Lob des Kolonialismus

Hoch hinaus: Ein Kletterer vor der Skyline von Taipeh. Foto: Tyrone Siu (Reuters)

Warum sind einige Länder reich geworden und andere arm geblieben? Diese vielleicht wichtigste Frage der Wirtschaftsgeschichte ist bis heute nicht beantwortet, und wahrscheinlich wird es auch nie eine Antwort geben.

Ganz hilflos sind wir nicht. Die historische Betrachtung hilft, gewisse Faktoren zu relativieren. So dürfte das Klima kaum eine entscheidende Rolle gespielt haben. Viele erfolgreiche Länder liegen in der gemässigten Zone, aber nicht alle Länder in der gemässigten Zone sind erfolgreich.

Dasselbe gilt für den Kolonialismus. Viele arme Länder sind kolonisiert worden, aber nicht alle kolonisierten Länder sind erfolglos geblieben.

Ein gutes Beispiel für die Erklärungskraft von Klima und Kolonialismus ist die Geschichte Taiwans. Das Klima der Insel ist subtropisch bis tropisch, nicht gemässigt. Das Land wurde während 50 Jahren von Japan (1895–1945) kolonisiert. Heute gehört Taiwan zu den reichsten Ländern der Welt. Das kaufkraftbereinigte Pro-Kopf-Einkommen ist so hoch wie in Österreich oder Schweden.

Positiver Kolonialismus

Der japanische Kolonialismus wird heute vom offiziellen Taiwan sogar positiv bewertet. So steht zum Beispiel im Katalog des Technologiemuseums von Kaohsiung folgender Satz:

Even though Japan developed Taiwan for her own needs, Japan laid the foundation for Taiwan’s industrial development and brought about Taiwan’s rapid industrialization.

Diese überraschende Einschätzung ist gut begründbar. Die japanischen Besetzer haben tatsächlich wichtige Grundlagen für den späteren Erfolg Taiwans gelegt, indem sie zum Beispiel ein modernes Bildungssystem begründeten und die Infrastruktur stark ausbauten. Das Pro-Kopf-Einkommen verdoppelte sich während der japanischen Besatzungszeit bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.

In einem gewissen Sinn kann man sogar von einer zweiten Kolonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg sprechen. Denn kaum waren die japanischen Besetzer von den US-Truppen vertrieben worden, übernahm die Kuomintang (Nationale Volkspartei Chinas) unter Generalissimo Chiang Kai-shek die Verwaltung. Sie erwies sich als völlig unfähig und geriet bald in Konflikt mit den Einheimischen. Wie die Grafik oben zeigt, brach das Einkommen nach 1945 dramatisch ein.

Nach der Niederlage gegen die Kommunisten kam 1949 sogar die gesamte Kuomintang-Regierung vom chinesischen Festland auf die Insel. Mit ihr flohen mehr als eine Million Flüchtlinge. (Die taiwanische Bevölkerung betrug damals etwa sechs Millionen.)

Enger Blick

Die geflohenen Kuomintang-Herrscher machten es diesmal besser. Bald begann das taiwanische Wirtschaftswunder. In einer späteren Phase, den späten 1980er-Jahren, verwandelte sich die Diktatur in eine Demokratie.

Lässt sich davon ableiten, dass der Kolonialismus immer und überall positiv gewesen ist? Natürlich nicht. Je nach Land hat er eine unterschiedliche Wirkung gehabt. Aber wer ihn ausschliesslich als negativ bewertet, hat einen zu engen Blick auf die Geschichte und die Weltkarte.

22 Kommentare zu «Lob des Kolonialismus»

  • Jens sagt:

    Es gab die rein extraktive Kolonialisierung ,wie z.B in belgisch Kongo.
    Als anderes Extrem das Modell Rom: erst investieren, dann ausbeuten.
    Die Entscheidung darüber oblag aber immer nur den neuen Herren.

  • Max Bader sagt:

    Was in diesem Beitrag vergessen geht, dass man auch die Zeit vor der Kolonialisierung anschauen muss. Beispielsweise war Afrika schon vorher arm, war es in den meisten Fällen während der Kolonialisierung und ist es nachher auch. Sehr wahrscheinlich hat die Wirtschaftskraft der meisten afrikanischen Länder wenig mit der Kolonialisierung zu tun, weder im positiven noch im negativen.

  • Nick sagt:

    Vor einiger Zeit sprach ich mit einem gebildeten Inder, den ich schon länger kenne. Er meinte, dass die Situation in seiner Heimat unter der englischen Kolonialherrschaft fraglos deutlich besser und vor allem geordneter gewesen sei als in der heutigen Zeit. Und deutete an, dass er sich nicht gegen eine Rückkehr dieser Verhältnisse nicht wehren würde, auch wenn dies nicht zu erwarten sei. Er steht mit dieser Ansicht fraglos nicht allein.

    • Rolf Zach sagt:

      Reden wir nun von der englischen Kolonialverwaltung, die fraglos weniger korrupt war als die heutige oder von von der damaligen englischen Steuerung der Wirtschaft?
      Was die Wirtschaft Indiens betrifft, ist die Erklärung einfach! Die Engländer haben die indische Wirtschaft in den Zustand eines Rohstoff-Produzenten zurück gebunden. Indien war im 18. Jahrhundert der grösste Textil-Produzent der Welt, um 1900 hat Manchester von 7 bis 8 Uhr für England produziert, nach 7 Uhr bis 10 Uhr abends für ihre Kolonien, hauptsächlich Indien.
      Vor 1850 hatte Indien nie Hungersnöte im Gegensatz zu China, nach 1850 schon, die gemeinste war im 2. Weltkrieg, wo die Briten aus strategischen Gründen gegen die Japaner rücksichtslos die Bengalen verhungern ließen.

  • ali kazemi sagt:

    Amis haben während Jahrzehnten in Taiwan massiv investiert um Taiwan als Gegenpol von China aufzubauen. Andere Länder mit strategischen Ressourcen wie Erdöl, Gold etc sind heute noch faktisch Kolonien. viele Länder im Nahost wie Saudi Arabien oder Kuwait werden von Satelitenregierungen geherrscht, die praktisch 1:1 die Politik verfolgen, die aus Washington oder London festgelegt wird. In Ländern mit strategischen Ressourcen werden westliche Mächte eine echte Unabhängigkeit gar nicht akzeptieren (Regime changes, Rohstoffkriege etc. lassen grüssen)

    • Rolf Zach sagt:

      Die typische Erklärung von arabischen Intellektuellen.
      Es ist immer der böse Westen, der diese Länder wegen den Rohstoffen nicht gedeihen lassen. Hätte der Westen, wenn er ihre Geldbörse kontrollieren würde, solche Verrücktheiten wie Dubai und Doha gelten lassen, wo gar nichts irgendwelche Gewinne abwirft. Die Sache liegt eindeutig im kulturellen Bereich. Kommt noch dazu, dass die Golfstaaten von der Natur her nichts anders als Rohstofflieferanten sein können. Wie ist es mit dem fruchtbaren Halbmond und dem Herz der arabischen Welt: Ägypten? Wo ist die ägyptische Textilindustrie? Warum haben wir nicht Hemden von dort? War das klug die fremden Christen aus Alexandria zu enteignen und zu vertreiben? Ägypten hat viel mehr Geld von den USA bekommen als Taiwan. Ein Fass ohne Boden!

      • Anh Toàn sagt:

        Liegt es in Bern und im Wallis auch an der „Kultur“ dass die ein Fass ohne Boden sind?

        • Josef Marti sagt:

          Wenn BE mit über 68% die UStR ablehnt scheint im Vergleich zu anderen Kantonen tatsächlich ein gewisser Kulturunterschied vorhanden zu sein. Va. scheinen die Berner eine gewisse Aversion gegen unseren Ueli Kä Luscht zu hegen.

        • Rolf Zach sagt:

          Vielleicht sollte der Kanton Zürich weniger SVP Nationalräte wählen, die ihren Kanton kujonieren und ihre Berner Kollegen beglücken. Sie wissen ja, wer Karriere macht in Zürich, es sind Berner und wer in Genf Karriere macht, es sind Walliser. Es gibt eben Fässer, wo köstlich feiner Wein getrunken wird und solche ohne Boden, wo die Begünstigten zu dumm sind, davon zu naschen.
          Bei den Bernern und Wallisern ist dies sicher nicht der Fall, wenn wir an Herrn B. in der FIFA denken.

    • Josef Marti sagt:

      Offenbar unterschätzen Sie da die Russen und Chinesen gewaltig, fast eine Beleidigung.

  • Alberto La Rocca sagt:

    Sie haben die Schweiz vergessen. Erst wurden wir von den Römern kolonialisiert, letztes Jahr hat unser Bundesrat sogar den „ewigen Frieden“ mit Frankreich gefeiert, obwohl die Franzosen die Schweiz 1798 erobert hatten. 2003 wallfahrte gar Bundespräsident Couchepin nach Paris, um den Franzosen für die Kolonialisierung der Schweiz zu danken, wahrscheinlich auch, dass sich über 8’000 Schweizer für Napoleon an der Beresina abschlachten lassen durften. Seit 1989 ist die Schweiz gar Mitglied des Vereines ehemaliger französischer Kolonien „Organisation internationale de la Francophonie“, des Pendant zum „Commonwealth of Nations“ des ehemaligen British Empire. Immerhin sind wir von unseren Kolonialisatoren unabhängig geworden, wie Taiwan.

    • Rolf Zach sagt:

      Vergessen Sie nicht, viele Schweizer haben damals um den Freiheitsbaum getanzt und waren glücklich von den „Gnädigen Herren“ befreit worden zu sein. Natürlich hat man gewusst, dass die Franzosen die Kassen von Bern und Zürich geplündert haben. Es gab Karikaturen mit Freiheitsbaum und Kassenraub. Abgesehen, wären die „Gnädigen Herren“ fähig gewesen die Meditation-Verfassung von Napoleon zu gestalten? Dank Wiener Kongress konnten wir später selbständig mit kleinem Bürgerkrieg unsere Schweiz selbst gestalten.

      • Alberto La Rocca sagt:

        Guter Einwand – es gibt ja nicht wenige Linke, die eine fürsorgerische Re-Kolonialisierung Afrikas befürworten. Darunter sind auch die Einsätze europäischer Armeen (allen voran die französische Fremdenlegion) zur Friedenssicherung oder Bekämpfung von Boko Haram zu sehen – wie dies die Afrikaner nicht selber hinkriegen würden (wenn sie wollten), s. die Niederschlagung des Widerstandes des abgewählten gambischen Präsidenten durch senegalesische und nigerianische ECOWAS-Truppen.

  • Linus Huber sagt:

    Dieser Artikel macht indirekt bemerkenswerte Aussagen.

    1. Kein spezifisches Gesellschaftssystem ist Garant fuer wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg. Die Komplexität ist zu hoch um diesbezüglich ein spezifisches Erfolgsrezept zu finden, sondern einzig gewisse Aspekte (z.B. Rechtssicherheit, gute Infrastruktur, Bildung) mögen positiv wirken.

    2. Es existieren tatsächlich Ökonomen, welche trotz des vertieften fachlichen Wissens, nicht dazu neigen, vermeintlich alles mit oft abstrusen Theorien und mathematischen Modellen erklären zu können, sondern in Bescheidenheit ihr Nichtwissen nicht überspielen. Gratulation an den Autor.

    • Monique Schweizer sagt:

      ad2: Nicht alle Kommentarschreiber scheinen den Unterschied zwischen einem Oekonomen und einem Wirtschaftshistoriker zu kennen, was sie zu irgendwelchen oberflächlichen Beurteilungen verleitet!
      .
      Prof. Tobias Straumann studierte Geschichte, Soziologie und Wirtschaft- und Sozialgeschichte in Zürich, Paris und Bielefeld.

      • Linus Huber sagt:

        Korrekt, er dürfte trotzdem eine gute Ahnung von Ökonomie haben, wenn er deren Geschichte studierte. Aber Ihre Kleinlichkeit dürfen Sie gerne zur Schau tragen.

  • Josef Marti sagt:

    Es gibt Länder und Kulturen die wehren sich mit Händen und Füssen gegen Fortschritt, Ausbildung und Wissen, deshalb können sie nur arm bleiben, es sei denn sie gehören zu den Bodenaussaugern die ausschliesslich von der Bodenrente gut leben können.

  • Anh Toàn sagt:

    „Warum sind einige Länder reich geworden und andere arm geblieben?“

    Weil es Länder gibt!

    Wozu wären Länder gut, wenn nicht um die Interessen der eigenen Bürger gegen diejenigen anderer Länder zu vertreten? Wenn es also nicht unterschiedlich reiche Länder gäbe, wären die ja komplett nutzlos.

    • Anh Toàn sagt:

      Fahnen schwingen und Lieder singen kann man ja auch für einen Fussballclub.

      • Anh Toàn sagt:

        Würde man in der Schweiz 40 Kantone machen, wären 40 Kantone unterschiedlich reich, macht man 10 daraus, sind 10 unterschiedlich reich.

        • Anh Toàn sagt:

          Man könnte auch unterteilen in Schokolade- und Vanillee und Erbeer- und Pistache- und Alleeissortenesser und dann nach den Gruppen messen: Die wirtschaftliche Entwicklung, die Kriminalitätsrate, die Anzahl der Kinder: Man würde Unterschiede finden. Am Anfang wären die kleiner, mit der Zeit würden die wachsen, da sich die einzelnen Individueen auf Grund ihres Identifikationsbedürfnisses an den der Gruppe zugeschrieben Eigenschaften orientierten und versuchen anzupassen: Die Unterscheide beruhen auf der Einteilung der Menschen in Gruppen, und sonst gar nichts.

          • Anh Toàn sagt:

            Entscheidend wäre einfach, dass die jeweiligen Gruppen undurchlässig sind, dass man Mauern dazwischen baut. Und schon bekommt man unterschiedliche Entwicklungen.

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.