Fehldiagnose Exportschwäche

Containerterminal im Hamburger Hafen: Durch massiven Kapitalzufluss hat Deutschland die Importüberschüsse in den Krisenländer ermöglicht. Foto: Axel Heimken/dapd
Schon seit dem Beginn der Eurokrise schwingt eine Art von moralischem Urteil mit. In der allgemeinsten und simplen Form lautet dieses etwa so: Die Krisenländer sind an ihren Problemen ganz alleine schuld. Dann erscheint es nur als richtig, dass sie dafür büssen. Nur so kann die Eurozone wieder gesunden. Diese Analyse ist kompletter Unsinn – Satz für Satz.
Schauen wir uns eine beliebte Spielart dieses Urteils etwas genauer an: In den Boomjahren vor der Krise sind die Löhne und damit die Kosten in den Peripherieländern der Eurozone derart stark gestiegen, dass diese Länder am Ende ihre Wettbewerbsfähigkeit eingebüsst haben und bei den Exporten nicht mehr mithalten können. Daher bleibt ihnen jetzt nichts anderes übrig, als diese Kosten und vor allem die Löhne wieder so stark zu senken, damit sie ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder zurückgewinnen.
Martin Sandbu, Wirtschaftskolumnist der «Financial Times», hat in einem ausgezeichneten Artikel mit Verweis auf empirische Daten zum Thema aufgezeigt, dass selbst diese ökonomisch kaschierte Version des moralischen Urteils nicht durch Fakten unterlegt ist. Seinem Artikel verdanke ich den Hinweis auf sehr zur Lektüre empfohlene Arbeiten der Ökonomen Guillaume Gaulier und Vincent Vicard (hier eine Kurzversion, hier eine umfassendere).
Es ist richtig, dass die Leistungsbilanz beziehungsweise die Nettoexporte (Exporte minus Importe) in den Peripherieländern bis zur Krise deutlich ins Negative gerutscht sind. Die folgende Grafik zeigt überdies auf, dass die Leistungsbilanzdefizite der Peripherieländer im Zeitablauf ziemlich symmetrisch den Überschüssen von Ländern des Kerns, das heisst vor allem Deutschland entsprechen.

Das ist aber keineswegs ein Beleg für eine geschrumpfte Wettbewerbsfähigkeit der Produkte der Peripherieländer auf den internationalen Märkten, noch nicht einmal ein Beleg für geringere Exporte. Denn Leistungsbilanzdefizite beziehungsweise negative Nettoexporte sind selbst bei konstanten Exporten möglich, wenn die Importe die Exporte übertreffen.
Tatsächlich: Bei den Exporten haben die Länder der Peripherie keinen Einbruch ihrer Exporte gesehen, noch nicht einmal «eine grössere systematische oder generelle Reduktion ihrer internationalen Marktanteile als die Überschussländer von Kerneuropa», wie Gaulier und Vicard berechnet haben. Auf die Entwicklung der Marktanteile kommen wir weiter unten nochmals zurück.
Für die Leistungsbilanzdefizite waren vor allem Importüberschüsse (im Vergleich zu den Exporten) verantwortlich. Und für diese können die Peripherieländer unmöglich alleine verantwortlich sein. Es liegt in der simplen Logik jeder Aussenwirtschaftsbilanz, dass Importüberschüsse ohne entsprechende Überschüsse beim Kapitalimport gar nicht möglich sind. Dieser Kapitalimport war eine Folge eines massiven Kapitalzuflusses aus den Kernländern, besonders aus Deutschland.
Wir erinnern uns, Deutschland war in den 2000er-Jahren der «kranke Mann Europas» mit einer äusserst schwachen Binnenwirtschaft. Dementsprechend setzte das Land für sein Wachstum auf Nettoexporte, die wiederum Nettokapitalexporte bedingen. Der Schwall an Kapitalimporten hat die Übertreibungen in den Peripherieländern daher überhaupt erst möglich gemacht beziehungsweise ausgelöst. Das erklärt in der obigen Grafik auch die Symmetrie von Leistungsbilanzüberschüssen der Kernländer zu den Leistungsbilanzdefiziten der Peripherieländer.
Wie verträgt sich die Feststellung, dass der Exportsektor der Peripherieländer stabil geblieben ist, nun aber mit dem Umstand, dass in diesen Ländern während ihrer Boomphase die Lohnstückkosten drastisch gestiegen sind, also die Löhne unabhängig von der Entwicklung der Produktivität? Eine verteuerte Produktion müsste doch der Wettbewerbsfähigkeit und damit den Exporten schaden.
Die durchschnittliche Entwicklung von Lohnstückkosten sagt nicht viel aus. Wie Gaulier und Vicard zeigen, blieb der Exportsektor in den Peripherieländern von diesen Kostensteigerungen weitgehend verschont. Die Lohnstückkosten sind hauptsächlich in der Binnenproduktion gestiegen. Das ist wenig erstaunlich, weil da der Boom vor allem stattgefunden hat – etwa im Baugewerbe in Spanien im Zuge der Immobilienpreisblase.
Die Exportbranchen blieben von diesem Kostenanstieg weitgehend verschont, weil die Produzenten da vielfach «Preisnehmer» sind, das heisst, ihre Absatzpreise werden auf den Weltmärkten festgelegt, der eigene Spielraum ist gering. Angesichts der internationalen Konkurrenz waren hier selbst in den Boomjahren kaum Preissteigerungen möglich.
Nun nochmals zurück zur Entwicklung der Marktanteile der Euroländer bis zur Krise. Gaulier und Vicard haben nicht nur diese selbst berechnet, sondern sie auch in ihre Einflusskomponenten zerlegt. Das Ergebnis zeigt die folgende Grafik:

Die durchgezogene blaue Linie zeigt die durchschnittliche jährliche Veränderung der Exportmarktanteile der bezeichneten Länder. Wie klar wird, entsprach die geringe Einbusse etwa Griechenlands jener von Deutschland, Spanien legte sogar zu. Einen wirklich drastischen Einbruch zeigte sich hingegen in Frankreich.
Der geografische Effekt zeigt den Einfluss durch die Entwicklungen in den Zielländern der Exporte. Dass dieser Effekt etwa in Griechenland besonders gross ist, zeigt sich daran, dass viele der damaligen Boomländer in der Europeripherie auch wichtige Exportmärkte Griechenlands sind. Der Sektoreffekt bezieht sich auf die Produkte, auf die Exportländer spezialisiert sind. Der negative Einfluss erklärt sich für Länder wie Italien, Griechenland oder Portugal hier mit ihrer grossen Gewichtung im Textilbereich, der unter besonders intensivem internationalen Konkurrenzdruck stand.
Der «Performance»-Effekt zeigt schliesslich die Verbesserung oder Verschlechterung des jeweiligen Marktanteils, der sich ergibt, wenn man den Spezialisierungseffekt herausrechnet. Bei dessen Entwicklung lag Griechenland mit Deutschland etwa gleich auf, Spanien kam sogar noch besser weg und legte hier zu. Dramatische Einbrüche verzeichneten Frankreich und das zum Kern der Eurozone zählende Finnland.
Die Autoren haben schliesslich auch die Entwicklung der Marktanteile seit der Krise (von 2008 bis zum zweiten Quartal 2011) seziert. Hier das Ergebnis:

Das Land mit den grössten Marktanteilsgewinnen ist – in der gängigen Sicht wohl überraschend – ausgerechnet Griechenland. Weil die wichtigsten Exportabnehmer andere Peripherieländer der Eurozone sind, schlägt diesmal der geographische Effekt negativ aus. Die Stärke bei Landwirtschaftsprodukten hat aber diesmal zu einem positiven Sektoreffekt geführt. Der Performance-Effekt ist mit Abstand am grössten, während er im Kernland Finnland deutlich negativ ist, dass die grössten Marktanteilsverluste zu verzeichnen hat.
Um Missverständnissen vorzubeugen. Die Ergebnis sagen nichts über die absolute Exportstärke oder -schwäche der betrachteten Länder aus. Im Fokus stand nur die Veränderung ihrer Konkurrenzfähigkeit bzw. Exportanteile. Und es zeigt sich deutlich, dass hier nicht der Ursprung ihrer Probleme liegt.
59 Kommentare zu «Fehldiagnose Exportschwäche»
Es braucht 2:
Den Kreditnehmer und den Kreditgeber 🙂
Schuld sind beide, weshalb die Schulden nur um 50 % gestrichen werden müssen.
Wurden sie schon.. und die verlängerung der Laufzeuit und senkung der Zinsen war noch ein zusätzlicher Schuldenschnitt…
Realistischer: Die Schulden werden zu 100% gestrichen und neue Hilfspakete sind nur eine Frage der Zeit.
Vielleicht sollten diese Länder mal Demokratie einführen, damit die Politiker nicht mehr machen können, wie ihnen gerade der Wind durch Hosen weht.
In der Schweiz haben wir dieses Problem auch schon.
„Vielleicht sollte man sich erst von der Schuldfrage verabschieden“
Das ist die bekannte Leier der Ökonomen, indem niemand schuld sein soll, womit sie die Verantwortung für fehlerhafte ökonomische Theorien nicht übernehmen wollen. Kreditnehmer wie -geber reagieren auf Anreize, welche zu einem hohen Grade von der Geldpolitik (im weitesten Sinne) abhängen. Wenn das Anreizsystem fehlerhaft ist, kommt es zu fehlerhaften Entwicklungen. Wie viel wirkliche Kritik der zuständigen Entscheidungsträger an ihrer eigenen Unzulänglichkeit haben wir bis heute erfahren? Wer ist zurückgetreten (Scharen von Ökonomen rechtfertigen ihre berufliche Existenz als Ökonom nicht)? Anstatt ihre Modelle zu hinterfragen, werden immer stärkere Zwangsmassnahmen aufgefahren und die Planwirtschaft weiter ausgebaut (Verwechseln Sie hierbei das korrumpierte System der gegenwärtigen Vetternwirtschaft nicht mit Kapitalismus). Auch der Finanzausgleich führt zu fehlerhaften Anreizen und sollte nicht institutionalisiert werden, sondern einzig zur einmaligen Bereinigung von Ungleichgewichten mit entsprechender Warnung zur Anpassung an jene, welche die Finanzen nicht im Griff haben. Ja, es geht nicht immer „gerecht“ zu und her und manch einer hat zweifelsfrei ein schlechtes Los gezogen, nur darf dies nicht dazu ausarten, dass ein immer stärkerer erzwungener Ausgleich stattfindet, sondern dieser kann nur auf Freiwilligkeit beruhen um die gesellschaftliche Akzeptanz längerfristig sicherzustellen, respektive darf nicht von fehlender Nachhaltigkeit geplagt zu sein.
Sorry – dies ist die Antwort an Roman Guenter.
„Den Kreditnehmer und den Kreditgeber – Schuld sind beide“
Na ja, vielleicht gibt es noch einen anderen Schuldigen, nämlich jener, welcher aufgrund fehlerhafter Theorien die Anreizsysteme festlegt (z.B. durch diverse Umverteilungsmechanismen der Risiken auf die Allgemeinheit).
Es hat tatsächlich einer den Nobelpreis dafür bekommen, dass er ein Buch geschrieben hat, in welchem er begründet, warum immer mehr Schulden machen und immer mehr Fremdkapitalzinsen zahlen, für eine Volkswirtschaft nur von Vorteil ist.
@ Roland
Es geht weniger um Schulden machen oder nicht, sondern um einerseits das Ausmass der Schuldenausweitung im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum (nicht dauerhaft höher) und deren Verwendung (Produktivität steigernde Investitionen unterscheiden sich essentiell von Kredit für Konsum). Kleines Beispiel: Das Steuerrecht veranlasst viele Schweizer, eine viel zu hohe Hypothek zu halten und sie nicht auf Null zu reduzieren, da dies für den einzelnen finanziell oft nachteilig wirkt (Ein Schelm, der vermutet, dass die Bankenlobby bei diesen Gesetzesbestimmungen am Werk war). Dies erzeugt eine bedeutend höhere Bilanzsumme der Banken in der Schweiz (je höher die Bilanzsumme, desto höher der finanzielle Vorteil aus der Zinsdifferenz), was einer indirekten Subvention der Banken gleichkommt. Diese Entwicklung wurde über die vergangenen Jahrzehnte weiter durch den Kaufkraftverlust der Währung verstärkt, wodurch eine graduelle Flucht aus dem Geld in reale Werte entstand und damit in einer gegenseitigen Wechselwirkung einerseits die Preise und andererseits das Volumen der Hypotheken hochgetrieben wurden. Die tiefen Zinsen verleiteten ebenfalls dazu, dass eine bedeutend höhere Wohnfläche als erschwinglich betrachtet wurde, was zusätzlich die Preise hochtrieb. Es handelt sich schlicht um die Erhöhung des Hebels, welcher in sämtlichen Bereichen weiter gesteigert wird, wobei dieser in diesem Fall beim einzelnen Immobilienbesitzer angesiedelt ist. Durch eine ankerlose Geldpolitik steigert sich die Abhängigkeit des Einzelnen vom System was im Gegenzug seine Unabhängigkeit und Freiheit reduziert. Prinzipien werden belächelt und die Regeln der Nachhaltigkeit durch ein Schneeballsystem ersetzt, im Unvermögen des Umstandes, dass Prinzipien nicht bestehen, weil sie angenehm sind, sondern weil sie die Nachhaltigkeit sicherstellen.
Es geht mir nicht in erster Linie um die SNB, welche teilweise keine Wahl hat ausser zu reagieren, sondern um das Fed, welche aufgrund ihres hohen Einflusses diese Gangart weltweit vorantrieb und unfähig ist Blasen zu sehen, selbst wenn diese Leute in einem Schaumbad sitzen. Vielleicht beinhalten Thomas Jefferson’s Worte einen Kern an Wahrheit: “The tree of liberty must be refreshed from time to time with the blood of patriots and tyrants. It is its natural manure.”
Weiss nicht, sehr geehrter Linus Huber, vielleicht gerade dies was sie beklagen, ist die Stärke und der Antrieb der westlich kapitalistischen Zivilisation. Heinsohn unterscheidet hier Besitz und Eigentum und sieht im Eigentum und seiner Verwendung in der Kreditwirtschaft die Dynamik.
„Antrieb der westlich kapitalistischen Zivilisation“
Ich bezweifle, ob man dies als Weiterentwicklung der Zivilisation bezeichnen soll oder aufgrund des damit ermöglichten barbarisch anmutenden Verhaltens der Finanzelite vielleicht eher als deren schrittweise Untergrabung. Heinsohn vertritt ebenfalls die Garde der Manipulanten, welche der Überzeugung sind, dass das Medium Geld der Entscheidungsgewalt der Regierung (resp. deren Zentralbank) unterliegen soll, womit das System längerfristig automatisch korrumpiert wird. Hier eine Kritik an seiner Theorie:
http://www.uni-konstanz.de/FuF/wiwi/laufer/kritik.pdf
Ah, weil man Kredite ermöglicht, iost man Schuld, wenn andere Länder das Geld in den Konsum stekcen?! Seltsame Logik..
Und ob Länder wie Deutschland die Schweiz etc. ihr Geld primär nach Italien etc gebracht haben, ist nirgens gezeigft. Das sollte doch leicht zu belegen sein. Wie haben sich die Kapitalflüsse in einzelne Länder verschoben.
Dazu beachtet der Artikel einen anderen Faktor in keinster Weise, warum z.B. Italien und Griechenland Probleme haben…
Die Staaten sind korrupt und haben einen ineffizienten Staatsapparat! DAS sind doch die Hauptprobleme, und das wurde ja auch viel gesagt.. Darauf müsste er auch eingehen, sonst ist die Schlussfolgerung des Artikels einfach falsch, weil ein wichtiger Teil ignoriert wird!
Man hätte das ganze auch einfacher zusammenfassen können:
Leben auf Pump (Importgüter bezahlt mit Import-Kapital) zahlt sich längerfristig nicht aus.
Muss meine Zusammenfassung noch etwas erweitern:
…. wenn man nicht genug verdient (Export).
…oder reich ist
Wie ist das bei Island gewesen? Haben die deutschen Lieferanten ihre prachtvollen, dort auf Kredit verkauften, SUV Fahrzeuge wieder abgeholt? Die bankrotten Isländer fahren nach wie vor fröhlich mit diesen Autos in ihrer eindrücklichen Landschaft herum. Deswegen liefern sie ihre guten Fische und ihr billigst produziertes Aluminium noch lange nicht gratis zur Deckung ihrer Schulden. Credere heisst ja übersetzt glauben!
Vielleicht ist Island der einzige Staat, in welchem das Risiko nicht automatisch vom Kreditgeber auf die Allgemeinheit umverteilt wurde, in welchem eine anständige Anzahl von Bankern bestraft wurde und damit wohl am prinzipientreusten gehandelt wurde, mit der Folge, dass nach einer 2 jährigen harten Krise und einigen politischen Tumulten es schrittweise wieder aufwärts ging. In anderen Worten könnte man auch sagen, dass Island nicht aus auf kurzfristige Vorteile fokussierten Überlegungen die demokratische Selbstbestimmung an die Finanzaristokratie verhökert hat.
„Im Fokus stand nur die Veränderung ihrer Konkurrenzfähigkeit bzw. Exportanteile. Und es zeigt sich deutlich, dass hier nicht der Ursprung ihrer Probleme liegt.“
Immerhin, langsam setzt sich auch bei NMTM die Erkenntnis durch, dass nicht der zu starke Euro die internationale Konkurrenzfähigkeit der Südländer ruinierte, sondern dass die Defizite „dank“ mehr Importen entstanden. Noch wird zwar der Import von Kapital verantwortlich gemacht, bzw. der Export von Kapital, damit es die bösen Deutschen waren, und unterschlagen, dass in erster Linie die Chinesen ihre in dieser Zeit angehäuften 2 Billionen (englisch Trillions) Währungsreserven irgendwohin exportieren mussten, aber der Schritt dahin, dass nur da Kapital importiert werden kann, wo mit diesem Kapital auch importierte Güter gekauft werden, und dass dies nicht nur die USA waren, ist nicht mehr gross.
Da liegen Sie falsch. Der Euro war für die Leistungsfähigkeit von GR oder E lange Zeit eine viel zu starke Währung. Ob das den Griechen ermöglichte, Waren aus China zu importieren oder Tomaten aus Holland und Olivenöl aus Italien (was ja für ein Land wie GR grotesk ist) kommt aufs selbe hinaus. Ohne Euro könnten sie das nicht im gleich hohen Ausmass. Genau gleich wurde auf der anderen Seite der deutsche Lohnempfänger für seine Leistung lange Zeit mit einem zu schwachen Euro entlöhnt und ging deshalb lieber in die Türkei anstatt nach GR in den Sommerurlaub. Eine reale Aufwertung mindert die Konkurrenzfähigkeit, diese muss dann entweder mit Währungsabwertung (also Ausstieg aus der Währungsunion) oder drastischer Lohn- und Preiskürzung gerettet werden, oder dann entscheidet man sich klar für Transferunion. Die reale Abwertung erhöht dagegen die Konkurrenzfähigkeit weil die relativen (nicht die absoluten) Lohnstückkosten tiefer sind als bei der Konkurrenz.
Der Euro war zu Beginn alles andere als stark, vor 10-15 Jahren weniger als einen USD wert. Dennoch lag die GR-Handelsbilanz bereits damals massiv in den miesen, so minus 4-5% typischerweise. Allerdings wurde das Defizit tatsächlich synchron mit dem steigenden Euro massiv aufgebläht, die Vermutung eines ursächlichen Zusammenhangs liegt nahe.
Erst in den letzten Jahren ist GR in der Nähe einer ausgeglichenen Handelsbilanz.
@Josef Marti: Die Griechen konnten nur viel mit dem starken Euro kaufen, indem sie sich viele von diesen liehen, „leisten“ konnte es sich zwar der einzelne Grieche, sein Statasangestelltengehalt oder seine Rente wurde ja auf das Konto gebucht, zu Lasten der Staatsschulden. Die Selbständigen und Unternehmer konnten es sich leisten, weil sie keine Steuern bezahlten.
Zum Tourismus: Wiki, tourism in greece: „tourism consumption increased considerably since the turn of the millennium, from US$17.7 bn. in 2000 to US$29.6 bn. in 2004.“ Aber auch danach wuchsen die Umsätze im Tourismus weiter. Je grösser ein Hotel, umso geringer der Anteil Lohnkosten pro Gastnacht: Für Griechenland habe ich rund 70 Betten pro Betrieb im Durchschnitt berechnet, aus der oben zitierten Wiki Quelle. Das ist viel zu klein. Für die Türkei konnte ich keine Zahlen finden. 2008 bin ich in der Ägäis gesegelt: Auf den griechischen Inseln kann man fast überall gratis in den Stadthäfen anlegen, bekommt aber weder Strom noch Wasser oder gar sanitäre Einrichtungen an Land. Also überwintern viele Yachties in den türkischen Marinas: Das ist nicht billig, aber eine warme Dusche, einen Clubraum mit Billiard, Bibliothek etc. Internet und eine warme Dusche sind ihnen das Geld vor allem über den Winter wert. Und entsprechend freuen sich die Yachtausrüster.
China hatte 2012 einen GR-Importanteil von 5%, die sind hier fein raus. Überhaupt sind die GR-Importe breit diversifiziert, Russland ist mit 12% der grösste Lieferant, die grössten sieben haben zusammen gerade mal 45%. Bei den Exporten sieht es ähnlich aus, wenn auch die Länder andere sind.
Allerdings stimme ich Ihnen zu, dass der Kauf von importierten Gütern den Kapitalimport erzwingt, und nicht umgekehrt.
@seebueb: „5% aus China“ + wie viele Prozent aus Korea (Autos und Unterhaltungselektronik), aus Vietnam (Kleider und Lebensmittel) etc.. Die 12% aus Russland dürften vor allem Gas und Öl gewesen sein: 2008 hat fast jeder Yachtie einen grossen Teil seines Stroms aus Wind und Sonne bezogen, in der sonnigen und windigen Ägäis geht dies saugut, aber Griechenland hat es nicht geschafft, mittels Investitionen in alternative Energien seinen Import zu reduzieren.
Auch so wieder eine griechische Korruptions-Geschichte. In Kreta hat ein mächtiger Mann das Import-Monopol für die Einfuhr von Erdöl. Er wehrt sich natürlich mit Händen und Füssen gegen die Einführung von Solartechnik und Windenergie auf dieser schönen Insel. Vielleicht sind jetzt die Kreter nicht mehr bereit, diesen Zustand zu tolerieren.
Korruption oder nicht und fehlende Steuerstrukturen ist letztlich nicht entscheidend. Entscheidend sind die Auswirkungen auf die Nettoposition also Überschuss oder Defizit infolge der Veränderungen der realen Wechselkurse. Obwohl in der CH Steuern bezahlt werden und die Korruption vergleichsweise tief ist, passt der CHF nicht zu ihrer Leistungsfähigkeit bzw. ist er zu stark und die Nettoexporte kommen arg unter Druck; betroffen ist nicht nur die Exportbranche sondern auch der Detailhandel (Einkaufstourismus) und Hotellerie/Gastgewerbe. Somit lebt die CH vorläufig von ihrer Substanz, während die Griechen und Spanier keine mehr haben und anschreiben lassen.
Ich hab die Aufteilung nach Land nicht im Detail studiert. Unter den aufgeführten (glaub top ten) sind mir jedoch keine Asiaten ausser China in Erinnerung. Auch wenn anzunehmen ist, dass deren Anteil kaum bei Null ist, so scheint die Bedeutung von Asien dennoch klein zu sein.
Grosse Autobauer haben ihre Fabriken typischerweise auf mehrere Länder aufgeteilt, die Koreaner werden wohl auch in Europa Produktionsstandorte, zumindest aber Zwischenstationen analog Zwischenhändlern, haben. Andere grosse Firmen analog.
Was RU betrifft, scheint mir Ihre Annahme sehr plausibel.
Dass steigende Löhne im Bausektor und beim Staat keinen Einfluss auf die Löhne im Exportsektor hatten scheint zweifelhaft. In GR und E mussten alle Sektoren zwangsläufig nachziehen.
Es ändert aber nichts am Umstand, dass es nichts nützt nur die Exporte zu halten. Wer mehr importiert als exportiert lebt definitionsgemäss über seine Verhältnisse und muss sich mit entsprechenden Kapitalimporten oder im Falle des Euro über die eigene Notenpresse, wenn die Gläubiger nicht mehr wollen (Targetsalden) verschulden. Dies deshalb, weil er mehr konsumiert als er selbst produziert. Niemand kann auf Dauer real mehr verbrauchen als er selbst real produziert, auch dann nicht wenn das Wechselkursventil wegfällt; im Normalfall läuft dies auf eine über die Produktivität steigende Lohnentwicklung und damit zur Inflation und erhöhten Zinsen hinaus, sodass die Finanzierung dieses Ungleichgewichtes laufend erschert wird. In der Eurozone hat jedoch Draghi mit seinen Versprechungen die Gläubiger aus dem Risiko genommen, so dass sie trotz der viel zu tiefen Zinsen bleiben und die Targetsalden dadurch stabilisieren.
Wer hingegen mehr exportiert als importiert lebt definitionsgemäss unter seinen Verhältnissen weil er mehr produziert als er konsumiert. Dann ist es auch völlig egal wie hoch die Staatsverschuldung ist, weil man ja Nettogläubiger ist und mehr Zinsen und Dividenden vom Ausland erhält als umgekehrt. Es fragt sich dann aber, wie sicher die eigenen Rentensysteme sind, wenn sich die Pensionsfonds mit ausländischen Titeln und Staatsanleihen vollsaugen. Jedenfalls gibt es keine Nettoexporte ohne dass sich jemand verschuldet, die Ersparnis muss zwingend in Konsum, Investitionen oder dann eben Auslandsnachfrage umgesetzt werden.
„Wer hingegen mehr exportiert als importiert lebt definitionsgemäss unter seinen Verhältnissen weil er mehr produziert als er konsumiert. “
Das passt definitiv zum Exportkönig Deutschland. Der Exporterfolg wurde mit den Löhnen der Arbeitnehmer bezahlt.
Aufstocker und Leiharbeiter lassen grüssen.
Komisch, die Löhne in Deutschland sind im Schnitt noch im hohen Bereich in Europa.. insbesondere im Exportgewerbe.. Bei Maschinenbauern, Autobauern Chemieunternehmen etc, die am meisten exportieren sind die Löhne noch höher. Die „Billiglöhne“ sind eben kein Argument.
Soll mir mal jemand erklären, war für eine Bedeutung eine Leistungsbilanz in einem einheitlichen Währungsraum mit Zentralbank überhaupt hat? Wenn die ZKB und die UBS jedem Urner einen Mercedes finanzieren und ihm eine Ferienreise nach Bora-Bora mit ihrem Geld gestatten, redet niemand vom Defizit der Leistungsbilanz des Kanton Uri, die dieser Kanton sicher hat, aber von der Dummheit der Banken und der „Chuzpe“ der Urner. Wir sehen mit diesem Beispiel, dass sich Ungleichgewichte in einem einheitlichen Währungsgebiet auf die rein finanzielle Ebene verschieben. Für eine Währungsunion braucht es wirtschaftlich betrachtet, nicht unbedingt eine Steuer- und Transferunion. Die wird politisch verlangt. Meine Heimatgemeinde muss Finanzausgleich zahlen für die Gemeinden im Zürcher Oberland. Würde dieser Finanzausgleich nicht existieren, würden diesen braven SVP Wähler dort ihre Politiker verprügeln und die sehr knappe SVP/FDP Mehrheit im Regierungs- und Kantonsrate würde den Bach runtergehen.
Eine geregelte öffentliche physische Bestrafung von fehlverhaltenden Politikern besitzt seinen Reiz. 😉
„Bei den Exporten haben die Länder der Peripherie keinen Einbruch ihrer Exporte gesehen,…“
Wie heisst es so schön: Stillstand gleich Rückschritt. Das ist die Tatsache… Deutschland kann/konnte ja nicht zuliebe der Peripherieländer bei den Exporten auf Stillstand schalten. Sicher hat/hatte D auch etwas Glück, dass z.B. ihre Autoindustrie sehr auf Premiumprodukte ausgerichtet ist. Aber mir ist ein „gesunder alter Mann“ lieber als ein „kranker alter Mann“. Die Peripherieländer können davon auch profitieren.
„Dieser Kapitalimport war eine Folge eines massiven Kapitalzuflusses aus den Kernländern, besonders aus Deutschland.“
Die griechischen Banken haben gebucht: Guthaben gegen den griechischen Staat, Schuld gegenüber griechischen Staatsangestellten und Rentnern. Die EZB musste dann die Euronen senden, damit die Griechen Autos von Hyundai und Fernseher und Telefone von Samsung kaufen können. Der Kapitalzufluss war Folge nicht Ursache.
Die Kredite der Deutschen und Französischen Banken an Griechenland waren Tatsache und die wurden inzwischen deren Steuerzahler übergeben.
Und hier noch ein Guetzli von der NYT:
„In 2001, just after Greece was admitted to Europe’s monetary union, Goldman helped the government quietly borrow billions, people familiar with the transaction said. That deal, hidden from public view because it was treated as a currency trade rather than a loan, helped Athens to meet Europe’s deficit rules while continuing to spend beyond its means…
Instruments developed by Goldman Sachs, JPMorgan Chase and a wide range of other banks enabled politicians to mask additional borrowing in Greece, Italy and possibly elsewhere.
In dozens of deals across the Continent, banks provided cash upfront in return for government payments in the future, with those liabilities then left off the books. Greece, for example, traded away the rights to airport fees and lottery proceeds in years to come. „
Und das Goldman und andere Banken bereits 2001 griechischen Politikern für teures Geld Instrumente zur Verfügung gestellt haben um die tatsächlichen Schulden zu verstecken, ist ebenfalls kein Geheimnis.
@N. Kamber: merken Sie nicht, was für ein Unsinn hier formuliert wird: Der Kapitalimport sei eine Folge des Kapitalzuflusses? Also der Import ist eine Folge der Einfuhr?????
@Anh Toan: Es gibt nicht viele Möglichkeiten, Importüberschüsse zu finanzieren – ein Kapitalüberschuss ist dafür immer notwendig. Entweder besteht schon ein Kapitalüberfluss durch frühere Kapitalimporte (frühere Exportüberschüsse durch produktiven Mehrwert oder Export von Bodenschätzen) oder der Kapitalüberfluss muss erst über Kapitalimporte in Form von Krediten geschaffen werden. Dazu muss man aber verstehen, dass die Handänderung eines Handelsguts zusammen mit der entsprechenden Finanztransaktion erst die eine Seite des Warenaustausches darstellt.
@Roman Günter: Ich habe schon richtig zitiert, der Satz sagt weder, der Kapitalimport sei Folge der (die Exporte übersteigenden) Güterimporte, noch sagt er, was (vermutlich gemeint ist), die Güterimporte seien die Folge der Kapitalimporte (weil die Deutschen soviel Kohle schickten, mussten die Griechen soviel konsumieren) er sagt, was ich zitiert habe: Nonsense.
Der Artikel entspricht der heutigen Mentalität bei Drogensucht. Sie ist eine Krankheit und der Süchtige deshalb nicht haftbar zu machen, sondern bloss sein Dealer. Genauso sind die bösen Verkäufer von Waren, die gegen Kredit geliefert haben, die schlechten auf der Welt, während die naiven (oder gerissenen, unverantwortlichen) Schuldner die armen Gebeutelten sind. Im gesamten Artikel vermisse ich die Staatsquote, welche z.B. in Griechenland immer überrissen war und nur auf Schuldenmachen beruhte. Ebenso vermisse ich den Einfluss niedriger Zinsen auf das Verhalten der Bevölkerung in den Krisenländern, sei es im Immobiliensektor oder beim Konsum.
Die Einführung des Euro hätte Regierungen und Parlamente zu höchster Zurückhaltung bei der Ausweitung der Staats-Stellen bewegen müssen, hätte ihnen dank niedrigeren Zinsen (in Italien z.B. 40 Milliarden Zinsersparnis pro Jahr!) Schuldenreduktion oder Ausbildungs-Initiativen erlaubt. Stattdessen wurde alles Geld verplempert und noch mehr Schulden angehäuft.
Nun den Fehler bei den Exporteuren (und Dienstleistern) zu suchen, ist wirklich lächerlich. Die Tüchtigen sind die Fehlbaren, die Untüchtigen/Naiven die einzig Richtigen? Im Sozialismus ganz bestimmt. Doch nicht in einer Welt, in der es einer möglichst breiten Bevölkerungsschicht gut gehen soll.
Griechenland hat allerdings keinen Schuldenschnitt erhalten, sondern die Kredite der Banken, wofür die Banker grosszügig belohnt wurden, wurden den ungefragten Steuerzahlern aufgebürdet.
Das heisst: Der reiche Dealer wurde belohnt und der Süchtige sowie der Unbeteiligte wurden und werden bestraft. Also, freuen sie sich mit dem Dealer.
@N. Kamber: „Griechenland hat allerdings keinen Schuldenschnitt erhalten.“
Das ist schlicht nicht war: Griechenland hat einen Schuldenschnitt erhalten, die Banken mussten abschreiben.
Das scheint doch etwas widersprüchlich mit den naiven und gerissenen und untüchtigen, die naiven waren also ganz schön gerissen und untüchtig.Jedenfalls wissen wir jetzt, dass die bösen Schuldner im Süden gerissene Sozialisten waren; das dürfte dann wohl auch auf Berlusconi zutreffen, nicht? Es scheint sich eine sozialistische Verschwörung breit zu machen und die Tüchtigen sind mit dem Euro in die sozialistische Falle getappt, ganz ähnlich wie die CH mit ihrer internen Transferunion.
Vielleicht sollte man sich erst von der Schuldfrage verabschieden, um geeignete Lösungsansätze zu finden. Man kann auch den Regen für Überschwemmungen verantwortlich machen, schlussendlich hilft es aber mehr, wenn das System, die Kreisläufe, verstanden werden und entsprechende Schutz- oder Korrekturmassnahmen eingeleitet werden. In der Schweiz ist es z.B. der Finanzausgleich der korrigierend zwischen wirtschaftlich verschieden entwickelten Kantonen ausgleicht. Auch wenn klar ist, dass ein solches System laufend unterhalten und angepasst werden sollte, die EU kennt gar keinen Mechanismus diesbezüglich und verharrt weiterhin in der Schuldfrage – wie offensichtlich nicht wenige der Kommentatoren.
Hier deckt sich meine Meinung mit der von Herr Marti. Die Regeln der Schweizer Transferunion kann man in vielem als krank bezeichnen, wenn ich an den Kanton Obwalden denke. Eine Transferunion ist nur dann fair, wenn überall möglichst gleiche Steuersätze bestehen. Vor einigen Jahren wurde versucht, dieses System vom Bund her mit mehr Gerechtigkeit zu gestalten, was mit Einschränkungen brauchbar war. Jetzt ist die bürgerliche Mehrheit daran, das System nach ihrem Wahlsieg im kommenden Oktober auszuhebeln. Die EU hat eine Transferunion der Investitionen. Trotz aller berechtigten Kritik daran, scheint es in den meisten Mitglied-Staaten zu funktionieren. Zukünftig kann es durchaus besser sein als in der Schweiz. Was dann? Bei vielen ist die EU ja dekadent und nutzlos.
„…dass die Leistungsbilanzdefizite der Peripherieländer im Zeitablauf ziemlich symmetrisch den Überschüssen von Ländern des Kerns, das heisst vor allem Deutschland entsprechen.“
Nein, sie entsprechen sich nicht, sie treten nur gleichzeitig auf: Wer seinen Blick (sein Modell) nur auf Europa richtet, kann logischerweise nicht erkennen, welche Einflüsse von aussen kamen:
Deutschland hat die Mercedes und BMW nach China verkauft, und die Griechen haben Telefone und Fernseher von dort gekauft.
Finnland wird hier erwähnt mit den grössten Marktanteilsverlusten ab 1999: Ja, Samsung hat Nokia vernichtet.
Ich habe mal irgendwo gelesen, dass auf dem Höhepunkt des Import Booms Athen die am weitesten höchste Autodichte aufgewiesen hat der Marke Porsche Cayenne; scheinbar bestand bei den Griechen ein hoher Nachholbedarf an Schwanzverlängerung.
Ich denke, Länderchef für Griechenland zu sein, war bei Porsche, BMW, Mercedes oder Audi die Loserposition: Wenn, dann wollte man den Job für China. In China wurden 2000 600’000 Fahrzeuge neu zugelassen, 2013 waren es 16 Mio, in Griechenland stieg die Zahl von 10’000 auf 30’000 Stück: Wesentlich für die Entwicklung der griechischen Zahlen, aber nicht für die Deutschen. Die Griechen haben ausserdem auch viele Renault oder Fiat gekauft, in Vietnam (ich vermute auch in China) gibt’s kaum etwas aus Europa ausser Porsche, Audi, BMW und Mercedes, und zwar fast immer die grossen Modelle.
Und klar geht es nicht nur um Autos, sondern um Kraftwerke (Siemens) und vieles mehr. Die deutschen Exporterfolge auf die Importe Südeuropas zurückzuführen wie in diesem Artikel (Die Leistungsbilanzdefizite entsprechen den Überschüssen der Kernländer) ist kompletter Nonsense.
Habe nicht aufgepasst: Die Zahlen für Griechenland sind monatlich, für den Wachstumsvergleich aber irrelevant.
Erstens sind Leistungsbilanzdefizite in einem Gebiet mit gleicher Währung und gleicher Zentralbank überhaupt so wichtig wie die Leute denken. Natürlich ist die Eurozone keine Transfer-Union für staatliche Gelder und wurde es durch die Griechenland-Schuldenkrise trotzdem. Die EU hat vieles gemeinsam mit der Schweiz von 1914 (bei uns wurde die Nationalbank auch erst 1907 eingeführt). Bei der Griechenland-Krise ging es auch nicht um die Leistungsbilanz, sondern um die Glaubwürdigkeit des Euros als Reservewährung. Da konnte man nicht ein Mitglied tolerieren, dass seinen Sozialstaat und seine Korruption mit
Krediten in Euro finanziert. Trotz der geringen Bedeutung Griechenlands für die Wirtschaftskraft der EURO-Zone hätte eine solche Politik unweigerlich in eine Inflation ausgemündet.
Hmm. Um die Güte der obigen Argumentation beurteilen zu können, müsste man wohl nicht nur Griechenland (vs. China) in die Gleichung miteinbeziehen, sondern ebenfalls Spanien und Italien (deren Kurven in der Grafik ja auch diejenige Deutschlands am deutlichsten „spiegeln“).
Eine Rolle spielen zudem nicht nur Güter-, sondern vor allem Kapitalexporte in die Peripherieländer. Deutsche Pensionskassenverwalter investierten bis 2008 lieber in Immobilienblasen in Südeuropa, weil da das Wachstum (und damit die kurzfristige Rendite) höher war, Zuhause wurden schliesslich die Löhne durch die Agenda 2010 „gedrückt“.
@J. Kuehni
Bei Spanien, dessen Krise durch einen Immobilienboom bzw. dessen Crash entstand, ist die Bedeutung ausländischer Kapitalzuflüsse sicher grösser als bei Griechenland oder Italien, gekauft haben viele Engländer und Deutsche, aber auch Südamerikaner oder Chinesen. Ein wesentlicher Teil der Verantwortung lag aber auch hier in Spanien selbst:
Die Hypotheken wurden von spanischen Banken gewährt, dann gebündelt und verkauft, auch, aber nicht nur an deutsche Pensionskassen. Die Aufsicht über die spanischen Banken hatte aber nicht die EZB, sondern lag in Spanien. Aber die höheren Immobilienpreise brachten mehr Steuereinnahmen….
Habe einen interessanten Artikel von 2003 gefunden: http://www.welt.de/wirtschaft/article1866056/Spanien-droht-der-Immobilien-Crash.html:
Ein Supersonderschnäppchenangebot, das der britische Immobilienmakler Prime Location für seine sonnenhungrigen Landsleute im Angebot hat: 89 Quadratmeter Neubau-Apartment an der Costa del Sol in Südspanien, direkt am Calanova-Golfplatz, für umgerechnet 180.000 Euro, und das ganze praktisch ohne Eigenkapital: „100 Prozent Finanzierung möglich.“ … „Ein Wertgutachten über 300.000 Euro wurde eingeholt, um auch bei einer Hypothek, die nur 70 Prozent des Immobilienwerts finanziert, bis zu 100 Prozent des Kaufpreises abzudecken.“
Das … entspricht einer in Spanien weit verbreiteten Praxis, wie Professor Francesco Xavier Mena von der Business School ESADE in Barcelona sagt: „Die Wertgutachten für eine Wohnung lagen oftmals höher als der Kaufpreis“ – und das im Auftrag der Banken, die dem Käufer die Immobilienfinanzierung machten. So wurden Hypotheken gestrickt, bei denen der Käufer kein Eigenkapital aufbringen musste und die trotzdem nach außen relativ sicher aussahen, weil der Kredit sich nur auf 70 bis 80 Prozent des Verkehrswertes der Immobilie belief.“
Und auch aktuell gibt es im Netz viele Angebote, welche zumindest 95 Prozent Finanzierung versprechen: Wenn der alte Eigentümer seine Hypo nicht mehr bedient, hat die Bank grosses Interesse an einem etwas solventeren Schuldner. Und gerade Kunden aus Nichteurostaaten können ihr Interesse an einer hohen Finanzierung mit Minimierung des Währungsrisikos begründen, mangelndes Kapital muss nicht zwingend die Ursache sein. Chinesen treten als >Immobilienkäufer zumindest heute auch in Spanien auf, in Australien z.B. gab es spätestens 2009 Berichte über Chinesische Immobilieninvestoren.
Sie vergessen für Spanien die Immobilien-Käufer aus dem Nahen Osten, die wohl in der Regel keine Hypotheken benötigten, aber die Preis-Explosion für Immobilien an den schönsten Küstenlagen kräftig mit auslösten. Es waren auch die spanischen Banken und hier besonders die Sparkassen, die diese Zweitwohnungen und Altersresidenzen auch für andere Europäer finanzierten. Die Santander-Bank unter Botin war hier eher vorsichtig. Von der Küste und von Barcelona her, wurde schliesslich ganz Spanien mit diesem Virus infiziert. Was sich in der Krise als Nachteil herausstellte, ist das Spanien wie wir das Schuldbrief-Prinzip hat und nicht das Gülten-Prinzip wie die Amerikaner. Der Amerikaner kann die Hypothek nicht zahlen. Er verlässt sein Haus, viele nehmen von den Einbauten mit soviel wie möglich und für ihn ist seine Schuld gestorben. Vor Bush junior war es noch schlimmer, es war nicht leicht für die Bank den säumigen Hypothekar-Schuldner überhaupt zu vertreiben. In Spanien und der Schweiz begleitet einem eine Schuld ins Grab. Ich bevorzuge das US-System.
Die Chinesen glauben, ausser an die Familie und China überhaupt, an Gold und noch viel mehr an Immobilien.
Ich war nie in China, aber aus der Literatur sind ja die Chinesen nicht gerade die Letzten in der Reihe der spielsüchtigen Nationen. Die privaten chinesischen Kapitalexporte stammen ja überwiegend aus Privilegien und der Korruption. Ich bin überzeugt, dass das meiste davon in langfristigen Anlagen nach Nordamerika und Australien geht und dies wird durch den Börsenkrach noch verstärkt und verhindert zusammen mit der mageren Gewinnmarge auf den Exporten, dass der Yuan eine Reservewährung wird.
Gold spielt auch eine Rolle für die Wiederaufnahme der Seidenstrasse und zwar auf dem Land- wie auch dem Seewege. Dazu wurden eigens Gold-Funds erschaffen, was vielleicht auch erklärt, warum China so aktiv auf dem Gold-Markt war.
@Zach: China hat längst im Rahmen der Anti-Korruptions-Kampagnen Abkommen mit anderen Staaten zur Verfolgung und Rückführung solcher Gelder unterzeichnet. Freuen Sie sich also nicht zu früh.