Ein Rechenfehler mit fatalen Folgen

NMTM

Wird der Basiseffekt berücksichtigt, könnte selbst mit dieser antiken Maschine korrekt gerechnet werden. (Foto: Getty)

«Prognosen für Schweizer Wirtschaft verschlechtern sich»: Diese Schlagzeile konnte man in den letzten Tagen oft lesen. So hat zum Beispiel die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich bekannt gegeben, dass das Bruttoinlandprodukt dieses Jahr nur noch um 1,8 Prozent wachsen wird – statt um 2 Prozent, wie sie vor einigen Monaten prognostizierte.

Streng genommen ist diese Schlagzeile jedoch falsch. Es stimmt nicht, dass die KOF von einem niedrigeren Wachstum in den verbleibenden neun Monaten des Jahres ausgeht. Im Gegenteil, sie hält daran fest. Ansonsten würde das Wachstum ihrer Meinung nach nicht einmal mehr 1,8 Prozent erreichen.

Denn die KOF hat lediglich die Zahlen des ersten Quartals 2014, die seit einigen Tagen vorliegen, berücksichtigt. Das Wachstum im ersten Quartal ist unter den Erwartungen ausgefallen, sodass die Jahreswachstumsrate automatisch tiefer ausfallen muss, wenn man von unveränderten Prognosen ausgeht.

Man nennt dies den sogenannten Basiseffekt, der im Zusammenhang mit Prozentrechnungen immer berücksichtigt werden muss. Hier ein simples fiktives Beispiel:

Die Wirtschaft des Landes Euranien ist von 2008 bis 2009 um 5 Prozent geschrumpft und zwischen 2009 und 2010 um 5 Prozent gewachsen. Ist die euranische Wirtschaft nun wieder auf dem Vorkrisenniveau? Nein, nicht ganz. Denn die Prozentzahlen beruhen jeweils auf einer anderen Basis. Der neue Wert ist 0,25 Prozent unter dem Wert von 2008 – kein Riesenunterschied, aber eben nicht dasselbe.

Die Rechnung könnte banaler nicht sein, und doch entstehen viele Falschmeldungen, weil der Basiseffekt nicht berücksichtigt wird.

Wie formuliert die KOF ihre neue Prognose? Sie betont richtigerweise die Konstanz gegenüber der letzten Pressemitteilung und spricht nicht von einer Verschlechterung:

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Entwicklungen rechnet die KOF mit einem relativ ähnlichen Konjunkturverlauf wie bereits in ihrer Prognose vom Frühjahr. 2014 dürfte das Schweizer BIP um 1,8 Prozent (März 2014: 2,0 Prozent) und 2015 um 2,0 Prozent (März 2014: 2,1 Prozent) wachsen.

Und noch ein Letztes: Eine Reduktion der Jahresprognose um mickrige 0,2 Prozent aufgrund der ersten drei Monate ist vernachlässigbar. Es kann in den verbleibenden neun Monaten noch so viel Unerwartetes passieren, vor allem in dieser unruhigen Zeit. Die besten Modelle können nicht darüber hinwegtäuschen, dass entscheidende wirtschaftliche Veränderungen kaum prognostizierbar sind – insbesondere wenn die Prognose eine kleine, offene Volkswirtschaft wie die Schweiz betrifft.

21 Kommentare zu «Ein Rechenfehler mit fatalen Folgen»

  • R. Schmidt sagt:

    Herausforderung Prognose

    „…Damit wird klar, dass das Quartalswachstum (jeweils in der Rate zum Vorquartal) sowohl des zweiten Quartals 2012 als auch des vierten Quartals 2013 jeweils nur mit einem Gewicht von rund 6,25 Prozent in das durchschnittliche Jahreswachstum des Jahres 2013 eingehen. Dies gilt natürlich für jedes Jahr. Das heißt aber auch, dass wir bereits nach dem ersten Quartal 2013 über fast zwei Drittel des durchschnittlichen Jahreswachstums Bescheid wussten. Oder auch, dass zwei Drittel des jahresdurchschnittlichen Wachstums allein im 4. Quartal 2012 sowie im 1. und 2. Quartal 2013 entstanden sind.
    Das Jahreswachstum sagt uns also nur Dinge, die wir längst schon wissen. [nach dem ersten Quartal]
    … Die wahre Herausforderung bei Prognosen liegt also nicht in den Jahresraten, sondern in den Quartalsraten (jeweils im Vergleich zum Vorquartal). “

    http://www.weitwinkelsubjektiv.com/2014/01/14/wikisubjektiv-dieses-banale-jahreswachstum-oder-lasst-uns-doch-nicht-ueber-vorigen-winter-reden/

  • David Lehmann sagt:

    Was hier Herr Straumann schreibt, ist doch Humbug. Mal abgesehen vom lächerlichen „fatalen Fehler“ bezeichnet er zwei völlig unterschiedliche Sachen mit Basiseffekt. Das richtige, aber irrelevante Euranien-Beispiel hat nichts mit dem offenbar schwachen 1. Quartal zu tun. Leider haben wir keine Quartalszahlen, darum wissen wir nicht, ob die Prognose für das Restjahr gestiegen oder gesunken ist. Wir wissen nur, dass die Prognosen für 2015 gesunken ist.

  • Anh Toan sagt:

    Wie bitte!?!

    „Streng genommen ist diese Schlagzeile jedoch falsch. Es stimmt nicht, dass die KOF von einem niedrigeren Wachstum in den verbleibenden neun Monaten des Jahres ausgeht.“

    Die KOF geht aber von einem niedrigeren als vorausgesagten Wachstums fürs ganze 2014 aus, im ersten Quartal weniger Wachstum und dann (hoffentlich) gleichviel in den folgenden ist halt immer noch weniger ingesamt.

    Hier wird dies mit „Rechenfehler“ versucht, weg zu schreiben. Warum? Kann es an der MEI liegen, Ungewissheit wie weiter zwischen CH und EU, Ungewissheit ist Unkalkulierbarkeit und das ist schlecht fürs Geschäft?

  • ast sagt:

    „Wie formuliert die KOF ihre neue Prognose? Sie betont richtigerweise die Konstanz gegenüber der letzten Pressemitteilung ..“

    Dazu kann ich nur lächelnd sagen:

    Krähen die Statistiker auf ihrem Mist, ändert die Konjunktur oder es bleibt wie sie ist.

  • Ike Conix sagt:

    Selbst Herr Straumann nimmt es nicht so genau. Ein Rückgang von 2% auf 1,8% sind nicht 0,2% sondern 10%. Beispiel: Wenn man von einem BIP von 600 Milliarden ausgeht, sind 2% Wachstum 12 Milliarden, 1,8% sind 10,8 Milliarden. Also 1,2 Milliarden oder eben 10% weniger.

    • karlmax schmid sagt:

      Nun Herr Conix da veranstalten Sie aber auch wieder ein Basisproblem , wie das der Professor zu erklären versucht. Die Basis ist eben das BIP von 600 Mia. und das BIP nimmt um 0.2% weniger zu. Ihre Rechnung basiert auf der
      BIP-Zunahme von 2% , dann sind 0.2 % ebnen 10% weniger Zunahme, aber in beiden Fällen absolut 1.2 Mia. und da fällt der Professor auf die mickrigen 0.2 % einer grossen Summe herein. Ob die Wirtschaft 1.2Mia mehr oder weniger verdient ist alleweil das! (150 $ pro Einwohner) Ja die Prozentrechnerei macht oft Probleme obschon mindestens vor 65 J, Stoff des 7. Schuljahres und da gab es eben die Prozente von und auf 100% zu rechnen und das ganz ohne Rechenmaschine.

  • Josef Marti sagt:

    Tatsächlich weist das ganze Euro Umfeld, welchem Einfluss die CH sich nicht entziehen kann, leichte Deflationstendenzen insbes. in Südeuropa aus; leichte Deflation ist zwar nicht schädlich und kann ganz angenehm sein, von wirklichem Wachstum kann in den nächsten Jahren aber nicht ausgegangen werden; die Frage ist wie stark die CH Exportwirschaft von der realen Aufwertungstendenz des Euro profitieren kann.
    Vielmehr zeichnet sich jedoch eine lange Phase japanischer Stagnation ab, wobei angesichts steigender Mieten und Energie- und Rohstoffpreise eher von einer zähen Stagflation auszugehen ist, sowieso wenn zudem noch mit unberechenbaren externen Schocks wegen der labilen weltpolitischen Lage zu rechnen ist; die Reallöhne werden weiter sinken. In Nordeuropa und der CH verharrt die Inflation zwar auf niedrigem Niveau aber bei Nullzinsen und frisst deshalb die Ersparnisse auf.
    Prof. Sinn wurde gefragt wie man denn angesichts dieser Zwickmühle seine Ersparnisse anlegen soll: „Bloß nicht zu einem Zins unterhalb der Inflationsrate anlegen. Da wird man ja laufend ärmer! Ich würde mein Geld möglichst in etwas Reales stecken: ein Auto kaufen, die Wohnung reparieren, wenn möglich eine Immobilie erwerben“. Das würde aber auch heissen, dass die Nachfrageseite der Lohnempfänger stimuliert werden müsste, die Binnenkonjunktur wird aber spürbar zähflüssiger.

  • Christopher Chandiramani sagt:

    Vergessliche Statistiker? Ein Feiertag mehr oder weniger oder der 29. Februar im Schaltjahr bei 220 Jahres-Arbeitstagen entsprechen 0.45% Wirtschaftswachstum.

  • Whistle Blower sagt:

    Zur Offenlegung oder massiven Besteuerung von Konten im Inland (Abbau des Bankgeheimnisses im Inland gemäss SonntagsZeitung):
    Madame Widmer-Schlumpf, ist Ihnen klar, dass Sie in Ihrem Interview von einem Kuchen erzählen, der weniger als 1% aller Vermögen ausmacht. Wie wollen Sie an all die Fonds und Derivate kommen, an all die Erträge aus Bondkomponenten in Fremdwährungen: Es gibt nur einen Weg: die totale Transparenz von Reichen hier, indem automatisch die Bank den Steuerbehörden Erträge und Vermögen aushändigt – hier wie im Ausland!
    Dass zudem das Parlament sich weigert, weiterhin Bareinkäufe von über 100’000.– Franken zu beschneiden, ist schlichtweg eine Einladung für Steuerhinterzieher und für Leute, die ihr Geld reinwaschen wollen. Das wird im Ausland Aerger geben.

  • Bruno Bänninger sagt:

    Ein weiterer Beweis über den Nonsense und die Wertlosigkeit von Prognosen. Die Realität richtet sich nie nach den Prognosen, egal ob Rechenfehler oder nicht. Jeder der sein Handeln und Planen durch blödsinnigen Prognosen beeinflussen lässt ist selber schuld.
    Immerhin im Nachhinein können uns dann die schlauen Prognostiker ganz genau erklären, warum die Prognosen nicht eintrafen.

    • ast sagt:

      „Immerhin im Nachhinein können uns dann die schlauen Prognostiker ganz genau erklären, warum die Prognosen nicht eintrafen.“

      Da die Schweiz stark von unserem Nachbarn Deutschland abhängt dürfte der einbrechende IFO Index wohl auch die Erwartungen für die Schweiz beim KOF nochmals absenken. Beim Baltic Dry Frachtgutindex der internationalen Schiffahrt herrscht eine auch historisch gesehen ausserordentlich miese Stimmung. Die Aktienkäufe der Notenbanken verzerren zudem weltweit die Konjunktur-Prognosen, da sie reinste Blasen ohne jedes realwirtschaftliches Fundament über den Aktienmärkten produzieren.

  • will williamson sagt:

    Euranien?

  • Von einem „fatalen“ (tödlichen, bzw verheerenden) Rechenfehlerzu sprechen, ist wohl etwas übertrieben, wenn es um Prognosen geht, die dann ohnehin nie exakt sind. Nicht einmal ich würde soweit gehen, einer ökonomischen Prognose tödliche Folgen zuzuschreiben. Obwohl, wenn ich es recht besehe…. 😉

    Interessant ist allenfalls die Schlussbemerkung, wonach ein Unterschied von „mickrigen“ 0,2 Prozent vernachlässigbar sei. Wer die TTIP-Verhandlungen zwischen der USA und der EU — mit automatischem Nachvollzug durch die Schweiz — verfolgt, hat vielleicht schon gehört, dass die erwarteten Wachstumsgewinne durch das Abkommen bei 0.5 Prozent über 10 Jahren liegen. Das sind 0.05 Prozent pro Jahr! Das ist nicht nur vernachlässigbar, sondern vollkommen irrelevant, da diese angeblichen Zuwächse im statistischen Rauschen komplett untergehen. Und für dieses Nichts an Vorteile sollen sich die Völker von ausländischen Firmen auf entgangene Profite verklagen lassen können, wenn sie es wagen sollten, Gesetze zu erlassen, die die Profite dieser Firmen schmälern. Natürlich sind die Liberalen trotzdem für dieses Abkommen, aber wir wissen ja, dass sie für alles sind, was dem Mittelstand schadet.

    • Margot sagt:

      Der Investorenschutz beim TTIP hebelt nationale Gesetze aus, die Unternehmen regeln demnach die Gestze. Was bisher untergegangen ist, dass auch noch TISA eingeführt werden soll: You Tube „Was ist TISA“.
      Es wird für die Menschen immer schräger, was da abgeht.

    • urs lehmann sagt:

      Auch wenn ich Ihnen zustimme, dass TTIP ein unsägliches Ansinnen darstellt, so bedarf Ihre Aussage doch einer Korrektur:

      Die TTIP-FAQ sprechen explizit von €545 pro Jahr für eine 4köpfige Familie. Die Frage ist natürlich, wer wieviel gewinnt, aber gemessen am durchschnittlichen EU-GDP pro Kopf wären das etwa 0,6-0,7%. Anzumerken ist, dass diese Zahlen auf dem optimistisch(st)en Szenario basieren, welches wahrscheinlich eh schöngefärbt ist (schliesslich stammt die Prognose vom „Verkäufer“, und jeder Verkäufer stellt sein Produkt möglichst rosig dar).

      • Die 0.05%-Info habe ich aus einem ARD Report (oder so), in dem der Autor die absoluten Wachstums-Zahlen aus offiziellen EU-Protokollen bezüglich GDP in Prozente umgerechnet hat und dabei auf die 0.5% — über 10 Jahre verteilt — gekommen ist. Konfrontiert mit den Zahlen hatte der zuständige EU-Kommissar sie zuerst nicht geglaubt, und nachdem er nachgerechnet hatte und dasselbe Resultat bekommen hatte, meinte er, man dürfe eben nicht die Prozente betrachten….

        Vielleicht stehen die Zahlen aus dem TTIP-FAQ ja gar nicht im Widerspruch mit den 0.05%, wenn man sie entsprechend umrechnet.

        In jedem Fall, werde ich den Link zum entsprechenden TV-Beitrag hier noch nachliefern, sobald ich ihn wiedergefunden habe.

        • urs lehmann sagt:

          Dochdoch, der Widerspruch ist schon da. Da hat jemand ganz einfach unsauber recherchiert, sowohl für den Wiki-Eintrag als auch für die TV-Sendung.

          Der deutsche Wiki-Eintrag (/wiki/Transatlantisches_Freihandelsabkommen) geht explizit davon aus, dass die €545 in 10 Jahren anfallen. Dabei zeigt Referenz #39 auf die englischen Q&A, deren aktuelle Version unter „what’s in it….“ explizit jährlich sagt.

          Referenz #33 zeigt auf ein PDF, das am 20. März 2013 generiert wurde. Nehmen wir mal an, dieser Zeitstempel wurde nicht manipuliert (was trivial machbar wäre, aber ich sehe keinen Grund dafür, kein Motiv). Darin ist bspw auf Seite 35 im Szenario „20% Umsetzung“ ein Nutzen (Erhöhung des GDP, was unzweifelhaft jährlich impliziert) von 23,7Mrd € aufgeführt, hochgerechnet auf 100% gibt das die ominösen 119Mrd maximaler Nutzen.

          Allerdings basieren die 119Mrd auf dem „2027 benchmark“, das selbe PDF nimmt für 2017-2027 (Seite 111) 1,65% Wachstum p.a. an (wohl real, Angaben zur Inflation fehlen vollständig, würden das Modell auch bloss unnötig komplizierter machen), was auf heute runtergerechnet etwa 100Mrd ergibt. Basierend auf €13Bln EU-GDP (2013) wären das dann etwa 0,75% GDP-Erhöhung p.a.

          • Keine Ahnung. Vielleicht haben Sie recht. Andererseits schreibt Dean Baker, Direktor des CEPR im Guardian ( http://www.theguardian.com/commentisfree/2013/jul/15/us-trade-deal-with-europe-hype ) :

            The first point to recognize is that the promised pot of gold from this trade deal is illusory. Last week, the media held out the promise of an increase in US GDP of $122bn from the trade agreement. The facts that this referred to GDP in 2027, and that the $122bn would be in 2027 dollars, were absent from the discussion.

            und

            The study also gave numbers for a deal that it described as „less ambitious“ and, presumably, more realistic. Its projection of the increase in 2027 GDP in this scenario is 0.21% of GDP. That is roughly equal to a normal month’s growth. Since it will take 14 years to achieve this gain, the boost to growth would be just 0.015 percentage points annually.

            Voraussagen sind wohl schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Es wurde ja auch schon behauptet, die Unternehmenssteuer Reform II koste maximal 50mio pro Jahr, und dann waren es eher 1mia, eine Unsicherheit vom 2000%.

            Egal, das Fatale im TTIP ist ohnehin der Investitions-Schutz.

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.