Die wundersame Heilkraft der Inflation in Grossbritannien

Grossbritanniens Wirtschaft hat in der Finanzkrise mehr gelitten als jene der USA und die Inflation war höher, doch die Arbeitslosigkeit war deutlich geringer. Ein Lehrstück in überraschenden wirtschaftlichen Zusammenhängen.

Gute Aussichten: Im Shard in London, dem höchsten Wolkenkratzer der EU, kann man der britischen Wirtschaft beim Wachsen zuschauen. (Foto: Suzanne Plunkett/Reuters)

Gute Aussichten auf das Treiben in der britischen Wirtschaft: Im Shard in London, dem höchsten Wolkenkratzer der EU. (Foto: Suzanne Plunkett/Reuters)

In Grossbritannien ist die Wirtschaft im Zuge der Finanzkrise gemessen am Bruttoinlandprodukt deutlich stärker eingebrochen als in den USA, zudem verläuft auch die Erholung bei den Briten viel schleppender als bei den Amerikanern. Doch trotz der besseren wirtschaftlichen Entwicklung in den USA ist die Arbeitslosigkeit dort deutlich stärker angestiegen. Die unten stehende Grafik verdeutlicht das anhand einer indexierten Entwicklung aller Grössem mit dem Wert 100 Ende 2007. Quelle ist der britische «Economist». Einem Artikel in der immer lesenswerten Rubrik «Free Exchange» der Zeitschrift verdankt sich auch dieser Blogbeitrag.

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Wie kann es sein, dass ausgerechnet jenes Land bei der Arbeitslosigkeit besser wegkommt, dessen Wirtschaft sehr viel stärker gelitten hat? Eine gängige Erklärung dafür liefert das so genannte Produktivitäts-Rätsel («Productivity Puzzle») Grossbritanniens. Der Einbruch der Gesamtnachfrage wurde in Grossbritannien durch eine ungewöhnlich geringe Produktivität begleitet. Die (Arbeits-)Produktivität misst den Output pro geleistete Arbeitseinheit – also pro Stunde oder pro Beschäftigten.

Die folgende Grafik zeigt deren Entwicklung in Grossbritannien verglichen mit früheren Rezessionen. Auf der waagrechten Achse sind die Quartale nach dem jeweiligen Konjunkturhöchststand vor der folgenden Rezession eingezeichnet, auf der senkrechten die indexierte Produktivität (als Output pro geleistete Arbeitsstunde), Quelle ist der nationale britische Statistikdienst ONS:

Producitivity Puzzle

Ein Rätsel ist diese Entwicklung der Produktivität nicht nur im Vergleich zu früheren Rezessionen, sondern auch zu anderen Ländern in einer Rezession. So ist auch in den USA, aber auch in den Krisenländern der Europeripherie die Produktivität im Zuge der Krise deutlich gestiegen.

Die geringere Produktivität in Grossbritannien (im Vergleich zu jener in den USA) bedeutet, dass jede zu produzierende Einheit einen grösseren Arbeitseinsatz erfordert und hat zur Folge, dass vergleichsweise mehr Arbeit nachgefragt wird. Sie kompensiert daher auf dem Arbeitsmarkt teilweise die sinkende Nachfrage und das einbrechende BIP-Wachstum und erklärt die geringere Arbeitslosigkeit in Grossbritannien. Umgekehrt bedeutet die höhere Produktivität in den USA und anderen Ländern, dass weniger Beschäftigte für denselben Output benötigt werden, weshalb der Einbruch der Gesamtnachfrage besonders stark auf den Arbeitsmarkt durchschlägt.

Bleibt das Rätsel, weshalb die Produktivität in Grossbritannien sinkt, während sie zum Beispiel in den USA steigt.

Zuerst zum gewöhnlichen Fall, dem Anstieg der Produktivität nach einem konjunkturellen Einbruch: Nach Entlassungen zu Beginn und dann im Zuge der sich abzeichnenden Erholung bleiben die Unternehmen oft noch vorsichtig, bevor sie wieder Leute einstellen. Die sich aufhellende Auftragslage bedeutet daher, dass anfänglich vor allem der Druck auf die bestehende Belegschaft zu Mehrleistungen steigt. Das schlägt sich dann in der höheren Produktivität nieder.

Nebenbei bedeutet eine höhere Produktivität im Zuge eines Wirtschaftsaufschungs deshalb nicht, dass die Wirtschaft strukturell entsprechend produktiver geworden ist, da dieser Effekt mit der Normalisierung der Konjuntur wieder abnimmt und die Unternehmen tatsächlich mehr Leute einstellen. Darauf hat zum Beispiel der Internationale Währungsfonds (IWF) im Zusammenhang mit der höheren Produktivität (und den spiegelbildlich geringeren Lohnstückkosten) im Zusammenhang mit den Euro-Peripherieländern (siehe Box 1.3) hingewiesen. Deren Fortschritte erscheinen auf diesem Hintergrund etwas weniger eindrücklich und sind nicht bloss die Folge verbesserter Wirtschaftsstrukturen.

Zurück zu Grossbritannien: Als Erklärung für das geringe Produktivitätswachstum dort haben einige Ökonomen ebenfalls auf strukturelle Faktoren verwiesen. Das Problem des Landes sei gar nicht eine fehlende Gesamtnachfrage, sondern eine generell gesunkene Leistungsfähigkeit im Zuge der Krise. Im Slang der Ökonomen würde man von einem geringeren Potenzialwachstum sprechen. Glaubwürdig wird diese Analyse auf den ersten Blick durch die Entwicklung der Inflation, wie sie die folgende Grafik im Vergleich zur USA zeigt (Quelle der Daten: IWF):

Inflationsvergleich

Die deutlich höhere Inflation in Grossbritannien könnte bedeuten, dass die britische Wirtschaft auch beim deutlich geringeren Wachstum bereits an ihre Kapazitätsgrenzen gestossen ist, was sich wie immer bei Überhitzungserscheinungen in einer höheren Inflation niederschlägt. Das Problem bei dieser Erklärung ist ihre Plausibilität: Ein derart rascher und starker Einbruch der produktiven Kapazitäten Grossbritanniens ist (auch mit Blick auf die Wirtschaftsgeschichte) weder wahrscheinlich, noch sind Gründe dafür auszumachen.

Die britischen Ökonomen Bill Martin und Robert Rowthorn haben eine Erklärung für das Produktivitäts-Rätsel geliefert, bei dem die höhere Inflation nicht die Folge der geringeren Produktivität ist, sondern deren Ursache, denn eine höhere Inflation ermöglicht eine höhere Lohnflexibilität.

Wie sich überall zeigt, senken Unternehmen vergleichsweise selten den Nominallohn, selbst wenn sie unter Kostendruck stehen. Eher noch entlassen sie dann Leute. Der Nominallohn ist die Lohnsumme, wie wir sie ausbezahlt bekommen. Eine Nominallohnsenkung erfordert neue Verträge, drückt auf die Moral der Belegschaft und es besteht die Gefahr, dass die Besten einen neuen Job suchen, während die Schlechteren bleiben. Kein Wunder beobachten Ökonomen praktisch überall, dass die Nominallöhne nach unten selbst in Krisen weitgehend inflexibel sind.

Reallöhne dagegen können auch gesenkt werden, ohne eine geringere Lohnssumme auszuzahlen. Dazu reicht es aus, beim Lohn die Inflation nicht oder nicht ganz zu entschädigen. Der in  Gütern bzw. Kaufkraft gemessene Lohn sinkt dann, selbst wenn die absolut ausbezahlte Summe gleich bleibt oder geringer steigt als die Inflation. Die Beschäftigte aktzeptieren das viel eher als eine Nomallohnsenkung.

Damit zurück zu Grossbritannien und zum Fazit: Die höhere Inflation dort hat ermöglicht, was mit der geringen in den USA nicht zu machen war: Reallohnsenkungen. Auf Seiten der Unternehmer war die Folge, dass die Kosten für die Beschäftigten gesunken sind. Sie waren daher bei Kostendruck weniger gezwungen, Leute zu entlassen und waren bei einer anziehenden Auftragslage rascher wieder bereit, neue Beschäftigte einzustellen. Das erklärt auch die geringere Produktivität, denn der übliche Druck zu Mehrleistungen in der Rezession war daher nicht nötig.

Wie die Ökonomen Guillermo Calvo, Fabrizio Coricelli und Pablo Ottonello in einer Studie schreiben, zeigt sich anhand von Finanzkrisen nach dem zweiten Weltkrieg, dass bei einer besonders tiefen Inflation die Erholungsphase kaum mit einem Beschäftigungszuwachs verbunden war, während bei einer höheren Inflation, mehr oder weniger einzig die Reallöhne gelitten haben. Die Ökonomen betonen aber auch, dass der arbeitsbeschaffende Effekt einer höheren Inflation nur vorübergehend und auf dem Hintergrund einer Krise funktioniert. Eine anhaltend höhere Inflation wird auch von den Beschäftigten «eingepreist», das heisst, sie richten ihre Lohnforderungen entsprechend aus.

27 Kommentare zu «Die wundersame Heilkraft der Inflation in Grossbritannien»

  • Josef Marti sagt:

    Wieso klemmt der Blog ständig?

    • Urs Lehmann sagt:

      Vielleicht lieg’ts an Ihrem PC bzw. Browser. Haben Sie schon mal einen anderen ausprobiert wenn Ihr Standard-Browser klemmt? Browsercache löschen hilft vielleicht, oder löschen der Cookies (allerdings kann letzteres dazu führen, dass Einstellungen verloren gehen, z.B. dass Passwörter erneut eingegeben werden müssen).

  • Josef Anton sagt:

    Off topic

    Welche weiteren Manipulationen (Diebstahl) werden bei der Deutschen Bank und JPMorgan wohl bald auffliegen?

    In a span of four days last week, two current executives and one recently retired top ranking executive of major financial firms were found dead. ….

    Hier zum Artikel:

    http://wallstreetonparade.com/2014/02/a-rash-of-deaths-and-a-missing-reporter-%E2%80%93-with-ties-to-wall-street-investigations/

  • Josef Anton sagt:

    Verzweifelt klammern sich die Ökonomen an die Theorien von Keynes ohne zu erkennen, dass diese in einer Periode des Goldstandards erarbeitet wurden und dass Keynes die Geldentwertung rigoros verurteilte.

    „By a continuing process of inflation, governments can confiscate, secretly and unobserved, an important part of the wealth of their citizens. By this method they not only confiscate, but they confiscate arbitrarily; and, while the process impoverishes many, it actually enriches some… Those to whom the system brings windfalls, … become „profiteers“, who are the object of the hatred (e.g. Bankers)… the process of wealth-getting degenerates into a gamble and a lottery… Lenin was certainly right. There is no subtler, no surer means of overturning the existing basis of society than to debauch the currency. The process engages all the hidden forces of economic law on the side of destruction, and does it in a manner which not one man in a million is able to diagnose.“

  • Martin Holzherr sagt:

    Die USA und auch die EU-Zone wünschen sich ebenfalls eine höhere Inflation und historisch gesehen ist eine längere Phase höherer Inflation ein probates Mittel des Schuldenabbaus. Etwa die Hälften der Kriegsschulden haben die USA mit mehreren Jahren hoher Inflation abgebaut. So sank die US-Staatsschuldenquote zwischen 1945 und 1955 von knapp 120 Prozent des BIP auf rund 50 Prozent zurück, wobei knapp zwei Drittel des Rückgangs zwischen 1946 und 1949 erzielt wurde, als bei rund 3,5 Prozent Langfristzinsen die jährliche Inflationsrate um die zehn Prozent betragen hatte.

    Inflation wurde also bereits erfolgreich zum Schuldenabbau eingesetzt. Die heute eher depressive Wirtschattslage – verglichen mit der Nachkriegszeit – macht es aber offenbar sehr schwierig eine vernünftige Inflationsrate hinzubekommen. Es ist erstaunlich, dass das den Briten gelungen ist.

    • Reto Derungs sagt:

      Diesem Ziel – Schuldenabbau der öffentlichen Hand durch Inflation – kommt ein m.E wichtiger Umstand entgegen, dem kaum Beachtung geschenkt wird:

      Mit dem Siegeszug des Internets und der rasant wachsenden Globalisierung haben sich die Markttransparenz und damit auch die Preisbildung der industriell hergestellten Konsumgüter markant verändert. Dies stellt die Unternehmen vor eine „Alles-oder-nichts“-Alternative; d.h., sie sind gezwungen, den Marktpreis zu unterbieten, was nur durch eine Senkung der Gestehungskosten, also durch die Erhöhung des Outputs, realisierbar ist – wenn sie nicht auf ihrer Produktion sitzen bleiben wollen. Nach dem verständlichen Motto, wonach die Letzten die Hunde beissen, wird auf Teufel komm‘ ‚raus produziert, hoffnungslos über den Bedarf hinaus. Ein paar wenige machen das Rennen, die andern sind gezwungen, ihre Produkte zu verramschen. Der in den letzten Jahren zunehmend zu beobachtende Preiszerfall wichtiger Konsumgüter (TV, Autos, Computer, Uhren, Haushaltgeräte jeder Art usw. usf.) spricht Bände. Der bedeutende Stellenwert dieser Produkte im Warenkorb der Konsumentenpreisindizes vermag die Preissteigerungen bei den übrigen Positionen massgeblich zu kompensieren.

      Die inzwischen gefährlich verpolitisierten Zentralbanken werden nicht müde, das Fluten der Märkte mit Liquidität als solange unbedenklich zu erklären, als es indexneutral ist. Das übermässige (und für viele verwunderliche) Anziehen der Börsen, das Steigen der Immobilienpreise sind indessen klare Hinweise darauf, dass die Inflation bereits voll im Gang ist.

      • Josef Anton sagt:

        Anziehen der Börsen, das Steigen der Immobilienpreise

        Es handelt sich um nichts weiter als um Nötigung, indem man die Geldentwertung mit allen Mitteln vorantreibt und damit den erwünschten Effekt „Flucht aus dem Geld“ erzielt. Lieben wir es nicht alle, ein wenig durch die paternalistisch veranlagten und eigennützigen Entscheidungsträger auf den „rechten Weg“ manipuliert zu werden.

  • madmax sagt:

    Ich befürworte Inflation wenn es einem wirtschaftlichen und kulturellen Turnaround zudient.
    Wenn Geld weniger Wert hat, wird reale Arbeit aufgewertet. Da kann Inflation als Mittel zum Zweck durchaus dienlich sein.
    Damit Staat und Gesellschaft die Mittel nicht ausgehen ist die sofortige Einführung der Kapitalgewinnsteuer und Abschaffung jeglicher Steuerprivilegien angesagt.
    Im Gegenzug Annahme der Mindestlohninitiative, Erhöhung der AHV Rente, Ausrottung von realer Armut, Sicherung einer erstklassigen medizinischen Versorgung für Alle, Sicherstellung von qualitativ hochstehenden Schulen und Förderung des dualen Bildungssystems. Zudem, dies als durchaus liberales Gedankengut: Förderung des Individuums in Bezug auf Selbstverantwortung und,wo auch immer möglich Abbau des Staatsapparats.
    Idealistische, utopische Ziele?
    Mit der richtigen Zuführung der Mittel alles kein Problem.
    Wenn das der Preis der Inflation ist, wird das „Volk“ bereit sein inflationsbedingte Opfer zu bringen.

  • Hans Ernst sagt:

    Der Schrei nach Inflation ist immer ein Spiel mit dem Feuer. Wenn Inflation wie beschrieben eine einfache Form der Lohnsenkung ist, sind es auch die untern und mittlern Einkommen, die doppelt bezahlen: durch weniger Lohn und weil es ihnen am schlechtesten gelingt ihr Erspartes inflationsgeschützt anzulegen. Zudem nimmt die Inflation gewisse Höhen an, so verliert damit das Geld an Glaubwürigkeit, der normale Bürger fühlt sich um seine Ersparnisse und Pensionen betrogen, schnell ist der soziale Frieden und die Demokratie in Gefahr.

    Anderseits gewiss manchmal ist Inflation das einzige Mittel wie eine Wirtschaft noch aus einer verfahrenen Situation befreit werden kann. Das jedoch nur unter Inkaufnahme massiver Nebeneffekte und sehr vieler Verlierer. Auf Inflation zu setzen ist immer auch ein Pakt mit dem Teufel!

  • Hampi sagt:

    Es untermauert die Tatsache, dass wir dringend Inflation brauchen. Und es ist deshalb ziemlich sicher, dass die FED unter Janet Yellen der Welt ziemlich schnell beweisen wird, dass der Geldhahn weiterhin voll offen ist.
    Geht es nicht von selbst, muss die Medizin „Inflation“ zwangsmässig verabreicht werden !

    • Josef Anton sagt:

      Das Erzwingen von Inflation wird eine zunehmende Instabilität nicht nur des Finanzsystems, sondern auch der gesellschaftlichen Verhältnisse herbeiführen. Natürlich werden diese Zusammenhänge von Ökonomen nicht erkannt und es wird darauf mit einer Zunahme regulierender Bürokratie und der staatlichen Ordnungskräfte reagiert. Je höher der Anteil der nicht produktiven Personen in einer Volkswirtschaft, desto tiefer ist langfristig betrachtet das Wachstum des Lebensstandards und des Wohlergehens der Bevölkerung (nicht zu verwechseln mit dem BIP). Ebenfalls fördert Inflation den Umverteilungseffekt von unten nach oben (Gini-Koeffizient) und damit die Machtkonzentration.

      Aber Sie dürften richtig liegen, dass Yellen gar keine andere Wahl sieht als weiter Geld zu „drucken“. Das ist das Elend, dass wenn man einmal eine inflationäre Geldpolitik eingeschlagen hat, es immer schwieriger wird, diesen Weg zu verlassen, da es zunehmend stärker zu schmerzen scheint, womit man sich eigentlich selber verurteilte, die Währung zu zerstören.

      • Hampi sagt:

        „Das Erzwingen von Inflation wird eine zunehmende Instabilität nicht nur des Finanzsystems, sondern auch der gesellschaftlichen Verhältnisse herbeiführen.“

        Instabile gesellschaftliche Verhältnisse haben wir viel mehr zu befürchten, wenn wir zulassen, dass (wie hier im Süden von Spanien) ca. 36 % der Bevölkerung arbeitslos ist…….und bei den Jugendlichen sind es weit über 50 %.

        Damit Krisenländer wieder konkurrenzfähig werden (d.h. nicht mehr Richtung Bankrott/Armut gehen) gibt es zwei Möglichkeiten:
        Entweder sie werden plötzlich viel effizienter oder sie verdienen weniger. Das erste ist erfahrungsgemäss in der Praxis unmöglich. Also geht es nur durch „weniger verdienen“.

        Für das „weniger verdienen“ gibt es für die Krisenländer in der Theorie auch zwei Möglichkeiten: Entweder wird der Lohn direkt gekürzt (indirekt durch mehr Arbeitsstunden zum gleichen Lohn) oder aber der Lohn wird durch Inflation versteckt und perfid gesenkt. Die Praxis zeigt, dass Lohnkürzungen nur sehr bedingt durchführbar sind. Der Mensch reagiert, wenn er seine Entwicklung im „Retourgang“ sieht, irrational und unflexibel. Also bleibt nur eine wirksame Möglichkeit: Inflation.

        Und erst dann sollten wir uns um die Inflation Sorgen machen !

        • Josef Marti sagt:

          Inflation kann längerfristig nicht erzeugt und aufrechterhalten werden ohne das Nachziehen der Löhne, deshalb hatten die Krisenländer bis vor kurzem deutlich höhere Inflationsraten als der Nordeuroraum weil sie höhere Löhne hatten als Deutschland. Dauerhafter Lohndruck funktioniert nur bei moderater Inflationsrate. Mittlerweile haben auch die Pigs ihre Inflation deutllich gesenkt bzw GR ist in Deflation, deshalb verharrt der Südeuroraum in Stagnation und gar Stagflation. Will man die Löhne im Süden real um 30% senken wie das gewisse Schlaumeier gefordert haben, dann ergibt das noch eine weitere Abwärtsspirale durch die einsetzenden Kreditausfälle und Bankrotte.

        • Josef Anton sagt:

          „Die Praxis zeigt, dass Lohnkürzungen nur sehr bedingt durchführbar sind. Der Mensch reagiert, wenn er seine Entwicklung im “Retourgang” sieht, irrational und unflexibel.“

          Natürlich fühlt er sich verarscht, nachdem er jahrzehntelang darauf konditioniert wurde, dass es immer „aufwärts“ (geldentwertend) geht, wobei heute viele Menschen beim Verlust des Jobs genau diese Erfahrung machen müssen, speziell im Segment 50plus. Wichtig ist die Kaufkraft, welche durch die langfristige inflationäre Geldpolitik schrittweise geschwächt wurde. Es handelt sich mehr um eine Rechtfertigung der inflationären Neigungen und der Verteidigung der gängigen Wirtschaftslehre der entsprechenden Entscheidungsträger, denn der Mensch muss während des ganzen Lebens immer wieder mit „Verlusten“ umgehen und ist dazu sehr wohl imstande.

          Ihr Fokus gilt einzig den derzeitigen „Krisenstaaten“, während ich die globale Entwicklung versuche zu verstehen, wobei die Situation dieser Staaten einzig eines vieler Symptome der bestehenden weltweiten durch die geldentwertende Politik der vergangenen Jahrzehnte erzeugten Ungleichgewichte darstellt.

  • Chris Forster sagt:

    Was vergessen ging: In Folge der Krise sind unzählige EU-Ausländer aus Grossbritannien abgewandert. In den USA kann die Arbeitslosigkeit schlicht nicht exportiert werden.

    • Josef Anton sagt:

      @ Chris

      Gut erkannt. Es gibt viele weitere harte und weiche Faktoren, welche unterschiedlich auf eine wirtschaftliche Entwicklung einwirken und welche wir nicht wirklich messen können, z.B. staatliche Sozialleistungen, Demographie, Ab-/Zuwanderung, Bildungsstand, religiöse Ausrichtung, Homogenität der Bevölkerung, Zusammensetzung der wirtschaftlichen Leistung, Steuerpolitik etc. etc.

      Die Formel „höhere Inflation reduziert Arbeitslosigkeit“ greift viel zu kurz und berücksichtigt nicht die langfristigen Auswirkungen.

      Mit Mark Carney haben die Briten den Jackpot gezogen. Seine Geldpolitik führte in Kanada zu einem Immobilienboom, welcher einzig aufgrund der Reichen (z.B. auch viele Chinesen), welche weitere Diversifikationen suchen, noch nicht eingebrochen ist. Ein wahrlich zwielichtiger Charakter.

  • Peter Colberg sagt:

    „Die Ökonomen betonen aber auch, dass der arbeitsbeschaffende Effekt einer höheren Inflation nur vorübergehend und auf dem Hintergrund einer Krise funktioniert. “ In der Tat. Das massive „quantitative easing“ der Bank of England und der Fed hat die extremen Konsequenzen der 2008 Finanzkrise nicht beseitigt, sondern nur vertagt – mit der logischen Folge höherer Inflation und eines Wertverlusts des Kapitals der Sparer. Die reale Krise ist noch längst nicht vorbei, freuen wir uns nicht zu früh.

    Die Inflationsrate ist in GB und den USA angeblich jedoch nicht so stark gestiegen wie dies infolge der endlosen QE Milliarden (gedrucktes Geld der Zentralbanken) erwartet wurde. Ein grosser Teil dieser Gelder wurde von den Banken zu Fortsetzung der „Kasino“ Spekulation verwendet (Finanzblase), oder schlicht als Kapitalreserve gehortet. In der realen Wirtschaft ist es angeblich nie angekommen, Kmu’s haben es schwer. Jetzt wo ein anderer Wind blässt (Fed) machen sich erste Entzugserscheinungen bei den Börsen bemerkbar, dies ist erst der Anfang einer neuen Krise. Immer grösser werdende Finanzblasen brauchen leider immer mehr QE, die Finanzparty ist aber jetzt vorbei.

    Jetzt wo die Fed die QE Strategie progressiv reduzieren wird (tapering) wird der reale Zustand der US Wirtschaft sehr bald an das Licht kommen, schön wird es nicht werden. In GB, eine Wirtschaft wo die Industrielle Produktion nur etwa 10-11% des BIP ausmacht (auch USA), ist jeglicher Wachstum auch nur eine Nebenwirkung des QE Zahlenspiels. Grundliegende Probleme, wie etwa Kredit-finanzierter Konsum und überhöhte Immobilienpreise, sind in GB angeblich noch an der Tagesordnung. Zudem ist das generelle Bildungsniveau in den USA und GB stark gesunken, es fehlt markant an Arbeitskräften mit soliden technischen Kenntnissen in den Wissenschaften: Asien steht hierbei wesentlich besser. Viele Arbeitsplätze sind in GB und den USA seit 2008 angeblich m Mindestlohn Sektor entstanden, Tendenz steigend.

    Es wäre illusorisch zu glauben das die Wirtschaftsleistung von GB und den USA (und Europa generell) nach Jahren der Auslagerung der Industriellen Produktion in Billigstandorte (hauptsächlich China) in namen der Globalisation und des saftigen, kurzsichtigen Profits allein durch den verbleibenden Servicesektor wieder vollständig auf die Beine kommen könnte. QE war, und ist nur eine weitere Art der Zwangsvollen Verteilung des Reichtums, aber nie eine dauerhafte Lösung für gravierende wirtschaftliche Probleme.

    Ludwig von Mises hatte wohl eher Recht: Zitat: „Es gibt keinen Weg, den finalen Kollaps eines Booms durch Kreditexpansion zu vermeiden. Die Frage ist nur ob die Krise früher durch freiwillige Aufgabe der Kreditexpansion kommen soll, oder später zusammen mit einer finalen und totalen Katastrophe des Währungssystems kommen soll“. Wir wurden gewarnt.

    • Josef Marti sagt:

      Sie beschreiben es richtig. Die neoliberale Agenda wird überall fleissig unverändert weitergeführt, man liest von wieder hohen Gewinnen und Bonustöpfen der Banken während die Realwirtschaft dahindümpelt bei unveränderter Massenarbeitslosigkeit und systematischer Verschiebung in prekäre, teilweise subventionierte Arbeitsverhältnisse mit Niedriglohn- und Teilzeitjobs. Scheinbar gibt es keine Alternative zum Bankenmästungsprogramm.

  • madmax sagt:

    Einfacher gesagt: der Mittelstand bezahlt in jedem Fall die Rechnung. Die Kaufkraft des Einzelnen sinkt, die Mindestlöhne gehen seit 10 Jahren nur in eine Richtung: nach unten. Eine Folge der Globalisierung. Das Volk wird von der Wirtschaft mit Unterstützung der Politik erpresst. Take it or leave it, das ist hier die Auswahl. Die Alternative sind Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe. Und das in England, nicht wirklich was sich Herr und Frau wünscht.
    In England sehen wir heute was uns morgen erwartet: eine Zweiklassengesellschaft. Ganz nach dem Motto: Gewinne mit steuerprivilegien werden privatisiert, die Verluste hingegen werden immer und in jedem Fall sozialisiert.
    Wann ist die Schmerzgrenze erreicht?

  • Josef Anton sagt:

    Die wunderbare Heilkraft einer Flasche Whisky bei einem Kater.

    Kein Zweifel, dass man sich besser fühlt.

  • Johnny Smith sagt:

    Achtung Gefahr zirkuläre Logik:

    England’s Wirtschaft hat sich nur schwach erholt, der Arbeitsmarkt dafür besser. Dafür die angebliche Erklärung aus dem Artikel: „Eine gängige Erklärung dafür liefert das so genannte Produktivitäts-Rätsel («Productivity Puzzle») Grossbritanniens… Die (Arbeits-)Produktivität misst den Output pro geleistete Arbeitseinheit – also pro Stunde oder pro Beschäftigten.“

    Also: Produktivität = Output (etwas vereinfacht Wirtschaftsleistung GDP) / Arbeitseinheiten

    Die schwache Entwicklung der Produktivität ist also die Beschreibung per Definition/Kalkulation der Situation mit schwacher Wirtschaft und weniger schwachem Arbeitsmarkt. Das hat nichts mit ‚Erklärung‘ zu tun.

    Spätestens mit folgendem Satz macht MDM seinen Zirkulärlogik-Falschschluss perfekt: „Die geringere Produktivität in Grossbritannien (im Vergleich zu jener in den USA) bedeutet, dass jede zu produzierende Einheit einen grösseren Arbeitseinsatz erfordert und hat zur Folge, dass vergleichsweise mehr Arbeit nachgefragt wird.“ Nochmals: das ist nicht die Folge, sondern die Definition.

    • urs lehmann sagt:

      Ich denke, im Bereich des zweiten Zitats hat er ungenau formuiliert. Im vorhergehenden Abschnitt spricht er explizit von der Entwicklung nach Ausbruch der Krise, im Abschnitt mit dem Zitat von „sinkend“ und „einbrechend“. Entsprechend meinte er wohl nicht „geringere Produktivität“ sondern geringere Produktivitätszunahme in den Folgequartalen und -jahren. Das macht auch das Argument mit dem grösseren Bedarf nach Arbeitskräften in den Folgejahren plausibel.

      • Johnny Smith sagt:

        Das ist nicht, was ich meinte, sorry, ich habe mich nicht klar genug ausgedrückt.

        Der Artikel DEFINIERT Produktivität mit dem Verhältnis von Output / Arbeitseinheiten. Wenn in England sich dieses Verhältnis schlechter entwickelt als in anderen Ländern, so lag zugrunde, dass / erforderte jede zu produzierende Einheit einen grösseren Arbeitseinsatz (so weit ok). Dies hat aber damit nicht die FOLGE, dass vergleichsweise mehr Arbeit nachgefragt wird (fürs verblichene Jahr muss es per Definition so sein, fürs Folgejahr lässt sich daraus nichts folgern).

        Wenn es die FOLGE wäre, würden in den Folgejahren mehr Arbeitskräfte nachgefragt WEGEN der vorherigen schwachen Produktivitätsentwicklung) nachgefragt. Das könnte theoretisch so sein, wird aber durch das Zitat von MDM in keiner Art und Weise auch nur ansatztweise begründet.

        Nicht was die Definition, sondern was einen allfälligen Kausalzusammenhang angeht sehe ich es eher umgekehrt: wo würde ich als Unternehmen investieren: dort wo sich die Produktivität hoch ist und sich verbessert oder dort wo sie tief ist und sich verschlechtert?

  • Elisabeth Krail sagt:

    Eine Immobilienblase, steigende Preise – die v.a. die Bevölkerung zu berappen hat sowie das Fehlen einer Restrukturierung der Wirtschaft und des Finanzsektors lassen den hinausposaunten Aufschwung Grossbritanniens auf tönernen Beinen stehen. Die Nachhaltigkeit darf bezweifelt werden.

    (Zeit, Großbritanniens geborgter Aufschwung)

  • Urs sagt:

    Gelddrucken hat noch nie zu mehr Wohlstand gefuehrt.

  • Anh Toan sagt:

    Waren die Reallohnsenkungen über die gesamte UK Wirtschaft verteilt, oder waren das nicht einfach die gesunken Löhne der Finanzindustrie, wo viele Vergütungen zu einem wesentlichen Teil erfolgsabhängig sind? Sinkt bei einem grossen Anteil der Finanzindustrie am GDP die Produktivität nicht logischerweise, da die Finanzindustrie dann destruktiv statt produktiv ist und die Erhöhung der Produktivität in anderen Branchen übersteigt? Was exportiert UK heute mehr dank gesunkenen Reallohnnöhen? Oel? Das Handelsbilanzdefizit hat sich zumindest nicht verbessert.

    Der konjunkturelle Aufschwung in UK ist vor allem schuldenfinanzierter importierten Konsum. Gläubiger dieser Schulden ist zu einem grossen Teil die Notenbank, welche mehr Staatsanleihen kauft, als die Regierung neu ausgibt, um den Konsum zu finanzieren.

    Die Inflation ist eine Folge schuldenfinanzierten, importiertem Konsum, und nicht Ursache eines Wirtschaftswachstums, im Gegenteil eine Einbahnstrasse mit starkem Gefälle Richtung Währungskollaps. Nach dem bernanke Put, ist vor dem BoE Put.

    • Josef Marti sagt:

      Das sehe ich auch so. Der wie im Artikel richtig beschriebene kurzfristige Effekt ist schnell verpufft, seit 2011 sinkt die Inflationsrate und wird sich wahrscheinlich in einer Stagflation festsetzen mit tief bleibenden Reallöhnen, begleitet von steigender Staatsverschuldung, hohen Budgetdefiziten um die 8% und regelmässigen Leistungsbilanzdefiziten. Alles im Rahmen einer prozyklischen Ausgaben- und Sparpolitik.

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