Ist Ungleichheit nur eine Frage der Wahrnehmung?

Die Frage ist nicht, ob man es sich leisten kann, sondern ob man denkt, die anderen können es: Besucherinnen an einer russischen Millionärsmesse. Foto: Keystone
Es besteht heute grosse Übereinstimmung, dass ein hohes Mass an Ungleichheit der Demokratie schadet. Wenn ein grosser Teil der Bevölkerung sich materiell benachteiligt fühlt, schwindet die Unterstützung für die politische Ordnung. Das scheint so klar, dass es gar nicht begründet werden muss.
Nun haben aber der russische Ökonom Vladimir Gimpelson und der amerikanische Politologe Daniel Treisman einen wissenschaftlichen Aufsatz publiziert, der den Zusammenhang zwischen tatsächlicher Ungleichheit und Demokratie durcheinanderbringt (Quelle). Ihre Behauptung: Tatsächliche Ungleichheit spielt keine Rolle, es zählt nur die Wahrnehmung.
Als Datenbasis verwenden sie eine Umfrage, die 2009 in 40 Ländern durchgeführt wurde. Dort wurde gefragt, wie die Einwohner die Ungleichheit in ihrem Land einschätzen. Fünf Möglichkeiten standen zur Verfügung:

Der Vergleich mit der tatsächlichen Ungleichheit zeigt, dass in den meisten Ländern Dichtung und Wahrheit stark auseinanderklaffen. In der Schweiz haben zum Beispiel nur 24 Prozent eine realistische Vorstellung der Einkommensungleichheit nach staatlicher Umverteilung, und nur sechs Prozent wissen, wie die Einkommensungleichheit vor staatlicher Umverteilung aussieht. Am besten schneiden die Bewohner Südafrikas ab, die bei beiden Kategorien jeweils zu 49 Prozent richtig lagen. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht (Der Gini-Koeffizient ist ein Mass für die Einkommensungleichheit).

Die Frage ist nun, inwiefern sich die Leute getäuscht haben. Die Autoren geben leider nur eine Übersicht zur Einkommensungleichheit vor staatlicher Umverteilung. Was die Schweiz anbelangt, so unterschätzen die meisten Bewohner das Mass der Ungleichheit: Typ A ist die korrekte Antwort, aber nur 6,4 Prozent haben richtig getippt. Tabelle A1 zeigt die Ergebnisse im Detail.

Als nächstes untersuchen die beiden Autoren, wie stark die tatsächliche Einkommensungleichheit mit der politischen Forderung nach Umverteilung korreliert. Das Ergebnis lautet: überhaupt nicht. Ein Land kann einen hohen Grad an Ungleichheit aufweisen, und trotzdem fordert kaum jemand staatliche Umverteilung. Umgekehrt kann ein Land einen starken Wohlfahrtsstaat aufweisen, und trotzdem ist die Forderung nach staatlicher Umverteilung besonders virulent.
Sind die Resultate wasserdicht? Kaum. Völlig ausgeblendet wird nämlich das Niveau des Einkommens. In den reichen OECD-Ländern ist das Einkommen der unteren Einkommensklassen ungleich höher als zum Beispiel in Bulgarien. Die Umfrage konzentriert sich nur auf die relativen Einkommensunterschiede.
Eines kann die Studie dennoch klar zeigen: Wer sich nur auf den gemessenen Gini-Index stützt, kommt politisch nicht weit.
36 Kommentare zu «Ist Ungleichheit nur eine Frage der Wahrnehmung?»
Es ist übrigens sehr interessant, dass staatliche Umverteilung einzig im Sinne vom Steuerzahler an Sozialleistungen betrachtet wird. Es gibt jedoch auch Umverteilungsmechanismen von „unten nach oben“ (z.B. die Geldpolitik verbunden mit entsprechendem „moral hazard“ und des damit verknüpften legalisierten und straffreien Diebstahls und Vetternwirtschaft), welche leider nicht offensichtlich nachvollziehbar ist, jedoch sich dauernd verstärkt. Bevor wir uns um die Umverteilung von „oben nach unten“ kümmern, sollten wir erst die Umverteilung von „unten nach oben“ reduzieren.
Genau die aktuelle Tiefzinspolitik der Zentralbanken kommt in verschiedener Weise nur den Reichen und sehr Reichen zu gute und der Normalbürger macht zweiter: 1. Wer günstig in grossen Stil Kredit aufnehmen kann und damit etwas machen kann ist normalerweise reich, sei es für Immobilienkäufe, Immobilien, die dann mit Gewinn weitervermietet werden oder für Spekulationen auf Kredit, für die dann andere aufkommen wenn das ganze anders lief als erwartet und nicht mehr bezahlt werden kann. 2. Die tiefen Zinsen treffen vorallem die weniger Vermögenden, denn ihre Pensionskassengelder und persönlichen Ersparnisse sind meist in Form von Kontoguthaben und Obligationen angelegt. Risikoreichere Anlagen können sie sich schlecht leisten oder machen für sie keinen Sinn. Personen mit hohen Vermögen besitzen eher Aktien, Immobilien, Firmenteile und andere Sachvermögen auf die der tiefe Zins der Zentralbanken keinen Einfluss hat oder diese Werte sogar noch in die Höhe treibt. Die tiefen Zinsen sind deshalb eine Form wie das Volk unbemerkt ausgenommen wird, ohne dass es dies wirklich merkt.
Das Volk ist dafür, den Reichen zu helfen, Ihr werdet es sehen bei der Abstimmung über die Erbschaftssteuer.
„Die Frage ist nun, inwiefern sich die Leute getäuscht haben.“ – diese (befragten) „Leute“ geben untereinander ja einen riesen Unterschied her. Interessant wird es erst nachher! Wenn welche falsch liegen, aber auch in Folge über den Wunsch und die Ressourcen verfügen, ihre Fehleinschätzung öffentlich plazieren zu wollen. Erst dann leiden alle zusammen wirklich!
In meisten Umfragen, deren Resultate ich sah, irren Leute immer derartig, dass sie die Lage beschönigen, respektive sich selber besser zu sehen glauben als es ihnen wirklich geht. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn man will sich ja nicht selber als Verlierer einstufen.
Es spielt sicher noch eine Rolle, was für eine Form von Demokratie gelebt wird. Eine Untersuchung in den USA hat ergeben, dass die dort längst eine Oligarchie haben. Die Wünsche an der Basis spielen keine Rolle. Auch Staaten in der EU werden von der EU gegängelt und diese vom Grosskapital. In einer direkten Demokratie wie der Schweiz mag die Ungleichheit gross sein, aber wir haben wenigstens das Gefühl, noch mitbestimmen zu dürfen.
Demokratien dürften weiter untergraben werden, wenn TPP durchkommen sollte, indem Grossfirmen die Möglichkeit gegeben wird, ausserhalb des staatlichen Rechtssystems die Staaten für Schadenersatz für den durch die Gesetzgebung resultierenden Ausfall zukünftiger Profite einklagen zu können.
Ich erachte diese neuen geheimen „Trade Agreements“ die gegenwärtig gefährlichste Entwicklung Richtung noch höherer Machtkonzentration, was die gesellschaftliche und politische Entwicklung dieses Jahrhunderts stark beeinflussen dürfte.
Ungleichheit? Gleichheit unter ungleichen Menschen herstellen? Normal ist doch, verschieden zu sein!
Gerechtigkeit heisst nicht, dass allen alles gehört und Gleichheit heisst nicht, dass allen das Gleiche zugeteilt wird. Korrekt ist, wenn jedem das Seine gehört.
Es gibt keine absolute Gerechtigkeit! Was für die Einen gerecht ist, ist für die Anderen ungerecht. Gäbe es aber ein Naturrecht „Gerechtigkeit“ bräuchten wir nicht versuchen sie zu schaffen sondern könnten sie nur anwenden.
Absolut gerechte Steuergesetze sind und bleiben Wünsche und Träume. Sicher ist nur, dass der Kampf um Steuern nie enden wird, weil der Staat immer fetter wird, aber satt wird er nie werden.
Also weder Ungleichheit noch Gleichheit, weder Ungerechtigkeit noch Gerechtigkeit, sondern Nutzen oder Schaden? Und freiwillige Solidarität bevor sie zur Pflicht erklärt wird.
Ihrer Aussage lässt sich nur wenig hinzufügen. Leider… Aber: Die Dosis macht das Gift. Das Gleiche gilt für Ungleichheit bzw. Ungerechtigkeit.
Und das geht bei solchen Voten oft vergessen. Wie viel ist zu viel? Wann ist der Punkt erreicht, wo wir als Gesellschaft wieder absteigen, wenn wir nicht mehr Gerechigkeit herstellen?
@ Bruno
Ich stimme mit Ihnen überein, jedoch wie Reto erläutert, handelt es sich um das Ausmass.
Vielleicht sollten wir uns über die Mittel, welche eingesetzt werden, das Pöbel ruhig zu halten ein wenig beschäftigen. Im gegenwärtigen Wohlfahrtsstaat (selbst in den USA beziehen ca. 50% staatliche Leistungen) wird es immer schwieriger gegen die Regierung und den dahinter stehendem Filz vorzugehen, denn die Hand, welche einen füttert, beisst man nicht. Nur z.B. der Umstand, dass in der Ukraine keine staatlichen Sozialprogramme vorliegen, ermöglichte wohl dort die korrupte Regierung aus ihrem Amt zu jagen; immer unvorstellbarer in einem Wohlfahrtsstaat.
Eine andere Überlegung geht in die Richtung, dass „linke“ politische Kräfte die Sozialwerke absichtlich derart überlasten, dass es an einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu einem System-Crash kommen muss und somit der Kapitalismus damit überwunden wird. – http://www.discoverthenetworks.org/groupProfile.asp?grpid=7522
Sich über den Kontext Gedanken zu machen, ist angesichts der immer offensichtlich werdenden fehlenden Nachhaltigkeit vieler staatlicher Programme sicherlich angemessen. Meine persönliche Überlegung geht in die Richtung, dass wohl in jedem gesellschaftlichen System sich über Zeit eine kleine Anzahl „Profiteure“ bilden, welche das System zu ihrem persönlichen Vorteil immer stärker auszureizen verstehen und es sich daher immer stärker korrumpiert, bis an einem unvorhersehbaren Zeitpunkt in der Zukunft ein fadenscheinig erscheinender Anlass dass Fass zum überlaufen bringt und damit eine Reaktion des Pöbels erfolgt. Dies sollte in einer direkten Demokratie mit dem Ventil der Initiative bedeutend einfacher zu bewerkstelligen sein, als in den meisten Scheindemokratien. Interessant dürfte in diesem Zusammenhang die zunehmende Überwachung der Subjekte sowie der Ausbau der Polizei sein. Im Endeffekt, wenn Regierungen selber die Regeln aus Effizienzgründen, resp. aufgrund fehlender Nachhaltigkeit von Programmen, immer offensichtlicher brechen, muss der Bürger in irgend einer Form korrigierend wirken. Ebenfalls ist die schleichende Übernahme der Macht und Untergrabung demokratischer Werte durch die Teppich-Etagen von Grossunternehmen ein weiterer Mosaikstein im ganzen Wirrwarr. – https://www.project-syndicate.org/commentary/us-secret-corporate-takeover-by-joseph-e–stiglitz-2015-05
@Linus Huber: Dieser Link könnte Sie auch interessieren, aktuell von heute, mit dem Titel: The Complete Criminalization of Our System, von Jeff Nielson: http://investmentresearchdynamics.com/sot-ep-29-jeff-nielson-the-criminalization-of-system/
Danke – und alles läuft vor unseren Augen ab und wir sind schon derart abgestumpft resp. konditioniert, dass wir nicht einmal mehr erkennen, wie wir schrittweise „versklavt“ werden (wenigsten ist dies mein Eindruck, da sehr wenige meine Überlegungen deckende Aussagen gemacht werden). Es ist interessant, wie gut man Menschen derart gut konditionieren kann, aber wir sind wirklich Gewohnheitstiere, welche bei langsamer Veränderung der Umstände (Konditionierung) den Orientierungssinn offensichtlich sehr leicht verlieren. Dagegen hilft vielleicht einzig ein gewisses Ausmass an Prinzipientreue.
Vetternwirtschaft und Korruption gehen Hand in Hand und verhindern die notwendige schöpferische Zerstörung womit schlussendlich auch das Wirtschaftswachstum leidet.
http://www.bruegel.org/nc/blog/detail/article/1634-corruptionomics-in-italy/
„Normal ist doch, verschieden zu sein!“
@banninger
Lustig wie Sie hier Aussagen über unsere Individuen und ihren Eigenschaften generalisieren um dann eine These vorzubringen derzufolge sich Einkommensunterschiede als ebenso Normal darstellen sollten. Sie vergleichen Äpfel mit Birnen und in der Vergangenheit hätte man Sie einen Aristokraten genannt.
Ast: Der Herr Bänniger generalisiert auch gerne ein bisschen – weil verschieden sein ist ja in unserer individualisierten Gesellschaft schon ok, ja sogar partiell erwünscht, aber die Grundbedürfnisse atmen, essen, trinken, ein trockener sicherer Schlafplatz, Gesundheiteinrichtungen sind für alle gleich, darum haben Menschen einfach natürliche Fixkosten und eine zivilisierte Gesellschaft sollte zumindest diese temporär oder manchmal auch länger bei den schwächsten Gliedern der Gesellschaft unterstützend gewährleisten können ohne das Prinzip der Selbstverantwortung aus den Augen zu verlieren.
Es geht hier ja nicht um jährliche Unterschiede in der Höhe von einigen Tausend Franken, vielmehr sind die kritisierten Unterschiede um Einiges höher, sie gehen in die Hunderttausende und mehr.
Bestimmt haben Sie von der CS die entsprechenden Datensätze aus deren Wealth Report zu Hand. Allerdings existiert im Weiteren auch noch ein vor der Statistik unsichtbarer Vermögensunterschied, worauf man vor einiger Zeit auf „Querschüsse“ hingewiesen hatte:
http://www.querschuesse.de/die-krise-und-die-einkommens-und-vermogenskonzentration-%E2%80%93-teil-2-der-sichtbare-und-der-unsichtbare-teil-der-vermogensschere/
Ast: Besten Dank für den Link – ja mit der Frage was mit diesen in der Karibik und anderen Offshore Plätzen marodierenden 20-30 Bio $ im CS Wealth Report ist, habe ich mich auch schon gefragt!
Gut die gammeln ja auch nicht einfach so in der Karibik vor sich her, sondern „arbeiten hart“ auf den einschlägigen Finanzplätzen London, Zürich, Singapore etc…
Habe versucht die CS Zahlen über die Asset- und Schuldpapierklassen zu plausibilisieren – ist natürlich mit der zunehmenden Verschachtelung vor allem bei Financial Bonds, aber auch Hedge Fonds etc. ziemlich tricky und zudem werden gewisse Vermögen ja absichtlich verschleiert.
Da stosse ich als „Ein-Mann-Forschungslabor“ dann zugegebenermassen auch an meine Limiten!
Ein kurzes Video zum Thema veranschaulicht wie extrem verzerrt und weit wg von der Realität unsere Wahrnehmung ist…. „Wealth Inequality in America“ suchen und ansehen.
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Der CS Wealth Report zeigt übrigens seit einigen Ausgaben eine typisch gefilterte Sicht.,Die ärmsten und die reichsten wurden aus den Daten entfernt. Es beschwerten sich reiche Kunden über die publikation der schrecklichen Zahlen und der Report wurde bereinigt neu aufgelegt..
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Die Wahrnehmung über die wirkliche Verteilung von Einkommen und Vermögen ïst krass verzerrt weil wir täglich mit beschönigten Daten gefüttert werden.
„Der CS Wealth Report zeigt übrigens seit einigen Ausgaben eine typisch gefilterte Sicht.,Die ärmsten und die reichsten wurden aus den Daten entfernt. Es beschwerten sich reiche Kunden über die publikation der schrecklichen Zahlen und der Report wurde bereinigt neu aufgelegt..“ Diese Aussage hätte ich gerne belegt: Wo genau kann ich den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung (?) überprüfen? Das meine ich ernst und ohne jede Ironie! Danke für Ihre Antwort!
Zufferey: Das im offiziellen Report die Armen etwas wegretouchiert wurden, kann schon stimmen. Es stimmt vermutlich auch, dass der eine oder andere reiche Kunde sich nicht mit dem Elend der Welt auseinandersetzen will und reklamiert hat.
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Für mich persönlich und meine Analysen ist eh das 150seitige Databook zum Wealth Report relevant und dort wurde meines Wissens nach nichts wegretouchiert, was ich sehr schätze! Zum Glück haben reiche Kunden keine Zeit und Lust sich das Databook auch noch anzuschauen, sonst würde sie vermutlich dort auch noch reklamieren!
…war ein Bericht im Zürcher Tages Anzeiger…
Ein Beispiel für die Legendenbildung (im Internet): Warren Buffett hat einmal folgenden Satz gesagt:
„It’s class warfare, my class is winning“
Der Satz ging um die Welt, die NYT, die Washington Post, Blogger, Kommentatoren on- und offline haben diesen Satz natürlich sofort dankbar übernommen, ihn vollkommen aus dem ursprünglichen Kontext heraus gelöst und als Beweis für einen Klassenkampf von oben angeführt. Der viel zitierte Hauptsatz von Warren Buffett hatte im Original allerdings einen ganz entscheidenden Nebensatz:
„It’s class warfare, my class is winning, but the shouldn’t be.“
Überhaupt sprach sich Warren Buffett am 19. Juni 2005 im Interview mit Lou Dubbs auf CNN explizit gegen die Entwicklung aus, Reiche steuerlich weiterhin zu begünstigen! Das Interview ist übrigens ausgeprochen lesenswert- und ein Lehrstück über die verzerrte Wahrnehmung vieler Menschen (und Medien) in unserer Zeit:
http://edition.cnn.com/2005/US/05/10/buffett/
Deshalb hätte ich gerne ganz genau gewusst, wie viel Fleisch am Knochen dieser Behauptung ist, die CS hätte den von ihr heraus gegebenen Wealth Report methodisch nachträglich abgeändert.
@Zufferey
Ich kann ihnen jetzt nicht ganz folgen. Das Buffet um die Problematik dieses „Klassenkampfs“ weiss, ist schon lange bekannt. Buffet wird dafür von vielen eher als eine Art Held gesehen. Ihren Beweis für aus dem Zusammenhang gerissene Aussagen, kann ich daher, zumindest in diesem Beispiel, nicht erkennen. Buffets Aussage verliert mit diesem kleinen „Anhängsel“ nichts an ihrer Brisanz.
Ben: Falsch – wenn Sie nicht den Report anschauen, sondern das rund 150 Seiten umfassende Databook mit einer Unzahl von Zahlenfriedhöfen kann man nach wie vor die (ungleichen) Vermögensaufteilungen erkennen.
Und wenn man mit Excel ein bisschen nachhilft, kann man da viele Leichen auf den Zahlenfriedhöfen zum Leben erwecken.
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Die reichen Kunden schauen sich ja auch nur den rund 60-seitigen Report an, aber nicht das Databook, das man auch runterladen kann.
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Ich muss der CS ein Kränzchen winden, es wohl der umfassendste Report auf dem Markt, weil er neben den Wertpapiervermögen eben auch noch Mobilien und Immobilien, sowie die Schulden drauf berücksichtigt und die Nettoermögensverteilung nach Dezilen detailliert angibt.
Das einzige was mir für meine Studien noch fehlt, wäre eine Bruttovermögensverteilung und dazu die Schuldenverteilung nach Dezilen — dann hätte ich wirklich ein umfassendes Datenmaterial.
Ich arbeite viel mit dem CS Wealth Report und die Zahlen sind im grossen ganzen plausibel, wie ich über verschiedene Plausbilitätstests überprüft habe.
Damit bestätigen sie aber indirekt was Ben sagt. Wer will kann in den Zahlen immer noch die Wahrheit erkenne, aber „Ottonormalverbraucher“ liest höchstens den Report. Wurde dieser tatsächlich angepasst?
Stadelmann: Ich arbeite erst seit etwa 4 Jahren mit dem Report, respektive fast ausschliesslich mit dem Databook — der Report ist für den Mainstream und das Databook für die wirklich Interessierten.
Man könnte das sicher überprüfen, indem man einen Report z.B. von 2005 runterlädt und einen Aktuellen — habe sie zwar noch nie daraufhin untersucht, aber kann mir gut vorstellen, dass Ben in diesem Punkt recht hat und etwas geschönt wurde durch Weglassen gewisser Daten zu den Armen.
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Hauptsache sie manipulieren nicht an „meinem“ Databook rum, denn aus diesem kann ich relativ detaillierte Informationen extrahieren, die ich für verschiedene Studien verwenden kann und auch hier im Never mind the Markets immer wieder mal.
Wie kommen die Autoren auf Typ A für die Schweiz:kleine Elite, wenig Mitte, viel Unterschicht? Das scheint mir komplett unplausibel. Mit welchen Zahlen wird da operiert?
Der Beweis: Man verlässt sich lieber auf sein Bauchgefühl als Fakten. Nicht wahr Herr Meier?
Das Einkommen wird verglichen. Einfach lesen Herr Meier. Für einen genauen Einblick in die Methodik der Studie müssen Sie wohl dem Link der „Quelle“ folgen. Dort kann man sie, so weit ich das erkennen kann, das Paper für 5$ anfordern. Wenn sie die Studie gelesen haben, können sie es uns nachher ganz genau erklären bzw. beispielsweise die schlechte Methodik anprangern.
Aber wie der Autor dieses Blogs schon geschrieben hat: Wir wissen alle das Sie das nicht tun werden. Sie verlassen sich lieber auf ihr Bauchgefühl. So wie immer. Da mache ich Ihnen nicht mal einen Vorwurf. Ich bin ja nicht besser und auch nur ein Mensch. Aber wenn man mir dann schon mal meine Fehler klar und deutlich aufzeigt (ich hätte auf die Pyramidenform geklickt), dann akzeptiere ich das.
„Was die Schweiz anbelangt, so unterschätzen die meisten Bewohner das Mass der Ungleichheit: Typ A ist die korrekte Antwort“. Wie die Autoren zum Typ A kommen, wird nirgends beschrieben. Ebenso wenig, wie der Gini-Index mit diesen Typen zusammen hängen soll. Typ A ist doch eine schlechte Verteilung. Die Verteilung wird aber als viel besser empfunden Eine schreiende Ungerechtigkeit verlangt eine verstärkte Aufklärung der Menschen..
Wie schon geschrieben: Sie müssen die Studie lesen um ganz genau zu erfahren, wie die Autoren auf ihre Zahlen kommen. Ich kann nur raten. Und ich rate: Sie haben die Einkommen (auf dem Lohnausweis?) verglichen. Vielleicht haben sie es auch anders gemacht, da man über so viele verschiedene Länder wahrscheinlich eine andere Möglichkeiten nutzt. Vielleicht haben sie auch gleich den Gini-Koeffizienten benutzt. Wie schon geschrieben: Ich kann nur raten.
Natürlich verlangt diese Ungleichheit nach Aufklärung. Aber wenn mal jemand aufklären will, dauert es nicht lange, und man erzählt uns dass die 10% ganze 80% der Steuern bezahlen (was nicht stimmt. Quelle dafür ist ironischerweise eine Studie der Economie Suisse), oder irgendein anderes Märchen.
Ich behaupte, die Menschen brauchen das Leid. Sie wollen gar kein faires zusammenleben. Sonst könnten sie ja auf niemanden mehr mit dem Finger zeigen…
Ich habe es aufgegeben um zu erklären versuchen wie Menschen (in der Schweiz und auch anderswo) ticken. Besonders schwierig ist es das Verhalten im Finanzbereich abzuschätzen.
Bei gleichem Währungskurs wie heute hätte man noch vor einigen Monaten panische Reaktionen erkennen können, die Presse hätte sich überschlagen von Berichten und Gewerkschaften und Unternehmer hätten sich heftige Wortgefechte geliefert. Derselbe Kurs provoziert nun kaum mehr, und auch hier im Blog ist das Thema nach hinten gekippt.
Doch Fakten und zu erwartende Auswirkungen haben sich kaum geändert. Geändert hat sich nur etwas, nämlich das man angeblich den Kurs nicht mehr stützen könne. Noch vor einem Jahr glaubte man 180 Grad verschieden.
Solange die Wirtschaft rund läuft und ein jeder einen guten Deal zu bekommen glaubt, spielt es keine Rolle, wie das Muster aussieht. Mit gefülltem Magen und sicherem Job startet niemand eine Revolution. Nur wenn ein grosser Teil der Masse nichts mehr zu verlieren hat, ist der Nährboden für Unruhen, Revolutionen und Umstürze geschaffen. Eine hohe Jugendarbeitslosigkeit ist z.B. ein echtes Problem für den Zusammenhalt der Gesellschaft.
Das problem ist: Diese Ungleichheit besteht noch nicht so lange flächendeckend auf der Welt. Aber es gibt genügend Geschichtsforschung, die an jeder endenden Dekade diese höchst ungleiche Verteilung erkennen kann. Diese Ungleichheit hat zwei hauptsächliche Fehler zur Folge:
1. Unser Geldsystem ist auf Buchhaltung ausgelegt, dh wo einer Geld hat, da fehlt es einem anderen. Und wo fehlt das Geld der Reichen? Die Schulden liegen jetzt bei den Staatshaushalten (der steigende Reichtum kooreliert zum steigenden Schuldenwachstum der Staaten). Und der Staat muss darauf Zinsen zahlen wobei sich wieder die Vermögenden daran verdienen (durch Staatsanleihen), die Ungleichheit steigt weiter, der Staat hat immer weniger Geld für seine Aufgaben.
2. Das meiste Geld vieler Superreichen liegt zur Zeit eben in Anleihen (Staatsanleihen, Hypotheken, Optionen usw), weil sich mit der Niedrigzinspolitik eine Investition in Unternehmen weniger lohnt. Somit ist dieses Vermögen aber „tot“ für die produzierende Wirtschaft, Anleihen kann man weder essen noch trinken, aber sie machen mehr Geld, was in unserer Gesellschaft lieder der einzige Massstab ist, scheint mir.
Nadch dem letzten wirklichen Crah 1929 gab es dazu in den USA eine Lösung: 90% Einkommenssteuer für die Reichsten…. Und ich finde nicht, dass der Staat damit Sozialhilfe zahlen sollte, sondern seine wirklichen Kernaufgaben gut finanzieren sollte: Infrastruktur, Bildung, Energiewende. Das schafft automatisch gute Arbeitsplätze für einen starken Mittelstand. Aber der Staat muss ja seit 30 Jahren Steuern senken, Schulden machen, Zinsen zahlen und noch die steigende Ungleichheit ausgleichen. Das geht nicht mehr lange gut…..
Es geht nicht alleine darum, inwieweit Ungleichheit von Einkommen und Vermögen in einer Gesellschaft vorherrscht, sondern worauf diese Ungleichheiten beruhen. Niemand stört sich daran, wenn ein wirklicher Unternehmer aufgrund einer genialen Idee sowie grossem persönlichen Einsatz und Risiko einen Haufen Geld macht. Was jedoch nicht gut ankommt bei der Bevölkerung ist der Umstand, dass sich viele aufgrund von Vetternwirtschaft, „moral hazard“ und Korruption zulasten der Allgemeinheit bereichern. Offensichtliche Korruption führte zum Beispiel in der Ukraine zum Umsturz der früheren Regierung, wobei die neu installierte Regierung wohl auch nicht besser ist. Aber machen wir uns nichts vor, die oberflächlich korruptionsarmen Staaten sind in Wirklichkeit nicht besser und das Geschäft der Ausnützung von Beziehungen blüht bestens. Dort liegt der Hase begraben, indem ein System über Zeit aufgrund der menschlichen Attribute der Akteure korrumpiert wird und z.B. ungerechtfertigte Selbstbereicherung (Diebstahl) legalisiert wird.
Die Wahrnehmung wird durch die Lebensumstände geprägt! Das ändert nix an den Tatsachen. Und Umverteilungen helfen nur bedingt. Manchmal gar nur kurzfristig. Eben wegen den tatsächlichen Umständen. Es ist nicht nur faktenbasierend, sondern auch emotional. Das sieht man teils auch an der Börse. Dies wird oben mit keinem Wort erwähnt. Warum haben wir denn den Feudalismus beendet? Und später Sozialwerke gegründet? Das hat nicht nur mit Wahrnehmung zu tun. Das hat auch mit gewisser Sicherheit zu tun. Welcher Weg der beste ist, das kann man so eh nicht sagen, ist doch alles ständigen Veränderungen unterworfen. Aber wo ein Mass an Fairness und Chance, da wird, denke ich, auch mehr Differenz zugelassen.
Nun, eigentlich braucht man keine Studie, um zu wissen, dass jeder Mensch sich bei der Beurteilung irgendeiner Sache auf das abstützt, was er weiss, oder zu wissen glaubt, und nicht auf das, was von irgendeiner mehr oder weniger objektiven Warte aus „richtig“ ist. Ob der Gini-Koeffizient nun wirklich das eine ideale, objektive, absolute und nicht hinterfragbare Mass ist, um die wirtschaftliche und soziale Ungleichheit zu messen, sei dahingestellt.
Entscheidend ist ausschliesslich die Empfindung, dass der Staat nicht mehr fair spielt, dass er den einen immer mehr Geld und Privilegien zuschanzt, und die anderen immer mehr schröpft.
Dass es auf das Empfinden und nicht auf die Realität ankommt, sieht man immer sehr gut vor Abstimmungen, bei denen es um mehr soziale Gerechtigkeit geht: Immer dann wird uns vorgemacht, dass wir doch eigentlich alle gleich seien. Vorgemacht wird uns das von denen, die es sich leisten können, 90% der Plakatflächen zu kaufen. Die haben also längst erkannt, dass es nicht auf die Realität ankommt, wenn man den Stimmbürger gewinnen will, sondern dass man ihn nur ein paar Wochen lang davon überzeugen muss, dass er und der Geldadel dieselben Interessen haben.