Der Bondmarkt-Wahnsinn
Beginnen wir mal mit einem Chart:

(Quelle: Bloomberg)
Sieht auf den ersten Blick nicht sehr spektakulär aus. Doch dieser Chart erzählt eine Geschichte. Eine Geschichte des Wahns.
Haben Sie schon einmal den Begriff «Race for Yield» gehört? Darunter ist die verzweifelte Suche nach Rendite zu verstehen, in die Investoren von der Null- und Negativzinspolitik der Notenbanken gedrängt werden (hier zum Thema Geldpolitik übrigens ein sehr lesenswertes Interview, das mein Kollege Christoph Gisiger mit dem US-Zinsspezialisten Jim Grant in New York geführt hat).
Im Grunde ist die Sache simpel: Wer mehr Rendite will, muss mehr Risiko in Kauf nehmen. Denn risikolose Rendite gibt es nicht mehr. Angenommen, Sie sind Anlagechef(-in) einer Pensionskasse oder eines Lebensversicherers und sind mit der Aufgabe betraut, ein grosses Obligationenportefeuille zu bewirtschaften: Wo finden Sie mehr Risiko?

Jagd nach Risiko: Die Investoren suchen verzweifelt nach höheren Renditen. (Flickr/Sam Valadi)
Typischerweise haben Sie zwei Stellschrauben, nämlich die Laufzeit und die Qualität respektive Bonität des Schuldners, der die Obligation ausgegeben hat.
Kurzum: Wer mehr Rendite will, muss am Bondmarkt mindere Qualität und/oder längere Laufzeiten kaufen.
Anfang Juni, vor nur etwas mehr als drei Monaten, nutzte der parastaatliche brasilianische Ölkonzern Petrobras genau diese verzweifelte Suche nach Rendite aus: Petrobras gab unter der Wertpapier-Kennnummer US71647NAN93 einen Bond in US-Dollar mit 100 Jahren Laufzeit aus. Der jährliche Zinscoupon des Papiers beträgt 6,85 Prozent.
Richtig: 6,85 Prozent für eine Laufzeit von 100 Jahren. Und das für einen Schuldner, der in einen der grössten Korruptionsskandale aller Zeiten verwickelt ist; für einen Konzern, der bereits 133 Milliarden Dollar Schulden in seiner Bilanz trägt und die zweifelhafte Ehre geniesst, der am höchsten verschuldete Ölförderer der Welt zu sein; für ein Unternehmen, dessen Bonität von den Ratingagenturen als «Junk» – Ramsch – eingestuft wird; für einen Ölmulti, von dem niemand weiss, ob er in zwanzig, fünfzig oder hundert Jahren überhaupt noch Ölreserven besitzt.
Geschweige denn, ob im Jahr 2115 überhaupt noch jemand Erdöl benötigt.
Die Anleihe mit einem Volumen von 2,5 Milliarden Dollar war dreifach überzeichnet. Die Investoren rissen sich darum. Der Emissionspreis wurde so angesetzt, dass die Rendite auf Verfall 8,45 Prozent betrug.
So weit, so gut.
In der Zwischenzeit, in nur drei Monaten, ist einiges geschehen:
- Seit Anfang Juni ist der Ölpreis um rund 24 Prozent gesunken.
- Brasilien, der Heimatstaat von Petrobras, ist tiefer in die Rezession geschlittert.
- Die Ratingagentur Standard & Poor’s stufte die Bonität des Staates Brasilien auf Junk zurück (hier mehr dazu).
- Brasiliens Zentralbank erhöhte die Leitzinsen auf 14,25 Prozent.
- Die brasilianische Währung, der Real, ist auf den tiefsten Stand ihrer Existenz (seit 1994) gefallen. Allein seit Anfang Juni hat sich der Real zum Dollar um mehr als 25 Prozent abgewertet.
Das waren alles keine Ereignisse, die komplett überraschend auftauchten. Doch wer Anfang Juni den Jahrhundert-Bond von Petrobras gekauft hatte, erhielt eine bittere Quittung: Wie der eingangs abgebildete Chart zeigt, beträgt der Kursverlust bis heute bereits 30 Prozent.
Schon heute, nach wenig mehr als drei Monaten, mutet es absurd an, dass dieser Bond überhaupt so reissenden Absatz fand.
Eines der dominierenden Themen an den globalen Finanzmärkten in den vergangenen Jahren war der immense Kapitalfluss, der nach 2008 in die Schwellenländer strömte. Das hat in Emerging Markets wie China, Brasilien, Russland oder Indonesien zu einem starken Anstieg der Verschuldung in der Privatwirtschaft geführt. Und ein beträchtlicher Teil dieser Schulden wurde in US-Dollar aufgenommen. Wer mehr Details dazu erfahren will: In diesem und diesem und diesem Blogbeitrag haben wir das Thema bereits eingehend beleuchtet.
Und nun, seit einigen Monaten, hat die Gezeitenwende in den Kapitalströmen stattgefunden. Das Kapital strömt aus den Emerging Markets zurück in die USA (hier mehr dazu).
Petrobras steht symbolisch für diese Ära: Der Konzern hat insgesamt mehr als 90 Milliarden seiner Schulden in US-Dollar aufgenommen. Und nun kommt die Kehrseite dieses Sündenfalls, wenn man sich in einer Währung verschuldet, die nicht die eigene ist: Je tiefer der Real fällt, desto schwerer wird die Last der Dollarschulden für Petrobras.
Wer weiss, vielleicht geht der Jahrhundert-Bond US71647NAN93 in die Geschichte ein. Als letzter Ausdruck des Wahns, dem Investoren in den USA und Europa in ihrem Anlagenotstand, dem Race for Yield, verfallen sind.
Zwei Links in eigener Sache: Hier die zwei nächsten Teile unserer FuW-Serie über historische Spekulationsblasen: Die Bowling-Euphorie in den Sechzigerjahren und die «Nifty-Fifty»-Blase.
28 Kommentare zu «Der Bondmarkt-Wahnsinn»
Grant erklärt in obigen Link gut, wie Fehlinvestitionen entstehen.
Ziel der ultralockeren Geldpolitik war es, die Nachfrage zu steigern. Vergessen ging aber, dass auch das Angebot wachsen würde. In den USA etwa konnten sich Ölförderer dank der niedrigen Zinsen günstig finanzieren. Dadurch kam es zur Überproduktion, was nun den Ölpreis belastet.
… und Yellen hat anscheinend zum ersten mal diesen offensichtlich Umstand anerkannt:
(Das Festhalten an zu tiefen Zinsen für zu lange) “could encourage excessive leverage and other forms of inappropriate risk-taking that might undermine financial stability”.
Wer diesen Zentralbankern vertraut, ist entweder komplett indoktriniert von der gegenwärtig angewandten Lehre, welche 2% Inflation als sinnvolles Ziel bezeichnet, oder hat einfach kein konzeptionelles Verständnis für ökonomische und mit unzähligen Wechselwirkungen gekennzeichneten Zusammenhänge. Das einzig was stark wachsen wird, ist nicht die Weltwirtschaft, sondern die mit Zwangsmassnahmen durchgesetzte Planwirtschaft, welche die wirtschaftliche Dynamik weiter reduzieren dürfte.
Die zunehmende Machtanmassung von Regierungen muss in einem bedeutend weiteren Rahmen betrachtet werden. Die ansonsten liberal denkenden Kräfte erkennen diesen Umstand im Bereiche der militärischen Aufrüstung im allgemeinen nicht.
http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/asia/japan/11873538/Japan-expected-to-pass-security-bills-despite-widespread-anger.html
Petrobras erzielt seine Einnahmen weitestgehend in USD, nicht in Real. Anders als im Artikel dargestellt, sind deshalb die 90Mrd USD-Anleihen kongruent mit den übrigen Haupt-Geldströmen, und damit durchaus in Ordnung.
Wäre die Verschuldung in USD das Hauptproblem, dürften die US-Förderer keine wesentlichen Probleme haben, was jedoch nicht der Realität entspricht. Tatsächlich gibt es namhafte Stimmen (bspw Jeff Gundlach), die in den Öl-Junkbonds derzeit das grösste Problem/Risiko des Finanzsektors sehen, und massive Abschreibeer (inkl. den zu erwartenden Auswirkungen auf die Kreditgeber) als wahrscheinlich ansehen.
Nicht die Verschuldung in USD ist das Hauptproblem, sondern der halbierte Ölpreis (zusammen mit ein paar anderern Problemchen, die im Artikel erwähnt sind).
Bin ja gespannt wie sich die Non-Performing Loans an die US Fracking- und Shaleoilproduzenten weiterentwickeln werden und wieviele Totalabschreiber daraus entstehen können.
Laut WSJ vom Jan 2015 wurden über 200 Mrd $ an low-rated Energy Firms weltweit verliehen – nachdem die Banken um die 31 Mrd $ Fees und Commissions eingestrichen haben in den letzten 5 Jahren.
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Für Rohstofffirmen im allgemeinen könnte es eng werden – Glencore ist auch nur noch am serbeln und anderen wird es ähnlich gehen bei den tiefen Rohstoffpreisen – auch ganze Länder werden da drunter stark leiden.
Die Rohstoffpreise werden alle grenzüberschreitend in Dollar gehandelt. Die Banken sind dann in der Bredouille, wenn die Dollar-Gestehungskosten ihrer Kreditnehmer höher sind als die Preise auf dem Rohstoffmarkt. Die Non-Performing Loans der US-Fracking-Produzenten können nur dann bei den Banken einen Totalverlust verhindern, wenn die US-Regierung wie in den 50er Jahren ein Importverbot für ausländisches Erdöl erläßt. Damals überschwemmte billiges Erdöl aus dem Nahen Osten den amerikanischen Markt und setzte einheimische Produzenten wie Hunt, Richardson und andere unter gewaltigem Druck trotz enormen Steuervorteilen bei der Exploration von neuen Ölquellen. Diese Regelung blieb bis in 70er Jahre in Kraft. Wenn ein Republikaner Präsident wird, wird er wie Eisenhower die Fracking-Produzenten so retten, er kann dabei im Gegensatz zu Eisenhower, daß Handelsbilanz-Defizit als starke Argumentation anführen.
Petrobras versorgt Brasilien zu 100 % mit eigenem, brasilianischem Erdöl und muß keine Konkurrenz für billiges Erdöl aus dem Ausland fürchten. Ihr Umsatz ist in Real und nicht Dollar. Die Politik in Brasilien kann natürlich den Erdölpreis für die Konsumenten in Real so hoch festsetzen, dass der Gewinn von Petrobras enorm ist und sie trotzdem ihre Zinsschulden in Dollar bezahlen kann, daß ist aber nur politisch durchsetzbar, wenn die brasilianische Leistungsbilanz einen Überschuss ausweist, was nicht der Fall ist. Brasilien ist nicht ein Kreditnehmer in ausländischer Währung, der wie die Schweiz in den 30er Jahren , sich bis aufs Blut ausplündern läßt. Das ganze erinnert mich an die brasilianische Kaffeepreisstabilisation Anleihe in Dollar mit ähnlich hohem Zinssatz in den 20er Jahren mit riesigem Verlust für die Gläubiger 5 Jahre später.
Diese Situation zeigt auf, dass das Geldsystem am Ende der Fahnenstange angelangt ist. Wenn innerhalb weniger Jahre durch Not-Löschaktionen die Geldmenge verX-facht wird und hinterher das Löschwasser angesichts fehlender Nachfragesteigerung der Konsumenten nicht ablaufen kann entsteht ein gigantischer Anlagenotstand für das kranke Schuldgeldsystem. Es ist undenkbar wie diese Geldmengen mittelfristig durch entsprechende Produktivitätssteigerungen und Innovationen absorbiert werden sollen; folglich können bestenfalls weitere kreative Geldillusionen geschaffen werden in der Hoffnung jeweils einen Dummen zu finden.
In der Zwischenzeit läuft ein geniales Geschäftsmodell von Gratisrenditen der Geschäftsbanken mit dem gewaltig aufgeblähten Interbankengeldkreislauf über welchen neue Staatsanleihen zirkulieren und bei Bedarf immer wieder bei den Notenbanken entsorgt und erneuert werden, ein perpetuum mobile der Boni Maschine.
Marti: Gehe völlig einig mit ihnen — wenn man Bonds mit solchen Konditionen wie Petrobas rausgibt muss man schon verzweifelt sein – nur solange der Verzweiflung noch der „Anlagenotstand“ und die Gier Perfomance zu machen, findet auch die Petrobas noch Dumme die in sowas investieren — mit den von Herrn Dittli beschriebenen Folgen.
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Bin gerade dran die grosse China-Blase zu analysieren, die sich seit 2007 zu einem währschaften Monster entwickelt hat.
Die über 20 Bio $ Zunahme der Gross Fixed Capital Expenditures seit 2007 wurden dort zum Grossteil über neue Kredite finanziert und solange chinesische Investoren und Baukonglomorate wirklich dran glauben leerstehende Wohnungen seien eine reale Wertanlage wird dieser Wahnsinn wohl noch etwas weiter gehen bis die grossen Liquiditätsprobleme einzelner Marktteilnehmer gehäuft auftreten und das ganze Kartenhaus zusammenbricht mit globalen Folgen.
Ich träume auch von ein Wirtschaft, die auf Vollgeld basiert (allenfalls noch mit einem Mindestreservesatz von mindestens 66%), eine Form von finanzierbarem BEG beinhaltet und eine ressourcenbasierte Sharing-Oeonomie als Ziel hat.
Nur werde ich das vermutlich nicht mehr erleben, oder die Menschheit bevorzugt wieder mal Krieg, wenn sie nicht mehr weiter weiss anstatt mal was wirklich mittelfristig nachhaltiges auf die Beine zu stellen.
Auch wenn Vollgeld und BEG vermutlich vom in veralteten Paradigmas verhafteten CH Volk hochkantig abgelehnt wird, ist es gut finden solche Diskussionen wenigstens mal statt. Ueberhaupt hat die Finanzkrise 2008/09 und auch die Schuldenkrise bei vielen die Denkmuster schon mal etwas aufgeweicht, der vermutlich kommende grosse Crash in den nächsten Jahren wird entweder zu Krieg, Volksaufständen oder im besten Fall zu neuen nachhaltigeren und gerechteren Wirtschaftsmodellen führen.
Nun gut, es ist ganz klar, daß überall der Immobilienmarkt nach der Devise funktioniert: Lage, Lage und nochmals Lage. Ob nun die Häuser in der Wüste Gobi, in der Llano Estacado oder tief im Massif Centrale erstellt werden, Arbeitsplätze und Wohnraum kommen dort nie zusammen und Immobilien sind an solchen Lagen reine Liebhaber-Objekte. Wenn solche Märkte eine Hausse erleben, können sie ebenso schnell bei jedem Windstoß zusammenbrechen. Bei China sind wesentlich zwei Faktoren bei der Schadensbegrenzung beim Zusammenbruch der Aktienhausse zu beachten. Für mich ist eine Politik à la Keynes je erfolgreicher, desto größer der Wirtschaft- und Währungsraum ist und gegen außen gemessen am Volkseinkommen kein zu großes Leistungsbilanz-Defizit aufweist. Deswegen kann China eine Rezession gut bekämpfen, ohne Rücksicht auf seine außenwirtschaftliche Gegebenheiten zu nehmen. Ferner ist der Wohnraum pro Kopf der Bevölkerung nur ein Bruchteil dessen, was ein Amerikaner hat. Ich glaube, es ist nur 15 % für den Chinesen. Die Nachfrage ist also noch lange garantiert und die Leute bevorzugen so wieso als Investition den eigenen Wohnraum und nicht mehr die Aktien, nach den miesen Erfahrung, die sie gemacht haben.
Die Einführung des Vollgeldes wird nie stattfinden, da sie direkt die Macht des Staates durch seine Zentralbank einschränkt und gleichzeitig die Klasse der aktiven Kapitalisten in der Aufnahme von Schulden für ihre Zwecke behindert. Auch wird es nie eine Aufsplitterung der Macht der Zentralbank geben zugunsten einer Gruppe von Privaten, die angeblich mehr langfristige Sorgfalt bei der Geldschöpfung strikt einhalten würden. Wer war Sieger im 18. Jahrhundert, England, Holland oder Frankreich?
England, deren Zentralbank, die frechste war bei der Geldschöpfung und die aggressive Politik dieser Nation hervorragend unterstützen konnte. Holland war da bereits benachteiligt, ihre Amsterdamer Wechselbank beruhte auf dem Vollgeld-Prinzip.
Die Franzosen hatten während der Zeit der Bourbonen überhaupt keine Zentralbank, sondern diese schwerreichen und sehr großzügig privilegierten Steuerpächter. Eine richtige Klasse von Parasiten, die bei den Kaufleuten zutiefst verhaßt waren. Die meisten von ihnen endeten dann auch während der Revolution unter der Guillotine, darunter das größte wissenschaftliche Genie Frankreichs, Lavasoier. Aber nicht wegen seiner Wissenschaft, wie die Literaten öfters behaupten, sondern in seiner Stellung und seinem Reichtum als Steuerpächter.
Für mich ist eine Politik à la Keynes je erfolgreicher, desto größer der Wirtschaft- und Währungsraum ist und gegen außen gemessen am Volkseinkommen kein zu großes Leistungsbilanz-Defizit aufweist.
Da ich ein wenig schwer von Begriff bin, erklären Sie mir bitte leicht verständlich, warum dies so sein soll und was Sie genau mit „Politik a la Keynes“ meinen.
England, deren Zentralbank, die frechste war
Na ja, zumindest anfangs des 18. Jh. hat wohl Frankreich mit John Law die Ehrenmedaille für die frechste Geldpolitik verdient. Allerdings bezweifle ich, dass Aktionen einer Zentralbank in einem begrenzten zeitlichen Abschnitt allein massgebend sind für den Erfolg einer Nation, sondern diese Aktionsmöglichkeiten von Rahmenbedingungen und Vorgeschichte, welche diese beeinflussten, stark beeinflusst werden.
@Marti
„Es ist undenkbar wie diese Geldmengen mittelfristig durch entsprechende Produktivitätssteigerungen und Innovationen absorbiert werden sollen“
1. Dies ist ein sehr guter Gedanke. Damit treffen Sie einen Kern, wenn nicht sogar DEN Kern für die Prognose unserer nächsten Jahre: Finanzplatz vs Werkplatz, Finanzwirtschaft vs Realwirtschaft, Bernanke (savings glut) vs. Summers (secular stagnation).
Die Produktivitätssteigerung pro Jahr wird ~2-3% ausmachen und diese ~2-3% vermögen den benötigten Realzins von ~2-3% zu erwirtschaften. Ich meine damit den Ertrag, den man über die finanzwirtschaftlichen Bewertungstricks hinaus erwirtschaftet bzw. erwirtschaften kann.
2. Ich denke, ohne Realzins von mindestens ~2-3% wird es nicht gehen. Warum soll man sich in der Realwirtschaft sonst müde machen? Warum soll man ein Investitionsrisiko nehmen, wenn man mit Schulden genauso viel ausschütten kann? Einfacher ist es ja heute: sich zu ~0% zu verschulden und damit eine Dividenden-Ausschüttung von ~2-3% zu finanzieren … nach mir die Sintflut.
3. Keynes legt dafür (also für die REALwirtschaft) in Book IV seiner General Theory die Grundlagen für mich sehr einleuchtend dar, z,B. in chapter 14:
„Saving and Investment are the determinates of the system, not the determinants, namely the propensity to consume, the schedule of marginal efficiency of capital and the rate of interest. These determinants are, indeed, themselves complex and each is capable of being affected by prospective changes in the others. BUT THEY REMAIN INDEPENDENT in the sense that their values cannot be inferred from one another. (…) The significant conclusion is that the output of new investment will be pushed to the point at which the MARGINAL EFFICIENCY OF CAPITAL BECOMES EQUAL TO THE RATE OF INTEREST; and what the schedule of the marginal efficiency of capital tells us, is, NOT what the rate of interest IS, but the point to which the output of new investment will be pushed, GIVEN the rate of interest.“
In chapter 16 führt dies Keynes dann weiter aus: What the owner of a capital-asset „really desires is its prospective yield. Now. prospective yield wholly depends on the expectation of future effective demand in relation to future conditions of supply (…) There is always an alternative to the ownership of real capital-assets, namely the ownership of money and debts; so that the prospective yield with which the producers of new investment have to be content CANNOT fall below the standard set by the current rate of interest. And the current rate of interest depends (…) not on the strength of the desire to hold wealth, but on the strength of the desire to hold it in liquid an in illiquid forms respectively (…)“
Wenn man in der FINANZwirtschaft ohne gross zu schwitzen z.B. 2% erhält, dann kann dies auch jeder in der REALwirtschaft erreichen, OHNE wirklich produktiv zu sein (bzw. genauso unproduktiv zu sein, wie die Finanzwirtschaft ist)
4. Die Notenbanken füttern und bewegen die FINANZwirtschaft, nicht die REALwirtschaft. Die Realwirtschaft will nach wie vor ~2-3% Realzinsen, sonst macht sie sich nicht müde: der schedule of marginal efficiency der Realwirtschaft fängt erst bei ~2-3% an. Wenn es keine ~2-3% Realzinsen gibt, steht die REALwirtschaft und es bewegt sich nur die Finanzwirtschaft mit ihren Bewertungs-Tricks, die aber sofort in sich zusammenfallen, falls jemand „liefern“ ruft: Denn liefern kann nur die Realwirtschaft
5. Ray Dalio erwartet, dass wir ohne adäquaten Realzins in eine secular stagnation laufen.
siehe http://www.economicprinciples.org/ (Ray Dalio)
Eine andere Quelle der Erkenntnis wären die debt cycles der BIZ (Chef-Ökonom Borio)
@ Josef & Markus
Danke für die detaillierte Beschreibung des Mechanismus. Solange das fragwürdige Ziel einer Inflationsrate von 2% vorliegt und ungefähr erreicht wird, haben die entsprechenden Entscheidungsträger aus ihrer Sicht ihre Aufgabe erfüllt – :-). Die daraus entstehenden Verzerrungen innerhalb des gesamten Systems scheinen sie nicht zu erkennen oder nicht gebührend zu berücksichtigen, sondern erkennen wohl als wichtigste sekundäre Aufgabe die Finanzwirtschaft (sprich Banken) zu schützen. Kurzum lässt sich Ihre Analyse wie folgt zusammenfassen: Jeder Boom welcher in erster Linie auf die Ausweitung der Kreditmenge (qualitatives Wachstum anstelle von qualitativem Wachstum) beruht, endet aufgrund der damit erzeugten Fehlinvestitionen im Endeffekt unweigerlich in einem Bust. Die Frage, welche sich stellt, liegt wohl darin, welche weiteren Massnahmen noch getroffen werden um das System respektive den Status Quo (Verhinderung von notwendigen Abschreibungen) weiter künstlich am Leben zu erhalten. Die kreative Fähigkeit der zuständigen Funktionäre, in ihrem Wahn, alles zwecks Rechtfertigung ihrer Existenzberechtigung manipulieren zu müssen, ist enorm und darf keineswegs unterschätzt werden. Dabei spielt immer weniger das Wohl der Gesellschaft eine Rolle, sondern wohl immer stärker die Angst als komplette Versager entlarvt zu werden respektive ihr persönliches Wohlbefinden. Die neue Woge im Bereiche der „Macroeconomic Prudence“ liefert für die neuen Zwangsmassnahmen und dem damit einhergehenden weiteren Ausbau der Bürokratie und Überwachung die zweckdienlichen Begründungen.
Der Wahnsinn. Ich wollte auch Vorschläge für eine fällige USD-Anleihe. Meine Bank empfahl mir tatsächlich vom gleichen Schuldner 4 verschiedene Bonds in USD, aber nur kurz- und mittelfristige Anleihen, nicht den 100 jährigen. Die Bonds wurden als BBB (vor der Herabstufung Brasilien) gerated mit neutralem Ausblick, mit der Empfehlung „buy“. Ich habe natürlich nichts gemacht. Das Geld halt liegenlassen und 1-2 Jahre warten. Die Gier vieler Anleger ist schlimm, aber auch die Banken, die diese Qualität von Bonds überhaupt anbieten…
Herr Blattmann
Die Anlageberater wissen in diesem von Willkür beherrschten, prinzipienfreien und einzig auf kurzfristige Vorteile orientierten System der dauernd stärkeren Zentralplanung auch nicht viel mehr als Sie und ich, sofern Sie diesen Blog regelmäßig lesen, und werden wohl oft auch mit Anreizsystemen unterschiedlichster Art motiviert, gewisse Anlageprodukte zu „vermarkten“.
Die Suche nach Rendite wird es immer geben – auch ohne Negativzinsen. Entscheidend sind die Risikoeinschätzungen und damit lautet die Frage: Liegen die offiziellen Risikoeinschätzungen im allgemeinen richtig oder vernachlässigen sie auf systematische Weise wichtige Faktoren? Ich neige eher zum zweiten und tendiere dazu langfristige Entwicklungen für wichtiger zu nehmen als Kurzfristige. Das Risiko einer Fehleinschätzung des Risikos ist besonders gross, wenn man auf einzelne Branchen oder gar einzelne Firmen wie hier Petrobras setzt. Viel kleiner ist das Risiko, wenn man auf langfristige Trends setzt. Solche langfristigen Trends sind beispielweise Wachstum in den Schwellen- und Entwicklungsländern oder zunehmende Urbanisierung. Wer darauf setzt geht praktisch kein Risiko ein. Er muss nur noch das richtige Anlagevehikel finden, welches diese Erwartungen abbildet.
Wie sagte Keynes so schön, langfristig sind wir alle tot. Lateinamerika ist nun mal für einen privaten Investor, ebenso für Pensionskassen und Versicherungen, immer ein sehr säumiger Schuldner gewesen. Die Banken haben zur Sicherung ihrer Kredite noch den IWF, der sie oft vor dem schlimmsten bewahrt hat. Die Banken konnten sogar zusätzliche Profite bei einer IWF Sanierung herausholen, wie dies zuletzt bei Mexiko der Fall wahr. Die Interessen des privaten Gläubiger dagegen werden kümmerlich oder gar nicht berücksichtigt. In diesem Sinn ist Argentinien das „Schreckmümpfeli“ der Obligationen-Gläubiger mit Auszeichnung und Brasilien mit seiner Moral punkto Gläubigerschutz ist in naher Distanz zu Argentinien, dem Alptraum aller Obligationäre. Rußland wanderte immer auf dem gleichen Pfad wie Lateinamerika. Dagegen ist der Verlust in südafrikanischen Anleihen praktisch nicht-existent. Zuviel Protestantismus!
Dumme Frage: Gibt es irgendein Publikum welcher Art auch immer, dem es keine Rolle spielt 30% Wertverlust hinzunehmen oder dem das sogar Vorteile bringt?
Zum Beispiel, wenn Verbrecher Geld waschen, dann ist ihnen vielleicht lieber am Schluss 60% weisses Geld zu haben anstatt 100% schwarzes Geld.
Wie können Sie mit einem Kauf und Verkauf eines Bonds Geld waschen? Wenn Sie das können, dann können Sie das auch mit einem Bond tun, auf dem Sie nichts verlieren.
Im Jahre 2115 wird es vermutlich eh nur noch kanadische Teersande und venezuelanisches Schweröl haben. Der Grossteil sonst dürfte schon viel früher zu Neigen gehen und dann dürfte der Oelpreis schon in wenigen Jahren (5-15) wieder käftig anziehen.
Von dem her könnte die Petrobraswette mittelfistig sogar noch temporär aufgehen – aber auf eine Rückzahlung 2115 würde ich nicht unbedingt hoffen — langfristig kann man nur gegen Staaten wetten wie Kostolany mit seinen Zarenbonds, die er sich für ein Appel und ein Ei gekauft hat und ihn alle für verrückt erklärt haben oder die glücklichen Bondholder die neulich von England die Bonds der Südseeblase von 1712 zurückbezahlt bekamen.
Die Annahme eines abrupten „Ausgehens“ ist meines Erachtens nicht richtig. Es wird immer Erdöl geben, auch von Saudi-Arabien. Sobald die Nachfrage das Angebot übersteigt, steigt der Preis. Und mit steigendem Preis sinkt die Nachfrage. Als erstes wird das Heizen mit fossilem Oel nicht mehr möglich sein, weil zu teuer. Autos werden jedoch weiterhin fossile Treibstoffe verwenden. Später werden vielleicht nur noch Flugzeuge fossil unterwegs sein etc. Aber dann wird der Verbrauch von Erdöl schon markant tiefer sein.
Übrigens, auch Litium für Batterien wird ausgehen Vielleicht sogar vor dem Erdöl.
Tatsächlich ist Lithium über 7 mal häufiger als Uran.
Wenn die Welt 1 Milliarde Tesla S mit je 85 kWh Batteriekapazität betreiben würde, dann sind das lediglich 85 TWh an Batteriekapazität. 85 TWh entspricht nicht einmal 0.5% der 10-Jahres-Atomstromproduktion (Lebensdauer eines Autos), wobei Atomstrom lediglich gut 10% des weltweit Strombedarfs deckt.
Auch wenn alle Strassen der Welt mit Elektroautos aufgefüllt würden, wird es nicht an Lithium mangeln.
Nein, an Lithium wohl nicht, aber an Neodyn, Praseodym und und Dysprosium für die Elektromotoren…
Laut einem Artikel in Focus soll das auf der Erde verfügbare Lithium bei einem Gesamtverbrauch von 1 Mio Tonnen pro Jahr in rund 30 Jahren aufgebraucht sein.140 Tonnen Meerwasser enthalten nur gerade 28 g Lithium.
Es reicht für ca. 360 Jahre http://minerals.usgs.gov/minerals/pubs/commodity/lithium/mcs-2015-lithi.pdf
Piller: Ich habe nichts von abruptem Ausgehen beschrieben. Aber mehr und mher Quellen des konventionellen Oels werden oder haben ihren Peek schon überschritten und dann nimmt die Fördermenge um 6-8% ab und auch der EROEI sinkt, weill immer mehr Energie aufgewendet werden muss um das verbliebene Oel zu fördern, da es nicht mehr von selbst raussprudelt wie früher.
In Saudiarabien in Ghawar, dem grössten Oelfeld aller Zeiten werden jetzt schon Mrd Fass von Meerwasser reingepumpt, damit noch genügend Druck vorhanden ist.
Und auch beim unkonventionellen Oel werden jetzt zuerst all die Sweet Spots gefördert – also das verhältnismässig einfach zu fördernde Oel im unkonventionellen Sektor, aber schon dort ist der Energie- und Wasserverbrauch enorm, zudem birgt es Umweltrisiken.
Die Preise könnten in ein paar Jahren deshalb abrupt steigen, denn vielen Ländern wird das Oel noch vor 2060 endgültig ausgehen und wie gesagt durch den Peek Effekt wird die Fördermenge der einzelnen Quellen rasch beachtlich sinken.
Auch wenn man grosszügig rechnet – BP Energy Outlook rechnet mit 1700 Mrd Fass Reserven (inkl. Schieferöle und Teersande), dazu mal noch 1000 Mrd mehr geschätzt aus unkonventionellem Oel – ergibt 2700 Mrd Fass – bei rund 32 Mrd Fass und einer jährlichen Steigerung von 1% und einem zunehmend abnehmenden EROEI düfte linear gesehen uns das Oel ca 2070 global ausgehen. (zum Vergleich zw. 1859-2015 wurden rund 1350 Mrd Fass gefördert weltweit)
Da aber die Reserven ungleich verteilt sind und unterschiedlich förderbar dürften Venezuela und Kanada dann noch Oel haben, während es sonst auf der Welt zunehmend fehlen wird (ganz grosse Entdeckungen von Oelfeldern mal vorbehalten, aber da wurde ja schon einiges untesucht und mit dem fortgeschrittenen Stand der Technik wird die Entdeckung wirklich sehr grosser Oelfelder immer unwahrscheinlicher)
Der Club of Rome hat das 1972 schon richtig vorausgesehen, er hat einfach aufgrund des damaligen Standes der Technik um einige Jahrzehnte verschätzt
@Senn: Ihre Rechnung und ihre Angaben sind sicher korrekt. Aber ich bezweifle, dass eine Steigerung des Verbrauchs von 1% bei angekündigter Verknappung und steigenden Preisen eine richtige Annahme ist.Wenn der Preis mal bei$US 200$ angelangt ist, wird die dritte Welt schon mal nur noch beschränkt Auto fahren können. In Europa wird heizen mit Erdöl nicht mehr rentieren. Bei $US 1000 wird die Nachfrage vielleicht noch 10% von heute sein, und aus 60 Jahren werden 600 Jahre Verfügbarkeit.
Piller: Wenn die Menschheit derseinst Oel tatsächlich auf 3-4% ihres Gesamtenergieverbrauchs zurückfahren könnte, wäre das ja sensationell – nur mit was substituieren? Die offiziellen Gasreserven langen auch nur noch für rund 60 Jahre, Steinkohle zwar noch etwas länger, aber z.B. bei Kohleverflüssigung holen sie aus einer Tonne nicht mal ein Fass Oel raus zudem müssen sie sehr viel Energie investieren.
Noch immer basieren rund 86% des globalen Energieverbrauchs auf fossilen Brennstoffen (Oel, Gas, Kohle) – so einfach sind die nicht zu substituieren.
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Ein Fass Erdöl entspricht inkl. Nahrungsaufnahme dem Energiewert von rund 22’000 Stunden körperlicher menschlicher Arbeit — Oel ist einer der Hauptgründe unseres Wohlstandes und spielt nebem dem relativ ineffizienten Verbrennen in Verbrennungsmotoren auch im Agrarbereich als Düngerbestandteil und zur Herstellung von Kunststoffen eine wichtige Rolle.
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Wenn die Menschheit aufgrund der Preisfunktionen in einer Markwirtschaft noch für ein paar hundert Jahre (in bescheidenem Masse allerdings) Erdöl hätte, wäre das ja sehr schön, nur glaube ich da nicht wirklich dran — wir verbrennen einen wesentlichen Teil der Reserven eben schon in den nächsten Jahrzehnten als gäbe es kein Morgen mehr!
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Also ich erwarte bei grosser Oelknappheit resp. Preisen von 1000 $ und mehr das Fass eher ein Mad Max Szenario…
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@Marcel Senn: „….Mad Max Szenario…“
Vielleicht leben wir bald nur noch in virtuellen Welten, brauchen lediglich Nahrung und ein paar geheizte Quadratmeter, fahren weder Auto noch ÖV, fliegen nicht in er der Welt rum, sind nicht mehr schön: Dann brauchen wir nur Strom für den Compi.
Anh: Sie meinen wir mutieren irgendwann zu Stephen Hawkings ähnlichen Wesen, die fast nur noch aus Gehirn bestehen?
Nun für den Compistrom könnte man dann noch Heimfitnessgeräte installieren, die den Strom liefern und uns nicht völlig verfetten lassen, wenn wir nur noch an der Kiste hängen.