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Archiv für die Kategorie ‘Nationalteams’

Nations League mit Delikatesse

Guido Tognoni am Montag den 15. Oktober 2018

Der deutsche Fussball ist seit der WM in Russland in Aufruhr: Nationalcoach Joachim Löw vor der 0:3-Niederlage im Nations-League-Spiel gegen die Niederlande. Foto: Peter Dejong (Keystone)

Wie das so richtig funktioniert mit der Uefa Nations League, müssen eigentlich nur die Beteiligten verstehen, darunter Nationalcoach Vladimir Petkovic. Irgendwann sind irgendwelche Nationalteams für irgendetwas qualifiziert. Aber das genügt bereits, um mehr Freude an jenen Fussball-Länderspielen zu haben, die bisher entweder unbedeutend waren oder deren Wichtigkeit hochgeschrieben werden musste. Wenn etwa die Schweiz gegen Andorra antritt und der Coach pflichtschuldigst Spielern und Journalisten in Erinnerung rufen muss, man dürfe keine Mannschaft unterschätzen, hat das schon fast groteske Züge.

Mit der Einführung dieser Nations League erleben wir wieder einmal die grundsätzliche Faszination eines sportlichen Wettbewerbs mit Spielkalender, Ranglisten, Tordifferenz und was immer dazu gehört. Es mag Stimmen geben, welche die Nations League als überflüssig bezeichnen, aber jeder noch so unbedeutende Wettbewerb ist besser als Freundschaftsspiele, bei denen in beiden Mannschaften insgesamt 34 Spieler eingesetzt werden können, deren Einfluss höchstens der Coach halbwegs einschätzen kann. Die Einteilung in Stärkeklassen freut uns vor allem, so lange die Schweiz bei den Besten der Division A mitspielen kann. Es ist zudem sportlich weitaus sinnvoller, dass sich Liechtenstein mit Gibraltar misst anstatt Teams wie Spanien die Gelegenheit zu einem bezahlten Training zu bieten.

Löws mögliches Endspiel

Und noch etwas: Ohne die Nations League hätten wir Schweizer nicht die Möglichkeit, genüsslich zu verfolgen, wie es in der deutschen Mannschaft knirscht. Eine DFB-Auswahl, die nicht nur gegen das Ausscheiden kämpft, sondern gleich gegen den Abstieg in Europas zweite Stärkeklasse, gibt es nicht alle Tage und ist für uns Schweizer eine besonders pikante Delikatesse. Der deutsche Fussball ist seit dem Ausscheiden in den Gruppenspielen der WM-Endrunde in Russland in Aufruhr, und Nationalcoach Joachim Löw wird mittlerweile noch mehr infrage gestellt als Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Partie vom Dienstag gegen Frankreich könnte für ihn, den lange Jahre unantastbaren, bereits das Endspiel sein. Siegt die Schweiz in Island, ist zumindest für uns der Abstieg kein Thema mehr.

Wir oben, Deutschland unten – die Schweiz würde das System der Uefa Nations League mit einem Schlag erkennen.

Vertrauen auf das Vertrauensvotum

Guido Tognoni am Freitag den 6. Juli 2018

Er hat seinen Job bis 2019 auf sicher: Der Schweizer Nationaltrainer Vladimir Petkovic (r.) beim Training in Russland. Foto: Dimitar Dilkoff (AFP)

Japans Nationaltrainer muss gehen, jener von Costa Rica ebenfalls, andere dürften folgen. Vladimir Petkovic bleibt, Joachim Löw bleibt auch. Petkovics Vertrag wurde ebenso wie jener Löws noch vor dem richtigen Test, der WM-Endrunde verlängert, jener von Löw gleich von 2020 bis Katar 2022, während Petkovic seinen Job zumindest bis 2019 auf sicher hat. In beiden Fällen kann niemand behaupten, die Coaches hätten nach dem vorsorglichen Vertrauensbeweis die Erwartungen übertroffen.

Der Posten eines Nationaltrainers gehört zu den schönsten des Fussballs. Die Anzahl Spiele ist sehr übersichtlich, dazwischen ist Fussball schauen und langes Nachdenken angesagt. Dennoch mochten Verbände wie der Deutsche Fussball-Bund (DFB) oder der Schweizerische Fussballverband (SFV) nicht darauf warten, ob der Nationalcoach für das Turnier in Russland richtig nachgedacht hat. Immerhin hat der SFV bei der jüngsten Vertragsverlängerung eine Sicherung eingebaut: Petkovic soll nur bis 2020 bleiben, wenn er mit seiner Mannschaft die Euro-Endrunde 2020 erreicht. Bei der Massen-Teilnahme von 24 Nationalmannschaften ist allerdings das Verpassen einer Euro-Endrunde mindestens so schwierig wie die Qualifikation.

Organismen, die sich nach Ruhe sehnen

Vorzeitige Verlängerungen werden jeweils als «Vertrauensvotum» deklariert. Offenbar ist das besagte Vertrauen in solchen Fällen nicht gegenseitig, denn sonst müsste man es nicht bereits vor Ablauf der laufenden Verträge nochmals zementieren, um zu vermeiden, dass notfalls der Nationaltrainer abspringt, was zumindest in den Fällen Deutschland und Schweiz eher unwahrscheinlich gewesen wäre. Dass sich Joachim Löw nach zwölf Jahren in der Komfortzone eines Bundestrainers wieder die tägliche Knochenarbeit eines Klubtrainers zumuten würde, ist nicht anzunehmen, und ein Engagement in Katar, Saudi-Arabien oder China wäre mit den akribischen Ansprüchen des Schwarzwälders kaum vereinbar. Einem WM-Finalisten Vladimir Petkovic hätten hingegen sich tatsächlich ungeahnte Perspektiven eröffnet.

Seit zwölf Jahren in der Komfortzone eines Bundestrainers: Joachim Löw. Foto: AFP

Mit dem «Vertrauensvotum» soll dem Coach jeweils der Rücken gestärkt werden. Auf Vereinsebene sind solche taktischen Schritte oft eine letzte Rettungsmassnahme vor der Entlassung. Bei Verbänden, ohnehin Organismen, die sich nach Ruhe sehnen, sollen sie ein Zeichen von Kontinuität setzen, nicht zuletzt um unerwünschte Personaldiskussionen im Voraus zu ersticken. Damit setzen sich Verbände allerdings auch ohne Not einseitig finanziellen Risiken aus. Das ist besonders im DFB der Fall: Nach der Sommermärchen-Affäre musste der Verband über fünf Millionen Euro für einen internen Untersuchungsbericht ausgeben, als dessen Folge weitere Millionen an Steuerbelastungen folgen, da dem DFB zumindest für eine gewisse Periode die Gemeinnützigkeit abgesprochen wurde. Weitere Millionen für eine Vertragsauflösung mit Joachim Löw hätten da auch einem reichen Verband wie dem DFB Kopfzerbrechen bereitet.

Die Wahl eines Nationalcoaches ist jeweils ein kompliziertes Unterfangen, in der Schweiz noch mehr als in Deutschland. Also lieber das «Vertrauensvotum» nicht infrage stellen und auf bekannten Pfaden weiterlaufen. Zu diesem Zwecke hat man es ja ausgesprochen.

Frischluft für die Fussballzwerge

Guido Tognoni am Donnerstag den 25. Januar 2018

Neue Chance – dank Uefa-Wettbewerb: Färöer-Fan bei einem Euro-Qualifikationsspiel gegen Nordirland 2016. (Foto: Reuters/Jason Cairnduff)

Der neue Uefa-Wettbewerb für die Nationalmannschaften wurde nicht mit sonderlicher Begeisterung begrüsst. Das rührt einerseits daher, dass Fussballfans grundsätzlich eher konservativ sind, und beruht andererseits auf der Tatsache, dass der Tageslärm im Fussball viel mehr von den Vereinen verursacht wird als von den Verbänden.

Viele Vereinsvertreter beklagen nun die zusätzlichen Termine, welche die Spieler belasten, doch das sind Klagelieder, die nur angestimmt werden, wenn es um die Nationalmannschaften geht. Wenn die Clubs für viel Geld zu Freundschaftsspielen nach China oder in die USA reisen oder für noch mehr Geld in der Champions League antreten, ist die Belastung kein grosses Thema mehr.

Die Bedeutungslosigkeit der Freundschaftsspiele

Auf der anderen Seite kämpfen die Verbände seit längerem gegen die Bedeutungslosigkeit von Freundschaftsspielen. Die Zeiten, in denen Mikro-Verbände wie Liechtenstein, Andorra und San Marino aufgebaut wurden und internationalen Zugang erhielten, weil jedes noch so einseitige Länderspiel viel Fernsehgeld einbrachte, sind vorbei. Die Fangemeinde saugt längst nicht mehr jedes Spielchen auf, bei dem der Sieger im Voraus feststeht und nur noch über die Höhe gerätselt werden darf.

Zumal man die kleinen Exoten mittlerweile kennt und die Medien nicht mehr bereit sind, bei jedem Ausscheidungsspiel die Unterschicht des europäischen Fussballs zu gefährlichen Aussenseitern hochzujubeln. Spiele wie England – Gibraltar, Spanien – San Marino oder Andorra – Deutschland sind nun mal genauso wenig lustig wie die x-te Aufführung von Schweiz – Lettland, und was man über die Färöer-Inseln erzählen kann, ist längst beschrieben.

Eine sportlich korrekte Lösung

Doch das neue Ligaformat für Nationalmannschaften dient nicht nur dazu, wertlose Freundschaftsspiele durch einen Wettbewerb zu ersetzen. Es gibt auch den Kleinverbänden die Möglichkeit, Spiele zu gewinnen, weil sie in sinnvoller Weise gegeneinander antreten und die Möglichkeit haben, eine Klasse höher zu steigen. Zudem wird sich einer der Fussballzwerge auch für die Endrunde der Euro qualifizieren. Wenn die Uefa schon bei der überdimensionierten Endrunde mit 24 Teilnehmern bleibt, so ist ein Kleinverband unter den Finalisten sicherlich eine verträgliche und sportlich korrekte Lösung.

Pfiffe, Petarden und Kultur

Guido Tognoni am Montag den 20. November 2017

Nach den Pfiffen gegen Seferovic titelte die «SonntagsZeitung»: «Wir Banausen». Ein Psychologe sagte gegenüber dem TA: «Das sind keine Fans – das sind Rowdys.» Aber wo setzen wir den Massstab für Sportkultur an, wenn Fans immer noch lebensgefährliche Petarden im Stadion zünden? Foto: Keystone/Laurent Gillieron

Üblicherweise bereiten im Fussball falsche Schiedsrichterpfiffe Unheil. Diesmal waren es Zuschauerpfiffe. Kaum zu glauben, was die Pfiffe gegen den Schweizer Nationalspieler Haris Seferovic im Lande ausgelöst haben. Wir seien keine Fussballnation, steht geschrieben, folglich auch keine Sportnation, und mein geschätzter Kollege David Wiederkehr kommt gar zur Auffassung, die Schweiz habe keine «echte Sportkultur». Schande über unser Land, zur Hölle mit jenen, die in Basel die Finger zwischen die Zähne gesteckt haben!

Was ist denn eigentlich passiert? Es gab in Basel einige Zuschauer, die mit dem Gebotenen nicht zufrieden waren und ihre Wolle an Haris Seferovic abreagierten. Ob Seferovic der richtige Zornableiter war, bleibe dahingestellt. Aber warum sollen Fussball-Zuschauer ihr Missfallen nicht zum Ausdruck bringen, nur weil die Spieler mit dem Schweizer Kreuz auf der Brust herumrennen? Im Theater und in der Oper wird auch gebuht und gepfiffen, wenn sich die Vorstellungen des Regisseurs zu weit von den Erwartungen des Publikums entfernen. Ohne dass ein solches Missfallen gleich als halbe Staatskrise bewertet wird. Wenn das Publikum in den Kathedralen der hohen Künste pfeift und buht, redet niemand davon, dass die Schweiz keine Kulturkultur hat.

Keine Schockgegner 2014 und 2016

Man kann die Sache auch anders sehen: Vielleicht haben wir Schweizer derart viel Sportkultur, dass wir sehr wohl einschätzen können, wie stark jene Mannschaften sind, an denen die Nationalmannschaft die Weltrangliste hochklettert.

Für die Qualifikation zur WM-Endrunde 2014 in Brasilien waren das: Island, Slowenien, Norwegen, Albanien und Zypern, allesamt nicht gerade Schockgegner, aber die Schweiz überstand unter Ottmar Hitzfeld diese Gruppe ohne Niederlage – Chapeau! Für die Euro 2016 in Frankreich: San Marino, Litauen, Estland und Slowenien, dazu England, und gegen England gab es zwei klare Niederlagen. Also Rang 2, Pflicht erfüllt, mehr aber nicht. Kommen wir zur WM-Endrunde 2018 in Russland: Andorra, Färöer, Lettland und Ungarn gehören sicher nicht zur Crème de la Crème des Weltfussballs, auch hier reichte es zur Pflichterfüllung, aber weil die Schweizer gegen Andorra & Co. zu wenige Tore schossen und gegen Portugal nur das Heimspiel gewannen, wurden sie in die Barrage gegen Nordirland verbannt.

Hält man sich vor Augen, wer wo spielt, sind die Schweizer im Vergleich zu Nordirland eine Weltauswahl. Auch hier: Pflicht erfüllt, mehr nicht, zumal ein Schiedsrichter bei der Pflichterfüllung mithelfen musste. Und vergessen wir bei dieser Übersicht nicht, dass die Schweiz die Euro-Endrunde 2012 nicht schaffte. England und Montenegro waren stärker.

Die Schweizer Fans trauen ihrer Mannschaft mehr zu

Es gebe keine kleinen Mannschaften mehr, pflegen seit den Zeiten von Berti Vogts die Nationaltrainer zu sagen. Das ist natürlich Unsinn. Was anderes als kleine Gegner sollen denn Andorra, San Marino, Färöer, Estland, Lettland, Litauen, Liechtenstein, Malta, Luxemburg und Gibraltar sein? Vielleicht spüren die Fans, dass es für die Schweiz endlich an der Zeit wäre, sich wieder einmal gegen einen namhaften Gegner durchzusetzen, vielleicht messen sie ihre Ansprüche an jenen Spielern, die sich in jüngster Vergangenheit stets nach oben orientieren, aber diese Ebene als Nationalteam offensichtlich noch nicht erreicht haben.

Zurück zur Sportkultur: Solange in den Stadien lebensgefährliche Petarden knallen, vor den Stadien ständig die Polizei ausrücken muss und ausserhalb der Stadien Eisenbahnzüge verwüstet werden, darf nicht ein harmloses Pfeifkonzert als Massstab für die Frage gelten, ob die Schweiz eine Fankultur hat oder nicht.

Der Schweizergardist von Istanbul

Guido Tognoni am Donnerstag den 9. November 2017

Duck und weg: Johan Vogel, Alex Frei und Beni Hügel (r.) versuchen sich 2006 unter Beschuss in die Katakomben des Istanbul Stadions zu retten. Foto: Keystone

Dass man nicht zurückschlagen soll, lernen wir Schweizer bereits als Kinder. Das bleibt haften. Entsprechend benehmen sich auch etwa die meisten Bundesräte politisch brav, im Gegenteil zum US-Präsidenten Donald Trump beispielsweise. Und bei den Fussballern ist das ähnlich.

Nur vor genau zwölf Jahren gab es eine Ausnahme. Die Schweizer Nationalmannschaft stand – wie heute gegen Nordirland – vor der Schwelle zur WM-Endrunde, es ging um Deutschland 2006. Das zweite Barragespiel der Schweizer Fussballer gegen die Türkei war soeben vorbei, die Nacht war zur Schlacht ausgeartet und ging schliesslich als Schande von Istanbul in die Geschichte des Fussballs ein. Die Schweizer qualifizierten sich bekanntlich trotz einer 2:4-Niederlage für die WM-Endrunde 2006 in Deutschland, doch statt Jubelszenen auf dem Feld gab es nach dem Schlusspfiff einen kollektiven Rettungsspurt Richtung Kabine, wobei es zu wüsten Keilereien mit türkischen Spielern und Funktionären kam. Von der Tribüne her flogen Wurfgegenstände.

Nachvollziehbar, aber nicht richtig

Mittendrin Benjamin Huggel. Er tat das, was viele tun, wenn sie angegriffen werden: Er wehrte sich. Huggel stellte einem aggressiven Funktionär ein Bein, er keilte zurück, er warf sich ins Getümmel, um seinen Kameraden zu helfen, er wurde von den Beinen geholt. Fast drei Millionen haben diese letzten Szenen von Türkei – Schweiz im Internet im Laufe der Jahre angeklickt – so viel Publikum erreichte in der Geschichte der Eidgenossenschaft nicht mancher Schweizer.

Benjamin Huggel tat das Nachvollziehbare, doch das Nachvollziehbare war offenbar nicht das Richtige. Er floh nicht, kuschte nicht und hielt auch nicht seine zweite Wange hin, wie es in der Bibel gefordert wird. Aber Huggel als Kung-Fu-Kämpfer liess die Fifa nicht durchgehen, und als Notwehr konnten seine Reaktionen auch nicht bewertet werden. So wurde er von den Hütern des guten fussballerischen Benehmens für sechs Spiele gesperrt und verpasste die Endrunde in Deutschland. Das hatte er nicht verdient.

Rückblickend bereute Huggel in Interviews seine Taten. Das ist zwar politisch korrekt. Aber an sich gibt es da nicht viel zu bereuen. Wäre Benjamin Huggel nicht Fussballer geworden, hätte er zumindest der Schweizergarde in Rom beitreten müssen.

Pelé – der Weltstar, der zu früh da war

Guido Tognoni am Donnerstag den 26. Oktober 2017

Einsame Spitze: Pelé holte mit Brasilien dreimal den Weltmeistertitel. 2016 verkaufte er einen grossen Teil seiner Erinnerungsstücke. Der Erlös ging hauptsächlich an ein Kinderkrankenhaus. (Foto: Kirsty Wigglesworth/Keystone)

Kennt sie ihn noch, die Generation Internet? Am Montag wurde er 77 Jahre alt, Edson Arantes do Nascimento, bekannt und bewundert als Pelé, die wohl grösste lebende Legende des Weltsports. Eine Ikone, die jahrzehntelang für den wunderbaren brasilianischen Fussball stand, einen Fussball, den es mittlerweile mit seinem Samba-Merkmal nicht mehr gibt. Sein Stern ging 1958 in Schweden auf, als Pelé im Alter von noch nicht 18 Jahren mit Brasilien erstmals Weltmeister wurde. Es war der erste von fünf Titeln des Rekord-Weltmeisters. Dreimal war Pelé dabei.

Bescheiden

Was man über Pelé nicht nachlesen kann: Er war ein sehr bescheidener Mensch. Er wurde von einigen Agenten übers Ohr gehauen. Erst nach Abschluss seiner Karriere verdiente er durch die Vermarktung seines Namens einigermassen Geld, von dem er vieles wieder an einen üblen Agenten und falschen Freund verlor. Er zeigte zusammen mit Franz Beckenbauer bei den New York Cosmos den Amerikanern, was Fussball ist. Er hatte mehrere Ehen, einen missratenen Sohn, der nach einer mittelmässigen Karriere als Torhüter in die Kriminalität abglitt. Kurze Zeit war er Sportminister Brasiliens. Er stritt sich jahrelang mit Fifa-Präsident João Havelange, den er als einer der Ersten als korrupt bezeichnete, und wurde deshalb von der Fifa ebenso lange mit Nichtbeachtung bestraft. An seinem 50. Geburtstag zog er im San Siro in Mailand nochmals die Fussballschuhe an. Es war nicht sein bestes Spiel.

Als er einmal nach Zürich kam, hielt er eine Verabredung zum Nachtessen ein, nachdem er bereits ein Dinner hinter sich hatte. Wir trafen uns nach 22 Uhr in einem Fondue-Restaurant in Küsnacht, wo Pelé weniger mit dem Fondue als vielmehr mit dem Raclette Freundschaft schloss. Er verzehrte sicher über zehn Portionen und überstand diese Leistung nicht ohne Beschwerden, aber ohne Schaden. Seine Geduld mit Fans, die ein Autogramm wollten, war fast unendlich. Er kritzelte nicht einfach etwas aufs Papier, sondern fragte immer nach dem Namen des Fans und schrieb dann eine kurze persönliche Widmung.

Werbung für Viagra

Inspiration: Künstler Andy Warhol (l.) im Gespräch mit Pelé 1977, den er auch porträtierte. (Foto: Claudia Larson/Keystone)

Pelé machte Werbung für Viagra und Mastercard, für ihn einer der wichtigsten kommerziellen Partner seines Lebens. Eines Tages kam er zu mir ins Büro der Fifa und überreichte einen Plastiksack mit einer Schachtel, die in Papier gewickelt war. Es sah nach einer Videokassette aus, aber es war eine goldene Rolex mit einer persönlichen Widmung auf dem Verschluss. Es war der Dank für eine Empfehlung bei Mastercard. Das war Pelé: Er hat mehr gegeben, als er genommen hat. Seinen Clubs, seinen Fans, einigen seiner Agenten, dem Fussball. Zerstritten mit dem alten Patriarchen João Havelange, hat er von der Fifa nie jene Anerkennung bekommen, die er angesichts seiner Vorbildrolle und seiner Leistungen verdient hätte.

Pelé ist einer der ganz wenigen Figuren des Weltsports, die sich ihren sagenhaften Ruf ohne die Hilfe des Fernsehens erworben haben. Pelé war zu früh da, zu früh für das Fernsehen, zu früh für Hunderte Millionen Zuschauer, zu früh für das grosse Geschäft. Vielleicht war das auch sein Glück: Der Gefahr, dass der liebenswürdige Brasilianer von der unbarmherzigen Maschinerie des Fussballs zermalmt worden wäre, wie etwa später Diego Maradona, musste er sich nicht aussetzen.

Nur zwei haben einen Stammplatz

Guido Tognoni am Donnerstag den 6. Juli 2017

Wer wird dieses Jahr sitzen bleiben? Ein Blick auf die Ersatzbank beim Spiel gegen Frankreich 2014. Foto: Peter Klaunzer (Keystone)

Die Fussballer legen wieder los. In der Schweiz beginnen Training und Meisterschaft wie üblich früher als in den anderen Ländern, was nachweislich den Vorteil hat, dass unsere Mannschaften für die Qualifikationsspiele der europäischen Wettbewerbe besser gerüstet sind als die ruhende Konkurrenz, etwa die Italiener mit ihrem späten Meisterschaftsbeginn. In der Politik hätte der Bundesrat wegen dieses Vorteils längst ein schlechtes Gewissen und würde sich in Brüssel für die unbotmässigen Fussballer entschuldigen, und einige SP-Politiker und Journalisten würden den Zeigefinger erheben und schreiben, die Schweizer seien wieder einmal Rosinenpicker.

Den Fussballern ist die Politik egal. Sie bereiten sich auf dem Land oder auf Nebenplätzen gegen unterklassige Gegner auf die Meisterschaft vor – Testspiele eben. Aber diese Testspiele machen viele Spieler unglücklich, anstatt dass sie sich über die Trainingsunterbrüche freuen. Es sind vor allem jene Spieler, die sich in einem neuen Verein jene Hoffnungen machen, die sich im bisherigen Verein nicht erfüllt haben. Sie trainieren eifriger denn je, sie glauben und hoffen, nun jenen Trainer gefunden zu haben, der ihr Talent erkennt und an sie glaubt. Sie hoffen auf ein Aufgebot für die erste Halbzeit und nicht auf jenes für die zweite, in welcher der Coach die halbe Mannschaft austauscht. Und sie leiden, wenn es selbst in der zweiten Halbzeit nur zu einem Teileinsatz reicht.

Sie denken nur an sich

In solchen Momenten denken die Spieler nur an sich. Sie verdrängen, dass ein Testspiel eben ein Testspiel ist, dass der Trainer um diese Zeit ein viel zu grosses Kader hat, dass er nicht nur das Können, sondern auch das Verhalten seiner Spieler beobachten will, dass ein Testspiel auf das andere folgt. Und wenn vermeintlich oder tatsächlich schlechtere Spieler eingesetzt werden, wird vom übergangenen und enttäuschten Konkurrenten nicht beachtet, dass der Trainer auch das Recht hat, im Testwettkampf den Aufschluss darüber zu erhalten, wer den Anforderungen nicht genügt. Um seine Idealformation zu finden, muss der Trainer nicht mit den Besten üben, er muss vielmehr herausfinden, wer die Schlechtesten sind.

Zudem darf nicht vergessen werden: Im heutigen Fussball mit der ständig zunehmenden Anzahl Einsätze und den immer höheren körperlichen Anforderungen sitzt an jedem Wettkampftag regelmässig mehr als eine Weltauswahl auf der Bank. Es gibt zwischen Nord- und Südpol nur zwei Spieler mit einer unbestrittenen Stammplatzgarantie: Cristiano Ronaldo und Lionel Messi.

Petkovic darf kein Mitleid zeigen

Guido Tognoni am Montag den 27. März 2017

Keine Gegner unterschätzen, und seien sie noch so klein: Vladimir Petkovic vor den Medien in Genf, am Tag vor dem 1:0 gegen Lettland. Foto: Jean-Christophe Bott (Keystone)

Einst gab es Albanien, Luxemburg, Malta und Zypern. Wer als Nationalcoach gegen eine dieser Mannschaften verlor, musste schwer um seinen Posten bangen. In jener Zeit war ein Spiel wie Italien – Liechtenstein nicht einmal vorstellbar. Heute gibt es nicht nur Liechtenstein, es gibt auch Andorra, San Marino, die Felsenkicker aus Gibraltar, es fehlen nur noch der Vatikan und die Kanalinsel Jersey. Zudem haben der Zerfall Jugoslawiens und die Auflösung der Sowjetunion Europas Fussballkarte verändert.

Waljäger mit Zipfelmütze im Tor

Die Frage, ob Spiele wie Belgien – Gibraltar, Deutschland – San Marino, Liechtenstein – Italien oder Andorra – Färöer den Fussball weiterbringen, stellt sich nicht. Die Spiele sind nun einmal einfach da und setzen, weil es sich um Fussball handelt, Hunderte Marketing-Millionen um. Zudem haben vor Jahren die Waljäger der Färöer mit einem Torhüter mit Zipfelmütze Österreich geschlagen und dem weltweiten Spott ausgesetzt, und die Karriere von Rolf Fringer als Nationalcoach erlitt 1996 bei einer Niederlage in Aserbeidschan einen Knacks, bevor sie richtig begonnen hatte. Andererseits ermöglichen heute Gegner wie Färöer, Andorra und Lettland der Schweiz, historische Siegesserien hinzulegen.

Rolf Fringer nach dem WM-Qualispiel gegen Aserbeidschan 1997 in Zürich, kurz bevor bekannt gegeben wurde, dass sein Vertrag nicht verlängert wird. Foto: Keystone

Aber sonst? Viel interessanter als das Geschehen auf dem Feld ist in der Regel der journalistische Umgang mit solchen Spielen. Kein Journalist darf schreiben, dass die Schweiz mit all ihren Auslandprofis Andorra oder die Färöer 7:0 wegputzen müsste. Und obwohl Nationalcoach Vladimir Petkovic mit seinen Kollegen aus Andorra und den Färöern Mitleid haben sollte, darf er das niemals zugeben.

«Es gibt keine schwachen Gegner mehr» gehört zu den eisernen Pflichtaussagen, selbst wenn man gegen die schlechteste Mannschaft der Welt antritt. Zudem darf man solche Aussenseiter «nicht unterschätzen», oder sie sind «körperlich robust», was offenbar bereits eine bedrohliche Ausgangslage ist.

Lauter «unberechenbare Gegner»

Falls die Schweiz morgen gegen die Malediven spielen würde, wären diese aus der Sicht des Nationalcoachs zumindest «ein unberechenbarer Gegner». Alain Sutter, Fussballphilosoph des Schweizer Fernsehens, brachte es vor dem Anpfiff gegen Lettland auf den Punkt: für den Sieg komme es «auf die Einstellung» an.

Die deutschen Journalisten waren vor dem Spiel in Baku erleichtert darüber, dass sie über die Menschenrechtslage in Aserbeidschan berichten konnten, statt den schwachen Gegner stark schreiben zu müssen. Und die deutsche Industrie ihrerseits war sicher froh, dass wieder einmal der Sport für sie in die Bresche sprang und den Mahnfinger erhob, was zwar sympathisch, aber nach wie vor wirkungslos ist.

Warum Petkovic lieber Snapchat benutzt hätte

Florian Raz am Mittwoch den 22. März 2017

Bär, Ball, Bowling, Bilderrätsel. Vladimir Petkovic präsentiert sein Motto für das Lettenspiel. Foto: Keystone

Das Leben ist nicht einfach für Fussballtrainer. Denn Fussballer haben eine ähnlich kurze Aufmerksamkeitsspanne wie ein derzeit handelsüblicher US-Präsident. Gucken Sie sich zum Beispiel an, wie die Verteidiger von Arsenal bei gegnerischen Eckbällen immer ganz brav auf ihrer Position stehen. Und kaum kommt der Ball geflogen, sind sie auch schon wieder weg, weil die kleinen Racker vergessen haben, warum sie überhaupt im eigenen Strafraum sind.

Gerne greift der Fachmann deswegen zu optischen Mitteln, um der Mannschaft seine Botschaft zu vermitteln. Christian Gross war in seiner Zeit beim FC Basel ein Meister dieses Fachs. Mal liess er Meisterpokale in Schokoladenform giessen, mal hing ein Haikopf in der Garderobe, mal stand ein Steinbock herum. Und FCZ-Coach Uli Forte spielte seinen Profis vor der Cuppartie in Basel noch einmal die schönsten Cupszenen der letzten Monate vor – natürlich unterlegt mit emotional aufwühlender Musik. Gut, das hat dann ja auch nichts gebracht. Aber item.

Visuelle Motivation

Jetzt hat sich auch Vladimir Petkovic unter die visuell arbeitenden Trainer gesellt. Und sagen wir mal: Das Ergebnis überzeugt uns so mittelprächtig. Natürlich, die Geschichte, die der Schweizer Nationalcoach erzählen will, ist in sich stimmig. Vor dem letzten Spiel vor der Winterpause hatte er seine Mannschaft zum Bären gemacht, der sich noch etwas Winterspeck zulegen muss, bevor er schlafen darf. Jetzt muss der Bär wieder aufwachen und sozusagen als erste Frühlingsnahrung Lettland verspeisen.

Aber warum mischt man das mit Bowling? Und mit einem Ball? Geht es um Alliteration? Bär, Ball, Bowling? Wer hat das grafisch umgesetzt? Wieso brüllt der Bär den Betrachter an – und nicht die Bowling-Pins, die er ja offenbar mit einem Ball umwirft, auf dem die Schweizer Flagge ist? Ist der Bär die Schweiz? Oder ist der Ball die Schweiz? Und wenn die Schweiz der Ball ist, wer ist dann der Bär? Oder ist es gar kein Ball – und der Bär trägt einen Gotthard-Basistunnel-Arbeiterhelm mit Schweizerkreuz? Wieso eigentlich Bowling und nicht Kegeln, was doch viel helvetischer wäre?

Vor allem aber: Warum Print? Viel besser wäre gewesen, Petkovic wäre mit der Zeit gegangen. Wie Ralph Krueger im Jahr 2000. Der Schweizer Nationaltrainer schickte damals seinen Hockey-Helden eine SMS: «Glaube an das Unmögliche und das Unmögliche wird möglich.» Die Schweiz schlug folgerichtig das Heimteam Russland 3:2.

Es gibt nur eine Lösung: Snapchat

Auf heute umgelegt, bedeutet das: Petkovic müsste seine Spieler auf Snapchat kontaktieren. Da würde sich garantiert eine Snapperei entwickeln, die dem Teamgedanken nur förderlich sein kann. Etwa so:

Start Petkovic

Xherdan Shaqiri

 

Valon Behrami

 

Granit Xhaka

 

Yann Sommer

 

Und dann klinken wir uns langsam aus.

Mehr Geld für Petkovic? Nein!

Ueli Kägi am Freitag den 19. Februar 2016

Vladimir Petkovic, Schweizer Fussball-Nationalcoach, weiss, was er will und wie viel er will. Rechts guckt Peter Stadelmann, Delegierter des Verbandes für die Nationalteams. Foto: Keystone

Haben Sie kürzlich besonders gut gearbeitet auf der Baustelle, als Tramchauffeur oder auf Ihrem Zahnarztstuhl? Sind Sie vielleicht Lehrer, der den Kindern in den ersten Schuljahren mit Erfolg das ABC beigebracht hat? Oder haben sie ihrem Kunden gerade ein schönes Möbel geschreinert? Dann wäre es jetzt Zeit, mehr Lohn zu verlangen. Sprechen Sie bei Ihrem Chef vor. Sofort! Und nicht nur 10 Prozent mehr sollen es sein. Sondern mindestens 20. Und eher 50.

Nein? Das möchten Sie nicht? Weil Sie es unverschämt finden würden? Weil Sie glauben, dass Sie nur Ihren Job erledigt hätten? Dann muss ich Ihnen leider mitteilen, dass Sie fürs Fussballgeschäft völlig untauglich wären. Im Fussballgeschäft ist es nämlich so: Hat jemand die Erwartungen erfüllt, sei es ein Spieler, Trainer oder Manager, erwartet er mehr Lohn. Ungeachtet dessen, wie hoch die Erwartungen überhaupt gewesen sind. Manchmal sind sie ja von Beginn an recht tief. Dann und wann genügt es beispielsweise schon, nicht schlechter gewesen zu sein als alle anderen, um die Ziele zu erreichen.

Vladimir Petkovic ist auch im Fussballgeschäft. Er hat einen ziemlich guten Job als Schweizer Nationaltrainer: Rund 800’000 Franken Jahreslohn und ordentlich Freizeit, Dienstwagen, an der Arbeit oft in kurzen Hosen, schöne Hotels, gutes Essen, grosszügige Spesen.

Als Petkovic die Schweiz im Sommer 2014 als Nachfolger von Ottmar Hitzfeld übernahm, kündigte er an, wie die Auftritte des Teams unter ihm sein sollten. Er sagte zum Beispiel, die Mannschaft solle Fussball als Spiel begreifen, «die Begeisterung muss erkennbar sein», die positive Energie müsse spürbar sein.

Nun gut: Die Schweiz hat sich dann durch die EM-Qualifikation gekämpft. Oder auch recht häufig: gequält. Sie war gegen England chancenlos, sie stolperte in Slowenien und korrigierte ihren Fehlstart gegen Fussballzwerge wie Estland, Litauen und San Marino nicht immer ohne Mühe.

Aber immerhin: Am Ende stand sie auf Platz 2. Deshalb ist sie im Sommer an der Euro dabei. Petkovics aktueller Vertrag läuft noch bis dahin. Der Verband würde gerne mit ihm verlängern. Petkovic hat auch Interesse. Es gibt gegen eine weitere Zusammenarbeit auch nichts einzuwenden. Der Trainer hat ja nicht schlecht gearbeitet. Er ist auch nicht unsympathisch aufgetreten. Allerdings hat er auch nicht besonders gut gearbeitet. Oder beim Publikum mit seinen Auftritten und Aussagen Bonuspunkte gewonnen. Petkovic hat die Schweiz viel eher recht unberührt gelassen.

Trotzdem will er jetzt die Vertragsverlängerung unbedingt mit einer Lohnerhöhung verknüpfen. Er wünscht sich in erster Linie höhere Erträge mit Werbepartnern des Fussball-Verbandes, weil er sich in dieser Beziehung mit seinem Vorgänger vergleicht. Dabei verkennt er einige Dinge. Petkovic hat nicht die Vergangenheit, nicht den Ruf und nicht die Strahlkraft des Welttrainers Hitzfeld. Deshalb würde es ihm gut anstehen, den Vertrag einfach zu verlängern. Zu den gleichen Grundkonditionen, vielleicht mit einer hübschen Prämie, sollte sich die Schweiz für die WM 2018 in Russland qualifizieren. Das wäre eine sehr gute Leistung, die im Gegensatz zur EM-Qualifikation nicht einfach so erwartet werden darf.

Will Petkovic aber partout mehr Lohn, müsste der Schweizer Verband Abstand nehmen von der Idee einer gemeinsamen Zukunft. Es gibt genug Trainer, die ebenso fähig wären für diesen Job. Und mit weniger Geld zufrieden.