
Die Psychologen sprechen von «prämaturem Aufmerksamkeitstrieb»: Emotionale Reaktion eines kleinen Rotterdam-Fans.
Es gab im Fall tatsächlich ein paar Stimmen, die behaupteten, Alex Frei sei wegen des letzten «Das Flüssige muss ins Hohle»-Beitrag vom 6. Dezember von seinem Amt als Sportchef beim FC Luzern zurückgetreten. Klar, es stimmt, die Zeilen über den Ex-Goalgetter waren sicher nicht ganz so angenehm wie eine asiatische Fussmassage. Und ebenso richtig ist, dass seine Jobaufgabe bloss relativ bald nach der Aufschaltung des Artikels (und damit viele Stunden vor dem Anpfiff des Spiels der Luzerner gegen Basel) erfolgte. Doch von ziemlich verlässlichen Innerschweizer Quellen haben wir erfahren, dass wir weder Schuld noch Mitschuld an diesem Abgang tragen (oder, von der fröhlicheren Seite her betrachtet, auch keinen Heldentaten-Orden verdienen): Frei, hiess es, boykottiere unsere Rubrik schon seit Monaten, nachdem er drei Flaschen des von uns wärmstens empfohlenen japanischen «Super Dry»-Biers gekauft und noch am selben Abend getrunken habe – und am nächsten Morgen mit argen Kopfschmerzen aufgewacht sei. Tja, das tut uns natürlich sehr leid. Aber wir halten an unserer Meinung fest: «Super Dry», im richtigen Ambiente und Moment getrunken, ist ein tolles Bier! Und damit zu «something completely different», wie John Cleese jeweils zu sagen pflegte.
Wie das letzte Mal angekündigt, wollen wir heute, im letzten Beitrag dieses Jahres, das Bier präsentieren, das man (beziehungsweise frau; wie immer ist das starke Geschlecht in dieser Gender-neutralen Rubrik selbstverständlich mitgemeint) zu jenem Fussball konsumiert, der auf der wahrhaftig prominenten Bühne ausgetragen wird: Genau, wir reden hier von nichts Geringerem als von Champions-League-, Euro- oder WM-Matches. Fast noch wichtiger als das Bier sind aber die vier folgenden Anmerkungen:
- Diese grossen Spiele schaut man sich wegen der tollen Stimmung, der sozialen Rudelbildung, der sogenannten «Fachgespräche» und noch aus ein paar Dutzend anderen Gründen richtigerweise gar nicht zu Hause an, nee, dafür begibt man sich in die Fussball-Bar seines Vertrauens.
Würden alle Fans diesen heiligen Grundsatz befolgen, hätten wir uns den heutigen Text schenken können (denn dort, in der Bar des Vertrauens, trinkt man entweder «Stangen» oder aber das Gebräu, das der Schankwirt auf den Tresen hievt, basta). Tun sie aber nicht. Mal hat der Goof die Grippe, mal fühlt man sich schon beim morgendlichen Aufstehen so schrecklich dünnhäutig, dass man, sollte die Lieblingsmannschaft am Abend eine Pleite einfahren, glatt befürchten müsste, einen Heulkrampf zu erleiden (was in der Öffentlichkeit doch eher unangenehm wäre), kurz und nicht so gut: Es gibt immer eine Ausrede, um einen auf Home-Watching zu machen. Wer sich wahrhaftig in eine solche «Abseitsstellung» zu begeben wagt (um es mit einem durchaus passenden Bild zu formulieren), muss sich, um wenigstens einen Anstandsrest von Würde zu bewahren, ZWINGEND!!! mit hochanständigem Bier ausstatten … dazu nachher mehr. - Gleichwohl muss umgehend angefügt werden, dass jene, die auf dem Stubensofa schauen, aber zwecks mehr lustig und so dann doch noch ein paar Kumpels zu sich einladen, das generelle Biertrinkverhalten dieser vermeintlichen netten Kerle vorgängig so präzis analysiert haben müssen, dass sie alles, was vor, während und direkt nach dem Spiel rund um ihren Kühlschrank passieren wird/dürfte, erahnen oder gar antizipieren können … auch dazu nachher noch ein wenig mehr.
- Statt Jungs könnte man natürlich auch Mädels einladen. Das hätte den Vorteil, dass es – Achtung! – weniger hysterisch zu und her ginge. Ja, kein multipler Tippfehler, weniger hysterisch ist korrekt. Das hat nämlich eine englische Studie zutage gefördert: Frauen drehen zwar an Partys, Konzerten, beim Shopping und in ein paar anderen Lebenslagen rascher und heftiger durch als Männer, doch beim Fussballschauen (re-)agieren sie gesitteter, kontrollierter, ruhiger (das hier gezeigte Bild, angeblich am 13. Februar 1965 während der Radioübertragung des Spiels Arsenal – Leeds United, Endstand 1:2, in einer Londoner Wohnung geknipst, ist demnach die Ausnahme, welche die Regel bestätigt – oder aber, was wahrscheinlicher ist, eine Fälschung.
- Ganz und gar nicht empfehlenswert ist es, beim Schauen dieser aufwühlenden Spiele die noch sehr, sehr jungen Töchter und Söhne mit aufs Sofa zu setzen – umso mehr, wenn viele hysterische Kumpels, dafür aber gar keine rationalen Frauen mit im Wohnzimmer sind (siehe Punkt 3). Der Grund für diesen Tipp ist auf dem Hauptbild unschwer zu erkennen: Die Kleinen übernehmen – die Psychologie spricht dabei vom «prämaturen Aufmerksamkeitstrieb» – die Gesten der Grossen, was ganz kurzfristig vielleicht ganz amüsant sein kann, mittelfristig (Kindergarten, Primarschule, Weihnachtsabend beim Grossmami, erstes F-Junioren-Training etc.) aber für manch gehässige oder mindestens unschöne Szene sorgen wird.
So, und jetzt endlich zum elenden Bier. Dieses muss, es wurde erwähnt, unbedingt dem erhabenen Geschehen auf dem Rasen angemessen sein, denn bei solchen Spielen messen sich ja schliesslich auch die Besten mit den Besten (wenigstens in der Theorie). Anders gesagt: Es soll die Gurgel so smooth streicheln, wie das einst Zidane mit dem runden Leder tat, es soll so fintenreich begeistern, wie das allein dem junge Pelé gelang, es soll etwas vermeintlich Göttliches zum Ausdruck bringen, wie Maradonas linke Hand (wobei sein linker Fuss fast noch göttlicher war), und doch soll es auch souveräne Abgeklärtheit ausstrahlen, so, wie man sie in den 70er-Jahren beim Ausputzerspiel von Ruud Krol erleben durfte.
Keine Frage: Solche Weltklassebiere sind ähnlich selten wie eine «Blaue Mauritius» von anno 1847, es braucht Ausdauer und Geduld, um sie ausfindig zu machen. Da beides in unserem Team nicht im ausgeprägten Mass vorhanden ist, haben wir bloss eines entdeckt. Hergestellt wird es in limitierter Auflage in der Innis & Gunn Brewing Company im schottischen Edinburgh, es verströmt den Odem alter Whiskyfässer, es ist kokett wie Hunter S. Thompson, und es heisst «Innis & Gunn Rum Finish». 2012 wurde es an der Brüsseler «Monde Selection» (das ist so etwas wie die Weltfussballerwahl der Konsumgüter) mit dem «Grossen Gold-Qualitäts-Award» ausgezeichnet. Dennoch kann es trotz dieser Güteklasse natürlich sein, dass einem dieses Bier wider Erwarten doch nicht mundet (es gibt schliesslich auch Menschen, die Foie gras, Kaviar oder Wachteleier unverhofft nicht ausstehen können). In dem Fall wendet man sich idealerweise an einen Bier-Sommelier; beispielsweise an Jan Czerny von der Basler Brauerei «Unser Bier», der an der Bier-Sommelier-WM den tollen fünften Rang erreichte.
Allerdings – und nun kommen wir zur bereits angedeuteten Tücke der Sache – ist solch ein Edelbier nur relevant, wenn es die geladenen Fussballguck-Kumpel auch zu schätzen wissen. Genau deshalb muss man die Situation antizipieren, sprich seine Pappenheimer kennen. Besteht die Mehrheit bloss aus zur Hysterie neigenden Kampf- oder Ekstase-Süffeln (so wie die Typen in der Heineken-Werbung), wäre es vergebene Liebesmüh und zum Fenster rausgeschmissene Kohle, wenn man sich mit solchen High-End-Gebräuen eindecken würde, ein paar Sixpack Feldschlösschen, Prix-Garantie-Bier oder Heineken tuns dann allemal.
Das wärs. Wir wünschen schöne Weihnachten!