
Die Lösung für das WM-2002-Problem hiess für den damaligen Präsidenten Sepp Blatter: Urs Meier. (Foto: Valerie Pinauda)
Jede WM-Endrunde bringt ihre besonderen Geschichten hervor. 1986 in Mexiko beispielsweise Maradonas unvergessliche «Hand Gottes» im Spiel gegen England, 1990 in Italien die Tränen Paul Gascoignes, 1994 in den USA Roberto Baggios Elfmeter in den Nachthimmel von Los Angeles, 1998 die unerklärliche Passivität Brasiliens im Endspiel gegen Frankreich, 2014 das monumentale 1:7-Debakel Brasiliens gegen Deutschland, als die Brasilianer schon bei der Nationalhymne vor dem Spiel zu heulen begannen.
Dazwischen lag 2002 mit dem wundersamen Durchritt der südkoreanischen Mannschaft. Sie beendete vor einheimischem Publikum die Gruppenspiele an erster Stelle. Danach schlug sie in den Achtelfinals Italien und warf in den Viertelfinals gleich auch noch Spanien aus dem Turnier. In beiden Partien spielten die Schiedsrichter eine höchst unrühmliche Rolle. Der später als Drogenschmuggler verurteilte Byron Moreno aus Ecuador benachteiligte Italien krass, der Ägypter Gamal Mahmoud Abdel Ghandour tat danach das Gleiche mit Spanien. Das deutsche Magazin «Focus» schrieb vom «Festival falscher Pfiffe».
Was war da los?
Die WM in Japan und Südkorea war vom Zeitpunkt der Vergabe an politisch belastet. Der damalige Fifa-Präsident João Havelange hatte die Endrunde 2002 längst Japan versprochen, doch die Europäer wollten diesen Alleingang des Brasilianers nicht akzeptieren und unterstützten im Exekutivkomitee den Südkoreaner Chung Mong-joon. Japan musste zähneknirschend in eine geteilte Endrunde mit dem Erzrivalen Südkorea einwilligen, um das Turnier nicht ganz zu verlieren.
Chung Mong-joon war zu dieser Zeit nicht nur Präsident des südkoreanischen Verbandes, sondern wollte das Land auch als politischer Präsident führen. Um seine Präsenz am Fernsehen zu erhöhen, begrüsste er wenn immer möglich die Mannschaften auf dem Feld, und da auch die anderen Mitglieder des Exekutivkomitees der Fifa sich diese Chance nicht entgehen lassen wollten, mussten die Spieler während des ganzen Turniers vor dem Anpfiff Händedrucke von ihnen völlig unbekannten Funktionären erleiden.
Kein Handschlag, richtiger Entscheid
Was gibt es Besseres für einen Politiker als eine erfolgreiche Nationalmannschaft? Der Durchmarsch der Südkoreaner war für Chung Mong-joon ein Geschenk. Über die Frage, wie dieser Durchmarsch gegen Mannschaften wie Italien und Spanien zustande kam, darf jeder Fussballfan auch heute noch nach Herzenslust spekulieren. Jedenfalls stand Südkorea nach skandalträchtigen Entscheiden der Schiedsrichter im Halbfinal gegen Deutschland. Sollte ein weiteres seltsames Ergebnis bevorstehen, würde es erneut kuriose Schiedsrichterentscheide geben? Diese Situation bereitete Sepp Blatter, der mittlerweile Präsident der Fifa war, einige Sorgen. Ein Finalist oder gar Weltmeister Südkorea wäre ein Ausgang der WM, der zu viele Fragen aufwerfen würde.
Blatter schritt zur Tat und wechselte für das Spiel Südkorea – Deutschland eigenmächtig den vorgesehenen Schiedsrichter aus und Urs Meier ein. Der Schweizer wurde zwar um die Chance des Finalspiels gebracht, verschonte aber dafür das Turnier vor weiteren negativen Schlagzeilen. Südkorea verlor den Halbfinal gegen Deutschland, Chung danach die Wahl zum Präsidenten Koreas. Bei der Verabschiedung der WM-Schiedsrichter gab Chung Mong-joon Urs Meier als Einzigem nicht die Hand. Sepp Blatter hatte richtig gehandelt.