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Archiv für die Kategorie ‘Allgemein’

Der Fussball-Ramadan am Dienstag schmerzt

Guido Tognoni am Dienstag den 19. Februar 2019
Nachspielzeit

Fand nicht statt im Free-TV: Champions-League-Spiel zwischen Manchester United und Paris Saint-Germain vom 12. Februar 2019. Foto: Dave Thompson (Keystone)

Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender der FC Bayern AG und der European Club Association, forderte vor einigen Tagen für den europäischen Fussball ausnahmsweise nicht mehr Geld, sondern mehr Spiele im freien Fernsehen, das heisst Spiele ohne extra Bezahlung. Genauer gesagt: Spiele für jeden.

Wenn Rummenigge so etwas fordert, kann das nichts anderes heissen, als dass die Schraube festgedreht beziehungsweise die Zitrone ausgequetscht ist, und dass der europäische Clubfussball einen Scheitelpunkt erreicht hat. Anders ausgedrückt: Die Zuschauerzahlen an den Bildschirmen steigen nicht mehr oder gehen gar zurück, das Fussballvolk mag nicht mehr zahlen. Und wenn das Volk nicht mehr zahlt und deshalb auch nicht mehr schaut, werden die Sponsoren mürrisch. Sie mögen nicht ständig mehr Millionen um Millionen für schwindende Zuschauerzahlen abliefern.

Das Schlimmste für die Uefa, die Clubs und die Sponsoren tritt ein, wenn die Zuschauer merken, dass sie einen Dienstag auch ohne Manchester United – Paris SG depressionsfrei überleben und sich mit dem Mittwoch zufriedengeben.

Rummenigge: Vom Buhmann zum Verbündeten

In der Schweiz ist das wohl bereits eingetreten, auch wenn das kleine Land auf den grossen Fernsehmarkt bezogen nur eine marginale Rolle spielt. Jahrelang waren wir eine Insel der Glückseligen, die alle Spiele frei ins Haus geliefert bekam, oft mit einer zusätzlichen Auswahl beim Westschweizer oder Tessiner Fernsehen. In diesem Jahr ist alles anders. Zuerst die grosse Verwirrung darüber, was wann wo gezeigt wird. Dann die Ernüchterung, dass man an Dienstagen den ganzen Abend durch alle 150 Sender durchzappen kann, ohne auch nur ein einziges Spiel zu finden.

Selbst wenn man verzweifelt bei DAZN, dem Streaming-Dienst via Computer, notfallmässig die Kreditkarte belastet, ist nicht das zu sehen, was man sich wünscht. Und die Spiele im Schweizer Fernsehen erst nach Mitternacht und bei längst bekannten Ergebnissen über sich ergehen zu lassen, ist für den fleissigen Teil der Bevölkerung auch nicht zumutbar.

Die banale Lösung heisst folglich Fussball-Ramadan an Dienstagen und Manchester United – Paris Saint-Germain erst am Mittwoch aus der Zeitung statt live von Ruefer, Salzgeber und Knäbel. Und siehe da: Man kann einen solchen Dienstag überleben, nicht ganz schmerzfrei zwar, aber man überlebt. Das erste heroische Leiden nach der masochistisch anmutenden Zahlungsverweigerung weicht einer leichten, aber doch spürbaren Euphorie, weil man diszipliniert der Versuchung widerstanden hat, für Teleclub, Kilchsperger und Reif extra zu bezahlen, so attraktiv das Spiel gewesen wäre.

Und plötzlich ist Karl-Heinz Rummenigge mit der Forderung nach mehr Fussball ohne Bezahlung nicht mehr der frühere Geldsack, der immer mehr wollte, sondern ein Verbündeter, der offenbar selber gemerkt hat, dass sich die Fans nicht grenzenlos melken lassen. Es ist kein schlechtes Gefühl, ein kleiner Fussball-Rebell zu sein.

Allerdings: Die Trauer, Liverpool – Bayern nicht zu sehen, geht, ehrlich gesagt, doch tiefer. Schauen wir mal, was nächste Saison wird.

Die EU, das Foul und das weiche Recht

Guido Tognoni am Freitag den 18. Januar 2019

Foul oder Ausgleichsmassnahme? EU-Kommissionspräsident Juncker drückt Bundesrätin Sommaruga einen Kuss auf. Foto: Olivier Hoslet (Keystone)

Die Schweiz ermüdet unter der Diskussion um das Rahmenabkommen mit der EU und um den UNO-Migrationspakt, dem auch noch der Flüchtlingspakt folgt. Im Streit der Experten und Politiker geht es um Kampfbegriffe, Deutungen, Verschleierungen, Worthülsen und seltsame Interpretationen von an sich klaren Begriffen. Zum Glück gibt es den Fussball, der uns die Möglichkeit bietet, das Palaver etwas zu ordnen.

Beginnen wir mit der Ausgleichsmassnahme. Die Befürworter des Rahmenabkommens verschleiern den Begriff Strafe für unbotmässiges, das heisst nicht EU-konformes Verhalten mit dem Begriff Ausgleichsmassnahme. Im Fussball gibt es für ein Foul einen Freistoss, einen Elfmeter, eine Verwarnung oder einen Ausschluss. In der Politikersprache nennt man solche Strafaktionen, von denen die Schweiz betroffen würde, Ausgleichsmassnahmen. Klingt wunderbar sanft, wird aber im Anwendungsfall schmerzliche Erfahrungen nach sich ziehen.

Etwas härter als Ausgleichsmassnahme tönt und ist der Begriff Retorsionsmassnahme. Im Fussball müsste man nicht gleich von einer Tätlichkeit, aber sicher von einem Revanchefoul sprechen, und jeder wüsste, was damit gemeint ist. Im Sport würde auch der seltsame Begriff Kohäsionsmilliarde, welche die Schweiz zähneknirschend der EU zahlen muss, praxisnah gedeutet. Im Fussball würde man eine solche Zahlung notfalls als Geschenk oder Motivation verbuchen.

Und nun zu den Pakten, etwa dem Migrationspakt: Bis vor kurzem war ein Pakt ein Vertrag. Den Begriff haben die alten Römer mit dem eisernen Grundsatz «pacta sunt servanda» – Verträge sind einzuhalten – geprägt. Da heute das Einhalten von Verträgen vielerorts Mühe bereitet oder die Verträge als solche abgelehnt werden, gehen die Deutungen über den Begriff Pakt plötzlich weit auseinander. Jene, die etwa den Migrationspakt wollen, sagen, er müsse gar nicht eingehalten werden. Jene, die den Pakt nicht wollen, sagen, eine Verpflichtung sei nun einmal eine Verpflichtung und der Pakt eben ein Vertrag. Fussballpräsidenten, die ihren Trainer oder einen Mittelstürmer mit Torstau loswerden möchten, würden sich bestimmt gerne an jene Politiker und Juristen anlehnen, die das Wort Pakt als Spassbegriff auffassen.

Und dann kommt noch das «soft law» ins Spiel, also das weiche Recht, das im Geschnatter um die Pakte neuerdings immer wieder auftaucht. Die Römer würden sich in ihren Gräbern umdrehen, wenn ihnen ein moderner Professor zu erklären versuchte, es gebe nicht nur Recht, sondern auch weiches Recht. Das Gegenteil zum weichen Recht müsste ja das harte Recht sein, und somit ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch – wie beim Käse – das halbharte Recht erfunden wird. Damit sind wir an jenem Punkt angelangt, an dem der Fussball der Politik bestens erklären kann, was weiches Recht ist: Es ist das Ermessen des Schiedsrichters, ein Foul als ein Foul zu erkennen oder auch nicht. Anders ausgedrückt: Weiches Recht ist Ansichtssache. Geeignet für den Fussball, aber untauglich für die Rechtssicherheit.

Wie der Sport mehr für Menschenrechte tun könnte

Guido Tognoni am Montag den 1. Oktober 2018

Alles klar in Katar? Gianni Infantinos Fifa könnte mehr für die Menschenrechtslage tun. Foto: Facundo Arrizabalaga (Keystone)

Wie seriös bei der Ausschreibung der Uefa für die EURO 2024 die Absicht tatsächlich war, auch die Menschenrechtslage einer Kandidatur zu berücksichtigen, muss im Nachhinein nicht mehr beurteilt werden. Deutschland war im Vergleich zur Türkei ohnehin die logische Wahl. Dass die Menschenrechte zumindest offiziell thematisiert wurden, ist immerhin erfreulich und lässt die Hoffnung aufkommen, dass die Uefa damit einen Markstein gesetzt hat. Die Fifa und das Internationale Olympische Komitee (IOK), um nur die beiden grössten Dachverbände zu nennen, müssen bei den kommenden Vergaben von Grossereignissen am Vorgehen der Uefa gemessen werden.

Würde die Menschenrechtslage in Kandidatenländern tatsächlich als massgebliches Kriterium berücksichtigt, wäre der Kreis möglicher Veranstalter mit einem Schlag stark eingeschränkt. Denn die Menschenrechte zu respektieren, ist in unserer Zeit für viele Länder ungleich viel schwieriger, als eine sportliche Grossveranstaltung durchzuführen. Andererseits sind es vor allem autokratisch geführte Staaten, die sich immer noch über sportliche Grossveranstaltungen zu profilieren versuchen.

Es braucht eine Kontrollfrist

Die Geschichte hat gezeigt, dass sich durch rein symbolische Akte des Sports die Menschenrechtslage in den betroffenen Ländern nicht ändert. Solange die Wirtschaft mit dem Sport nicht gleichzieht, ist der Druck auf autokratische Regimes zu wenig gross. Was vom Sport in regelmässigen Abständen gefordert wird, macht aber die Wirtschaft nicht mit. Allein schon die Huldigungen der offiziellen Schweiz gegenüber einer Wirtschaftsmacht wie China zeigen, dass der Sport mit seinen Bemühungen im bisherigen Stil allein bleiben wird.

Es gäbe allerdings eine Methode, mit welcher der Sport mit einem Schlag eine neue Ausgangslage schaffen könnte. Wenn beispielsweise die Fifa und das IOK einem Land mit problematischem Umgang mit Menschenrechten eine WM-Endrunde oder Olympische Sommerspiele nur unter der Bedingung zusprechen, dass sich die Menschenrechtslage innerhalb einer bestimmten Frist sichtbar verbessert, ansonsten die Veranstaltung dem betreffenden Land wieder entzogen würde, wären die Menschenrechte nicht ein Kriterium unter vielen, sondern das Wichtigste. Die Inspektoren müssten sich dann weniger um die Stadionbauten (Stadien-Bauen ist längst keine Hexerei mehr) als um die Verbesserung der Menschenrechte kümmern.

Die Grossen könnten einspringen

Zeit für Verbesserungen gäbe es genug. Der Zeitraum von der Vergabe bis zur Durchführung müsste von sechs auf acht oder zehn Jahre erweitert werden, die Spanne für die Verbesserung der Menschenrechtslage würde fünf oder sechs Jahre dauern. In der verbleibenden Zeit könnten Länder wie Deutschland, die USA oder Japan als Ersatzkandidaten jede Grossveranstaltung stemmen.

Es wäre interessant, zu beobachten, ob unter solchen Voraussetzungen sich ein Land wie China um die Fussball-WM 2030 bemühen würde. Und es wäre spannend, zu sehen, wie ein Regime mit dem Druck umginge. Zudem könnte sich der Sport endlich mühelos von der ohnehin unglaubwürdigen These verabschieden, Sport habe mit Politik nichts zu tun.

Das Jammern der Fussballer

Guido Tognoni am Donnerstag den 2. August 2018

Muss «die Knochen der Spieler zusammentragen»: Liverpool-Trainer Jürgen Klopp im Training in den USA. Foto: Keystone

Nun jammern sie wieder: Jürgen Klopp findet die Belastung der Spieler zu gross, José Mourinho wünscht sich, dass einige seiner Stars die Sommerferien vorzeitig abbrechen, um dem Team zu helfen, und die Spielervereinigung Fifpro fordert mindestens vier Wochen Ruhepause für alle Fussballer.

Es ist jedes Jahr das gleiche Lied: Die Verantwortlichen des hochgezüchteten professionellen Fussballs beweinen sich selbst, weil sie nicht fähig sind, die Verantwortung für einen ausgewogenen Einsatz ihrer Spieler zu tragen. Er müsse «die Knochen der Spieler zusammentragen», sagte Jürgen Klopp dieser Tage und verwies auf den internationalen Spielkalender mit neuen, zusätzlichen Terminen für Nationalmannschaften. Dass Liverpool derzeit in den USA an einem prestigeträchtigen Freundschaftsturnier teilnimmt, hat Klopp ausgeblendet.

Als Pelé noch spielte – zugegebenermassen eine Weile her –, mussten die grossen Vereine in der Sommerpause um die Welt tingeln, damit mit Freundschaftsspielen die Kasse der Proficlubs gefüllt werden konnte. Das betraf den kleinen FC Zürich gleichermassen wie Pelés grossen FC Santos, den es sogar nach Katar verschlug, als das Emirat noch ein verschlafener Haufen Wüstensand und nicht ein Weltwirtschaftsfaktor war. Die damaligen Löhne der Spieler waren Trinkgelder, die durch die Reiseerlebnisse aufgewertet wurden.

Heute füllen die Grossclubs, deren Umsätze sich an der Milliardengrenze bewegen, ausserhalb der Meisterschaften den Terminkalender und die Kassen mit Freundschaftsspielen in Asien und Nordamerika, mit Werbeauftritten für die Sponsoren und mit allgemeinen Aktivitäten, die der «Stärkung der Marke» der betreffenden Clubs dienen sollen. Die Vereine sind Unternehmen geworden, und Aktiengesellschaften wie Bayern München unterhalten Aussenstationen in den USA und in China. Real Madrid mietet einen ebenso einsamen wie exklusiven Real-Shop in einer Satellitensiedlung in Doha, in der noch viele Wohnungen leer stehen. Dabei sein ist alles, und der weltweite Verkauf von Spielertrikots soll einen Teil der Wahnsinns-Transfersummen einspielen, auch wenn kein Mensch weiss, wie viele dieser Leibchen billige Fälschungen sind und dem Club nichts einbringen.

Das alles fordert natürlich Spieler und Trainer. Aber gibt es weltweit einen Klopp oder Mourinho, einen Messi oder Ronaldo, der sagt, lieber verzichte er auf ein paar Dollar oder Euro seines Millionensalärs, um sich dafür etwas länger ausruhen zu können? Oder gibt es einen Clubpräsidenten, dem die Erholung der Spieler wichtiger ist als zusätzliche Einnahmen? Es gibt sie nicht. Dafür wird regelmässig gejammert. Die Belastung der Spieler ist ein ernsthaftes Thema. Das Jammern der Betroffenen ist es nicht.

Özil und die Doppelmoral der Öffentlichkeit

Guido Tognoni am Montag den 23. Juli 2018
Nachspielzeit

Im Sport gelten anscheinend andere Massstäbe als in der Politik: Mesut Özil an der WM 2018. Foto: Facundo Arrizabalaga (Keystone)

Nun hat Deutschland die Bescherung: Mesut Özil ist aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, dies mit ziemlich viel Getöse und heftigen Angriffen gegen den Präsidenten des Deutschen Fussball-Bundes, Reinhard Grindel. Damit hat Özil im Land des gescheiterten Titelverteidigers einen Katastrophenalarm ausgelöst, der noch einige Zeit anhalten wird. Wir erinnern uns: Özil hatte mitten im Wahlkampf zusammen mit seinem Mitspieler Ilkay Gündogan einen Fototermin mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Im Vergleich zu den Auswirkungen dieses Bildes und dem wohlvorbereiteten Rundumschlag Özils ist die helvetische Doppeladler-Affäre ein laues Sommerwindchen.

Wenn es noch den Beweis brauchte, dass Sport längst nicht mehr von der Politik zu trennen ist, wurde dieser mit dem Özil-Eklat wieder einmal geliefert. Ob Fototermine mit einem umstrittenen ausländischen Staatschef zum Pflichtenheft eines deutschen Nationalspielers mit türkischen Wurzeln gehören, ist eine Frage des politischen Geschmacks. Seltsam ist allerdings, welche Massstäbe wieder einmal beim Sport angelegt werden, Massstäbe, die ansonsten in der Tagespolitik überhaupt keine Rolle spielen. Erdogan wurde zwar einigermassen demokratisch gewählt, er geht aber mit Oppositionellen im eigenen Land in einer Weise um, die mit einem rechtsstaatlichen Verständnis absolut unvereinbar ist. Erdogan ist allerdings nicht der einzige Staatsführer, der das macht. Auch in Russland und in China beispielsweise leiden Oppositionelle gleichermassen, unter afrikanischen und arabischen Despoten-Regimes ist das ebenso der Fall.

Das hindert aber die Politiker – auch Schweizer Bundesräte – nicht daran, solchen Staatsführern zu hofieren und ihnen mit einem Tross von industriellen Interessenvertretern zu Füssen zu kriechen, wie das etwa bei China oder Saudiarabien der Fall ist. Was Fussballer gefälligst unterlassen sollen, das dürfen die Politiker. Fussballern kann man notfalls politische Unbedarftheit anrechnen, Politikern nicht. Während bei Sportlern die Moral Vorrang haben soll, gehen in der Politik Geschäft und Geltungstrieb vor.

Der Fall Mesut Özil hinterlässt nur Scherben. Bis zu seinem Erdogan-Foto war Özil als Musterknabe gelungener Integration gefeiert und ausgezeichnet worden, was insofern verwundert, als er in Deutschland geboren wurde und aufwuchs. Nun hat sein Fall eine nationale Debatte ausgelöst, in der das Schlagwort Rassismus eine zentrale Rolle spielt. Ein gesellschaftliches Beben als Folge eines Bildes, das mit Politikern anstelle von Sportlern keinerlei Bedeutung erhalten hätte.

Liebe Berner, das wird grossartig!

Florian Raz am Donnerstag den 26. April 2018

Der Cupsieg der Young Boys von 1987. Aktuellere YB-Titelbilder haben wir in unserem Archiv leider nicht gefunden.

Am Samstag also ist es so weit: Der unvergleichliche Berner Sport Club Young Boys wird mit einem Sieg über Luzern Schweizer Meister. Glaubt mir, liebe Berner, das wird grossartig! Das darf ich mit der Erfahrung eines Baslers sagen, der 2002 miterlebt hat, wie der lokale FC erstmals nach 22 zappendusteren Jahren wieder mal etwas gewonnen hat. Und was sind schon 22 Jahre gegen die 32, die ihr euch geduldet habt? Eben. Gar nichts!

Ihr werdet sehen, wie gestandene Fussballprofis losheulen wie kleine Kinder. Natürlich drehen auch die Lokalmedien am Rad. In Basel brannte damals eine Radiostation tatsächlich ihre Meisterreportagen auf CD. Bei euch können wir das Ganze dann wohl auf Youtube nachhören. Ihr habt ja in Bern den einen oder anderen Kandidaten für eine, sagen wir mal: etwas gefühlsbetontere Radioberichterstattung.

Vor allem aber ist da dieses kribbelig-warme Gefühl in Brust- und Bauchbereich, dieses besoffen sein vor Glück. Gut, möglicherweise auch vom Alkohol. Aber vor allem vor Glück. Das gibt es wirklich. Natürlich, ihr konntet euch lange darauf vorbereiten, dass es in dieser Saison endlich klappen wird. Und doch werdet ihr euch gegenseitig mit leicht ungläubigem Blick anschauen und euch dann umarmen. Ist das alles wahr, sind wir jetzt wirklich Meister in einer Sportart, die Büne Huber doof findet? Seid ihr.

Plötzlich interessieren sich alle für euch

Das Beste daran: Dieses Gefühl könnt ihr danach noch ein paar Mal geniessen. Den Kübel gibt es ja erst Mitte Mai. Kostet die Zeit aus. Sie wird nicht wiederkommen. Nicht, weil ich YB in den kommenden Jahren nicht noch den einen oder anderen Titel zutrauen würde. Aber so schön wie beim ersten Mal wird es halt nie mehr.

Gratis mit dem ersten Meistertitel seit Menschengedenken mitgeliefert wird das Interesse der Medien aus der restlichen Schweiz. Alle werden sie euch anhand von YB erklären, in was für einer Stadt ihr lebt, was die Bernerin an und für sich so umtreibt und was den Berner auszeichnet.

Der beste Ort für eine Meisterfeier

Achtung, die Texte könnten allenfalls nicht ganz frei von Neid sein. Die «Zeit» hat schon mal angefangen und haut richtig feste drauf. «In ihrer trunkenen Vorfreude offenbaren die Berner ihre ganze Provinzialität», heisst es da.

Lasst die negativen Texte an euch abperlen wie die obligate Bierdusche in der Fankurve. Und bildet euch nicht zu viel auf die ebenso unvermeidlichen Lobhudeleien ein. Verfasst werden solche Psychogramme, die anhand von ein paar clever eingekauften ausländischen Stürmern, einem total netten Goalie und einem medien-affinen Ex-Stapi eine ganze Stadt erklären wollen, meist in Zürich. Das ist dort, wo schon mehr Pläne für ein richtiges Fussballstadion geplatzt sind als bei den Young Boys Meisterträume.

Was ganz besonders schön ist: YB kann sich den Titel am Samstag zu Hause sichern. Es gibt eigentlich keinen besseren Ort für eine spontane Meisterfeier als Bern. Basler wissen das.

So sehen Meisterfeiern in Bern aus (Abbildung ähnlich).

Vom dem Schiedsrichter sind nicht alle gleich

Guido Tognoni am Donnerstag den 22. Februar 2018
Nachspielzeit

Jeder weiss, wie schnell Arjen Robben zu Boden geht: Der Bayern-Spieler wird am 17. Februar von Wolfsburg-Verteidiger Gian-Luca Itter am Ärmel gezupft. Foto: Swen Pförtner (Keystone)

«Too big to fail» – zu gross zum Scheitern. Dieser Begriff wurde in der Öffentlichkeit vor allem in der Zeit der Finanzkrise mit den wankenden Banken bekannt und sollte erklären, dass Grossbanken auch trotz des Versagens der hoch bezahlten Manager für das Wirtschaftssystem derart wichtig sind, dass man sie nicht in den Konkurs schlittern lassen darf. Hierzulande erinnern wir uns an die UBS, die mit einem kühnen staatlichen Eingriff gerettet worden ist.

Wer sich regelmässig Fussballspiele anschaut, kommt immer wieder nicht um den Eindruck herum, dass es das «Too big to fail» auch im Sport gibt. Zwei Beispiele aus jüngster Vergangenheit: Im Champions-League-Spiel FC Basel – Manchester City wird der Basler Dimitri Oberlin mit dem Ball am Fuss vom Argentinier Nicolàs Otamendi im Strafraum der Engländer rüde gerammt. Im Mittelfeld wäre dieser Bodycheck zweifellos gepfiffen worden, und die Spekulation ist erlaubt, dass das gleiche Foul eines Baslers mit einem Elfmeter bestraft worden wäre. Aber der Pfiff gegen Manchester blieb aus. Statt Elfmeter für Basel, der das Spiel vielleicht in eine andere Richtung gelenkt hätte, folgt der Torreigen der Weltauswahl aus Manchester.

Oder am Wochenende bei Wolfsburg – Bayern München: In der letzten Spielminute dringt der renommierte Bayern-Spieler Arjen Robben in den Strafraum der Wolfsburger ein und wird dort vom unbekannten Verteidiger Gian-Luca Itter am Arm gezupft. Im Mittelfeld hätte Robben diese Berührung kaum gespürt und wäre mit dem Ball am Fuss weitergelaufen. Im Strafraum hingegen bricht der Holländer gleich zusammen, und der Schiedsrichter fällt darauf rein. Nicht zum ersten Mal hat auch der renommierte Franck Ribéry einem Gegner einen Schlag ins Gesicht versetzt, diesmal traf es den wenig bekannten Renato Steffen. Und nicht zum ersten Mal kam Ribéry vom renommierten FC Bayern mit einer Gelben Karte davon.

Der Videobeweis hat nichts geändert

Es ist immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich Strafraumszenen von den Schiedsrichtern nach wie vor bewertet werden. Das Hilfsmittel Video hat da nicht viel verändert. Und es ist ebenso erstaunlich, wie unterschiedlich die Schiedsrichter einzelne Spieler behandeln. Jeder weiss, wie leicht Arjen Robben in den Strafräumen zu Boden geht, und jeder kennt mittlerweile die unbeherrschten Reaktionen Franck Ribérys. Da wird ein Bodycheck durchgelassen und ein Schlag ins Gesicht ebenso, dort ein Zupfer mit Elfmeter bestraft. Aber Basel ist eben nicht Manchester City, und Wolfsburg ist auch nicht Bayern.

«Too big to fail» gibt es – leider – auch im Fussball. Man könnte darüber Bücher schreiben.

Der Fall des Kaisers

Guido Tognoni am Donnerstag den 21. Dezember 2017

War einmal …: Franz Beckenbauer hat keine Auftritte mehr und lebt in seiner eigenen kleinen Welt. (Foto: Getty Images)

Die Szene war eindrücklich und bleibt haften: Unverhofft trat er aus einem Restaurant und vor die Kamera, Franz Beckenbauer, fast nicht zu erkennen, er ging leicht nach vorn gebeugt, mit Dächlikappe und in Jeans statt Massanzug, zu sehen war ein klappriger alter Mann. Franz Beckenbauer ist 72. Diesem Mann widmete die ARD am Dienstagabend einen längeren Beitrag mit dem Titel «Der Fall des Kaisers». Es war ein etwas bizarres Filmwerk über eine lebende Legende, über den weltweit berühmtesten lebenden Deutschen, über einen Mann, für den der Begriff «Lichtgestalt» hätte geprägt werden müssen, falls es ihn zuvor nicht bereits gab.

Nur: Franz Beckenbauer ist nicht mehr Lichtgestalt und mochte auch nicht in die Kamera reden. Wie er überhaupt nicht mehr reden mag seit einiger Zeit. Keine Analysen mehr bei Sky, keine Kolumnen in der «Bild», keine Interviews, selbst die Nachbarn in einer ruhigen Ecke Kitzbühels sehen ihn kaum mehr. Nach Jahrzehnten im Scheinwerferlicht hat sich der einstige grosse Strahlemann Franz Beckenbauer in seine eigene kleine Welt abgekapselt. Die ARD-Filmer machten wohl das Beste aus ihrem Bemühen, einen bedeutenden Zeitgenossen zu beschreiben, der nicht mehr über sich reden will. Dass der Film erst spät abends ausgestrahlt wurde, war wohl eine Mischung aus Achtung vor dem Betroffenen und der Einsicht, dass der Reportage das wohl wichtigste Element fehlte: Ex-Kaiser Franz, der über Kaiser Franz spricht.

Das grösste Opfer von allen

Jene, die über Franz Beckenbauer sprachen, taten das unterschiedlich subtil, aber jeder mit dem grösstmöglichen Respekt. Während Paul Breitner und Uli Hoeness ihren früheren Teamkollegen durchwegs vehement verteidigten, mischte sich beim Bayern-Politiker Edmund Stoiber und dem Fussballexperten Marcel Reif auch leise Kritik in das Mitgefühl. Auch Gefährten, die Franz Beckenbauer nach wie vor lieben, äusserten ihre Vorbehalte darüber, dass er sich nicht zu jenen Vorgängen äussert, die seit geraumer Zeit auf das viel gepriesene deutsche Sommermärchen ihre Schatten werfen (die Rede ist von der WM-Endrunde 2006 und die Umstände der erfolgreichen Bewerbung). Schatten, in welche die deutsche und Schweizer Justiz mit viel Aufwand seit Jahren Licht bringen möchten. Es wäre keine Überraschung, wenn der grosse Aufwand letztlich vergeblich wäre.

Die Korruptionsaffären der Fifa machten auch vor Franz Beckenbauer nicht halt. Der Klimawechsel aus der unbeschwerten Epoche, in der in den obersten Sphären des Fussballs alles möglich und alles erlaubt war, in die Zeit der Aufklärung und Kriminalisierung von zuvor üblichen Vorgängen in den grauen, dunkelgrauen und schwarzen Bereichen des Sports war abrupt. Dazu kamen bei Franz Beckenbauer der Tod seines Sohnes Stefan und eine schwere Herzoperation. Was ihm am meisten zugesetzt hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben. «Nach einer solchen Operation bist du nicht mehr der gleiche Mensch», sagt Beckenbauer-Freund Günter Netzer und spricht dabei aus eigener Erfahrung.

Der Höhenrausch des Fussballs hat in den vergangenen Jahren viele Opfer gefordert, die Sühneliste der Gesperrten und Geächteten wird immer noch länger und länger. Wer Franz Beckenbauer zu den Tätern zählen möchte, soll das tun. Der einst Unantastbare hat nicht einmal mehr Lust, sich zu verteidigen. Tatsache ist, dass er im trüben Spiel des Funktionärsfussballs das grösste Opfer von allen ist. Franz Beckenbauer liess sich tief fallen, freiwillig und viel zu tief. Unverdientermassen tief.

Von Kopf bis Fuss auf Profit eingestellt

Guido Tognoni am Dienstag den 28. November 2017
Nachspielzeit

Sensible Füsse: Marouane Fellaini von Manchester United. Foto: Getty Images

Marouane Fellaini, der Mittelfeldspieler von Manchester United, fällt äusserlich vor allem durch seine Schaf-Frisur auf. Aber seine Probleme liegen offensichtlich am anderen Ende des Körpers. Der 30-jährige Belgier hat sensible Füsse. Diese Füsse sind offenbar derart empfindlich, dass er in England seinen früheren Ausrüster New Balance auf die Schadenersatzsumme von zwei Millionen Pfund (2,6 Millionen Schweizer Franken) einklagt, wie die Zeitung «The Guardian» berichtet. Fellaini beklagt sich darüber, dass die Schuhe seine Füsse beschädigt hätten, dass er deswegen schlecht geschlafen habe, und dass er unter anderem zur Pediküre musste. Der Ausrüster seinerseits hält dagegen, dass Fellaini die Schuhe ohne das Firmenlogo benutzte, was der Fussballer wiederum mit der Behauptung beantwortete, die Schuhe seien vor derart schlechter Qualität, dass das Logo abgefallen sei.

Der Schuhmarkt gehört zu den Auswüchsen des Milliardengeschäfts Fussball. Während ein Junior der gehobenen Klasse schon zufrieden ist, wenn er pro Saison zwei paar Schuhe kostenlos erhält, liefern sich vor allem Adidas und Nike gnadenlose Anbieterschlachten, um die Werbegunst der prominenten Spieler zu gewinnen. Der Bestbezahlte dürfte Superstar Ronaldo sein, der von Nike für einen lebenslangen Vertrag über eine Milliarde Schweizer Franken kassieren soll. Die Jagd nach den Stars ist derart teuer und aufwendig geworden, dass sich der japanische Hersteller Asics vom Fussball völlig zurückgezogen hat und sich auf die Leichtathletik konzentriert. Auch dort erhalten die besten Läufer und Springer von den Ausrüstern Geld, aber nicht jeder ist ein Usain Bolt, und die Beträge, die die Ausrüster den besten Leichtathleten zahlen, wären für die Ronaldos, Messis – und Fellainis – nicht mehr als Trinkgelder.

Eskalation ist absehbar

Ein Prozess wie Fellaini gegen New Balance würde eigentlich eher in die USA als nach Europa passen. Dort kann man auch die absurdesten Schadenersatzklagen mit einigen Erfolgsaussichten anbringen. In den USA gibt es sogar jährlich einen Preis für die unverschämteste erfolgreiche Schadenersatzforderung. Der Stella-Liebeck-Preis wurde nach jener Frau benannt, die erfolgreich gegen McDonald’s klagte und 2,7 Millionen Dollar kassierte, weil sie sich an ausgeschüttetem Kaffee verbrannte und McDonald’s sie nicht in aller Form darauf hingewiesen hatte, dass heisser Kaffee heiss ist.

Warten wir ab, ob Marouane Fellaini mit seiner Fussklage Erfolg haben wird. Eine Eskalation solcher Forderungen ist abzusehen: Bis ein Fussballer klagt, weil er wegen allzu vieler Kopfbälle einen Hirnschaden erlitten hat, ist es nur eine Frage der Zeit. Medizinisch sind solche Sachverhalte bereits erwiesen. Unklar ist bisher einzig, gegen wen zu klagen wäre.

Wie Formel 1 ohne Ferrari

Guido Tognoni am Dienstag den 14. November 2017

Aus und Schluss: Goalie Gianluigi Buffon und Manolo Gabbiadini nach ihrer WM-Qualifikations-Niederlage (13. November 2017). (Foto: Keystone/Luca Bruno)

Fast pausenloser Ballbesitz, aber kein Tor. Kein Schiedsrichter, der das Schicksal lenken mochte. 0:0, torlos und trostlos. Auch Lucky Losers wie im Tennis, die letzte Hoffnung für Verlierer, welche noch ins Feld nachrücken können, gibt es im Fussball nicht. Es ist schlicht aus und Schluss. Italien, das Land, dessen geografische Form allein schon zur bedingungslosen Teilnahme an jeder Weltmeisterschaft berechtigen sollte, steht im kommenden Jahr vor einem Trauersommer.

Aber auch wir trauern mit. Nur schon die zackige Nationalhymne werden wir vermissen. Und die Hingabe, mit der die italienischen Spieler vor dem Anpfiff ihre Hymne brüllen. Wir werden das lebende Torhüterfossil Gigi Buffon vermissen, die pickelharte Altherrenverteidigung ebenso, auch zuletzt so erfolglose Stürmer wie Ciro Immobile und das Irrlicht Stephan El Shaarawy, genannt Pharao, die offenbar nur in ihren Clubs zur Torproduktion finden. Den zurückgetretenen Mittelfeld-Stoiker Andrea Pirlo vermissen wir schon lange.

Weltmeister der Rollenspiele

Es ist seltsam: Wie schlecht auch die Italiener spielen, sie sind uns letztlich sympathisch. Die durchschaubare Spielfeld-Theatralik eines jeden Einzelnen bei Fouls, Fehlschüssen, Schiedsrichterentscheiden und Simulationen ist ein Teil des Fussballs. Keine andere Mannschaft kann solche Rollenspiele ersetzen.

21 Tore haben die Italiener in den 10 Gruppenspielen erzielt, das ist für eine grundsätzlich defensiv spielende Mannschaft wie Italien, wo für jeden Trainer ein 1:0-Sieg die höchste Erfüllung bedeutet, schon nahe am Torrausch. Davon fielen allerdings 9 Treffer in den bezahlten Trainings gegen Liechtenstein. Es bleiben also 12 Tore in den verbleibenden 8 Spielen und kein einziges, als es wirklich darauf ankam, in der Barrage gegen Schweden.

Die Italiener werden uns in Russland fehlen, mehr noch als die Holländer, die auch für jede WM-Endrunde eine Bereicherung sind. Die es trotz grossartiger Mannschaften regelmässig schafften, nicht zu gewinnen. Notfalls geschah das beim Elfmeterschiessen. Mit einer WM ohne Holland kann man noch leben, aber eine Weltmeisterschaft ohne Italien ist wie die Formel 1 ohne Ferrari: zwar denkbar, aber irgendwie surreal.