Italiens leere Steuerversprechen

Unterstützer von Lega-Chef Matteo Salvini an einer Wahlveranstaltung im Februar 2018. Foto: Reuters

Italiens Politiker werden nicht müde, den Wählern Steuergeschenke zu versprechen. Eine Einkommenssteuerreform, tiefere Steuersätze, eine «Flat Tax» oder grosszügigere Befreiungen für geringe Einkommen. In einem Land, dessen Bürger überdurchschnittlich viel Steuern zahlen, ist diese Taktik verständlich. Die durchschnittliche Steuerbelastung beläuft sich auf 43% des Bruttoinlandprodukts. Zum Vergleich: Die Schweiz bringt es auf 28%.

Aber Lega, Forza Italia, Fünf Sterne & Co. betreiben nur Augenwischerei. Denn in den kommenden Jahren geht es nicht darum, die Steuersätze zu senken. Vielmehr müssen alle Anstrengungen unternommen werden, damit die Steuern nicht noch höher steigen.

Der Grund ist eine Klausel im Haushaltsgesetz, die Rom seit Jahren vor sich herschiebt: Werden die Einsparungen im Budget nicht eingehalten, wird die Mehrwertsteuer erhöht. Diese sogenannte Schutzklausel sieht vor, dass der MwSt.-Satz 2019 von 22% auf 24,2% steigt, 2020 auf 24,9% und 2021 auf 25%! Der reduzierte MwSt.-Satz – derzeit 10% – klettert entsprechend auf 11,5% und 2020 auf 13%.

Wie ein Damoklesschwert

Um diese Erhöhungen zu vermeiden, muss die neue Regierung für 2019 Ausgabensenkungen respektive Einnahmenerhöhungen im Wert von 12,5 Mrd. € beschliessen. Im darauffolgenden Jahr muss sie zusätzliche 19 Mrd. € einsparen. Steuersenkungen liegen in diesem Szenario also nicht drin.

Der bevorstehende Anstieg der indirekten Steuern hängt wie ein Damoklesschwert über der wirtschaftlichen Zukunft des Landes. Die Konjunktur erholt sich, ist aber fragil. Eine MwSt.-Erhöhung würde die Privathaushalte ihrer minimalen Einkommensgewinne wieder berauben. Sie würde den Konsum belasten und die Wachstumsaussichten dämpfen. Das magere Wirtschaftswachstum von 1,2%, das die EU-Kommission für Italien 2019 prognostiziert, geht von einer unveränderten Mehrwertsteuer aus. Die Erwartungen müssten dann beträchtlich nach unten korrigiert werden. Der Aufschwung könnte enden, bevor er richtig in Gang gekommen ist.

Wo sollen die zusätzlichen Mittel herkommen, um die Mehrwertsteuerkeule zu vermeiden? Einen Beitrag kann die Konjunktur leisten. Italiens Bruttoinlandprodukt wächst wieder, worauf das Steueraufkommen automatisch zunimmt. Im ersten Quartal erhöhte es sich um 2,6 Mrd. €. Aber das dürfte kaum ausreichen, um die Lücke zu füllen. Zumal im Haushaltsgesetz eine Konjunkturerholung bereits einkalkuliert wurde.

Schutzklausel vs. Bruch mit Europa

Konkrete Vorschläge haben die beiden bisherigen Premierkandidaten in spe nie vorgelegt. Luigi Di Maio von der Fünf-Stern-Protestbewegung und Lega-Chef Matteo Salvini, die nun eine Koalitionsregierung bilden werden, schiessen dagegen lieber gegen Brüssel. Beide erklären unabhängig voneinander, dass sie sich dafür einsetzen würden, mit der EU einen Kompromiss auszuhandeln oder die Klausel gleich ganz auszuhebeln.

Das dürfte aber nicht so leicht möglich sein. Die Schutzklausel ist eine Garantieerklärung Italiens gegenüber der EU aus den dunkelsten Stunden der Eurokrise. Als im Jahr 2011 die internationalen Gläubiger ihr Vertrauen in die Politik der Berlusconi-Regierung zu verlieren begannen, sicherte der umstrittene Premier Steuererhöhungen für den Fall zu, dass Ausgabenkürzungen im Umfang von 20 Mrd. € nicht bis September 2012 realisiert würden. Berlusconi stürzte kurz darauf. Sein Nachfolger Monti erbte die Klausel, ebenso die darauffolgenden Regierungen. Trotz technischer Anpassungen ist sie im Kern bestehen geblieben.

Sie abzuschaffen, wäre ein Bruch mit Europa. Die alte Furcht vor den unsoliden Finanzen des grössten staatlichen Schuldners in der Eurowährungsunion würde wieder hochschwappen. Und mit ihr der Risikoaufschlag italienischer Staatsanleihen: Mit momentan 1,35 Prozentpunkten (zehnjährige BTP gegenüber deutschen Bundesanleihen) fällt er immer noch erstaunlich gering aus.

12 Kommentare zu «Italiens leere Steuerversprechen»

  • albert kugler sagt:

    Durchschnittliche Steuerbelastung der Schweiz 28%? Wenn Sie die Krankenkassenprämien dazurechnen (die Italien nicht hat) sind auch wir durchaus vergleichbar mit Italien bei 43% eines durchschnittlichen Haushalts. Die 43% brutto in Italien schliessen alles ein, bei uns sind wir dann erst am netto Anfang, da die versteckten und zusätzlich verrechneten Gebühren und Steuern erst noch dazu gerechnet werden müssen.

    • Monique Schweizer sagt:

      Kugler: Durchschnittliche Steuerbelastung von 28% ist einfach eine völlige Habakukzahl in der spezifischen Betrachtung.
      In Genf zahlt eine Familie mit 2 Kinder bis zu einem steuerbaren Einkommen bis 77’000 gerade mal 0%!
      Andererseits müssen die Aermsten im Steuerschmarozterkanton Schwyz schon Steuern bezahlen, wenn sie nicht mal das Existenzminimum erreichen, damit man die Reichen und Superreichen etwas entlasten kann.
      Das Prämienvolumen der Krankenkassen beträgt übrigens nur 28 Mrd, das sind rund 6-7% der Bruttolohneinkommen in der CH und nicht 15%!
      Und waren Sie schon mal in einem italienischen Spital? Da gibts auch noch ein paar Qualitätsunterschiede.
      Aber wenn es Ihnen Spass macht, bemitleiden Sie sich doch von mir aus noch etwas mehr selber, Sie „Steuervogtopfer“!

      • Rolf Zach sagt:

        Natürlich sind Ihre Aussagen völlig korrekt, Frau Schweizer, aber Herr Kugler hat schon recht, wenn er ergänzen würde, dass die Italiener ihre staatliche Infrastruktur und ihren Sozialstaat so führen und verwalten sollten wie die Niederlande, dann gebe es diesen Artikel über Italien überhaupt nicht und das System ist in der Idee wohl besser als unser System.
        Ich bin seit den 90er Jahren ein überzeugter Befürworter des Euro, wenn ich aber an Italien denke, beschleichen mich Zweifel. Italien ist im Gegensatz zu Griechenland und sogar Frankreich
        von der Produktion her stärker als diese, aber nein es wird alles zu Nichte gemacht, mit ihrer staatlichen Undiszipliniertheit und ihren Mafia-Strukturen, die mehr als vor 20 Jahren wieder stark im Vormarsch sind, vor allem in Oberitalien.

        • Monique Schweizer sagt:

          Zach: Die grösste Stärke Italiens ist vermutlich die tiefe Verschuldung der privaten Haushalte mit nur 41.2%, während diese in der Niederlande 106% des BIP betragen.
          So kann man es doch eine rechte Weile ganz gut bei Spaghetti, Vino Rosso und Pizza im „Hotel Mamma“ aushalten wie das viele Italiener bis 45 Jahre praktizieren, ohne von der Bank auf die Strasse gestellt zu werden!

          • Anh Toàn sagt:

            Ich kam gerade von Tunesien zurück, wurde im Hafen auf Sizilien zu einer Geburtstagsfeier eingeladen: Es gab Fisch vom Grill, Brot, Tomaten, Zwiebeln, Olivenöl frisch gepresst, Wein. Kosten pro Person vielleicht 2 EUR, Mehrwertsteuern wurden allenfalls auf die Servietten und das nach dem Essen irgendwann notwendige Klopapier bezahlt.

          • Monique Schweizer sagt:

            Anh: „Er ist wieder da!“ – seit dem Richterspruch von letzter Woche!
            Vielleicht holt ja Silvio Berlusconi, der ungekrönte König der Steueroptimierer, bald mal noch seinen „Quinta Stella“ – seinen 5. Stern (wie im Fussball) resp. seine 5. Amtszeit, wenn es doch noch zu Neuwahlen kommen sollte.
            .
            So jugendlich frisch wie er inzwischen mumifiziert ist, hat er vielleicht sogar nochmals eine Chance – in Italien ist vieles möglich. Trump und Berlusconi – die beiden würden sich vermutlich gut verstehen miteinander – sicher um Welten besser als Trump und La Merkel!

  • Hans Hödli sagt:

    Schweden und Dänemark haben noch höhere Belastungen, zB MWST 25%, das wäre also nichts besonderes auch für Italien. Bei der tiefen CH Fiskalquote sind sodann allerdings nicht alle Zwangsabgaben enthalten. Und solange Italien Handelsüberschüsse macht spielen Haushaltsdefizite gar keine Rolle.

    • Rolf Zach sagt:

      In Schweden und Dänemark genießen die Bürger eine hohe Qualität der staatlichen Dienstleistungen, was leider in Italien nicht der Fall ist. Ich wage zu behaupten, die Qualität der staatlichen italienischen Dienstleistungen sind noch schlechter als die der Griechen und das will etwas heißen.
      Ein Beispiel, Griechenland war fähig, die sehr wichtige Rio-Andirrio-Brücke über den Golf von Korinth zu bauen. Italien diskutiert seit Jahrzehnten von einer solchen Brücke über die Strasse von Messina. Kurzsichtige Mafia-Interessen verhindern dies, obwohl Sizilien es brauchen würde und die Italiener führend im Export von Bau-Dienstleistungen sind.

  • Anh Toàn sagt:

    „In einem Land, dessen Bürger überdurchschnittlich viel Steuern zahlen, ist diese Taktik verständlich.“

    Richtig wäre der Satz so: „In einem Land, dessen Gesetze vorschreiben, dass die Bürger überdurchschnittlich viel Steuern zahlen müssten, werden kaum Steuern bezahlt“.

    • Anton Schneier sagt:

      Treffend formuliert. Der „gemeine“ unter der hohen Steuerlast ächzende Italiener betreibt aktiv Steuervermeidung. In Italien sind Geschäfte ohne Belege keine Seltenheit – selbst als Tourist kriegt man nicht selten Angebote. Hohe Steuern wären zu ertragen, wenn wenigstens auch Nutzen für die Italiener ersichtlich und spürbar wären. Dies ist leider nicht der Fall und nur den Beamten und Politikern geht es grossartig. In Brüssel zB sind noch immer die bestbezahlten Beamten Italiener.
      Italien – ein wunderschönes Land, ein Land mit Kultur und vielen Bereichen, in den das Land führend ist – es kriegt es wegen der Politik und Korruption nicht auf die Reihen. So schade, denn ein herrliches Land mit freundlichen Leuten.

    • albert kugler sagt:

      Genau! Über 1/4 der unterschlagenen MWst in der EU geht auf Kosten Italiens. Im letzten Jahr alleine hat Italien 19 Billionen Euro an hinterzogener MWst eingetrieben. Durchschnittlich fehlt in der Staatskasse jährlich 18% der Bruttosozialprodukts an Steuern. Kein Wunder das die Infrastruktur vielfach auf dem letzten Zahn läuft.

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