wenn Sie sich näher damit befassen. Darf ich Ihren Beitrag als Satire verstehen?

  • Claire Deneuve sagt:

    Darum wäre es nichts anderes als konsequent die wegfallenden EU-Nettobeiträge der Briten nach einem vollzogenen Brexit (sofern dies überhaupt noch jemals passieren wird) vollumfänglich diesen beiden grossen Nehmerländern Ungarn und Polen wegzustreichen!
    Ausser die Hand aufmachen und sich ansonsten ziemlich uneuropäisch mit Pressezensur etc. zu benehmen, bringen diese Länder der EU jetzt wenig bis nichts. Von mir aus könnte man die am liebsten eigentlich auch beide wieder rausschmeissen aus der EU, denn die sind dort schlichtweg fehl am Platz!

    • Jessas Neiau sagt:

      Von Ihnen aus? Was haben Sie denn in der EU zu sagen? Sie schwingen hier ganz schön grosse Reden.

    • Anton Paschke sagt:

      Liebe Claire, warum wohl ist der Herr Tusk ein Wortführer der Partei für den Permanenten Brexit?
      Weil noch immer eine Million Polen in UK arbeitet und Geld nach hause schickt. Sie wollen Polen gerade zweimal bestrafen.
      Polen hat seit 1990 den Lebenstandart etwa verdoppelt. Egal wie, aber es geht vorwärts. Trozt Katastrophen wie der „schöne Sommer“ 2018 eine war. Ich finde es sehr erfreulich!

  • Cédric Ruckstuhl sagt:

    Polen und Ungarn sind keine Schwellen-, sondern schlicht Ostblockländer.
    .
    Der hohe Turm rechts oben auf dem Bild ist aber sehr schön, muss ich sagen. Architektonisch hat Warschau zumindest eine Sehenswürdigkeit zu bieten.

    • Margot sagt:

      Diese sogenannten „Ostblockländer“ Ungarn und Polen gibt es seit dem Fall der Mauer nicht mehr. Heute sind das östliche EU-Länder.

      • Cédric Ruckstuhl sagt:

        @Margot
        Das ist wie mit dem Abwart, der heute Facility Manager heisst. Ist aber trotzdem ein Abwart.

        • Gerhard Engler sagt:

          @Ruckstuhl: Sie irren sich. Beispiel: Russland und Polen gehörten gemeinsam zum Ostblock. Heute will Polen nichts mehr mit Russland zu tun haben.

    • Anton Paschke sagt:

      War heisst das Ostblock oder Ostblockländer?
      Es war der Warschauer Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand.
      Die Regierung in Warschau ist auf Kurs, manche andere irrlichtern herum.

  • Daniel Wigger sagt:

    Der Blogg erklärt sehr gut, dass politische Überlegungen zur Rückstüfung von Polen und Ungarn beigetragen haben könnten. Die politischen Führer dieser beiden Staaten bezeichneten sich ja mehrfach und bewusst als nichtdemokratisch.
    Die Rückstufung kann durchaus auch als Druckmittel benutzt worden sein. Allerdings ist der Mangel an Demokratie aber sehr wohl auch ein wirtschaftlicher Faktor. Dies zeigen die aktuellen Krawalle in Hongkong sehr anschaulich. In unterdrückten Volkswirtschaften leidet nicht nur die politische Mitbestimmung, sondern auch die wirtschaftliche Kreativität, das freie Unternehmertum und somit die Wirtschaftskraft. Kluge Köpfe überlegen es sich zweimal, ob sie in so einem Land etwas aufbauen wollen, und kreative Angestellte werden in ihren Freiheiten eingeschränkt.

    • Anton Paschke sagt:

      Herr Wigger, Hong Kong ist seit bald 20 Jahren eine chinesische Stadt, lustigerweise mit eigener Währung.
      Die dortigen Aktivisten hätten sich als die junge Generation farstellen können. Sie haben sich mit der CIA verbandelt und zum Bauern auf Onkel Donalds Schachbrett gemacht. Der wird sie versäckeln, so wie viele andere, zuletzt die YPG.
      Auch die Polen werden ihren alten Hass auf die Russen noch bedauern.

      • Ralf Schrader sagt:

        Hongkong ist seit immer eine chinesische Stadt, oder wohnen da Nichtchinesen?

        • Anton Paschke sagt:

          Soll ich jetzt die ganze Geschichte des Opiumhandels aufrollen? Die Opiumkriege waren typische Kanonenbootpolitik. Im Friedensvertrag hat der chinesische Kaiser den Drogenhändlern eine nahzu unbewohnte Insel zugestanden und die haben eines der weltweit wichtigsten Handelszentren daraus gemacht. Der Vertrag ist aber 1999 ausgelaufen, seither ist Hong Kong eine chinesische Stadt mit Sonderrechten. Separatismus zählt nicht dazu.

  • Ulrich Konrad Schweizer sagt:

    In der EU muss man sich schon überlegen, was man mit solchen Klassifizierungen anfangen will. Es geht dabei wohl in erster Linie darum zu entscheiden, wie umverteilt werden soll. Einerseits Länder, welche sich nun wirklich jahrzehntelang keine Mühe geben, aber trotzdem mit Hilfen dauernd vollgestopft werden. Andererseits andere Länder, welche sich grosse Mühe geben und aufwärts kommen, kürzt man die Hilfen rasch.

    • Kurt Leutenegger sagt:

      Wie sollen sich arme Länder Mühe geben wenn;
      1. Die gebildeten Leute von den hoch entwickelten EU Industriestaaten aufgesaugt werden?
      2. Durch Knebelverträge die Landwirtschaft sich nicht entwickeln darf um den Bauernstand in den alten EU-Länder zu schützen.
      Wir wissen eben Vieles nicht.
      Wir fahren seit 10 Jahren jährlich nach Ungarn zu einer CH geführte Ziegenfarm. Dieses Jahr haben wir das erste Mal Rinder in der Nähe weiden sehen.
      Bis anhin durfte Ungarn nur 90 Tausend Kühe haben. Milchprodukte in Supermärkten zu 90% aus alten EU-Staaten.
      Rinder dürfen sie nun züchten, sie müssen aber ausserhalb EU verkauft werden. Absatzmarkt Türkei.
      Ich bin überzeugt auch Regierungen von Rumänien u. Bulgarien etc. haben Knebelverträg unterzeichneten um an den Honigtopf zu gelangen.

    • Gerhard Engler sagt:

      @Schweizer: Die EU machte keine solchen Klassifizierungen. Bei der EU sind alle Länder gleichberechtigte Mitgliedsstaaten. Und über Hilfsgelder wird einstimmig beschlossen.

    • Anton Paschke sagt:

      Amerikanische Ratingagenturen klassierten Brasilien als BBB, nicht investment grade. US Pensionskassen durften Brasilien kein Geld ausleihen. Der IWF forderte noch da und dort ein Reförmchen, das zum Nachteil Brasiliens gewesen wäre. 2005 regierte der Kommunist Lula, Brasilien hatte alle Schulden abgezahlt und war Nettogläubiger. Lula tratt nach zwei Amtszeiten vardassungsgemäss zurück (was andere Kommunisten lieber nicht tun) seine Nachfolgerin, die Kommunistin Dilma, hat sich wegputschen lassen. Heute ist Brasilien wieder massiv verschuldet und Bolsonaro ist mit Trump eine Seele. Lula sitzt im Knast und hat leere Taschen.

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