Das japanische Urrätsel

Wie ist die wirtschaftliche Entwicklung Japans zu interpretieren? Im Bild: Darstellung des Kampfes zwischen Tradition und Moderne in Japan, ca. 1870. (Quelle: Printing Museum)
Japan ist von allen OECD-Mitgliedern das rätselhafteste Land. Seit mehr als 20 Jahren verharrt die Wirtschaft in Stagnation, die Preise bleiben stabil trotz expansiver Geldpolitik, und die Staatsverschuldung ist mittlerweile höher als 200 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Gleichzeitig beträgt die Arbeitslosigkeit aber nur etwa fünf Prozent. Wie ist das möglich?
Natürlich gibt es eine Reihe von guten Erklärungen, was die Stagnation und die hohe Staatsverschuldung anbelangt. Japan leidet immer noch unter den Folgen der verheerenden Bankenkrise, die anfangs der 1990er-Jahre ausgebrochen ist. Aber sobald man nach einer Erklärung für die geringe Arbeitslosenquote sucht, wird es schwieriger. Die Überalterung der Gesellschaft ist ein wichtiger Faktor, auch die rückläufige Erwerbsquote der Frauen spielt eine Rolle. Nur sind das keine wirklich unabhängigen Variablen. Sie verweisen auf viel grundlegendere Faktoren, die mit dem speziellen kulturellen und institutionellen Rahmen des Landes zu tun haben. Japan ist anders.
Die geringe Arbeitslosenrate trotz wirtschaftlicher Stagnation ist aber nur das letzte Beispiel einer langen Serie von japanischen Rätseln. Ungelöst geblieben ist insbesondere die Frage, warum es Japan als einzigem nicht westlichen Land gelungen ist, bereits im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert eine erfolgreiche Industrialisierung einzuleiten. Die Grafik zeigt, wie Japan von 1870 bis 1930 die grossen asiatischen Nachbarn abhängte.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war das Land noch hoffnungslos rückständig im Vergleich zu den europäischen Grossmächten und den USA gewesen. Der Amerikaner Perry hatte 1854 keine Mühe, die japanische Regierung zur Öffnung einiger Häfen zu zwingen, als er mit vier Kriegsschiffen in der Bucht von Tokyo aufkreuzte. Japan drohte dasselbe Schicksal wie China, das nach dem ersten Opiumkrieg (1839-1842) den Binnenmarkt für den ausländischen Handel zugänglich machen und Hongkong abtreten musste.
Wenig später kam mit der Meiji-Restauration von 1868 die grosse Wende. Das jahrhundertealte Schogunat wurde ersetzt durch eine Art konstitutionelle Monarchie, und es setzte eine umfassende institutionelle Reform ein, die in der Geschichte ihresgleichen sucht. 1899 wurde die ganze Transformation in eine moderne Verfassung gegossen. Gleichzeitig setzte der industrielle Aufschwung ein, zunächst in der Seidenindustrie, etwas verzögert dann auch in den Zulieferindustrien.
Das erstarkte Japan beginnt nun auch sehr schnell, die Armee aufzurüsten und militärisch zu expandieren. 1876 besetzt es die Bonin und Riu-Kiu-Inseln, 1895 besiegt es China und gliedert Formosa (Taiwan) ein, 1904/05 gewinnt es gegen Russland, 1910 annektiert es die koreanische Halbinsel. Fünfzig Jahre zuvor hatte noch die Kolonialisierung gedroht, jetzt war Japan selber ein Kolonialreich. In den 1930er-Jahren überfiel es schliesslich China und löste den Zweiten Weltkrieg in Ostasien aus.

Wiederum gibt es auch bei diesem japanischen Urrätsel eine Reihe von Erklärungen. So war Japan um 1850 weniger rückständig, als es auf den ersten Blick scheint. Der Binnenmarkt war gut erschlossen, die Landwirtschaft für vormoderne Verhältnisse höchst produktiv, der Bildungsstand beeindruckend, und seit 1700 hatte das Textilgewerbe dank dezentraler Produktion grosse Fortschritte gemacht (Protoindustrialisierung). In vielerlei Hinsicht hatte Japan ähnliche Strukturen wie Europa am Vorabend der industriellen Revolution.
Dennoch bleibt ein unerklärter Rest übrig. Japan ist anders.
31 Kommentare zu «Das japanische Urrätsel»
Completely off topic but food for thought
http://sphotos-a.xx.fbcdn.net/hphotos-prn1/p480x480/560095_513113298748055_258135038_n.jpg
Der Versuch, in Völkern historische Konstanten, soziokulturelle Kontinuitäten zu entdecken, hat mit Max Weber und „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ seinen Höhepunkt gehabt.
Vor etwa 30 Jahren schwärmten westliche Manager von Kaizen. Doch heute sind Apple und Audi, nicht Sony und Honda die gefragtesten Topprodukte.
Nach Fukushima schrieb ich „Tepco ist das Ende der Marktwirtschaft“. http://www.heise.de/tp/artikel/34/34443/1.html
Die 485 Kommentare stehen noch da.
Als dann aber 2012 alle jammerten, die Japaner seien auf dem Abstieg und Fitch Japan herabstufte, erinnerte ich mich an meine Handelsmissionen in Tokio und wertete Japan auf:
http://boerse.ard.de/analyse-und-strategie/regionen/japan-schlechte-note-gute-note-100.html
Warum?
Die Japaner waren bereit, die großen Opfer anzunehmen. Weniger zu verdienen. Renten kürzen. Keine Rendite mehr für Staatsanleihen.
Ich nenne es: Sozialkapital. Bescheidenheit. Demut. Solidarität.
Die Schweizer und Deutschen haben es auch.
Sozialkapital ist aber keine unabhängige Variable. Es ist nur schwer quantifizierbar.
Und deshalb haben wir Soziologen auch etwas dazu zu sagen. Rogoff oder KOF, HSG, NZZ und SECO schütteln darüber nur den Kopf: Lass doch‘ diese Sozialkapitalspinner. Hauptsache, sie bekommen keine Mittel und kein Gehör.
Nur: Was war denn mit dem Nikkei seit unserer Aufwertung von Japan auf AAA am 23.5.2012? Wo steht er jetzt? Bei 6000?
Auch Sozialkapital hat nämlich einen materiellen Wert. Es ist eine Wertschrift im Sinne des Wortes.
@ Alexander
Danke für diesen Input aus offensichtlich berufenem Munde. Es gibt hier immerhin schon eine zählbare Minderheitsfraktion, welche dem kulturellen Element einen erheblichen (wenn auch indirekten) Einfluss auf die Wirtschaft eines Landes attestieren. Vielleicht begründen Sie ja eine neue Disziplin der soziologischen Ökonomie (notfalls geht wohl auch die ökonomische Soziologie), um die Zusammenhänge und Abhängigkeiten von Kultur und Wirtschaft besser zu ergründen.
Im (fortschrittlich-dynamisch-linken) Zürich müsste doch damit ein neuer Uni-Lehrstuhl geschaffen werden können, oder etwa nicht?
http://www.socionomics.net/
Danke für den Tipp! Kannte ich noch nicht. Habe sofort hingeschrieben.
Ein Lehrstuhl? Sie können davon ausgehen, dass jeder denkbare Lehrstuhl nur innerhalb der Zitiergemeinschaften der Mainstream-Ökonomie entsteht. Das gilt auch für die angeblich „linke“ Soziologie, etwa in Basel. Der Kanton hat mir bereits mitgeteilt, dass neue Institute nie in die Förderung kämen, also jedes neue Thema zunächst von der Uni Basel selbst und der FHNW eingebracht werden muss. Aufgrund deren eigenen Budgetkämpfen aber würden die nie ein neues Institut unterstützen – und damit auch keinen Lehrstuhl.
In Life Science ist übrigens ausseruniversitäre Forschung sehr anerkannt, gerade in Basel. In Ökonomie und Soziologie gilt sie – auch und gerade beim SNF – als unerwünschte Störung des Betriebs.
Danke. Ich wusste ja, dass die angeblich so neugierigen Wissenschaftsinstitutionen recht konservativ denken, aber dass es so schlimm ist, hätte ich nun doch nicht vermutet. Ernüchternd, und eigentlich traurig.
@ Alexander
Off Topic:
Nach dem Lesen Ihres TEPCO-Artikels:
Könnten Sie sich mit Ihrem Institut nicht mal mit ein paar Kollegen international zusammentun (etwa 10 – 20 etablierte Institute würden wohl reichen) und die internationalen Ratingagenturen raten? Ich denke an Einstufungen wie
AAA = Das Rating gibt eine zuverlässige Prognose für über 24 Monate in die Zukunft
BBB = Das Rating gibt eine 80% korrekte Prognose für 6 Monate
CCC = Das Rating ist schlechter als eine Zufallsbewertung
Ich denke, das würde die Ratingagenturen anspornen, wieder saubere Arbeit statt Gefälligkeitsgutachten abzuliefern.
Randbedingung: Die Mitarbeiter des Ratingagenturenratings dürfen keinerlei finanzielle Interessen an den Agenturen haben.
Ich denke, das würde Sie/Ihr Institut berühmt machen und der Wirtschaftswelt einen grossen Dienst erweisen…
„Der Amerikaner Perry hatte 1854 keine Mühe, die japanische Regierung zur Öffnung einiger Häfen zu zwingen, als er mit vier Kriegsschiffen in der Bucht von Tokyo aufkreuzte.“
Was zeigt, dass die Kameraden hinter dem grossen Teich schon immer Kanonenbootpolitik gemacht haben!
Des Rätsels Lösung ist wohl: Viele wirtschaftliche Probleme können für eine gewisse Zeit überdeckt werden. Ein Land kann auch lange Zeit von seiner Vergangenheit zehren. Der Niedergang eines Landes kann unsichtbar und schleichend beginnen, während sichtbar alles weiterhin perfekt ist. Mir scheint Japan ist in solch einer Situation. Der Niedergang seiner Wirtschaft konnte bisher gut übertünkt werden. Doch der Staat ist nun hoch verschuldet (mehr als doppelt so hoch wie Griechenland) und die Korruption ist gross (siehe Fukushima). Irgendwann werden sich die wahren Probleme zeigen. Vielleicht ist es ja typisch für eine Kultur, in welcher es enorm wichtig ist das Gesicht zu wahren, dass man die Krise möglichst lange zu vertuschen versucht und dies auch viel länger kann als je jemand denken würde. Doch schliesslich ist der Effekt davon, dass die Krise irgendwann umso stärker zuschlägt.
Japan ist das unreligiöseste Land, das ich jemals bereist habe. Klar gibt es einige die Formen von Buddhismus praktizieren, aber über das gesamte Land gesehen ist Religion nicht wichtig. Auch konnten sie den Missionaren der Amerikaner zu beginn des 19.Jahrhundert wider stehen, ganz anderst z.B war es in Korea nach dem Koreakrieg. Japan ist heute so stabil, weil die nicht an Gott oder ihr Schicksal in Gottes Hände legen, sondern die ganze Bitterkeit mit menschlichem Verstand begegnen. Wäre eventuell auch eine Lösung für die europäischen Staaten, wenn man bedenkt, dass die Türkei wegen ihrer Religion mehr mühe hat in die EU zu kommen, als Serbien, das am liebsten seinen Nachbarn wieder zerstören würde.
Ich denke eine tiefe Arbeitslosenquote muss in der wirtschaftlichen Staatsplanung absolut höchste Priorität haben, das BIP ist da einfach mal sekundär. Ein weiterer japanischer Faktor für weniger Arbeitslose sind die vielen kleinen Dienstleistungs-Jobs, ob Liftmädchen oder Tankstellen-Herr, welcher einem den Weg auf die Strasse weist. Da fühlt man sich als Besucher noch wohliger umsorgt, als man es ohnehin schon ist. Die japanische Mentalität aus höchstem Qualitätsbewusstsein, maximalem Respekt vor dem Kunden und die sprichwörtliche Fleissigkeit nach dem Motto liefere statt lafere bleibt für den Rest der Welt vorbildlich. Natürlich müssen sich auch die Japaner etwas einfallen lassen, wie sie mit der demographischen Alterung umgehen sollen.
Der Grund für die tiefe Arbeitslosenrate in Japan ist die soziale Verantwortung der Unternehmen, Aehnlich wie bei uns in der Nachrkriegszeit wird in Japan nicht einfach jeder entlassen, den es „nicht mehr braucht“. So geht das.
Dies mag sehr wohl mit ein Grund sein, welcher auch einer gewissen Logik entspricht. Die gesellschaftliche Verantwortung scheint in der japanischen Wirtschaft und Kultur staerker ausgepraegt zu sein. Vielleicht staerkte die Bombe das Gefuehl der Schicksalsgemeinschaft, wobei dies natuerlich die fruehere Entwicklung nicht erklaert. Oder man koennte es vielleicht auch in dieser Form auslegen, indem man als Kriegsverlierer sich laengerfristiger als Schicksalsgemeinschaft versteht als als Kriegsgewinner. Dies sind rein spekulative Aussagen, welche nicht auf einer tiefergreifenden Ueberlegung beruhen.
@ Linus
Ich glaube nicht, dass traditionelles Verhalten wie in Japan wirklich von so kurz zurückliegenden Ereignissen wie dem 2WK beeinflusst wird. Ich würde eher auf die Religion (Shinto, Buddhismus, kaum Islam, wenige Christen) und auf philosophische Führergestalten (Konfuzius) tippen.
Guten Tag,
Ich erhalte den Eindruck, dass dem Autor weder genügend Fachwissen noch die passenden Denkkategorien zur Verfügung stehen.
Als Beleg führe ich an, dass es nicht zutrifft, dass die Erzwingung der Oeffnung 1854 ohne Mühe geschah. Zweitens bleibt der Autor – wie er selber sagt – jede Antwort schuldig, was denn nun gleich und was anders ist zwischen Japan und dem Westen. Jedoch schliesst er daraus nicht, dass die vorgebrachten Konzepte nicht genügen, um die Komplexität der Realitäten fassbar herunterzubrechen, und schliesst nicht in zurückhlatender und bescheidener Unwissenheit.
Ich bin nicht sicher, ob dieser Artikel mehr willkommene breite Vermittlung leistet als Verwirrung zu stiften und Unklarheit und Halbwahrheiten zu verbreiten. Am ärgerlichsten wäre eine Mischung aus Exotismus sowie der Arroganz (was könnte es anderes sein?) zu glauben, sich mit ein paar Konzepten aus der Wirtschaftswissenschaft einem komplexen Phänomen annähern zu können. Leider sehe ich nicht viel Raum für harmlosere Interpretationen.
Freundliche Grüsse
es heisst ja „galapagos“ weil eben alles anders ist
„Japan leidet immer noch unter den Folgen der verheerenden Bankenkrise, die anfangs der 1990er-Jahre ausgebrochen ist.“ Wow, es war wohl sowas wie Tsunami, welcher natuerlich einfach so ueber den Inselstaat hinwegfegte und es keine auf menschliche Fehler beruhende Gruende gibt.
1985 hatte ich einen japanischen Nachbarn, mit dem ich manchmal Schach spielte. Er erklaerte zuvor, dass er das Spiel nicht gut kennt, aber schlug mich immer wieder (vielleicht lag es auch an meinen mangelnden Kenntnissen); nichtstrotzdem war es natuerlich ein „understatement“. Er kaufte sich zu jener Zeit eine kleine Wohnung (wie die meisten sind) in Tokyo zu einem Preis, welcher mir die Nackenhaare hochstellte. Die Abzahlung war ueber Generationen geplant, als sein eigenes Leben (er war vielleicht 35) reichte dazu nicht aus.
Dies nur eine kleine Anektote als Beitrag; ansonsten kann ich nicht wirklich Stellung nehmen, da ich zu wenig ueber Japan las. Aber ein interessanter Standpunkt kommt in diesem Zusammenhang und auf die kuerzlichen Entwicklungen beziehend von Kyle Bass, der sich wohl intensiv mit Japan beschaeftigt: http://www.youtube.com/watch?v=ZY6IEpKRA7Y
Ja, das BIP…. und sein v o r g e s p i e g e l t e r direkter Einfluss auf die Inflation !
———— Rationalisierung der Produktionsabläufe …
———— Bevölkerungszu- /- abnahme …
———— Importpreise für wichtige Bedarfsgüter …
BIP s t e i g e r n d e r, Inflation d ä m p f e n d e r geschickter Einsatz unserer Steuern
usw. usw.…
w i e wird denn das von der herrschenden Lehre über den
Einfluss des BiP auf die Inflation dargestellt ? Ja eben: gar nicht.
Die Kapital a n h ä u f u n g s-Lobby würde eine solche Aufklärung von uns gewöhnlichen Steuerzahlern
stillschweigend mit allen Mitteln verhindern –
Sie warnt nur vor allem, was Ihre Haufen vermindern könnte, mit dem Ziel, dass wir
unserer eigene Altersvorsorge vor Augen,
I h r e Angst teilen und manipulierbar werden.
@Hr. Straumann:
Wenn Sie die japanische Wirtschaft genauer analysiert haben, werden Sie feststellen, dass die Japaner nicht schlecht geht, obwohl ihre Verschuldung über 200% liegt. Die Variable, die man bei Verschuldungen nicht berücksichtigen, ist die, wer der Schuldner und wie hoch der Sparquote sind.
Japan ist in einer komplett anderen Situation als die USA. Der höhere Sparquote in Japan zahlt sich jetzt aus. Vor allem die japanische Regierung verschuldet sich direkt bei der japanischen Bevölkerung, somit fliesst das Kapital wieder zur eigner Bevölkerung zurück. Das ist die von Ihnen genannt unbekannte Variable.
Fazit: die niedrige Arbeitslosigkeit Japans ist wissenschaftlich erklärbar, deshalb ist es kein Rätsel.
Sehr oft wird vergessen, dass in Japan viele Arbeitslose schämen sich zu melden. Stolz und Traditionen sind in Japan immer noch viel stärker als im Westen. Es gibt z.T. arbeitslose Erwachsene, manchmal sogar 30-40 jährige , die noch bei den Eltern wohnen, damit sie nicht zu einer Last für Gesellschaft werden. Ausserdem sind in letzten Jahrzehnten viele Japaner nach Kanada, Australien usw. ausgewandert, was auch wiederum selten in Statistiken berücksichtigt wird!
@ Josef Marti
Solche Verhaltensweisen, wie hier von Marc Schiesser geschildert, sind für eine Kultur viel relevanter, als ob die Jugend technikvernarrt ist. Auch konservativ denkende Schweizer haben ein iPhone und/oder ein iPad. Nicht jeder im Grunde seines Wesens konservative Japaner lebt auf einem Bauernhof.
Ausserdem überschätzen Sie den Einfluss des Laberclubs economiesuisse gewaltig. Der Laden diente früher als Forum, wo sich die wichtigen Leute trafen. Heute ist das Davos WEF, Rive-Reine oder Bilderberger, nicht e/s.
Japan ist eine homogene Gesellschaft, die würden sich auch von ihren eigenen Multis nie eine PFZ aufzwingen lassen. Der Japaner ist kein werteloser reiner homo oeconomicus und Konsumentenschweinchen wie die Westler, die an nichts anderes denken als privaten Profit und Hedonismus. Darum taugen die Japaner nicht als Globalisierungssklaven.
@ Josef
Wenn Ihre Ausführungen unhaltlich stimmen, heisst das, dass die Unterschiede im Wesentlichen kultureller und nicht ökonomischer Natur wären.
Dann kann es eigentlich nicht überraschen, dass die Ökonomen vor einem Rätsel stehen. Schliesslich haben ihre Modelle mit Kultur in der Regel nichts zu tun.
Es wäre für die Ökonomie als Disziplin auch ausserordentlich ärgerlich, weil es dann nicht globale Erkenntnisse, sondern nur noch Kulturraumspezifische Teilaussagen geben könnte. Vor allem die heute dominierenden US-Ökonomen müssten sich dann ganz bescheiden mit ihren Aussagen auf die USA beschränken…
@ Ernst: Ich verzweifle manchmal beinahe wegen dem ungelenken Umgang mit Menschenbildern in der Ökonomie. Der Homo Oeconomicus war explizit nie als realistisches Modell gedacht, seid John Stuart Mills „economic man“ nicht. Jeder, der es wissen will, kann es auf Wikipedia nachlesen. Trotzdem rätseln Ökonomen noch heute darüber, ob der H.O. realistisch sei oder nicht. Natürlich ist er es nicht, er war von Anfang an nie realistisch gemeint. Es war nur ein Hilfsmittel, um einfache (simplizistische) Aussagen machen zu können. Menschenbilder sind immer normativ. Man brauchte den H.O. bloss, um einfache Aussagen machen zu können, respektive heute um mit glatten Kurven rechnen zu können. Fehr wedelt ernsthaft in seinen Experimenten mit Geldscheinen, misst dann das Verhalten der Leute und glaubt tatsächlich, dadurch etwas über DEN Menschen PER SE zu lernen. Dabei misst er einfach die jetzige, zufällige Kultur, die jetzige Erziehung. Achten Sie sich einmal: In der Ökonomie wimmelt es von „Rätseln“ und „Paradoxa“. Diese sind aber nur für Ökonomen Paradoxa. Für Wissenschaftler, die nicht unter dem methodischen Autismus leiden, welcher den Ökonomiestudent_innen im Studium mühsam eingehämmert wird, sind es meist keine Rätsel. Nur schon die Vorstellung, dass es Wachstum braucht, damit die Arbeitslosigkeit tief ist, ist unheimlich beschränkt. Die Indianer hatten auch kein Wirtschaftswachstum, und trotzdem keine Arbeitslosigkeit.
@ Baer
„Dabei misst er einfach die jetzige, zufällige Kultur, die jetzige Erziehung.“
Gewisse Aspekte moegen sehr wohl zufaellig sein. Jedoch basiert die gegenwaertige Verhaltensweise sehr oft auf vergangene politische Entscheide, womit man in solch einem Fall die reine Zufaelligkeit ein wenig einschraenken mag und die durch die geschaffenen explizierten und implizierten Regeln entstandene Entwicklung als logische Konsequenz solcher Entscheide erkennen kann, sofern man sich ernsthaft genug damit beschaeftigt.
Die Entstehung von Massnahmen ausgedrueckt in Regeln und Gesetzen sind hingegen keinesfalls rein zufaellig, sondern werden oft durch entsprechende Machtzentren bewusst initiert oder gefoerdert um eine fuer sich eine vorteilhafte Situation zu produzieren. Oft werden bei solchen Entscheiden die konsequente langfristige Nachhaltigkeit nicht wirklich intensiv ueberdacht, sondern eher die kurzfristigen Vorteile in den Vordergrund gestellt.
Natuerlich ist die Gesamtheit all dieser und anderer Faktoren ausgedrueckt im Wort „Kultur“ von aussen betrachtet zufaellig, indem ja diese Entscheide anscheinend auf demokratischer Grundlage getroffen wurden oder innerhalb eines z.B. nationalen Systems. Es mag jedoch sehr wohl sein, dass gewisse Entwicklungen von einer nicht offiziell auftretenden Finanz-Elite gesteuert wird, ohne hier gleich VTs in Betracht ziehen zu wollen.
Als Anhaenger der Kunst der Manipulation sollten Ihnen diese Aspekte eigentlich bedeutend bewusster sein als mir.
Ich bin zugegeben kein profunder Japan-Kenner, aber aus der Distanz scheint mir die These doch gewagt. Zumindest was ich von japanischen Arbeitsverhältnissen kenne (Arbeitszeiten, Ferien, Hierarchiestrukturen, etc.) scheinen diese wesentlich ausbeuterischer, härter und unsozialer als so gut wie alles was man in Europa kennt. Alles in allem wirkt das eher wie ein krasses Gegenbild zum z.B. skandinavischen Gesellschaftentwurf, wo eine gute work-life-Balance über alles geht. Japan wirkt da eher wie der feuchte Traum der angesprochenen Multis, in dem sich die Menschen brav und ohne etwas zu Fordern selbst versklaven.
Zweitens, und das ist erneut eine Beobachtung aus der Distanz und bezieht sich primär auf die urbane, junge Bevölkerung, erscheint mir kaum ein Land so exzessiv-konsumistisch eingestellt wie Japan. Vielleicht als Ausgleich für obiges? Jedenfalls findet sich wohl nirgends sonst eine solche Begeisterung für technische Gadgets, Videospiele und Mode, hauptsache neu und trendy. Insofern scheint mir Ihre These nicht wirklich haltbar. Und damit als Seitenhieb gegen die angeblich von ach so bösen Multis gesteuerte Schweiz mehr als unbrauchbar.
Natürlich haben die Multis in der CH mittlerweile einen kleinen Dämpfer einstecken müssen; ändert aber nichts, dass die Multis bzw economiesuisse die CH jahrzehntelang regiert haben und immer noch den Ton angeben (Das Parlament und BR ist nur eine Feigenblatt). Wie könnte man sonst auf die Idee kommen einen Multi mithilfe der Notenbank vom Konkurs zu retten? Die konsumistische Jugend ist schon so wie Sie sagen, ist aber nur ein kleines toleriertes Zückerlein; Familie, Sippe und extreme Unterwürfigkeit und Autoritätsgläubigkeit gepaart mit Nationalismus / Tradition sind jedoch dominierend und ausschlaggebend in dieser Gesellschaft.
Hübscher Artikel. Viel gescheiter sind wir am Schluss jedoch nicht. Sie beantworten weder die Frage „Warum ist Japan anders?“ noch diejenige der tiefen Arbeitslosenquote. Sie haben Sich lediglich auf geschichtliche Daten beschränkt.
In Japan gibt es keine wirtschaftliche Stagnation, sobald man BIP/Kopf-Zahlen betrachtet. Es ist komisch, dass sich Ökonomen z.T. immer noch auf das reale BIP-Wachstum fokussieren, welches höchstens für das Verteidigungsministerium eines Landes interessant sein dürfte. Japans Bevölkerungsanzahl schrumpft. Kleine BIP-Wachstumszahlen wiederspiegeln das nicht.
Herr Straumann schildert kein ökonomisches, sondern ein kulturpolitisches Phänomen, und Ökoomen tun gut daran, diese Komponente stärker zu berücksichtigen. Wo hätte man gesehen, dass (nach der Meiji-Revolution) eine ganze Regierung rund zwei Jahre in der westlichen Welt umherfährt, um das Beste der jeweiligen Länder kennenzulernen und auf auf dieser Grundlage die politische und wirtschaftliche Infrastruktur eines Landes zu umzukrempeln? Meiji ist der Anfang, wo die Adels- und Kriegerkaste sich auf die neuen Verhältnisse hin orientiert. Die erfolgreiche Seeschlacht von Tsushima 1905 zeigt, was die Japaner vom Westen gelernt haben. Noch heute stammen fast alle Finanz- und Industriekonglomerate aus dem Vermögen alter Familien (Mitsubishi et al).
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