Aufstieg und Fall von Muhammad Ali

«The Viceroy of Egypt in conversation with British officials». Kolorierte Lithografie von Louis Haghe nach David Roberts, 1849. Bild: Wellcome Images (Wikimedia)
Leben und Wirken von Muhammad Ali scheinen bis heute eine grosse Anziehung auszuüben. Nein, ich spreche nicht vom Boxer, obwohl die Diagnose selbstverständlich auch auf ihn auch zutrifft. Es geht um den osmanischen Vizekönig Muhammad Ali, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Ägypten regierte.
Die Faszination rührt daher, dass er der einzige nahöstliche Herrscher war, der sein Gebiet frühzeitig wirtschaftlich entwickeln und dem Westen die Stirn bieten wollte. Das Experiment schien zunächst zu gelingen, brachte aber nie den gewünschten Erfolg. Die Idee, den Westen mit einer staatlich gelenkten Industrialisierung zu forcieren, war aber seither auf der Agenda der armen Länder.
Wie sah seine Strategie aus?
Erstens erhöhte Muhammad Ali die Steuereinnahmen des Staates durch zwei Massnahmen:
- Der Staat kaufte von den Bauern Baumwolle und Weizen zu tiefen Preisen auf und verkaufte sie auf dem Weltmarkt zu höheren Preisen, um zu Einnahmen zu kommen.
- Der Staat erhöhte die Steuerbelastung der Bauern, indem er das bisherige Lizenzsystem mit der Bodenbesteuerung ersetzte.
Zweitens unterstützte der Staat durch vier Massnahmen die einheimische Textilproduktion und Nahrungsmittelverarbeitung:
- Er finanzierte teilweise den Maschinenpark der Firmen mit Steuergeldern.
- Er verbesserte das Kanalsystem im fruchtbaren Nildelta.
- Er verbilligte den Bezug von Baumwolle und Flachs.
- Er führte nicht-tarifäre Handelshemmnisse (spezielle Auflagen) ein, um die ausländische Konkurrenz fernzuhalten.
Zunächst funktionierte das System gut. Die Mechanisierung der Textilindustrie begann ab den 1820er-Jahren spürbar zu werden. Der Abstand zu den grossen westlichen Vorreitern, insbesondere Grossbritannien, blieb zwar immer noch gross. Aber im Vergleich zu anderen Industrieländern wie Belgien und der Schweiz konnten sich die Fortschritte durchaus sehen lassen, wie ein neues Paper zeigt (Quelle).

Bald jedoch ging dem Experiment der Atem aus. Der Abstand zu den Industrieländern vergrösserte sich wieder. Nach Alis Tod brach das System zusammen. Warum?
Die Fachleute sind sich nicht einig. Die einen betonen, dass das ganze Experiment von Anfang einen Konstruktionsfehler hatte. Es beruhte auf einer überdurchschnittlichen Ausbeutung der Bauern (Fellachen), die politisch auf die Dauer nicht durchzuhalten war. Auch die kostspieligen militärischen Abenteuer Muhammad Alis schadeten dem Projekt. Sie endeten mit einer Niederlage im Jahr 1840. Der osmanische Sultan in Istanbul fühlte sich bedroht und verbündete sich mit Grossbritannien.
Die militärische Expansion war in der Tat sehr kostspielig. Ali wollte nicht nur den Sudan kontrollieren, sondern auch Syrien und Teile der arabischen Halbinsel. Zeitweise hatte sein Reich eine grosse Ausdehnung (Quelle):

Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass Muhammad Ali durchaus Erfolgschancen gehabt hätte, wenn sich der Sultan nicht mit Grossbritannien verbündet hätte. Zudem sei der Lebensstandard der Fellachen zur damaligen Zeit nicht tiefer gewesen als derjenige der bäuerlichen Haushalte auf Kontinentaleuropa. Die Strategie wäre innenpolitisch also durchaus weiterhin tragbar gewesen.
Schliesslich habe Alis Verstaatlichung des Exports erfolgreich vermieden, dass die steigenden Baumwollpreise in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die gewerbliche Produktion Ägyptens zerstört hätten. Ohne seine Kontrollen hätte es sich für die privaten Unternehmer nicht gelohnt, in die Textilfabrikation zu investieren. Sie hätten sich dem Baumwollhandel zugewandt und so eine Modernisierung der Wirtschaft verhindert – wie dies in vielen Rohstoffproduzenten im 19. Jahrhundert passiert ist.
Aus was für Gründen auch immer, Alis Traum einer ägyptischen Wirtschaftsmacht erfüllte sich nicht. Es war Japan am Ende des 19. Jahrhunderts vorbehalten, als erstes nicht-westliches Land die Industrialisierung zu schaffen – bis heute ein Rätsel.
40 Kommentare zu «Aufstieg und Fall von Muhammad Ali»
„Correlation of something else -0.927“
Erstaunlich, wie einfach es für Steve Keen ist, den Finger auf einen bedeutenden Aspekt der fehlerhaften Doktrin eines Stanley Fischers, welcher unter anderen Bernanke, Summers, Mankiw, Krugman, Blanchard, Rogoff lehrte, zu legen.
http://www.forbes.com/sites/stevekeen/2015/04/07/bernanke-summers-debate-ii-savings-glut-investment-shortfall-or-monty-python/
Wer das „something else“ erahnt, dürfte ökonomische Zusammenhänge besser als Fischer und seine Schüler verstehen.
Spannende Story!
„The chaotic dynamics
explored in this paper should warn us against accepting a period of
relative tranquility in a capitalist economy as anything other than a lull
before the storm.“
http://keenomics.s3.amazonaws.com/debtdeflation_media/papers/Keen1995FinanceEconomicBreakdown_JPKE_OCRed.pdf
Linus Huber, 3:10
Vielen Dank für den Link 🙂
Muhammad Ali war nicht der einzige, der die westliche Vormacht brechen wollte.
Aber alle Herausforderer machten den gleichen Fehler: Übermässige staatliche Lenkung und Eingriffe (Gosplan in Moskau, das MITI in Tokyo, usw.).
Eine Weile funktioniert das sehr gut: Die Sowjetunion, Japan und auch China hatten atemberaubendes Wachstum. Aber am Ende verstricken sich alle in ihren verkrusteten bürokratischen Strukturen. Die Russische Föderation macht diesen Fehler gerade erneut.
Der Westen ist überlegen, weil er schon lange auf schöpferische Zerstörung und soziale Marktwirtschaft setzt. Wirtschaftswachstum kann vom Staat gefördert werden, aber entwickeln muss es sich dezentral und durch Wettbewerb als „Bellum Omnium contra Omnes“, natürlich mit Schutzrechten für die Schwachen.
Zudem befördert wirtschaftliche Stärke die militärische Schlagkraft. Nur deshalb konnte Europa die Welt erobern und sich neue Absatzmärkte und Rohstoffquellen erschliessen. Damit begann endgültig das europäische Zeitalter, das heute – allen Unkenrufen zum trotz – fortbesteht, sofern man die USA als quasi-europäisches Land ansieht.
@Walter Bernstein: Am 02.02.1835 schrieb Lord Macaulay Folgendes an das Britische Parlament:
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„I have travelled across the length and breadth of India and I have not seen one person who is a beggar, who is a thief such wealth I have seen in this country, such high moral values, people of such caliber, that I do not think we would ever conquer this country, unless we break the very backbone of this nation, which is her spiritual and cultural heritage and therefore I propose that we replace her old and ancient education systen, her culture, for if the Indians think that all that is foreign and English is good and greater than their own, they will lose their selfesteem, their native culture and they will become what we want them, a truly dominated nation“.
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Dies als Anmerkung zu Ihrem letzten Absatz. Der Weg führt auch über die Beeinflussung bzw. Aufzwingen der Bildung.
Maiko Laugun, 10:01
Da gebe ich Ihnen Recht.
Eine Kultur wird immer über ihre Kinder zerstört.
Deshalb mussten in den USA junge Indianerkinder auf „weisse“ Schulen gehen. Deshalb gab es in Südafrika den „Bantu Education Act“ von 1953, und deshalb war Kurdisch im Bildungssystem der Türkei verboten.
Schade übrigens um die alte indische Kultur. Sie hat nicht zuletzt durch die viktorianische Prüderie erheblich an Offenheit und Vielfalt eingebüsst.
„Der Westen ist überlegen, weil er schon lange auf schöpferische Zerstörung und soziale Marktwirtschaft setzt.“
Das war mal so, hat sich in den letzten paar Jahrzehnten aber leider kontinuierlich ins Gegenteil verwandelt. Schöpferische Zerstörung wird zB durch QInfinity der letzten fünf Jahre praktisch ausgelöscht bzw. zumindest in die Zukunft verschoben. Yellen, Draghi et al beweisen sich als (Mit)Zerstörer des Westens.
Johnny Smith:
Das ist das Dilemma des Westens. Er wird sehenden Auges das Schicksal des Römischen Reiches teilen. Aber erst im nächsten Jahrhundert.
Aktuell sehe ich weltweit keine Alternativen zum westlichen Wirtschafts- und Kulturmodell.
Im Gegenteil: Reiche und junge Chinesen wollen in die USA auswandern. Wohlhabende Asiaten bringen ihre Kinder in den USA zur Welt, damit sie zu US-Bürgern werden.
Offenbar ist der Westen – global gesehen – immer noch äusserst attraktiv, und wird es lange bleiben.
„May the Force be with you“, ihre Existenz wurde vor wenigen Tagen durch das CERN bestätigt:
http://home.web.cern.ch/about/updates/2015/04/cern-researchers-confirm-existence-force
Mit 165 Baumwollspindel pro 1000 EW war die CH damls nach der UK das Land mit am zweitmeisten Spindeln pro Einwohner weltweit. Und das schon 1836 – wir waren also schon damals nicht wirklich das Armenhaus Europas – zumindest nicht im Mittelland und in den Städten. In den Alpenregionen sah es hingegen etwas perspektivloser aus.
Marcel Senn, 7:25
Und dennoch gab es ab den 1860er Jahren eine grosse Schweizer Auswanderungswelle in die USA.
Sie Deutschschweizer gingen in den Nordosten und galten dort als Deutsche, weil die Amerikaner aum differenzierten.
Die Schweizer aus dem Tessin gingen oft nach Kalifornien.
Die Schweiz wurde zwar früh industrialisiert, und die Fabrikanten waren wohlhabend. Die Kehrseite war aber Massenverelendung, Alkoholismus, Hungersnöte und eben Auswanderung.
Definieren Sie bitte meine rassistischen Vorurteile und begründen Sie diese bitte, sehr geehrter Herr Lötscher. Wegen der Grammatik bitte ich um Entschuldigung.
@Rolf Zach: „…feiert diese Gedankengebäude eine richtige Auferstehung zum Leidwesen von uns allen. “
Rassistisch ist Ihr Post nicht, meines Erachtens sehen Sie aber die so laute wie hilflose Reaktion statt der Aktion. Was verdrängt wird, radikalisiert sich, bevor es endgültig untergeht: Nicht die mittelalterlichen Moslems islamisieren die westliche Welt, sondern die islamische Welt wird kalifornisiert: In Kairo tanzt die Jeunesse Dorée zu Miley Cirus, in den Banlieus rappen die Moslems zu Beats.
David Landes Schlüsselwerk „Der Reichtum und der Armut der Nationen“hat Erklärungen dazu, wo er das ägyptische Versagen der Industrialisierung unter Muhammed Ali untersucht. Seine Erklärung ist die fehlende Rechtssicherheit, das Ausbleiben der Förderung des Volksschulwesen, der Import ausländischer Experten ohne dass diese angehalten wurden die einheimischen Kader auszubilden und deren Korruption einzudämmen. Die einheimischen Fellachen wurden prohibitiv besteuert, so dass ihnen nichts blieb auf Eigenverantwortung zu wirtschaften und zu investieren. Der gleiche Prozess geschah auch in den Fabriken.Die Ägypter wurden von Muhammed Ali nicht als seine Bürger betrachtet, sondern als Ausbeutungsobjekte für kurzfristige Ziele, dazu war er nicht nur sehr grausam, sondern seine Grausamkeit hat paranoide Züge. Wie passt der Islam zu der Industrialisierung von Muhammed Ali? Wir dürfen nicht vergessen der Islam kommt grundsätzlich aus Arabischen Halbinsel verbreitet von Nomaden. Nomaden sind opportunistisch und denken kurzfristig, den die umgebende Natur zwingt sie dazu. Diese grundlegende Wahrheit hat der grösste arabische Soziologe Ibn Chaldun bereits im Mittelalter aufgezeigt. Die Araber haben mit der Eroberung von Ägypten, eine Bauern- und Stadtkultur übernommen, die bereits zu Zeit der Pharaonen ein durchorganisierter Beamtenstaat war. Diese ägyptische Wirklichkeit wurde auch durch die arabische Eroberung fortgesetzt, aber das Denken der Herrschaftselite änderte sich in Richtung kurzfristiger Ausbeutung, wie sie Nomaden verstehen. Ihre Korruption ist nicht nur eine Beteiligung am Mehrwert der Produktion wie in China, dieser ganze Mehrwert muss beschlagnahmt werden, er könnte sich ja verflüchtigen. Da der ganze Islam zu seinen Wurzeln im 7. Jahrhundert zurückgeht, feiert diese Gedankengebäude eine richtige Auferstehung zum Leidwesen von uns allen. Erwähnen möchte ich noch, dass die ägyptische Textilindustrie um 1900 eine neue Blüte hatte in Alexandria unter der Leitung von Griechen, Italiener und christlichen Levantiner. Leider hat Nasser diese zarte Pflanze mit seiner Verbindung von Nationalismus und Sowjet-Kommunismus vollständige zerstört. Ohne diese Zerstörung müsste heute vielleicht die Zeitschrift „Vogue“ ihre Chef-Redaktorin nicht nur nach Paris und Mailand, sondern auch nach Alexandria schicken. Islam und Sowjet-Kommunismus ist für jede Volkswirtschaft ein zerstörerisches Gift.
Finde ich nicht. Immerhin hat der Sowjet Kommunismus dem rückständigen Islam zu ein wenig Zucht und Ordnung und Disziplin verholfen, was die dummen Amis mit der Zerstörung des eisernen Vorhangs alles wieder zunichte gemacht haben.
Rassistische Vorurteile werden nicht besser wenn man sie mit Geschichte hinterlegt.
Das nächste Mal schreiben Sie bitte etwas weniger lang und benutzen dafür die Grammatik.
„Da der ganze Islam zu seinen Wurzeln im 7. Jahrhundert zurückgeht, feiert diese Gedankengebäude eine richtige Auferstehung zum Leidwesen von uns allen.“ …. Es gibt weltweit ca. 1.5 Milliarden die dem Islam angehören. Die meisten davon friedlich und weit weg von Europa, z.B. in Asien. Es ist falsch, alle in einen Topf zu werfen, wenn ein kleiner Teil davon eine Religion missbraucht. …“Nomaden sind opportunistisch und denken kurzfristig,…“ …. Das ist richtig. Allerdings haben die heutigen Araber durchaus auf ein langfristiges Denken umgeschaltet, unter Beibehaltung alter Traditionen. Man sollte die noch heute gültige alte islamische Ausrichtung nicht mit dem Nomadentum und den modernen Arabern verwechseln, auch wenn der Uebergang fliessend ist. P.S. Ich habe ein paar Jährchen in Saudi Arabien gelebt, davon auch ein paar Monate im Wadi Hanifa, welches zu dem auf der Karte ersichtlichen alten Diriyya gehört. Im Westen macht man sich auch heute noch ein teilweise falsches Bild über die Araber im Mittleren Osten.
Muhammed Ali finde ich wesentrlich interessanter !!
Naja, boxen funktioniert ja auch etwa gleich wie die Wirtschaft. Da haut man sich auch so lange auf die Fresse bis der andere sich nicht mehr bewegt 😉
„…an politisch vernetze Gruppen umzuverteilen.“ … Das haben wir heute auch, mit etwas feinerer Klinge, nennt sich Lobbyismus.
Als Antwort an @Dominik Grimm.
Ich habe auch nichts anderes als die aktuelle Situation beschrieben. Sie haben recht wir leben in der Phase der politisch motivierten wirtschaftlichen Intervention. Der Artikel nimmt auch die Beschreibung des Endes dieser Phase vorweg.
@Dominik Grimm.
Wenn „Märkte“ so alt sind wie die Menschheit (eine unbewiesene Prämisse), dann sind unehrliche Marktteilnehmer und das daraus folgende Bedürfnis nach einer unparteiischen Marktaufsicht mindestens ebenso alt. Der Rest ist eine Frage des technologischen, normativen und administrativen Niveaus. Die potenzielle Grösse der Märkte wird von technologischen Entwicklungen umrissen, deren längerfristige Realisierbarkeit hängt vom Gleichschritt der Administration ab (e.g. zentrale Steuerregister, Vereinheitlichung von Massen, Normierung von Schraubengewinden (oder Gurkenkrümmungsgradienten) etc.
Da wo die Entwicklung von Technologien und Märkten und ihre administrative „Bewältigung“ nicht oder schlecht ausbalanciert sind, kann’s schiefgehen (globalisierte Märkte können nicht lange ausschliesslich lokal verwaltet werden). Und natürlich manifestiert sich die „Marktaufsicht“ in ganz verschiedenen Formen: Stammeshäuptling, Ältestenrat, lokale Mafia, Militärjunta, feudale Oligarchie, Pax imperialis oder eben Rechtsstaat (mehr oder weniger demokratisch).
Aus dem reichen Fundus der Geschichte kann sich jeder nach seinem Gusto die „erfolgreichsten“ Beispiele herauspicken. Bloss eines hat es nie und nirgends gegeben: den „reinen“, unschuldigen, selbstregulierenden Markt.
„Bloss eines hat es nie und nirgends gegeben: den “reinen”, unschuldigen, selbstregulierenden Markt.“
Dem kann ich wohl beipflichten. Wer nun die Regulierung massgebend beeinflusst, dürfte daher von hoher Bedeutung sein. Je höher die Machtkonzentration, je höher liegend die Entscheidungsebene desto stärker wird die demokratische Selbstbestimmung untergraben. Wenn „moral hazard“ (legalisierter Diebstahl) zugunsten von Grossunternehmen/Banken und in erster Linie zugunsten der darin amtierenden Führungselite institutionalisiert und immer stärker als normal betrachtet wird, sollte eigentlich klar sein, wer hier massgebenden Einfluss ausübt. Was heisst schon Rechtsstaatlichkeit, wenn das Recht derart korrumpiert wird? Was heisst schon Regulierung/Deregulierung, wenn solch ein Resultat erzeugt wird?
Sämtliche staatlich gelenkten Versuche wirtschaftliche Entwicklung zu beeinflussen sind zu jeder Epoche gescheitert. Für unseren Autor ist dies ein Rätsel, jedoch ist es für Vernunft begabte Menschen einleuchtend dass der staatliche Akteur, welcher sich mittels Mechanismen der Staatsgewalt Einnahmen verschafft, bis in letzter Konsequenz versucht sich dem Marktmechanismen zu entziehen. Dies da der Staat ein politisches Unternehmen ist welches systematisch versucht Effekte einer politisch unterlegenen Gruppe mittels Gewalt an politisch vernetze Gruppen umzuverteilen. Im Gegensatz zu einem wirtschaftlichen Unternehmen welches keine Gewalt einsetzten kann und nur mit anderen Markakteuren, Lieferanten wie Kunden, mittels Verhandlungen und gegenseitigem Konsens zum Austausch gelangen kann.
Sie belieben zu scherzen. Ich sehe nicht wirklich dass USA, China oder Russland gescheitert sind.
USA: Arbeitslosenraten wie in der grossen Depression; grösstes Sterben von Fach- und Supermärkten in der Geschichte, Umsatzrückgänge da Privathaushalte überschuldet sind; verzettelt in Kriege über den gesamten Globus
CN: gigantische Geisterstädte; riesige Blase im Schattenbankensystem
RU: praktisch keine produzierende Wirtschaft ausser Waffensystemen; grosse Abhängigkeit von Rohstoffexporten; Bevölkerungsrückgang welcher nicht abgefangen werden kann
„Sämtliche staatlich gelenkten Versuche wirtschaftliche Entwicklung zu beeinflussen sind zu jeder Epoche gescheitert.“
Unsinn. Es gibt hunderte Beispiele, die zeigen, dass staatliche Lenkung/Eingriffe den Erfolg erst ermöglicht haben. Natürlich: auf lange Sicht gibt es immer auch Probleme. Aber die gibt es auch ohne staatliche Lenkung: „In the long run, we are all dead“.
Nur ein Beispiel: die Legende „Silicon Valley“
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/silicon-valley-jenseits-der-garagenlegende-11907278.html
Da könne Sie (hoffentlich idt Ihnen die FAZ seriös genug) nachlesen, wieviel staatliche Lenkung nötig war, um das erfolgreiche „Silicon Valley“ überhaupt entstehen zu lassen. Und googeln Sie ruhig weiter, wenn Sie dem Artikel nicht trauen.
Dass die Wirtschaft von allein blüht, wenn der Staat nirgends eingreift, ist ein völlig unbewiesenes, von der Empirie klar widerlegets Dogma. So wie z.B. das Dogma, dass eine höhere Staatsquote das Wachstum behindere. Das wird auch immer heruntergebetet, obwohl die Fakten anders liegen (vgl. OECD-Zahlen, z.B.).
Schon der Fall Gallileo Gallilei zeigte, dass man sich besser an Fakten als an Glaubenssätzen orientiert, sofern man an der Wahrheit überhaupt interessiert ist.
Ändert gar nichts daran, dass alle nach deren Pfeife tanzen müssen. Wer an den Schalthebeln der Macht sitzt kann den anderen die Spielregeln der Globalisierung verordnen und diktieren, während die Supermächte sich untereinander mit Protektionismus und Kapitalverkehrskontrollen traktieren und sich damit gegenseitig in Schach halten. In der Zwischenzeit werden die Schwachen nach allen Regeln der Kunst dh. mit internationalem Steuerwettbewerb, Währungs- und Zinsspekulation sowie Kampf um die Steueroasen ausgeschlachtet und filetiert. Die vollständige Privatisierung Europas ist nur noch eine Frage der Zeit.
Dominik Grimm, 10:10
Ihre Darstellung ist sehr überspitzt. Ihr Kommentar klingt etwa so:
CH: Käse und Plastikuhren. Riesige Hypothekenschulden. Rechtsstreitigkeiten mit USA und dem Rest Europas.
Beachten Sie bitte, dass das Medianeinkommen in den USA nicht viel niedriger ist als in der Schweiz. Zumindest bis zur Frankenfreigabe.
Wie gesagt: Nicht das Durchschnitts-, sondern das Medianeinkommen.
Da alles ein Ende hat, müsste man sich in erster Linie auf den anzuwendenden Zeithorizont einigen. Man könnte zwar mit Fug und Recht sagen, dass kein Staat oder ähnliches mehrere Jahrzehntausende bestand hatte und somit ausnahmslos jeder Versuch letzlich gescheitert ist.
Sobald man sich aber auf realistische Zeiträume beschränkt, sagen wir ein Jahrhundert, sieht der Schluss massiv anders aus.
Wie war es mit der Industrialisierung von Japan und Korea? Der Staat hat in Japan massiv in die Förderung der Privatwirtschaft (seit 1870) und gleichfalls dasselbe nach 1960 unter dem Diktator Park in Südkorea. Auch China, Südafrika (ISCOR und SASOL), Brasilien (VALE und Petrobras) haben ähnliche Programme gehabt. Hinter jeder erfolgreichen Industrialisierung steht ein starker Staat. Übrigens auch die Schweiz hat mit Revolution von 1847 dafür gesorgt, das unsere schon damals sehr konkurrenzfähige Textilindustrie (Rang No. 2 nach Grossbritannien) nach Tabelle 2 im Artikel von TS
um 1860 uns einen Spitzenplatz unter dem Pro-Kopf Einkommen der Völker sicherte. Ohne den Ersten Weltkrieg hätte uns Deutschland überholt. Unter den modernen Industrie hatten wir nur die Uhren und BBC gehörte 1913 in der Mehrheit der AEG.
Darum schreien die Liberalen ja ständig nach weniger Staat, damit endlich die Deindustrialisierung vollendet werden kann.
„Hinter jeder erfolgreichen Industrialisierung steht ein starker Staat.“
Da dürften Sie richtig liegen, nur ein starker Staat sorgt für die benötigte Stabilität und damit Berechenbarkeit.
„Unter den modernen Industrie hatten wir nur die Uhren und BBC gehörte 1913 in der Mehrheit der AEG.“
ROTFLMFAO
Es mag ja sein, dass BBC/ABB nach Ihrem Wissen die einzige (Schwer- bzw. Elektro-)Industriefirma ist, die mehr als hundert Jahre alt ist. Das heisst jedoch nicht, dass es keine weiteren gibt, sondern zeigt lediglich Ihre Ignoranz. Denn es liegt in der Natur der Sache dass im Lauf der Zeit die allermeisten Namen/Unternehmen verschwinden.
Das mit der Ignoranz verbitte ich mir. Ich gebe Ihnen einige Beispiel wie unsere Schweizer Industrie durch die Schwächung Deutschlands durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg profitiert hat. Kennen Sie Flohr aus Berlin? heute Schindler Berlin, vor 1914 eine der grössten Aufzugbauer der Welt. MIAG aus Braunschweig war im Mühlenbau Weltmarktführer, Bühler war damals eine Klitsche, heute ist MIAG im Bühler-Konzern integriert. Im Textilmaschinenbau war gleichfalls Deutschland No. 1 in der Welt mit VOMAG in Plauen. Überhaupt war Sachsen damals in allen modernen Industrien vertreten und sass auch unserer Uhrenindustrie im Genick. Zugegeben Sulzer war mit seinen Dieselmotoren eine Ausnahme, aber sie belieferte den deutschen Markt nicht. Auch die deutsche Pharmaindustrie war unserer deutlich voraus. Man sollte sich einmal überlegen, was ohne den Ersten Weltkrieg und ohne die Niederlage Deutschlands aus unserer Industrie geworden wäre? Ein verlängerter Werkbank der deutschen Industrie? Absolut weltführend waren wir damals in der Textilindustrie, was die Qualität betrifft, aber
dort hätten und haben wir auch Schwierigkeiten bekommen. Ein Beispiel ist die Firma Schwarzenbach, noch 1920 die viertgrösste Firma der Schweiz, existiert heute nicht mehr. Grob gesagt, Deutschlands Unglück, war unser Glück.
„Unter den modernen Industrie hatten wir nur die Uhren und BBC gehörte 1913 in der Mehrheit der AEG.“
Das war im ersten Post Ihre Beschreibung der CH-Industrie zu der Zeit. Und ja, diese Darstellung strotzt vor Ignoranz, als ob ein einzelner (durchaus relevanter) Sektor plus eine einzelne Firma die gesamte Wirtschaft bilden würden.
@Grimm
Das einzige was dieser Beitrag beweist, ist dass die Wirtschaft keine formale (also berechenbare) Wissenschaft ist. Einige einfache Mechanismen lassen sich zwar immer wieder erkennen (Unsichbare Hand, Kräfte des Marktes etc.) und nachweisen, aber deswegen gelingt es uns doch nicht die wirtschaftliche Zukunft vorauszusehen.
Die Schilderung des Regierungsstils Muhammed Alis scheint geradezu von Ludwig XIV von Frankreich abgekupfert: Auch dieser beutete die Bauern und Kleinbürger bis aufs Existenzminimum aus, suchte die Einfuhren auf Rohstoffe und die Ausfuhren auf hochmargige Produkte zu beschränken, führte mit den so zusammengerafften Geldern rücksichtslose Raubkriege gegen die meisten Nachbarländer. Im Text vergessen wurde die grausame Unterdrückung des griechischen Aufstandes (Massaker von Chios, um 1815).
@Rizzi: Wenn wir schon beim offenbar unvermeidlichen Erbsenzählen sind: die Griechen haben sich bei der Eroberung von Izmir 1919 auch nicht gerade durch Philantropie ausgezeichnet. Was genau ist Ihr Punkt?