„Nichts gelernt und nichts vergessen“

Der politische Technokrat: Mark Carney, Gouverneur der Bank of England. Foto: Stefan Wermuth (Reuters)

Bei der Bank of England kommt man nicht mehr aus dem Staunen heraus. Die traditionsreiche Institution ist seit längerer Zeit auf einem kommunikativen Pannenkurs, der seinesgleichen sucht.

Pilot des Blindflugs ist ihr Governor Mark Carney. Der Kanadier wurde vom damaligen Finanzminister George Osborne als Ausnahmetalent gelobt, nachdem er ihn 2012 von der Bank of Canada weggelockt hatte. «He is the outstanding central banker of his generation», sagte Osborne.

Er reagierte nicht

Auf die Euphorie folgte bald die Ernüchterung. Zuerst scheiterte Carney mit der «Forward Guidance». Carney verkündete im Sommer 2013 selbstbewusst, er wolle die Märkte mit einem präzisen Indikator auf die Normalisierung der Geldpolitik vorbereiten. Sobald die Arbeitslosenrate unter die Schwelle von sieben Prozent falle, werde die Bank of England die Zinsen erhöhen.

Passiert ist dann Folgendes: Die Arbeitslosenrate sank und sank, aber Carney reagierte nicht.

Das Experiment war offensichtlich gescheitert. Carney gab aber nicht zu, dass es nicht funktioniert habe, sondern sprach lediglich von einer «neuen Phase». Mit der Zeit benutzte er das Wort «Forward Guidance» einfach nicht mehr und beerdigte das ganze Konzept so still wie möglich.

Er wurde angreifbar

Dann kam die Brexit-Abstimmung im Juni 2016. Carney warnte vor einer Rezession und mischte sich auf eine ungewöhnlich offensive Weise in den Abstimmungskampf ein. Notenbankgouverneure sollten nie der Versuchung erlegen, eine politische Rolle zu spielen, denn sie machen ihre Institution dadurch unnötig angreifbar. Zudem war die Prognose einer Rezession äusserst gewagt. Wer weiss schon, wie sich politische Entscheidungen kurzfristig auswirken.

Carney hatte sich völlig verrechnet. Erstens half seine Intervention nicht, den Brexit zu verhindern. Möglicherweise hat er mit seinen öffentlichen Verlautbarungen sogar dazu beigetragen, die Wut auf die Londoner Elite zu verstärken.

Zweitens kam es nicht zu einer Rezession. Die Prognose war komplett falsch. Der Ruf der Bank of England ist seither lädiert.

Aber Carney scheut sich nicht, weiterhin Prognosen zu machen, die unseriös sind. So erklärte er letzte Woche vor einem  Parlamentsausschuss, dass die EU unter einem harten Brexit viel mehr leiden würde als Grossbritannien. Ist das wirklich so? Ich wüsste nicht, wie man ein solches Szenaria beweisen könnte.

Er verbreitet Schreckensszenarien

Und wiederum handelt es sich um eine politische Einschätzung, die ein Notenbankgouverneur nicht öffentlich äussern sollte. Nach der verlorenen Schlacht will Carney offenbar den Brexit so stark verwässern wie nur möglich. Dabei setzt er weiter auf die Verbreitung von Schreckensszenarien.

Das Verhalten Carneys erinnert an die französische Königsfamilie der Bourbonen, die die französische Revolution nicht haben kommen sehen und nach der Vertreibung Napoleons weiter regierten, wie wenn nichts geschehen wäre. Der französische Aussenminister Talleyrand sagte damals deshalb, sie hätten «nichts gelernt und nichts vergessen».

16 Kommentare zu «„Nichts gelernt und nichts vergessen“»

  • seebueb sagt:

    Es heisst doch, dass Makro-Events sich mit einer Verzögerung von 6-9 Monaten in den Zahlen niederschlagen. Das heisst, der Effekt wird erst in den Zahlen zur laufenden Jahreshälfte sichtbar. Die offiziellen Zahlen liegen jedoch erst für 3Q16 vor.

    Mir scheint es voreilig, bereits jetzt eine Fehlprognose der BoE zu behaupten.

    • Johnny Smith sagt:

      Ja, evt. war das voreilig. Vielleicht kommt eine, vielleicht keine UK Rezession dieses Jahr. Allerdings bleibt nicht mehr viel Zeit bei 6-9 Monaten 😉

      In der Aussage, dass sich Zentralbanker aber mehr Zurückhaltung insbesondere bei politischen Aussagen auferlegen sollten, teile ich die Meinung des Autoren uneingeschränkt. Und zwar nicht nur in den Aussagen, sondern auch in der bewussten und absichtlichen Beeinflussung der Politik durch exzessives (geldpolitisches) Handeln.

      • Rolf Zach sagt:

        Nicht exzessives geldpolitisches Handeln der Zentralbanken. Sehr interessant, aber eigentlich, verzeihen Sie mir den Ausdruck, ein Quatsch. Die Zentralbanken haben in schwierigen Situationen immer exzessiv geldpolitisch gehandelt. Wo wollen wir mit der Geschichte beginnen? Die Aufhebung der Gold-Einlösepflicht der Bank of England 1797, aber man hat den Krieg gegen Napoleon gewonnen. Die Baring-Krise 1890, der Erste und der Zweite Weltkrieg u.s.f. .Wo eine Zentralbank einmal nicht reagierte, war nachher der Teufel los, ich denke da an die FED 1931.
        Auch wenn Trump England hilft und sehnlichst die Aufhebung der Eurozone will, wird dies England nicht helfen. Trump redet zwar vom Verfall der EU, was er aber wirklich will, ist die Zerstörung des Euro. Hier ist er mit Wall Street einig.

        • Rolf Zach sagt:

          Was Trump über die Verlagerung von Industrie-Arbeitsplätzen zurück in die USA schwätzt, ist ein bewusst verlogener Propaganda-Schwatz. Dies wird nicht geschehen, oder wollen Sie US Tunnelbohrmaschinen, die ständig im Service sind. Herrenknecht hat den Weltmarkt dafür abgegrast und die Japaner und Chinesen kopieren ihn, aber die USA hat zuwenig Manpower überhaupt solche Sachen zu kopieren. Es zählt der Geschäftli-Macher, der Kapital-Dealer und der gerissene Anwalt, nicht der Ingenieur, höchstens bei der Software, aber nicht bei der Maschine! Will Trump dafür ins Bildungssystem investieren? Nicht die Bohne, das Wirtschaftswachstum kommt allein von den Reichen, die wie Lauder Millionen ausgeben für einen Klimt. So meinen sie die Volkswirtschaft zu fördern.

          • Rolf Zach sagt:

            Die englische Elite mit ihrer Internats-Ausbildung, mit Nachdruck Mitmenschen zu manipulieren, ist natürlich geblendet vom US Modell und ist überzeugt, die Europäer sind genügend Zank-Brüder um die Euro-Zone zu Fall zu bringen und London bleibt, zusammen mit New York, die beiden grössten Finanzplätze der Welt. Wenn ein Dienst in anderen Finanzplätzen 100 Franken kostet, zahlt man für das gleiche dort 1000 Franken und die Kunden Katze-Buckeln dabei, was sie nur können. Wir werden sehen, ob die Regierung May richtig liegt mit ihrer Einschätzung der europäischen Blödheit, Trump hofft sehr darauf und macht alles, solche Leute wie Mme Le Pen zu ermutigen. Ein Skandal ist, dass so ein hervorragender Mann wie Stieglitz sich dafür als billiger Steigbügelhalter von Wall Street missbrauchen lässt.

          • Josef Marti sagt:

            Was zum Teufel ist denn ein Klimt? Und was Stiglitz damit zu tun haben soll müssen Sie schon noch genauer erläutern.

          • J. Kuehni sagt:

            „Ein Klimt“: Ein Stück Leinwand, von Gustav Klimt meistens mit einer eher anorektisch wirkende Dame bemalt und mit viel Blattgold geschmückt. Vor hundert Jahren ein kleiner Wiener Skandal, heute zum 160-Millionen-USD-Pfandobjekt degeneriert, als hübsches Symbol für die verzweifelte Suche der hochkonzentrierten Knete nach „überlebensfähigen“ Investitionsmöglichkeiten in der Endphase des Zuspätkapitalismus.

          • J. Kuehni sagt:

            „Stiglitz“ hält den Euro für eine vernünftige Idee, die schlecht umgesetzt worden und aus politischen Gründen reformunfähig ist und plädiert daher für dessen geordnete Rückabwicklung, was sich mit den Hegemonialgelüsten von Trumpolini® und WallStreet® schön decken würde. Allerdings hat Stieglitz sein Buch VOR der Wahl Trumps geschrieben und ist wohl davon ausgegangen, dass die Europäer dabei auf eine wohlwollende US-Regierung zählen können und sich nicht mit einer feindseligen Achse der Kakokraten und gleichzeitig einem Merkantilismus à l’americaine konfrontiert sehen würden. Vielleicht hat der Mann ja seine Meinung inzwischen geändert, genauso wie sich die politische Plattentektonik verschoben hat …

        • Linus Huber sagt:

          „Wo eine Zentralbank einmal nicht reagierte, war nachher der Teufel los, ich denke da an die FED 1931.“

          Es wurde nicht von den Zentralbanken aber von der Politik sehr wohl reagiert, wobei die Ursache der Krise keineswegs unabhängig von der Geldpolitik der 20iger Jahre erzeugt wurde. Ein Vergleich zu den 30iger Jahren hinkt dahingegend, dass die Geschichte der heutigen Krise noch nicht zu Ende geschrieben ist, sondern die Konsequenzen (z.B. in der Wahl von Trump) sich erst langsam zu formieren beginnen. Die zunehmende Akzeptanz von „Moral Hazard“ (legalisierter Diebstahl) als Normalzustand korrumpiert das Gesellschaftssystem immer stärker, sodass der Druck einer Reaktion (z.B. Verweigerung der Bevölkerung sich kooperativ gegenüber dem Status-Quo zu verhalten) jährlich steigt.

      • seebueb sagt:

        Dem mit der Zurückhaltung stimme ich zu, aber das ist nicht im Entferntesten das Thema des Artikels. Weder Fed noch EZB werden erwähnt, er schiesst einzig und alleine auf Carney.

        • Johnny Smith sagt:

          Die gebotene Zurückhaltung habe ich durchaus als Teil dieses Artikel gelesen („Notenbankgouverneure sollten nie der Versuchung erlegen, eine politische Rolle zu spielen, denn sie machen ihre Institution dadurch unnötig angreifbar.“). Aber Sie haben recht, ‚aufgehängt‘ ist der Artikel an Carney.

  • Rolf Zach sagt:

    Großbritannien ist immer noch Mitglied der EU, für die Geschäftswelt hat sich nichts verändert. Wahrscheinlich erst 2018 ist das Land nicht mehr in der EU.
    Ob die EU oder England unter dem Austritt stärker leidet, werden wir sehen. Es ist klar, dass ein England in der Rezession für die EU-Länder ein schwindender Absatzmarkt ist und auch sie darunter leiden. Aber die EU hat dabei einen Beinbruch, England dagegen ein langwieriges und schmerzhaftes Magengeschwür. Die Engländer versuchen mit ständigen Abwertungen ihre Position im Welthandel zu stärken, aber dabei verliert das Pfund endgültig den Status als Reservewährung. Für ein Land wie England mit seinem Leistungsbilanz-Defizit zukünftig ein gefährliches Gebräu. Ist die türkische Lira oder russische Rubel eine Reservewährung?

    • Rolf Zach sagt:

      Sicher ist, dass England seine Stellung als EU-Finanzplatz verliert und das ist noch das einzige, wo substanziell floriert und enorm viel Geld bringt. Carney mag mit seinen Aussagen kurzfristig wegen einer Rezession wegen Brexit falsch liegen, aber ist er es noch 2018. Soros mag zu früh gegen den $ spekuliert haben, aber so abwegig, dass sich der $ auf 0.75 zum € entwickelt, ist die Wahrscheinlichkeit für 2018 und später gar nicht. Jeder Notenbank-Chef macht Politik, ob er darüber reden soll oder nicht, ist eine Frage der politischen Kultur eines Landes.
      Ein anderer Spruch wegen den Bourbonen. „Wenn ich Postmeister in meines Königreich wäre, würde ich dafür sorgen, dass die Post besser funktioniert“. Bemerkung von Ludwig XIV über sein Postwesen. Soviel zur Macht des Königs!

  • Josef Marti sagt:

    In der kurzen Frist kann einem Land mit chronisch passiver Leistungsbilanz gar nichts besseres passieren als abzuwerten wie das nach dem Brexit der Fall war, und das erst noch ohne geldpolitischen Aktivismus. Offenbar wähnt man sich jetzt dadurch im weltweiten allgemeinen Abwertungskrieg gegenüber der EU vorerst auf der Gewinnerseite.

    • J. Kuehni sagt:

      „In der kurzen Frist kann einem Land mit chronisch passiver Leistungsbilanz gar nichts besseres passieren als abzuwerten“.

      Ich bezweifle, ob dieses Axiom aus der alten Freihandelstheorie in der globalen Fertigungskette von heute noch zutreffend ist. Teurer werden mit dem schwachen Pfund eben auch all die Roh- und Halbfertigprodukte, die zuerst aus dem Rest der Welt (zum grossen Teil aus dem Euroraum, Ironie, Ironie) importiert werden müssen, bevor sie – günstiger, damit die Währungsabwertung auch etwas bringen soll – wieder exportiert werden können.

      • Josef Marti sagt:

        So hat der Abwertungskrieg aber schon immer funktioniert. Und da GB ausser Finanzdienstleistungen, Tourismus, Darts, Fussball, Snooker und Schluckhallen gar nichts zu bieten hat brauchts auch wenig Rohstoffe. Es werden sodann die Löhne gedrückt, weniger weil zu teure Fertigprodukte importiert um wettbewerbsfähiger zu werden und der Sozialstaat noch weiter abgebaut. Genau das hat ja Frau May vor indem sie darüber hinaus noch einen Steuerdumping Krieg anheizen und die verblichene Maggie übertrumpfen will. Das race to the bottom ist immer noch erst in den Anfängen.

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