Gewinner und Verlierer der tiefen Zinsen

Zu den Gewinnern gehört, wer sein Geld in Immobilien investiert hat: Musterhaus bei Nürnberg. Foto: iStock

Negativzinsen treffen auf wenig Gegenliebe. Die Banken klagen, dass sie sie viel Geld kosten. Ökonomen kritisieren, dass sie negative Anreize schaffen und Staaten genauso wie Private dazu verleiten, zu viele Schulden zu machen. Und der Durchschnittsbürger sorgt sich, dass er am Ende die Zeche zahlt: Denn seine Ersparnisse werfen keine Rendite mehr ab.

Diese letzte Kritik ist vor allem in Deutschland zu hören. Das erstaunt nicht. Deutschland ist der klassische Netto-Gläubiger. Die Privathaushalte, die Unternehmen und der Staat sparen dort mehr als sie sich verschulden. Der negative Effekt extrem tiefer Zinsen für die Ersparnisse ist somit grösser als der positive Effekt, dass Kredite günstig werden.

Der Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts IWH in Halle, im deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt, wendet sich nun gegen diesen weitverbreiteten Vorwurf. Er sei plausibel, aber falsch, erklärt Reint Gropp in einem interessanten Vortrag, den er kürzlich am Münchner Ifo-Institut hielt. 

Schuldner profitieren mehr

Sein erstes Argument: Damit der Vorwurf aufgehe, müssten Spar- und Kreditzinsen gleich viel und gleich schnell sinken. Das sei in der Praxis aber nicht der Fall. Notenbanken kontrollieren zwar die Refinanzierungskosten der Banken, aber wie viel dann bei den Konsumenten via Kredit- oder Sparzinssenkungen ankomme, bleibe den Banken überlassen. Tatsächlich fallen die Kreditzinsen stärker, da kaum ein Institut sich traut, seinen Kunden Minuszinsen auf Einlagen zu berechnen.

Gropp belegt dies anhand eines einfachen Beispiels.

Angenommen, das Sparguthaben einer Familie beläuft sich auf 100’000 Euro, und die Schulden auf 70’000 Euro.

Die deutschen Einlagezinsen betrugen von 2001 bis 2009 durchschnittlich 2 Prozent und fielen ab 2010 auf 0 Prozent.

Die Kreditzinsen sanken im gleichen Zeitraum von 8 Prozent auf 5 Prozent.

Dann nehmen die Zinserträge von 2000 auf 0 Euro ab. Die Sparer büssen also 2000 Euro ein, bei 100’000 Euro Ausgangskapital. Die Kreditkosten rutschen gleichzeitig von 5600 Euro auf 3500 Euro. Sie verringern sich also um 2100 Euro bei 70’000 Euro Schulden

Deutsche Vermögen steigen um 345 Milliarden Euro

Das IWH kommt zudem anhand einer Modellrechnung zu dem Ergebnis, dass deutsche Privathaushalte als Folge der Tiefzinspolitik der Europäischen Zentralbank gar kein Geld verloren haben. Im Gegenteil: Ihr Sparvermögen hat in den untersuchten fünf Jahren um insgesamt 345 Milliarden Euro zugenommen. Deutsche Privathaushalte hatten also 2014 mehr auf der hohen Kante als vor der Tiefzinsphase, die 2010 begann.

Das ist dem Anstieg der Aktienkurse und Immobilienpreise zu verdanken, während Bankeinlagen, Sparhefte und ähnliches als Folge der Nullzinsen tatsächlich nur stagnierten. Besser situierte Haushalte profitierten überdurchschnittlich, weil sie mehr Immobilien und Aktien besitzen. Ihre Vermögen erhöhten sich im Jahrfünft 2010 bis 2014 um durchschnittlich 13,1 Prozent (35’000 Euro). Niedrige Einkommensgruppen hinkten mit 11,9 Prozent (4500 Euro) nur wenig hinterher. Die Ergebnisse der IWH-Analyse sind in der Folie zusammengefasst, die Gropp während des Vortrags auflegte.

Quelle: Reint Gropp, Münchner Seminar, 22.1.2018

Verblüffend ist, wie sehr das Ergebnis davon abhängt, ob jemand Immobilien besitzt oder nicht. Denn für Mieter sieht die Bilanz ganz anders aus: Ihre Vermögen nahm in der Tiefzinsphase weniger zu als im Jahrfünft davor. Und der Unterschied zwischen tiefen und hohen Einkommensgruppen ist eklatant.  Mieter mit geringem Finanzvermögen erzielten nur eine halb so hohe nominale Rendite (kumuliert 4,5 Prozent über fünf Jahre) als Mieter mit höherem Vermögen (10,1 Prozent). Zieht man davon die Inflation ab, verloren Erstere real sogar Geld. Wenn auch nur wenig: im Schnitt 220 Euro von 2010 bis 2014.

Dass die Erträge von Haushalten, die keine Immobilie besitzen, in der Tiefzinsphase so mager ausfallen, erklärt Gropp damit, dass sie in der Regel auch nur sehr wenige Aktien besitzen.

Sein Resümee: Die EZB ist der falsche Sündenbock. Die Deutschen sollten nicht die extreme Geldpolitik für die niedrigen Sparerträge der letzten Jahre verantwortlich machen, sondern die Art und Weise, wie sie ihre eigenen Guthaben anlegen. Er rät dazu, mehr zu diversifizieren und Aktien zu kaufen.

21 Kommentare zu «Gewinner und Verlierer der tiefen Zinsen»

  • Fritz Rammstein sagt:

    Die Rechnung über Gewinner und Verlierer ist noch lange nicht fertig. Als nächstes erwartet uns eine Inflation mit neuen Dimensionen. Dann wird sich weisen was die Geldschwemme der EZB gebracht hat.

  • Kölbi sagt:

    Nebst all der ganzen Diskussion, erfreue ich mich an dem Foto mit dem „strahlenden Bauobjekt“ von SchwörerHaus.

  • Patrice Bozzi sagt:

    Die Nullzinspolitik der EZB ist genau der Grund, warum „die Reichen immer reicher werden“. Diese Notenbank ist in der Geiselhaft der EU. Die „Reichen“ müssen gar nichts tun, damit ihre Aktien- und Immobilienportefeuilles nur eine Richtung kennen. Wenn jetzt von der Polit- und Wirtschaftselite die Kleinsparer zum Aktienkauf animiert werden, ist das durchaus im Interesse der Superreichen. Diese können den Crash, der irgendwann kommen muss, locker wegstecken, während die Kleinen auf der Strecke bleiben. Aber schuld sind dann laut den Linken wieder die phöösen Banken. Die EZB-Politik ist absolut verheerend. Die Zinsen müssten längst erhöht werden wie in den USA. Aber man will die Pleite der verschuldeten EU-Staaten auf morgen verschieben, und das machts nur schlimmer.

  • max meier sagt:

    Wer Aktien und Immobilien hat verdient Geld auch langfristig. Wer das nicht hat verdient kein Geld. Für das muss man nicht Akademiker sein. Gesunder Menschenverstand genügt.

  • Copilot sagt:

    Das Problem ist doch, dass durch die Negativzinspolitik die Währungen massiv inflationiert wurden. Gemäss dem Cantillon Effekt trifft es dann zuerst die Vermögenswerte, Aktien und Realestate. Wer also nicht bereits vor Beginn der Tiefzinsphase eingestiegen ist, verliert.

  • Hans Liant sagt:

    Warum sollten bestehende Schulden feste Zinssätze haben? Man kann auch einen negtiven Saldo auf einem Bankkonto oder Kreditkartenschulden haben. Dort sind die Zinssätez nicht fest. Selbst wenn man Steuerschulden hat, passen die Steuerbehörden den Zinsatz periodisch an (das selbe gilt für Kleinkredite). Abgesehen von Hypotheken kenne ich keine Schuldenart welche feste und planbare Zinssätze (innerhalb der Laufzeit) hat.

  • Hans Hödli sagt:

    Zuerst einmal ist festzuhalten dass die südeuropäischen Haushalte vielfach reicher sind als die deutschen. In D wird unsere 2. Säule kopiert über freiwilliges Versicherungssparen sodass auch die Deutschen ihren Aktienanteil bekommen. Gerade konnte man lesen dass die PK’s in der CH 8% performt haben (5 Jahresdurchschnitt 5,5%), Tiefstzinsen sei Dank.

    Das ist ja schliesslich ein uralter Hut, dass bei drastisch sinkendem Realzins Grundstückspreise, Bodenrente und Aktien sowie Dividenden in die Höhe schiessen, natürlich erkauft durch hohe Schuldenstände. Das Gejammer über Tiefstzinsen ist lachhaft, die Japaner beweisen seit bald 30 Jahren dass man damit hervorragend leben kann.

    • Monique Schweizer sagt:

      Na ja bei einer Staatsverschuldung von 240% bleibt den Japanern auch nicht mehr viel anderes übrig als Tiefstzinsen, zumal sie als Devisenland die Schulden bei ihrer Heimbevölkerung in Yen aufnehmen können.
      Allerdings musste die BOJ Ihre Assets seit 2007 von 1 Billion $ auf aktuell 4.6 Bio $ mit jap. Staatsanleihen in etwa ähnlich stark wie die EZB aufblähen.
      Gut Japan hat mit netto rund positiven 3 Bio $ nach wie vor die weitaus stärkste Net International Investment Position der Welt was ein beruhigendes Assetpolster darstellt im Gegensatz zu den USA die mittlerweile bei der NIIP von minus 8 Bio $ rekordhoch in den Miesen sind.

  • Alain Surlemur sagt:

    Das Beispiel hinkt. Welche reale Familie hat 100.000.– auf dem Sparbuch und gleichzeitig 70.000.– Schulden? Auch wenn: Bestehende Schulden haben in der Regel feste Zinssätze sodass der Guthabenzins tatsächlich, wie berechnet, auf 0 gesunken wäre, der Schuldzins aber bei 5.600.– verbliebe. Wäre in der entsprechenden Zeitperiode tatsächlich eine Schuld fällig geworden hätte sich in diese Konstellation eine vollständige oder zumindest teilweise Rückzahlung angeboten. ( Ergebnis: Sparzins 0.– auf 30.000.–, Schuldzins 0.– auf 0.–). Herr Gropp geht aber davon aus dass die Musterfamile alte Schulden durch neue abgelöst hat.

    Wie sagte Churchill so treffend: Traue keiner Statistik die du nicht selber gefälscht hast.

    • lukas sagt:

      Ihr Beispiel hinkt ebenfalls: man kann ja nicht davon ausgehen, dass sich alle Teilnehmer finanziell dermassen blöd verhalten.

      p.s. das zitat stammt übrigens nicht von churchill.

      • Alain Surlemur sagt:

        Was bitte ist an meiner Aussage dass sich eine Rückzahlung der Schulden anbietet blöd? Ich lasse mich gerne belehren wenn Sie mir einen guten Grund geben können warum es klug ist gleichzeitig teure Schulden und unverzinstes Vermögen zu haben….

        • Michael Stöcker sagt:

          Für Schweizer Bürger ist dies durchaus sinnvoll: https://www.hausinfo.ch/de/home/finanzen-steuern/steuern/wohneigentums-besteuerung.html

          LG Michael Stöcker

          • Urs Forster sagt:

            Lieber Herr Stöcker, ich bin gerade erschrocken, dass bei der Homepage von Hausinfo so ein Schmarren steht. Als Wohneigentümer in der Schweiz gilt der Eigenmietwert unabhängig ob man Schulden hat. Auch muss man den direkten jährlichen Geldfluss betrachten. Mittels Schuldzinsenabzug bezahlen Sie zwar weniger Steuern, zahlen jedoch an die Bank oder Versicherung die Zinsen. Bei CHF 100 weniger Schuldzinsen bezahlt man jedoch nicht über CHF 100 mehr Steuern, sondern nur etwa CHF 25-35, je nach Kanton und Progression mehr Steuern. Somit spart man logischerweise zwischen CHF 65-75 pro CHF 100 nicht bezahlter Schuldzinsen. Wenn Sie CHF 300 weniger Schuldzinsen bezahlen, könne Sie mit Ihrer Frau toll Nacht essen und haben immer noch gleich viel Geld im Portemonnaie.

        • Anh Toàn sagt:

          Die Mehrheit der Schweizer Eigenheimbesitzer hat Altersguthaben in der PK und Hyposchulden bei der Bank.

          Die Hyposchulden kosten z.B. bei kurzfristiger Liborhypo WENIGER Zinsen, als die Altersguthaben in der PK Zinsen bringen.

          Also ihre Voraussetzungen (teure Schulden, schlechte Verzinsung von Guthaben) ist schlicht nicht wahr. Wäre es so, wie Sie behaupten, wäre Ihr Schluss richtig, immerhin.

          • Alain Surlemur sagt:

            Hallo Anh Toàn.

            Bitte Lesen sie den Text. Es ist ausdrücklich von „Sparguthaben“ mit einem Zins von Null die Rede. Und auch Ihre Liborhypothek wird mehr als Null Zinsen kosten.

          • Anh Toàn sagt:

            Auch Sparguthaben haben die meisten Haushalte: Erstens mal für unerwartete grösse Ausgaben, neues Auto, Renovationen am Eigenheim. Für alles zur Bank zu rennen und die Hypo zu erhöhen, mögen die Banken nicht. Dann haben die meisten Sparkonten für ihre Kinder. Manche haben auch Festhypos in Tranchen und „sparen“ auf die Amortisation einer auslaufenden Tranche hin. Dann haben die Eigentumswohnungsbesitzer Sparguthabenanteile an Renovationfonds.

        • Anh Toàn sagt:

          „Wäre in der entsprechenden Zeitperiode tatsächlich eine Schuld fällig geworden ..“

          ja dann wäre eben der feste Zinssatz, den Sie als Argument verwenden, darauf ausgelaufen und man kann, statt zu amortisieren, auch bis auf 10 Jahre fest weniger Hypozinsen zahlen als die Altersguthaben im BVG verzinst werden.

          • Alain Surlemur sagt:

            Gleiche Antwort wie oben. Es geht nicht um PK-Gelder sondern Sparguthaben mit Verzinsung null

          • Urs Forster sagt:

            @Anh Toàn: Sie haben die Problematik nicht ganz verstanden. BVG-Guthaben ist nie sinnvoll um Hypotheken zu amortisieren. Aber Schulden amortisieren als Hauseigentümer lohnt sich immer, unabhängig ob die Sparzinsen 0% oder 5% betragen.

          • Anh Toàn sagt:

            @Urs Foster

            „nie“, „immer“

            echt jetzt?

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