
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Hier gibt es die beste Stadionwurst der Schweiz, und das passende Bier. Fotos: Ennio Leanza (Keystone)
Heute ist der Titel nur zur Hälfte korrekt – für einmal muss nämlich nicht das Flüssige, sondern im besten Fall das Knackige und im schlechteren Fall das Gummige ins Hohle. Genau, es geht um die Wurst. Noch genauer: um die Stadionwurst.
Da wir seit Beginn dieser Blog-Serie ja bereits acht oder neun Fussballbiere aus aller Welt ausprobiert haben (zumindest in virtueller Form), fanden wir, es sei sicher vernünftig, zwischendurch auch mal was zu essen … nicht dass wir dann plötzlich so richtig heftig «einen am Helm haben», wie Musiker Michael «Flury» Flury gern zu sagen pflegt. Und weil Matchbesucher hierzulande halt weder Gemüse-Sushi noch Salatbowlen oder Tofu-Burger verspeisen, sondern sich mehrheitlich auf die Bratwurst verständigen (im Tessin ist es die Luganighe und im Welschland bisweilen die Saucisson, aber auch das sind am Ende des Tages noch immer Würste), können wir den «veganen» Teil der Leserschaft heute nicht wirklich mitberücksichtigen, pardon.
Wie auch immer, zurück zur Sache. Und damit zu einer Tatsache, die lautet: Wurst ist nicht gleich Wurst – die Qualitätsunterschiede sind bisweilen so gigantisch wie die Differenzen bei den Goldreserven pro Einwohner in den einzelnen Ländern (in der Schweiz betrug diese Reserve 2008 exakt 136,86 Gramm, in Litauen waren es damals 1,71 Gramm). Blöderweise hatten die Schweizer Fussballfans jahrelang keine Ahnung, bei welchem Auswärtsspiel sie sich auf die Wurst würden freuen können, und wo sie damit rechnen mussten, nach dem Verzehr mit «Ranzenpfeifen» auf der Tribüne zu stehen.
Abhilfe geschaffen haben die Zürcher Fussball-Aficionados Roli Hofer, Alex Hofmann und Michi Benz, die 2010 eine Stadionwurst-Untersuchung in die Wege leiteten, welche ein Jahr später zu einem wunderbaren, bilderstarken Buch namens «Stadionwurst. Der Fussballschweiz auf die Pelle gerückt» führte – das unter anderem mit der folgenden Wahrheit beworben wurde:
«Die Stadionwurst ist mehr als eine Verpflegung – sie ist eine Fleisch gewordene Metapher für das Fan-Sein, für die Liebe zum Fussball und zum Live-Spiel!»
Item. Jedenfalls schickte das Trio damals 18 Fotografinnen und Fotografen sowie 23 Autoren in die Heimstätten aller damaligen Super- und Challenge-League-Clubs. Die Aufgabe an die Texter lautete: «Spiel schauen, Atmosphäre einfangen, Wurst testen und anhand des beiliegenden Kriterienblattes beurteilen (bitte streng sein!!!)». Alle taten, wie ihnen geheissen – und natürlich waren alle gespannt, was für ein Resultat sich bei diesem fundierten Test ergeben würde. Es gab im Vorfeld klare Favoriten wie die AFG-Arena des FC St. Gallen oder das Stade de Suisse, wo die berühmte «YB-Wurst» (ein gekochter Schüblig) angeboten wird. Und es gab ebenso klare Aussenseiter wie das Stadio Comunale Lido des FC Locarno, das Stadio Comunale der AC Bellinzona (die Tessiner können vieles, aber die klassische Bratwurst, nee, die gehört nicht dazu) oder den Letzigrund, wo Fans beobachteten, wie die Würste in der Mikrowelle «gegrillt» wurden.

Auswärtsspiel, Auswärtsgrill: Zuschauer des FC Breitenrain und des SC Brühl St. Gallen verpflegen sich am 1. Juni 2011 auf dem Spitalacker in Bern. Foto: Peter Klaunzer (Keystone)
Ja, und irgendwann stand das Resultat fest, und die Schweizer Fussballwelt staunte nicht schlecht: Die beste Stadionwurst der Nation gab es nämlich im Paul-Grüninger-Stadion – dem sehr offenen Fussball-Tempelchen des damals eben in die Challenge League aufgestiegenen SC Brühl St. Gallen, bei dem damals noch Marc «Fussballgott» Zellweger als Aktiver mittat!
Die Wurst
Die Kalbsbratwurst – es war übrigens das einzige der 18 getesteten Produkte, welches das Prädikat «perfekt» erhielt – stammte von der Metzgerei Bechinger aus St. Georgen. Was das Geheimnis ihrer famosen Wurst ist, wollte der Metzgermeister selbstverständlich nicht verraten (Gerüchteweise soll er, danach gefragt, lächelnd geantwortet haben: «Miraculix erzählt ja auch nicht, was er alles in seinen Zaubertrank mixt»). Für den stolzen SC Brühl besonders schön war, dass man – im Gegensatz zu den 2011 ausgetragenen Derbys auf dem (mehrheitlich) grünen Rasen – dieses Duell mit dem grossen FC St. Gallen eindeutig hatte für sich entscheiden können; die Wurst des FCSG wurde mit «War früher besser» abgekanzelt, sie landete im breiten Mittelfeld.
Die passende Begleitung
Am besten kommt die Siegerwurst natürlich mit dem beim SC Brühl ausgeschenkten Schützengarten-Bier, einem der anständigsten Schweizer Fussballbiere.
Was es sonst noch zu sagen gibt
Die bekannteste Figur des SC Brühl St. Gallen war Paul Grüninger – das Kleinstadion trägt nicht zufällig seinen Namen –, der 1914 als linker Flügelstürmer mithalf, den Schweizermeistertitel nach Brühl zu holen. Nach seiner Aktivlaufbahn amtete Grüninger auch als Präsident des Vereins. Historisch weitaus relevanter war aber Grüningers Wirken als St. Galler Polizeihauptmann: Indem er Einreisevisa und andere Dokumente vordatierte oder fälschte, rettete er vor dem Zweiten Weltkrieg rund 4000 jüdischen Menschen das Leben, die dank seinen Manipulationen kurz vor Kriegsausbruch noch in die Schweiz einreisen konnten und dadurch von den Nazis verschont blieben.
Als seine Taten ans Licht kamen, wurde er ohne Anspruch auf Rente aus dem Polizeidienst entlassen und später zu einer hohen Geldstrafe wegen Amtspflichtverletzung verurteilt. Grüninger starb 1972 absolut verarmt in St. Gallen.

Mit der Namengebung Paul-Grüninger-Stadion erhielt der ehemalige Präsident eine späte Wiedergutmachung seines Sportvereins Brühl. Foto: Regina Kühne (Keystone)
23 Jahre nach seinem Tod hob das Amtsgericht St. Gallen das Urteil gegen ihn auf und sprach ihn posthum frei, 1998 entschied die Kantonsregierung, den Nachkommen Paul Grüningers eine Entschädigung zu bezahlen, mit der die Paul-Grüninger-Stiftung finanziert wurde, die sich für die Menschenrechte einsetzt. In St. Gallen, Zürich, Stuttgart und den israelischen Städten Jerusalem und Kirjat Ono wurden Strassen und in Wien eine Schule nach Paul Grüninger benannt.