Der nautische Kurs der Nationalbank

Mit ihren Inflationsprognosen erinnert die SNB an die Absichtserklärung hinter einer Atlantiküberfahrt: Segelboot und Containerschiff auf der Weser vor Bremerhaven. Foto: Jörg Sarbach (Keystone)

Langsam bewegt sich die Schweizerische Nationalbank (SNB) zurück zu einer normalen Geldpolitik. Sie hat zwar den Geldhahn immer noch weit geöffnet und hält die Leitzinsen so tief im Minus wie keine andere Zentralbank weltweit. Aber sie richtet ihre Geldpolitik nicht mehr allein am Franken-Wechselkurs aus und ordnet dem als andere unter. De facto ist sie zu ihrem Preisstabilitätsziel zurückgekehrt, wie es im Nationalbankgesetz vorgesehen ist.

Damit tritt die Inflationsprognose der SNB erneut in den Vordergrund. Mit ihr erfüllt die SNB nach eigener Darstellung einen doppelten Zweck: «Einerseits dient sie als Hauptindikator für den Zinsentscheid, andererseits ist sie ein wichtiges Element in der Kommunikation der Nationalbank.»

Aktuell prognostiziert sie, dass die Inflation vorerst noch tief bleibt, aber ab 2020 rasch anzieht und dann sogar über 2 Prozent klettert. Das dürfte eine erste Zinserhöhung im Herbst 2019 rechtfertigen.

Quelle: Thomson Reuters Datastream

Aber wie hat sich dieses zentrale Element des geldpolitischen Konzepts in der Vergangenheit bewährt? Gelinde gesagt: eher bescheiden. Im folgenden Chart sind die vergangenen Inflationsprognosen der SNB aufgeführt (gestrichelte Linie) und zum Vergleich der tatsächliche Verlauf der Schweizer Teuerung. Um den Chart übersichtlich zu halten, enthält er nur eine Auswahl der Vorhersagen, die die SNB jeweils im Juni publizierte.

Quelle: Thomson Reuters Datastream

Wirklich richtig sagte die Nationalbank die Teuerung so gut wie nie voraus. Nur ganz am Anfang, als sie die Prognosen einführte, gelang ihr das. Beispielsweise im Juni 2004, als die Inflationsrate um 1 Prozent herumpendelte und weder nach oben noch nach unten ausscherte. Ausserdem hat sie in Extremphasen die richtige Nase: 2009, als die Weltwirtschaft im Sog der Finanzkrise abstürzte, und 2015, kurz nach dem Frankenschock, der die Teuerung so sehr abwürgte, wie nie zuvor. Darüber hinaus fällt die Trefferquote jedoch mager aus.

Ein Dilemma

Der Rückblick zeigt auch: Bis auf ein oder maximal anderthalb Jahre hinaus gelingt es der SNB meist, den Preistrend richtig abzuschätzen. Aber auf einen Horizont von zwei oder drei Jahren fällt ihr das sehr schwer. Das liegt in der Natur jeder Vorhersage. Sie wird unsicherer, je weiter der prognostizierte Zeitraum in der Zukunft liegt.

Allerdings betont die SNB, dass ihre Inflationsprognose mittelfristig ausgerichtet sei und nicht kurzfristig. Mit anderen Worten: Sie ist als Instrument für die Geldpolitik vor allem deswegen unerlässlich, weil sie den Inflationspfad in zwei bis drei Jahren voraussagt und nicht nur für die nächsten zwölf Monate. Aber wenn sie sich ausgerechnet im längeren Prognosezeitraum häufig als falsch erweist, steht dann nicht das ganze geldpolitische Konzept auf wackligen Füssen?

Es ist ein schwer lösbares Dilemma, mit dem auch andere Zentralbanken kämpfen. Die Bank of England versucht es über die Kommunikation. Anstatt eine Punktprognose zu publizieren, wie die SNB, präsentiert sie ihre Vorhersagen in einem sogenannten Fächer-Chart. Er zeigt alle möglichen Szenarien auf, die in der Zukunft eintreten können. Optisch ist das zwar anschaulich, aber in der Sache ändert sich wenig.

Wie eine Atlantiküberfahrt

Wenn Notenbanken ihre Inflationsprognosen präsentieren, sollte man das als Absichtserklärung auffassen, wohin die Reise gehen soll. Ähnlich wie der Kapitän eines Segelschiffes die Atlantiküberquerung plant. Man kann sich darauf verlassen, dass er alles Erdenkliche unternehmen wird, um in der eingeplanten Zeit das Ziel zu erreichen. Er hat den idealen Kurs auf dem «grössten Kreis» gewählt. Aber es hängt dann von den tatsächlichen Wind- und Wetterverhältnissen ab, ob er diesen Kurs auch halten kann oder ob das Schiff nach Norden oder Süden abgetrieben wird, wo plötzlich ganz andere Winde vorherrschen. Er kann korrigieren, gegensteuern, aber am Ende bestimmt nicht er, wann das Schiff im Zielhafen einläuft.

Die Nationalbank hat wieder Kurs aufgenommen Richtung geldpolitischer Normalisierung. Wann genau sie dort ankommt, weiss sie allerdings selbst nicht.

24 Kommentare zu «Der nautische Kurs der Nationalbank»

  • Leo Klaus sagt:

    Ich sehe das ganz anders aus der Grafik.

    Wenn die SNB ihre Zinspolitik basierend auf ihrer eigenen Prognosen gestaltet, dann will sie eben den laufenden Kurs der Inflation korrigieren. Ihre Prognose waere richtig, wenn sie nichts unternehmen wuerde, aber eben, sie muss.

    Betrachtet man die Kurven, so faellt auf, dass sie meist zusammenlaufen, aber dass die prognostizierten Spitzenwerte meist nicht erreicht werden, d.h. die SNB hat meist Erfolg mit ihrer Zinspolitik und kann die Inflation recht gut kontrollieren.

  • Anh Toàn sagt:

    Die Rendite der 10 jährigen Bundesobligationen ist wieder negativ: Anscheinend hat der Markt eine andere Inflationserwartung als die SNB.

    • Anh Toàn sagt:

      Der Kapitän eines Schiffes kann keine günstigen Winde herbeireden. Nicht so klar ist, ob eine Notenbank Inflation herbei reden kann, immerhin hat Inflation viel mit Inflationserwartungen zu tun, und Erwartungen kann man herbei reden.

      Aber zur Zeit scheint der Markt nicht zu glauben, dass es der SNB gelingt, Inflation herbei zu reden:

      • Anh Toàn sagt:

        In ihren Äusserungen zum Immobilienmarkt sieht die SNB Risiken auf Grund von steigenden Zinsen. Obwohl steigende Zinsen ein inflationäres Umfeld bedeuten, also steigende Löhne und steigende Immobilienpreise. Als Eigentümer von Wohneigentum, der in absehbarer Zeit mehr davon will/braucht, sorge ich mich nicht vor Inflation, und damit steigenden (nominellen) Zinsen, meine Sorge als Schuldner gilt der Deflation, dem Wertverlust meines Eigentums und einem daraus resultierenden „margin call“ der Bank.. 5% Zinsen ist nur die Hälfte von 10% ausserordentliche Amortisation. Auch wenn nur 10% der Hyposchuldner bei deutlicher Deflation Probleme bekommen, dürfte dies den Preisdruck noch erhöhen, die Banken in Schwierigkeiten bringen, Kettenreaktion.

        • Anh Toàn sagt:

          Ich sehe deutliche Deflation (nicht nur eine Nachkomma-Prozentzahl) nicht als wahrscheinlichstes Szenario, die SNB wird alles daran setzen, dies zu verhindern, aber als deutlich grösseres Risiko, für mich persönlich, die im Immobilienmarkt stark engagierten Banken und die CH-Volkswirtschaft insgesamt.

        • Anh Toàn sagt:

          Anmerkungen zu „5% Zinsen ist nur die Hälfte von 10% ausserordentliche Amortisation. “

          5% Zinsen werde ich zahlen müssen, mit einem nominell höheren Einkommen, es gibt keine Inflation ohne nominell steigende Löhne. 10% ausserordentliche Amortisation müsste ich zahlen aus einem tendenziell nominell sinkenden Einkommen, oder aus der Arbeitslosenentschädigung, wenn die Deflation in eine Rezession, Depression mündet.

          Inflation ist der Freund des Schuldners.

          • Rolf Zach sagt:

            Für mich haben eigentlich unsere Banken zwei Seelen in einer Brust. Die Finanzierung der wirtschaftlichen Aktivität unserer Volkswirtschaft, wovon das Geschäft mit Hypotheken ein wesentlicher Anteil der entsprechenden Aktivitäten ausmacht.
            Das zweite ist das Geschäft mit der Vermögensverwaltung, oft noch heute und früher immer, das lukrativste Geschäft unserer Banken. Strahlt auch immer auf andere Segmente des Bankgeschäfts ab.
            Wenn schon das Bankgeheimnis gegenüber den OECD Staaten nicht mehr das gleiche ist wie früher, so bleibt als heilige Säule der Gold-Franken. Die einzige Währung, die ständig gegenüber allen anderen aufwertet.
            Ein magisches Ding.
            Es gibt deshalb nur Negativzinsen für dumme CH-Pensionskassen und nicht für schutzbedürftige Ausländer.

        • Rolf Zach sagt:

          In der Schweiz werden wir nie unsere Währung zur Erleichterung der Hypothekar-Schuldner verwenden. Auch in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts hat unsere SNB keine Erleichterung (Ära Lusser) für die Banken vorgenommen, die sich überproportional in diesen Märkten getummelt haben.
          Wir werden sehen, wie die SNB reagiert im Falle einer Wiederholung eines ähnliches Szenario heute reagieren wird. Es gibt ja da, eine Bankengruppe, die sehr tief im Hypotheken-Markt verankert ist und gegenwärtig Management-Schwierigkeiten hat.
          Unsere Hypotheken sind Schuldbriefe, nicht Gülten wie in den USA!
          Die Schweiz hat nie andere gesetzliche Mittel als den Kredit für die Erstellung des privaten Wohneigentums benützt, wie andere Länder in Europa.

    • Rolf Zach sagt:

      Macht der Bund Defizit? Nein, bisher nicht. Die SVP und mit ihr im Schlepptau die FDP wollen die AHV zerstören. Deswegen haben sie ständig das Argument der schwarzen Null. So braucht der Bund kein Geld mehr und die Nachfrage nach solchen Papieren wird nicht befriedigt. Resultat: Negativzins und der intelligente Investor stellt fest, dass eine Anlage in Schweizer Bundesobligationen lukrativer ist als Gold.
      Der Goldpreis sinkt in Sfr., der € wird ständig abgewertet und nächstes Jahr hat man ein besseres Kissen mit SFr. als Gold gegen die 1200 Mrd. $ Defizit im Bundeshaushalt von Mr. Trump (6 % des US-GDP).

  • Fabian Seifert sagt:

    Der Artikel ist absolut irreführend. Die SNB veröffentlicht einzig bedingte(!) Inflationsprognosen. Das sind Prognosen unter der Annahme eines unveränderten Zinsniveaus.
    Das Inflationszielband der SNB liegt bei 0%-2%. Würde sich die Teuerung tatsächlich in Richtung 2% bewegen, hätte dies Einfluss auf die Zinspolitik der SNB. Die Zinsen würden steigen und die Inflationsdynamik gebremst, was aber nicht hiesse, dass die Prognose „falsch“ war.
    Von falschen Prognosen zu sprechen macht ohnehin wenig Sinn, da ja bloss der Erwartungswert der Inflation prognostiziert wird. Die tatsächliche Inflation ist stochastisch und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eben nicht ihrem Erwartungswert entsprechen.

    • A. Koch sagt:

      Für das Fussvolk sind diese Inflatinszahlen eh ein Hohn und ein Schlag ins Gesicht (Stichworte wie CH-Immobilionenblase/-preise oder Krankenkassenprämien) denn die reelle Inflation ist natürlich viel höher als angegeben. Der immense Schuldenberg aller (Privater, Unternehmungen, Banken, SNB !!!, Gemeinden, Kantone, Bund) IST die Inflation – da auf der andern Seite der Schuld immer entsprechende CHF kreiert werden, die dann ein neues Heim suchen. Das ganze Schuldengeld-Gebilde ist nicht nachhaltig und der Artikel von da her für mich absolut sinnlos; Zinsen müssten mindestes 5% sein und mit ihrer Negativzinspolitik hat die SNB zudem die Altersvorsorgeinstitutionen nachhaltig auf dem Altar der Hochfinanzen geopfert – Kapitalbesitzer und Schuldner finden’s toll, die Sparer wurden geprellt…

      • Anh Toan sagt:

        Die reelle Inflation ist wahrscheinlich tiefer als angegeben. Weil Verbesserungen der Produkte zu wenig einfliesst. KK ist Mehrkonsum, Wohnkosten sind im Konsumentenpreisindex enthalten. Picassos kauft man ja nicht alle Tage.

        • A. Koch sagt:

          Ich bleib dabei – die Grösse des Schuldenbergs IST die Inflation. Und falls KK „Mehrkonsum“ sein sollte (von mir aus gesehen widerspiegelt dies eben auch die Inflation und hohen Preise im Gesundheitswesen), so ist dies parasitieren weniger an den Gesunden (mir), die nichts als buttern buttern buttern. Jedes Jahr 5% mehr – meine andern Kosten sinken nicht um 5% (!!!), nie und nimmer. Aber es ist wie’s ist und der monetäre Krug geht zum Wasser bis er bricht – da sind wir wohl beide einverstanden 😉

          • Anh Toan sagt:

            Was soll der Krug anderes tun, als zum Brunnen gehen bis er bricht?

          • Rolf Zach sagt:

            Zwischen Frankreich und England war im 18. Jahrhundert ständig Krieg und Weltmacht wurde England und nicht Frankreich.
            Warum? England hat sich enorm verschuldet, mehr als Frankreich. England hat aber gewusst, wie man sich intelligent verschuldet. Die Qualität des Eingehen von Schulden ist bedeutsam und nicht immer das Volumen.
            Alle sagen Japan ist Bankrott, aber ich habe noch niemanden angetroffen der Yen Banknoten zurückgewiesen hat. Übrigens die Inflation ist gegenwärtig bei 0.7 %.

          • Hans Hödli sagt:

            Zach: Japan ist immer noch der grösste Gläubiger der Welt. Somit kann Japan erst bankrott machen wenn der Rest der Welt bankrott ist.

          • Rolf Zach sagt:

            Hans Hödli, Natürlich haben Sie recht, aber Sie müssen meinen Zynismus entschuldigen!

    • Leo Klaus sagt:

      absolut richtig! Dieser Artikel ist total irrefuehrend…

  • Zufferey Marcel sagt:

    Man kann nur hoffen, dass uns in nächster Zeit keine rezessive Phase droht: Das Pulver der SNB ist nämlich verschossen, weil die EZB ihres auch schon lange verschossen hat, item: Solange sich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes nicht erhöht, werden wir in Europa ohnehin keine Inflation von (weit) über 2,5 bis 3% sehen. Zudem hängt über allem das Trump‘sche Damoklesschwert, was verlässliche Prognosen sowieso langsam fast unmöglich macht. Eine insgesamt recht unangenehme Situation.

    • Hans Hödli sagt:

      Allerdings. Apropos Trump siehe dazu das brillante Interview von Varoufakis ca. ab min. 27
      https://www.youtube.com/watch?v=HDGGFodQxc8

      • Rolf Zach sagt:

        Wir Europäer können ja in den $ investieren, bis uns die Ohren wackeln. Da Trump und seine Leute finden, die Besteuerung der Reichen in den USA sei ein Verbrechen am amerikanischen Traum und für die Wirtschaft schädlich, wird sich zwangsläufig ein riesiges US-Budgetdefizit ergeben, dass sich in den nächsten Jahren auf mehr als 5 % des US-Volkseinkommens bewegt. Und wie wird es finanziert?
        Die US Reichen kaufen in der Welt Gadgets, keine
        $ Anleihen. Dagegen muss sich unsere SNB möglichst anti-europäisch bewegen. Je mehr desto besser!
        Wir Schweizer lieben dies inständig, wenn wir an die Schweiz denken, denken wir an Bora-Bora, und dies liegt ja bekanntlich im Pazifik, wo sich ja auch die Schweiz befindet.
        Kauf $, liebe Leute, das hat Zukunft!

  • Marcel Senn sagt:

    Hödli: Die Fairpreisinitiative die vermutlich 2019 oder 2020 vors Volk kommt könnte auch den einen oder anderen Dämpfer auf die Inflation hierzulande haben

    • Rolf Zach sagt:

      Bösartiger politischer Kommentar zur allfälligen Annahme der Fairpreisinitiative.
      Wir müssen halt dann in den sauren Apfel beißen und unsere beiden Parteien in der Mehrheit, nämlich die SVP und die FDP staatlich subventionieren, denn die Import-Monopolisten sind sauer und werden ihnen nicht mehr reichlich Geld geben!

  • Hans Hödli sagt:

    Vergrössert sich die Inflationsdifferenz zum Euroraum muss die SNB sowieso den Zins wieder senken, denn man will ja einen faktisch fixen Wechselkurs zum Euro, jedenfalls zumindest mit enger Bandbreite. Eine unabhängige Geldpolitik ist aber ausgeschlossen bei gleichzeitig freiem Kapitalverkehr und fixem Wechselkurs. Folglich sind irgendwelche mittelfristigen Inflationsprognosen für die Füchse.

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