Neuer Wachstumsoptimismus

Die Weltwirtschaft nimmt Fahrt auf: Arbeit an einem Schiffspropeller in der Mecklenburger Metallguss-Werkstatt. (Keystone)
Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass das Produktivitätswachstum in den USA seit Jahren systematisch unterschätzt wird. Das Ergebnis hat weitreichende Folgen für die aktuelle ökonomische Debatte und den wirtschaftlichen Ausblick.
Die Untersuchung schliesst an eine Überprüfung aus den Neunzigerjahren an, die damals weltweit für Aufregung sorgte. Seinerzeit fand die Boskin Commission in den USA Ungereimtheiten in der Methodik, wie die Inflation gemessen wird. Sie kam zum Schluss, dass 1995/96 die Teuerung der Konsumentenpreise um 1,1 Prozentpunkte überschätzt wurde, weil Qualitätsverbesserungen von Produkten, die im Warenkorb ersetzt wurden, unbeachtet blieben. Rund um den Globus passten die Statistikämter in den folgenden Jahren ihre Inflationskalkulationen entsprechend an.
Nun rechnen fünf Ökonomen aus San Francisco, Paris, London und Stockholm nach, dass die Anpassungen der Statistiker immer noch nicht weit genug gehen (hier). Auch heute noch wird die Teuerung überschätzt. Das hat zur Folge, dass die US-Wirtschaft real (also das nominale Wachstum minus die Teuerung) kräftiger wächst, als die Statistik ausweist. Die Produktivität ist grösser als ausgewiesen: um bis zu 1 Prozentpunkt pro Jahr.
Die schöpferische Zerstörung
Jeden Monat fallen 3 Prozent der Güter und Dienstleistungen im Warenkorb, auf dem der US-Konsumentenpreisindex basiert, aus dem Markt heraus. Produkte sind veraltet und werden durch neue ersetzt. Unternehmen schliessen, weil die Konkurrenz wettbewerbsfähiger ist. Dieser ständige Wandel ist ein zentraler Wachstumsmotor jeder Markwirtschaft und ermöglicht den technischen Fortschritt. Der österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter (1883–1950) bezeichnete ihn als schöpferische Zerstörung.
Scheidet ein Anbieter aus, wird der Preis des nun von anderen Herstellern produzierten Produkts, der nicht an der statistischen Umfrage teilnimmt, geschätzt. Die US-Statistikbehörde ermittelt den Durchschnittspreis der restlichen Anbieter oder einer vergleichbaren Produktkategorie. Dabei wird übersehen, dass die durch einen neuen Anbieter produzierten Produkte in der Regel günstiger sind als vorher. In der Statistik geht somit der reale Wachstumsimpuls dieser schöpferischen Zerstörung verloren. Die Autoren der Studie bezeichnen ihn als das «verlorene Wachstum»: die Differenz zwischen dem tatsächlichen und dem gemessenen Produktivitätswachstum.
Je nach Berechnungsmethode entgehen der amerikanischen Statistik pro Jahr zwischen 0,5 und 1 Prozentpunkt Wachstum. Und das seit dreissig Jahren.
Die Ergebnisse widerlegen einen Grossteil der Debatte über das abnehmende Produktivitätswachstum in den Industrieländern. Sie wird von der OECD vorangetrieben, die seit Jahren nach Gründen der von ihr gemessenen Produktivitätsverlangsamung forscht.

Was wäre, wenn das Phänomen in Wahrheit viel weniger ausgeprägt wäre?
Die Untersuchung legt das nahe. Denn im vergangenen Jahrzehnt hat das «verlorene Wachstum» an Bedeutung gewonnen. Also genau in jener Zeit, in der internationale Statistiken einen immer langsameren Produktivitätsfortschritt feststellten, Ökonomen von einem Rätsel sprachen und nach Ursachen suchten. Immerhin handelt es sich um einen Zeitraum, in dem es nicht an bahnbrechenden Neuerungen des Produktionsprozesses mangelte und tiefe Zinsen Investitionen so günstig machten wie nie zuvor.
Ist die säkulare Stagnation schon vorüber?
Die Ergebnisse widersprechen auch der Annahme, dass sich die Weltwirtschaft in einer strukturell bedingten Phase geringen Wachstums befindet: einer säkularen Stagnation. Harvard-Professor Lawrence Summers hat sie vor einigen Jahren vorgebracht. Er erklärt seither anschaulich, dass angesichts weltweiter Angebotsüberkapazitäten und geschrumpfter Investitionsrenditen die seit 2010 sichtbare wirtschaftliche Stagnation noch lange andauern wird.
Dass Summers’ weltweit diskutierte These empirisch nicht voll zu überzeugen vermag, wurde dieser Tage noch von anderer Seite nachgewiesen. Ausgerechnet von US-Starökonom Olivier Blanchard, der dem «Summers Camp» der Wachstumspessimisten zuzurechnen ist. Er weist in einer empirischen Untersuchung nach, dass nicht so sehr strukturelle Schwächen, wie ein überschuldeter Finanzsektor, dem Wirtschaftswachstum schaden, sondern vor allem die verloren gegangene Zuversicht in die Zukunft.
Konkret schaut er auf die nach unten revidierten Prognosen über das Potenzialwachstum von Ländern. Sie führen dazu, dass die Wirtschaftsakteure ihre Nachfrage zurückfahren. Das ist ein intuitiv simpler Gedankengang, welcher wissenschaftlich bislang jedoch schwer zu beweisen war. Blanchard rechnet nun nach, dass die fortwährenden Abwärtskorrekturen der Vorhersagen für das US-Produktivitätswachstum die Nachfrage seit 2012 um 0,6 bis 1,2 Prozent pro Jahr drosselten (hier).
Nun steht also auch wissenschaftlich fest: Jeder Abschwung beginnt im Kopf – und ebenso jeder Aufschwung.
Mehr Zuversicht, mehr Wirtschaftswachstum
Es mag Zufall sein oder nicht, aber die neuen Erkenntnisse gegen die jahrelang diagnostizierte Wachstumsflaute tauchen ausgerechnet jetzt auf, während die Weltwirtschaft an Fahrt gewinnt. Die meisten Konjunkturindikatoren verbessern sich. Die Aktienmärkte haben das früh vorausgesehen und erzielen bereits neue Rekordhochs.
Nun ändern auch Skeptiker ihre Meinung. Blanchard: «If we are right, it may well be that, as this adjustment comes to an end, this adverse effect will disappear, demand will pick up and interest rates will increase substantially.»
29 Kommentare zu «Neuer Wachstumsoptimismus»
ist ja klar, geht die Konjunktur den Bach ab, wird die Berechnungsmethode „verbessert“, der statistischen Akrobatik sind keine Grenzen gesetzt, seltsam nur, wenn die Konjunktur so brummt, warum werden in den USA Tausende Supermärkte geschlossen und so viele Schoppingcenter gehen Pleite. Z.B. kürzlich ein Shopping Mall in Pennsylvania 2005 noch mit 188 Mill. $ bewertet, jetzt beim Zwangsverkauf für 100 $ !!!! verkauft. Und wenn man die Preise der letzten Jahre sieht, war die Inflation definitiv heruntergerechnet und nicht zu hoch angegeben. Die einzige Konjunktur die wirklich brummt ist die der Gauckler der Statistiken.
„Nun steht also auch wissenschaftlich fest: Jeder Abschwung beginnt im Kopf.. “
Journalistisch schwach! Selbst Blanchard selber, auf den sich der Autor ja bezieht, sagt selber „If we are right…“.
Genau Johnny, wobei wenn diese mögliche Variante wirklich zum tragen kommt, die Zinsen hochschnellen mögen. Welche neuen Wechselwirkungen sich damit einstellen, steht in den Sternen. Aber wir können getrost annehmen, dass neue Zwangsmassnahmen gefunden werden, um das System aufrecht zu erhalten.
(Globaler) Abschwung beginnt im Kopf oder in einem stark sinkenden Baltic Dry Index 😉
PS: Das ist der Index auf den man im aufkommenden Zeitalter des US-Protektionismus besonders achten muss.
Trump making „Baltic Dry“ small again.
Interessant ist der Umstand, dass die privilegierten IYI (Intellectual Yet Idiot – Nassim Taleb) durchs Band leicht nachvollziehbar erläuterten, wie schädlich Brexit und Trump für die Weltwirtschaft sein werden. Sollte sich jedoch herausstellen, dass ein höherer Fokus der Regierungen auf die eigene Bevölkerung das weltweite Wirtschaftswachstum beflügelt, dürften sie wieder einmal komplett falsch liegen. Das Urteil steht noch aus; ein sonnenreicher Tag macht noch keinen Sommer.
Sind wir nicht alle hier privilegierte IYI’s – auch Sie Huber und ich auch…Haben ein gutes Leben, können intellektuell abgehoben über Gott und die Weltwirtschaft diskutieren…
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Der Brexit ist mal angedacht und noch nicht mal vollzogen – hart soll er sein, hat man gehört!
Und Donald hat noch nicht mal seine 100 Tage hinter sich und bis dann mal 100% Trump Wirtschaftszahlen kommen, dauerts sowie erst mal einige Quartale.
Die positiven Effekte der Globalisierung übersteigen die sehr wohl vorhandenen negativen immer noch, aber in letzter Zeit werden die alternativ etwas stärker gewichtet, darum erscheinen die neg. Effekte in der Oeffentlichkeit jetzt härter als sie vermutlich sind.
Wird werden sehen wie es mit UKUSA weitergeht – die meisten wetten dagegen, ein paar dafür – so what
Na, ja, Sie verniedlichen die mit solcher Sicherheit verkündeten negativen Aussichten, welche von den Entscheidungsträgern prognostiziert wurden. Sie liegen richtig, noch nichts wurde wirklich umgesetzt, jedoch liegt das Vertrauensbarometer in Bezug auf die Zukunft anscheinend in einem seit langer Zeit nicht mehr verzeichneten Hoch. Meine Erläuterung bezieht sich auf diesen Missmatch zu den gemachten Prognosen, respektive auf die Unzulänglichkeit, welche gerade die als Ökonomen bezeichneten „Econometricians“ immer wieder unter Beweis stellen.
Natürlich gab es Globalisierungsgewinner, darunter wird insbesondere die CH immer wieder erwähnt. Und das notabene trotz des Umstandes dass diese hinterwäldlerischen unbelehrbaren Schweizer in den letzten 15 Jahren mittlerweile bereits 4 Mal sich gegen das Establishment mit Antiglobalisierungsplebisziten aufgelehnt haben. Absolut unerklärlich, ähnlich wie die unerklärliche wirtschaftliche Stärke der so staatsgläubigen ach so sozialistischen Skandinavier.
Huber: Dass Sie von F.A. von Hayeks „Unplanbarkeit“ der Wirtschaft begeistert sind und sich damit die Selbstgefälligkeit herausnehmen die „Economotrians“ permanent ins lächerliche zu ziehen, wissen wir unterdessen.
Aber in Ihrer doch etwas ewiggestrig angehauchten Betrachtungsweise dürfte Ihnen vermutlich entgangen sein, dass der gute alte Hayek dies zu einer Zeit geschrieben hat, als die sowjetischen starren Fünfjahrespläne gerade en vogue waren, welche der Komplexität wirtschaftlicher Tätigkeiten und Entwicklungen tatsächlich nicht effizient entsprechen konnten.
Seither hat sich aber auch die Oekonometrie weiterentwickelt und mit dynamischen Szenariomodellen kann man die Realität doch zumindest eine bis zwei Qualitäten besser abbilden als damals mit den rigiden Fünfjahresplänen.
Ja sicher doch, und diese qualifizierten IYI haben natürlich die Krise 2008 prognostiziert. Einzig was sich seither weiterentwickelte, ist die Hyperaktivität der Zentralbanken.
„es grünt so grün wenn Spaniens Blüten blühen“
hat soviel Aussage und so viel mit dem Beitrag zu tun, wie Ihr Post, Idiot ohne Intellekt.
Was sagen Sie eigentlich Herr Huber: Obwohl Trump und Brexit schädlich seien (Trump ist gerade ein paar Wochen im Amt, Brexit ist noch nicht) sei das aktuelle Wachstum keines, weil die Intellektuellen Idioten sind, was der Sommer noch zeigen werde.
Den einzigen Bezug zum Artikel den ich Ihrem Post zuordnen kann, Autor sein Idiot, zwar in intellektueller, aber dennoch Idiot: Nun Sie Herr Huber, sind zumindest nicht intellel.
Typisch ist, das die Untergangsproheten des Euro jetzt entweder noch immer den Untergang vorhersagen, oder schweigen, wie MDM zum Beispiel hier. Seit einem Jahr hat er nichts mehr zur Eurozone geschrieben. Die Eurozone ist auf Wachstumskurs, aber das interessiert keine Sau, „good news is no news“.
Wer schreibt noch von den Helden der Europhobiker, Varoufakis und Tsipras, die mit hoch erhobenen Haupt den „Status Quo Bewahrern“ entgegentraten, sind in der Versenkung verschwunden. Varou ist weg, und Tsipras und seine Syriza haben fast noch weniger Rückhalt bei der griechischen Bevölkerung, als Hollande.
Aufstieg und Niedergang von Tsipras und seiner Syriza erinnern fast schon an eine griechische Tragödie.
Hauptsache sie werden nicht von der „goldenen Morgenröte“ oder denen nahestehenden Parteien substituiert, auch wenn das griechische Volk mittlerweile vermutlich schon auf dem „try and error“ Modus läuft.
„try and error“ Modus
🙂 Die Infragestellung des Status Quo dürfte diesen Modus unumgänglich machen. Die eine oder andere „Überraschung“ dürfte sich noch melden.
https://www.youtube.com/watch?v=Ah_gpjrrIKA
Sie machen Witze, das Thema Eurozone hatten wir jetzt schon bis zum Erbrechen. Und man stelle sich vor, seit 2009 ist sogar die CH und solche Jammeri Länder wie Frankreich und Italien gewachsen. Dumm nur dass damit rein gar nichts gesagt ist wer sich die Zusatzknete unter den Nagel reisst.
Dann sollte man aber auch fragen woher die „verlorene Zuversicht in die Zukunft“. Bei einer noch nie dagewesenen private debt to GDP ratio müssten ja alle an gigantische Zuwachsraten glauben oder dann sind alle bisher dozierten Schuldentragfähigkeitsdogmen Makulatur und das Publikum hat gemerkt dass man die Ökonomen wohl besser in die theologische Fakultät integriert.
Die „verloren Zuversicht in die Zukunft“ kommt von einer reichen, überalternden Bevölkerung:
Ein junger Armer fragt den Fremden (das Unbekannte, also auch die Zukunft), was bringst Du mir. Ein alter Reicher fragt, was willst Du mir wegnehmen.
Na, wenn man sich da aber die „jungen Armen“ in Europa ansieht dann sind die eher noch fremdenfeindlicher als die alten. Bisher zumindest ist es nämlich rechtlich nicht möglich laufende Renten zu kürzen oder zu enteignen im Gegensatz zu den Renditesklaven.
„Bisher zumindest ist es nämlich rechtlich nicht möglich laufende Renten zu kürzen“
Ja, mancherorts (Griechenland, Italien teilweise) leben die Jungen von den Renten der Alten. Wie kann das gehen? Die Jungen müssen die Renten der Alten finanzieren, und wenn sie nicht können, muss man die Renten der Alten kürzen: Sie sagen, das sei rechtlich nicht möglich, aber faktisch ist dieses System unmöglich:
Was ändert man jetzt? Das Recht oder die Fakten?
Daher das Wort „Bisher“.
Da steht auch „zumindest“ im Zusammenhang mit „bisher“: Was das wohl bedeutet?
Tsipras und Varou haben gesagt, wir müssen nicht die Renten erhöhen, wir ändern die Fakten,m Schäuble muss mehr Euronen schicken, dann geht es.
haben gesagt, wir müssen nicht die Renten kürzen, wir brauchen nicht die Gesetze zu ändern, Schäuble schickt mehr Geld (Es ging nie um Schuldenerlass, es ging um zukünftiges Geld, für Investitionen in Rentner, mit einem Schuldenerlass bleiben die Kassen des Schuldners genauso leer wie ohne.
Das überzeugt hinten und vorne nicht. Natürlich gab es schon immer eine nicht schädliche angebotsseitige Deflation. Diese wird bei weitem überkompensiert durch nicht gemessene exponentiell steigende Gesundheits- und Wohnkosten die meistens nicht im Index sind. Va in Zeiten normaler Zinsen und Inflationsraten waren die Wohn- und Baukostenfinanzierung stets um ein Mehrfaches der offiziellen jährlichen Inflationsratensteigerung gewachsen. Dies ergibt sich in der langen Frist zwingend aufgrund des Fisher Effektes. Deshalb ist der Normalo seit 2008 besser gefahren als früher falls er nicht arbeitslos geworden ist oder kurzfristig eine neue Wohnung in Stadtnähe benötigte.
@ Josef
Fisher lebte in der Zeit des Goldstandards. Der heutige PhD-Standard mag Einfluss auf seine Theorie ausüben. Dies ist einzig eine Vermutung.
Bezüglich der Inflationsrate dürfte ich Ihnen beipflichten, wobei der springende Punkt wohl darin liegt, dass der heutige Fokus im Bereiche der Inflationsmessung sich besser an den lebensnotwendigen Produkten orientieren würde. Dies natürlich unter der Voraussetzung, dass man die Schnapsidee, dass die Inflation der Konsumentenpreise und nicht diejenige der Geldmenge massgebend sei, als unumgänglich betrachtet wird.