Warum dieser Wiederholungszwang?

Und plötzlich war der Aufschwung in China gestoppt: Crash an der Börse in Peking zum Jahresbeginn 2016. Foto: Keystone

2009 publizierten Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff ein Buch mit dem Titel «This Time Is Different». Darin beschreiben sie, wie Anleger und Banken das Potenzial der Schwellenländer regelmässig überschätzen. Jedes Mal glaubt man, dass diesmal der Optimismus berechtigt sei, aber am Schluss resultiert immer eine Finanzkrise.

Der Titel ist also durchaus ironisch gedacht: «Diesmal ist alles anders.» Genau das Gegenteil ist nämlich wahr: Es ist immer dieselbe Geschichte. Es herrscht eine Art Wiederholungszwang.

Wie gesetzmässig der ganze Mechanismus abläuft, konnte man beim Erscheinen des Buchs von Reinhart und Rogoff live mitverfolgen. Die Presse war voll von positiven Nachrichten über die sogenannten Brics-Länder: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Ihr Aufstieg zur Spitze würde nun unmittelbar bevorstehen, hiess es. Die alten OECD-Länder hätten den Zenit überschritten. Ihre Zeit sei abgelaufen.

Sechs Jahre später tönt alles anders. Es sei schon immer klar gewesen, dass Brasilien keine nachhaltige Wirtschaftspolitik betreibe, hiess es. Und vor einem Crash Chinas habe man schon immer gewarnt. Es sei alles nur eine Frage der Zeit gewesen. Und so weiter und so fort.

Warum lernen die Leute so wenig aus der Vergangenheit? Warum ignorierten sie die empirisch gut fundierten Lehren von Reinhart und Rogoff?

Die Antwort ist ganz einfach: Der Zinszyklus bestimmt die weltweiten Finanzströme. Wenn die Zinsen hoch sind, fliesst das Kapital hauptsächlich in die reichen Länder. Sobald diese Länder in eine Rezession geraten und die Zinsen sinken, fliesst das Kapital in die Schwellenländer – bis die Zinsen wieder steigen und die Schwellenländer in eine Finanzkrise geraten.

Die folgende Grafik zeigt den Schuldenzyklus über die letzten zweihundert Jahre (Quelle). Die Kurve zeigt den Anteil der Länder, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ihre Schulden abschreiben oder reduzieren mussten. Die Werte erreichen zum Teil das Niveau von 50 Prozent!

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Der Zwang zur Wiederholung hat also strukturelle Gründe. Anlagesuchendes Kapital sucht stets die höchsten Renditen, und die sind in der Tiefzinsphase nun mal in den Schwellenländern. Dass die ganzen Kapitalströme publizistisch angefeuert werden, gehört zum Geschäft.

Was kann man dagegen tun? Die einzige Möglichkeit wäre, den internationalen Kapitalverkehr einzuschränken. Nicht wenige fordern dies, vor einigen Jahren sogar der Internationale Währungsfonds (IWF). Das aber wiederum schafft andere Probleme – ein Thema für einen anderen Blogbeitrag.

18 Kommentare zu «Warum dieser Wiederholungszwang?»

  • Linus Huber sagt:

    off topic – Warum wird dies im TA und in der BAZ nicht thematisiert?

    „Die Bundesregierung bricht mit ihrer Weigerung, die Landesgrenzen umfassend zu kontrollieren, eindeutig Verfassungsrecht.“

    Man hat sich bereits derart an das Biegen und selbst Brechen der Verfassungen durch die Exekutive gewöhnt, dass kaum mehr jemand aufheult; Rechtsstaatlichkeit scheint für Entscheidungsträger der Regierungen und Politiker immer weniger zu gelten, was nicht weiter verwunderlich ist, wenn diese Leute Immunität geniessen.

    http://www.n-tv.de/politik/politik_person_der_woche/Der-Richter-der-Kanzlerin-article16746101.html

  • Fred Ruegg sagt:

    Darüber hinaus können die Politik- und Geldexperten auch noch die hier im Link angegebene Zukunftsaussicht einbeziehen.
    Vielleicht genügen – für Einzelne schon- die verlinkten PowerPoint slides (Zeit!), um das Dilemma unseres Daseins und Fortlebens unserer Spezies mit der Natur gesammt, zu „erleuchten“!

    http://www.debtdeflation.com/blogs/2015/10/31/lecture05-why-economists-disagree-the-common-blindspot-on-the-environment/

  • Pius Tschirky sagt:

    Es sind meines Erachtens immer wieder die selben Zyklen! Bei laufender Wirtschaft verschulden sich die Menschen enorm und erzeugen damit eben dieses Wirtschaftswachstum. Das gilt überigens auch für die USA! Es heisst dann, man hätte ein Wirtschaftswachstum von 3 % erzielt und zum Teil reagieren die Börsen euphorisch auf solche Meldungen oder sie sacken ab, weil man dann eben Ängste hat, dass das FED die Zinsen erhöht! Interssant wäre es zu wissen, wie so ein Wirtschaftswachstum zustande kommt oder eben woher nun das Geld für dieses Wachstum stammt! Wer eben mit gepumptem Geld Wirtschaftswachstum erzeugt, wird (wie in Brasilein) wohl bald mal von der Realität eingeholt!

  • Marcel Senn sagt:

    Business as usual — gemäss den UNO mussten alleine seit 1950 in 600 Fällen bei Staaten Schuldenrestrukturierierungen vorgenommen werden — dies betraf eint total von 95 Staaten.

    Und hier noch alle 214 Staatsbankrotte von 1800 bis 2014

    http://www.zerohedge.com/news/2014-07-31/214-years-sovereign-defaults-one-chart

    Vor allem in Lateinamerika löst man das lästige Schuldenproblem immer wieder gerne mal auf diese Art und Weise – vermutlich weil diese Länder infolge des vorherrschenden katholischen Glaubens weniger moralisch-ethische Probleme damit haben — ist doch ein Default sowas ähnliches wie eine Beichte und dann sind die Sünden vergeben und das Spiel beginnt von neuem…

    • Marcel Senn sagt:

      Korrigenda: Alle Staatsbankrotte der letzten 214 Jahre sollte es heissen — gemäss Reinhard/Rogoff waren es seit 1800 181 Staatsbankrotte oder Teildefaults — es gibt ja auch noch verschiedene Defaultstufen.
      .
      Seit dem 16 Jahrhundert ist immer noch Spanien die unangefochtene No 1 mit 14 resp. 15 Defaults (je nach Quelle und Defaulkriterien)

      • Dieter Neth sagt:

        So soll es auch sein. Nur ein Reformierter denkt, er könne sein Geld mit in den Himmel nehmen…. Wenn man seine Schulden nicht bezahlen kann ist das eben so. Was soll ich mir darüber Sorgen machen‘ Oder versucht, ein vernünftiger Mensch, einen Stein auszupressen um an Wasser zu kommen? Konkurs gehört zum Kapitalismus wie der Zins. Am besten wäre es, alles auf 0 zurückzusetzen und von vorne anzufangen. Um weiterhin biblisch zu bleiben: Das geschah damals in den sogenannten Jubeljahren. Heutzutage macht man einen Weltkrieg, damit die Leute nicht merken, dass das System gar nicht funktioniert.

  • Matthias Meier sagt:

    Man könnte auch sagen, die Gier siegt immer wieder über die Vernunft.

  • Kristina sagt:

    Was mit alles wird anders gemeint ist, ist eben die Tatsache, dass arm und reich in der gleichen Strasse zu Hause sein werden.

  • Rolf Rothacher sagt:

    Grafik und Aussagen beleuchten bloss die Staatsschulden. Doch Staaten werden selbst heute zu 2/3 von Despoten regiert und handeln oft wirtschaftlich unvernünftig. Daraus abzuleiten, Kapitalverkehrskontrollen könnten Positives schaffen, ist dasselbe, wie immer Schutzkappenstiefel zu tragen. Falls einem mal etwas auf den Fuss fallen sollte, helfen sie. Gleichzeitig behindern sie uns jedoch 24 Std./365 Tage. Die Freiheit, Chance wahrnehmen zu können, hat unseren Wohlstand geschaffen. Dieselben Chance sollten wir weiterhin auch den Schwellenländern zugestehen. Oder soll der Westen in den nächsten Jahrzehnten zwei Milliarden Wirtschafts-Flüchtlinge bei sich aufnehmen? Das wäre die Alternative.

    • G. Nardone sagt:

      @Rolf Rothacher:
      – „Grafik und Aussagen beleuchten bloss die Staatsschulden.“
      Genau, es fehlen nämlich Angaben über die privaten Schulden!

      – „Doch Staaten werden selbst heute zu 2/3 von Despoten regiert und handeln oft wirtschaftlich unvernünftig. Daraus abzuleiten, Kapitalverkehrskontrollen könnten Positives schaffen.“
      Aber Sie haben doch selbst impliziert, dass es an Angaben über private Schulden fehle? Und Finanz-Krisen haben meist, wenn nicht ausschliesslich, mit Schulden-Blasen im privaten Sektor zu tun.

      – „Die Freiheit, Chance wahrnehmen zu können“
      Zuerst muss man ja diese Chance schaffen, freies privates Kapital macht das aber nicht, sondern wartet auf sie …

      • Marcel Senn sagt:

        Nardone: Es fehlen noch mehr Schulden – vollständig wäre.

        Staatsschulden (Staaten)
        Weitere öffenliche Schulden (Bundesstaaten Kantone, Departemente etc und Gemeinden)
        Sozialvers. Verpflichtungen
        Privathaushaltschulden
        Non-Fin Corp Schulden
        Fin-Corp Schulden
        Weitere nicht erfasste Schulden (Schattenbanken, nicht erfasste private kleinere Privatschulden etc)
        Allenfalls noch zukünfige Zentralbankschulden (bei Unterbilanzen derselben)
        .
        In jedem Staat kommt es auf den Mix innerhalb derselben an — denn die Finanzschulden können dann auch schnell mal zu Staatsschulden werden wie das 2008/09 oft passiert ist oder aktuell in China durch die horrenden Non-Fin-Corp Schulden noch…

        • G. Nardone sagt:

          @Marcel Senn:
          Öffentliche Schulden, die in der eigenen Währung (die keinem Fix-Kurs unterliegt) nominiert sind, sind für diesen Staat absolut kein Problem und unterliegt nicht der Gefahr eines Defaults, höchstens der Gefahr von Inflation.
          Die schweiz. öffentl. Schulden + Leistungs-Bilanz-Überschüsse = Sparvermögen des schweiz. privaten Sektors auf den Rappen genau. Also wo genau liegt das Problem?

          – „denn die Finanzschulden können dann auch schnell mal zu Staatsschulden werden wie das 2008/09 oft passiert ist“
          Das ist wahr, doch wir sollten nicht vergessen, dass der Verursacher dieser Misere der priv. Sektor war.

        • Marcel Senn sagt:

          Nardone: Besten Dank für Ihre Diagramme — die zeigen nämlich sehr gut auf, dass Ihre Gleichung eben falsch ist, denn Sie berücksichtigen die Capital Accounts nicht (die in der Gross International Investing Position festgehalten werden)

          Lesen Sie mal was ein Capital Account ist — nämlich eben genau das Stück, dass in Ihrer Gleichung fehlt — ausländische Vermögen in den USA resp. all die Treausuries die z.B die asiatischen Länder halten

          https://en.wikipedia.org/wiki/Capital_account

          Leistungsbilanzüberschüsse/ Defizite machen nur einen Teil derselben aus.

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