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So wird der neue GC-Präsident scheitern

Guido Tognoni am Mittwoch den 27. März 2019

Der neue GC-Präsident Stephan Rietiker am 27. März in Zürich. (Foto: Keystone/Walter Bieri)

«Ich will den Club wie ein Unternehmen führen», sagt der neue Grasshopper-Präsident Stephan Rietiker.

Ein tödlicher, verbotener, unsäglich dummer Satz! Wenn ein neuer Präsident im Schweizer Eishockey oder Fussball einen Verein übernimmt, darf er grundsätzlich jeden Unsinn erzählen. Er darf auch damit kokettieren, dass er von Fussball und Eishockey nichts versteht. Schliesslich sind alle glücklich, dass man überhaupt einen neuen Präsidenten gefunden hat. Aber der neue Präsident darf niemals sagen, dass er den Club wie ein Unternehmen führen will. Damit offenbart er, dass er von Sport wirklich gar nichts versteht. Und dass die PR-Abteilung seines Clubs gegenüber dem neuen Präsidenten versagt und ihn schlampig auf seinen ersten Auftritt vorbereitet hat.

Stephan Rietiker hat nur dann eine Chance, wenn er das Gegenteil von dem macht, was er verspricht: Er darf den Club nicht wie ein Unternehmen führen. Rietiker wird sehr schnell lernen: Ein Sportclub ist eben kein normales Unternehmen. Das hat schon jeder erfahren und erleiden müssen, der gemeint hat, er müsse nur die Führungstheorien der Handelshochschule St. Gallen anwenden und sogleich kehre der Erfolg ein. Wer aus der Privatindustrie aus was für Gründen auch immer von Sportkenntnissen völlig unbeleckt einen professionellen Sportclub übernimmt, wird mit solchen Prinzipien eine Bruchlandung erleiden. Die Namensliste erfolgreicher Unternehmer und anderer Berufsleute, die im Sport mit den sogenannten modernen Managementversprechen gescheitert sind, ist noch länger als die Liste der in jüngster Vergangenheit gescheiterten GC-Präsidenten.

Fussball ist unberechenbar

Fussball ist nicht Bücherwissen. Fussball lernt auch niemand aus den zahllosen Managementfibeln, die den Markt überschwemmen. Fussball ist nicht berechenbar. In der Wirtschaft gibt es keine Zerrungen, Kreuzbandrisse, Hands im Strafraum und Fehlentscheidungen der Schiedsrichter, die über das Haben oder Nichthaben von 50 Millionen entscheiden. Und im Gegensatz zur übrigen Wirtschaft ist im Fussball der Instinkt für sportliche Entwicklungen viel wichtiger als hohle Führungsprinzipien (die zudem auch in der Wirtschaft oft nicht praktikabel sind). 50 Prozent aller Fussballtransfers und Trainerengagements sind Flops. Das ist auch in hoch professionalisierten Vereinen der Fall. Aber ein guter Präsident verhindert, dass die Flopquote Richtung 100 Prozent tendiert, und passt auf, dass er mit den übrigen 50 Prozent halbwegs Erfolg hat.

Stephan Rietiker wird zu Beginn seiner Amtszeit mit reichlich Geld aus der Grasshopper-Trutzburg eingedeckt. Aber Geld ist nur eines von vielen Problemen des einstigen Nobelclubs. Und Geld wird niemals das ersetzen, was bei den Grasshoppers in den vergangenen Jahren gefehlt hat: sportliche Führungskompetenz. Wenn Stephan Rietiker seine für den Sport aussichtslosen Führungsprinzipien nicht sogleich über Bord wirft, wird sich daran nichts ändern.

Gleicher Lohn trotz fehlendem Interesse?

Guido Tognoni am Freitag den 15. März 2019

Sie wollen mehr Geld: Das Frauen-Nationalteam der USA vor einem Testspiel gegen Portugal im November 2018. Foto: Gualter Fatia (Getty)

Pünktlich zum Weltfrauentag vom 8. März haben die Spielerinnen der Nationalmannschaft der USA in Los Angeles eine Lohnklage eingereicht. Die Frauen wollen gerichtlich die gleichen Trainings-, Reise- und Lohnbedingungen erzwingen, die für die männlichen Kollegen gelten. Da man in den USA selbst Waschmaschinenhersteller einklagen kann, die nicht davor warnen, dass Waschmaschinen nicht für Hunde oder Katzen geeignet sind, stehen die Chancen gut, dass die Fussballerinnen recht erhalten.

Ein Richterspruch zugunsten der weiblichen Fussballer würde aber ein Grundproblem nicht lösen. Im Sport sind für die Bezahlung der männlichen und weiblichen Athleten zwei Kriterien für Löhne und Bonusprämien massgebend: das öffentliche Interesse und die Leistung. Während beispielsweise Banker ihre Bonuszahlungen auch abholen, wenn sie den Aktienwert ihres Unternehmens jahrelang in den Keller fahren, nimmt bei Cristiano Ronaldo der Marktwert massiv ab, wenn er über längere Zeit den Ball nicht mehr trifft. Und wenn, wie beim Frauenfussball, das öffentliche Interesse mit der Leistung nicht in Einklang steht, helfen auch Weltmeistertitel nicht weiter.

Die Amerikanerinnen gehören mit der Nationalmannschaft zu den Besten der Welt, aber auf Vereinsebene fristen sie ein kümmerliches Dasein. In den vergangenen Jahren sind zwei professionelle Ligen pleitegegangen, ein dritter Versuch muss erst noch beweisen, dass eine Frauenliga überleben kann. Frauenfussball interessiert nur – aber immerhin – auf Ebene Nationalmannschaft. Selbst im fussballverrückten Deutschland sind Meisterschaftsspiele der Frauen familiäre Ereignisse.

Im Tennis werden Frauen mittlerweile bevorteilt

Der Sport eignet sich nicht für Gleichberechtigungsdebatten. Männer sind grösser, schneller und stärker als Frauen. Und im Sport interessieren meistens die Schnellsten und Stärksten. Das hat nicht das Geringste mit Diskriminierung der Frauen zu tun. Ob ein Richterspruch den amerikanischen Fussballerinnen wirklich helfen kann, ist offen. Gleiche Bezahlung können Richter vielleicht erzwingen, gleiches Interesse hingegen sicher nicht.

Bei den vier Grand-Slam-Turnieren im Tennis erhalten die Frauen die gleichen Preisgelder wie die Männer. Wer gleichen Lohn für gleiche Leistung fordert, kann darüber nicht glücklich sein. Die Männer spielen auf drei Gewinnsätze, die Frauen auf zwei. Roger Federer muss also für das gleiche Geld mindestens 50 Prozent mehr leisten als Belinda Bencic. Das ist gleicher Lohn für ungleiche Leistung. Wenn sich jemand diskriminiert fühlen darf, so sind das zumindest im Tennis die Männer.

Eine grosse Kerze für Anliker, eine kleine für Canepa – und eine für Vincenz

Guido Tognoni am Montag den 4. März 2019

Sie bezahlen selber für ihre Fehler, und das ziemlich teuer: FCZ-Präsident Ancillo Canepa (l.) und GC-Präsident Stephan Anliker. Foto: Walter Bieri (Keystone)

Die Grasshoppers liegen im Elend. Dem FC Zürich könnte es auch besser gehen. Dass sich GC-Präsident Stephan Anliker nach einer weiteren Niederlage am Samstag im Letzigrund einer empörten Fan-Gruppe zum primitiven Disput gestellt hat, ist einerseits ein Tiefpunkt in der Abwärtsspirale des ehemaligen Nobelclubs, aber andererseits doch sehr bemerkenswert. Da steht einer hin und lässt sich mit Hohn und Spott übergiessen. Er ist jener Mann, der zurzeit dafür sorgt, dass beim Rekordmeister noch immer die Löhne gezahlt werden, auch wenn die wichtigsten Angestellten seit Monaten kaum mehr einen Ball richtig treffen.

Eine grosse Kerze für Stephan Anliker, und eine etwas kleinere für das Ehepaar Canepa, dessen FCZ auch Millionen kostet, aber wenigstens nicht in Abstiegsgefahr schwebt. Es kann ja durchaus sein, dass Stephan Anliker zu wenig von Fussball versteht und dass Heliane und Ancillo Canepa immer wieder Fehler machen. Aber falls man die sportlichen Fehlentwicklungen an diesen Personen festmachen will, so bleibt doch immer noch das Fazit, dass sie für ihre Fehler selber bezahlen, und das ziemlich teuer.

Millionen aus dem eigenen Sack

Wenn Politiker etwa für Olympische Winterspiele Milliarden an Steuergeldern freigeben wollen und dabei den unbewiesenen volkswirtschaftlichen Nutzen einer solchen masslos überteuerten Kurzveranstaltung simulieren, ist keiner von ihnen bereit, auch nur einen Tausender in ein solch wunderbares Projekt zu investieren. Fussballpräsidenten in Zürich hingegen müssen jedes Jahr von Neuem Millionen aus den eigenen Brieftaschen graben, um den Vereinsbetrieb am Leben zu erhalten. Und sie müssen sich dafür auch noch rechtfertigen – ein geradezu perverses Hobby, die Führung eines Schweizer Fussballclubs.

Dank Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz fliessen der Super League Millionen zu. Foto: Keystone

Raiffeisen Super League heisst das Gebilde, in dem die Anlikers und Canepas und viele andere Privatpersonen viel Geld verlieren. Jener Mann, welcher der Liga mit einem grossen Sponsor-Betrag aus seinem Unternehmen den Namen gab und ermöglicht, dass die Defizite der Clubs etwas geringer ausfallen, hat seinen persönlichen Abstieg bereits vollzogen. Dank dem gefallenen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz fliessen der Super League Millionen zu, auch wenn der Fussball nicht super ist, wie die jüngsten Vergleiche auf internationaler Ebene gezeigt haben.

Gesellschaftlich ist Vincenz tief gefallen, das moralische Fallbeil hat den zuvor weitherum gefeierten Banker erledigt. Doch ob es der Zürcher Staatsanwaltschaft bei allem lang andauernden Eifer gelingt, ihn mit einer handfesten Anklage auch juristisch zur Strecke zu bringen, ist immer noch offen. Bis es so weit ist, sollten die Fussballer auch für ihn eine Kerze anzünden, zumindest eine kleine.

Die skurrilste Zeitmess-Panne

Guido Tognoni am Mittwoch den 27. Februar 2019

Wie lange noch? An der WM 90 gabs noch keine elektronischen Zeitangaben. (Foto: iStock)

Das Zeitnahme-Theater bei den Weltcuprennen in Crans-Montana ist peinlich. Peinlich im Jahr 2019 und besonders peinlich für das Land der Uhrmacher. Wir sind ja nicht Nordkorea. Aber Pannen kommen vor.

Blenden wir 29 Jahre zurück. WM-Endrunde in Italien. Europa steht unter dem Hooligan-Schock, und die Fifa verbannt Englands Nationalmannschaft für die Vorrunde nach Sardinien. Die italienische Regierung erlässt während der Spieltage ein völlig überrissenes Alkoholverbot über das ganze Land, das erstaunlicherweise weitgehend eingehalten wird. Der gebotene Fussball ist ziemlich trostlos, aber das italienische Wetter und die gute Stimmung sorgen für eine schöne WM. Die Zuschauer stehen im Bann von grossartigen Spielern wie Diego Maradona, Roberto Baggio und Lothar Matthäus, alle im Zenit ihres Könnens. «Un’ estate italiana», der schönste WM-Song aller Zeiten mit Gianna Nannini und Edoardo Bennato, klingt in allen Radios und Stadien.

Italia 90 ist die erste WM mit mobilen Telefonen, schwere, unförmige Dinger, aber sie funktionieren. Ich stehe in Neapel am Spielfeldrand und rufe spasseshalber einen Freund an, der in Baden am Bildschirm sitzt. «Siehst du mich?» – «Ja, ich sehe dich, aber warum zum Teufel spielt ihr noch?» – «Was ist denn los?» – «Ihr spielt schon 8 Minuten zu lang!», schreit der Freund ins Telefon. Ich verstehe gar nichts, denn die Fifa lässt die Matchuhren nach 45 Minuten stoppen, und elektronische Anzeigen gibt es noch nicht. Was ein Videobeweis ist, weiss noch kein Mensch, und auf dem Feld spielen Italien gegen Argentinien. Napolis Maradona gegen den Gastgeber Italien, und dies in Neapel. Niemand schaut auf die Uhr.

Ein Schiedsrichter in Trance – und keiner merkts

Schiedsrichter Michel Vautrot schaut auf die Uhr, aber er merkt nicht, dass sie stillsteht. Der Franzose ist zu dieser Zeit der vielleicht beste seines Fachs und wurde deshalb nicht für den Final, sondern für diesen brisanten Halbfinal aufgeboten. Er ist wie in Trance, völlig absorbiert vom Spiel und den 60’000 Zuschauern im Stadion San Paolo. Er sieht und merkt nicht, dass sein Linienrichter Peter Mikkelsen verzweifelt ständig Zeichen geben will und mit dem Zeigefinger auf seine Uhr tippt. Michel Vautrot lebt sein eigenes Spiel. Irgendwann pfeift er ab, viel zu spät.

Phänomenal war, dass diese unendlich anmutende Überzeit in ganz Italien von niemandem bemerkt wurde, weder von den Zuschauern noch von den Journalisten und schon gar nicht vom Schiedsrichterinspektor. Und zum Glück für Michel Vautrot passiert in dieser Phantomphase nichts, kein Tor, kein umstrittener Entscheid, keine turbulente Szene. In der Garderobe merkt er, dass er auf seiner Uhr die Stopptaste gedrückt und nicht wieder gelöst hat.

Das Spiel endete nach Toren von Toto Schillaci und Claudio Caniggia 1:1, Argentinien gewann das Elfmeterschiessen. Und Michel Vautrot blieb der Tiefpunkt seiner glanzvollen Karriere als Schiedsrichter erspart. Ein Tiefpunkt, der sein Geheimnis blieb.

Der Fussball-Ramadan am Dienstag schmerzt

Guido Tognoni am Dienstag den 19. Februar 2019
Nachspielzeit

Fand nicht statt im Free-TV: Champions-League-Spiel zwischen Manchester United und Paris Saint-Germain vom 12. Februar 2019. Foto: Dave Thompson (Keystone)

Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender der FC Bayern AG und der European Club Association, forderte vor einigen Tagen für den europäischen Fussball ausnahmsweise nicht mehr Geld, sondern mehr Spiele im freien Fernsehen, das heisst Spiele ohne extra Bezahlung. Genauer gesagt: Spiele für jeden.

Wenn Rummenigge so etwas fordert, kann das nichts anderes heissen, als dass die Schraube festgedreht beziehungsweise die Zitrone ausgequetscht ist, und dass der europäische Clubfussball einen Scheitelpunkt erreicht hat. Anders ausgedrückt: Die Zuschauerzahlen an den Bildschirmen steigen nicht mehr oder gehen gar zurück, das Fussballvolk mag nicht mehr zahlen. Und wenn das Volk nicht mehr zahlt und deshalb auch nicht mehr schaut, werden die Sponsoren mürrisch. Sie mögen nicht ständig mehr Millionen um Millionen für schwindende Zuschauerzahlen abliefern.

Das Schlimmste für die Uefa, die Clubs und die Sponsoren tritt ein, wenn die Zuschauer merken, dass sie einen Dienstag auch ohne Manchester United – Paris SG depressionsfrei überleben und sich mit dem Mittwoch zufriedengeben.

Rummenigge: Vom Buhmann zum Verbündeten

In der Schweiz ist das wohl bereits eingetreten, auch wenn das kleine Land auf den grossen Fernsehmarkt bezogen nur eine marginale Rolle spielt. Jahrelang waren wir eine Insel der Glückseligen, die alle Spiele frei ins Haus geliefert bekam, oft mit einer zusätzlichen Auswahl beim Westschweizer oder Tessiner Fernsehen. In diesem Jahr ist alles anders. Zuerst die grosse Verwirrung darüber, was wann wo gezeigt wird. Dann die Ernüchterung, dass man an Dienstagen den ganzen Abend durch alle 150 Sender durchzappen kann, ohne auch nur ein einziges Spiel zu finden.

Selbst wenn man verzweifelt bei DAZN, dem Streaming-Dienst via Computer, notfallmässig die Kreditkarte belastet, ist nicht das zu sehen, was man sich wünscht. Und die Spiele im Schweizer Fernsehen erst nach Mitternacht und bei längst bekannten Ergebnissen über sich ergehen zu lassen, ist für den fleissigen Teil der Bevölkerung auch nicht zumutbar.

Die banale Lösung heisst folglich Fussball-Ramadan an Dienstagen und Manchester United – Paris Saint-Germain erst am Mittwoch aus der Zeitung statt live von Ruefer, Salzgeber und Knäbel. Und siehe da: Man kann einen solchen Dienstag überleben, nicht ganz schmerzfrei zwar, aber man überlebt. Das erste heroische Leiden nach der masochistisch anmutenden Zahlungsverweigerung weicht einer leichten, aber doch spürbaren Euphorie, weil man diszipliniert der Versuchung widerstanden hat, für Teleclub, Kilchsperger und Reif extra zu bezahlen, so attraktiv das Spiel gewesen wäre.

Und plötzlich ist Karl-Heinz Rummenigge mit der Forderung nach mehr Fussball ohne Bezahlung nicht mehr der frühere Geldsack, der immer mehr wollte, sondern ein Verbündeter, der offenbar selber gemerkt hat, dass sich die Fans nicht grenzenlos melken lassen. Es ist kein schlechtes Gefühl, ein kleiner Fussball-Rebell zu sein.

Allerdings: Die Trauer, Liverpool – Bayern nicht zu sehen, geht, ehrlich gesagt, doch tiefer. Schauen wir mal, was nächste Saison wird.

Ramon Vega hat null Chancen

Guido Tognoni am Dienstag den 5. Februar 2019

Fifa-Präsident sein ist nicht schwer, Fifa-Präsident werden hingegen sehr: Ramon Vega Ende 2016 in Manchester. Foto: Barrington Coombs (Getty Images)

Der frühere GC-Fussballer Ramon Vega hat nach seinem Wegzug aus Zürich in Italien, England und Schottland eine ansehnliche Karriere als Fussballer hingelegt. Nun will der 47-jährige ehemalige Verteidiger, Nicht-Walliser, sondern Solothurner aus Olten, Fifa-Präsident werden.

Kann er das? Gewiss, er könnte das. Fifa-Präsident sein ist keine Hexerei. Fifa-Präsident werden hingegen ist einiges schwieriger. Seit 1974 der Brasilianer João Havelange beim Fifa-Kongress in Frankfurt die afrikanischen Delegierten mit besonderer Sorgfalt behandeln liess und den Engländer Stanley Rous ablöste, wurde nie mehr ein amtierender Präsident, dessen Amtszeit faktisch aus vier Jahren Wahlkampagne besteht, abgewählt. Ramon Vega hat null Chancen.

Schwierig, sehr schwierig, extrem schwierig

Abgesehen davon drängt sich die Frage auf, ob der wagemutige Oltner die Fifa-Statuten gelesen hat. Darin steht nämlich, dass ein Kandidat für das Amt des Präsidenten in den letzten fünf Jahren vor der Kandidatur zwei Jahre in irgendeiner Form dem Fussball gedient haben muss. Um dieses Kriterium zu erfüllen, brauchte Vega, so sympathisch eine Jux-Kandidatur für die Belebung des Fifa-Kongresses vom 5. und 6. Juni in Paris sein mag, ausserordentlich viel Fantasie.

Zudem muss Vega fünf Verbände finden, die in schriftlicher Form seine Kandidatur unterstützen. Fünf Verbände also, die für einen nur in der Schweiz bekannten Kandidaten den Zorn des amtierenden Fifa-Präsidenten Gianni Infantino auf sich ziehen sollen. Schwierig, sehr schwierig, extrem schwierig.

Wenn die 211 Verbände der Fifa nicht selber auf die Idee kommen, einen Gegenkandidaten zu suchen, heisst das nichts anderes, als dass diese Verbände entweder mit Infantino einigermassen zufrieden sind oder schlicht nicht den Mut haben, sich gegen den Walliser zu stellen. Zudem ist es dem grössten Teil der Verbandsdelegierten völlig egal, wer am Kongress die übliche Sonntagspredigt über den Wert des Fussballs, Harmonie, Transparenz und Demokratie in der Fifa hält, solange die Kasse stimmt.

Mit leeren Taschen gegen Infantino

Der Verbandspräsident von Burkina Faso, der Cayman-Inseln oder des amerikanischen Militärstützpunkts Guam hat zwar das gleiche Stimmrecht wie der Vorsitzende des Deutschen Fussball-Bunds, setzt aber andere Prioritäten, als sich um die Qualität seines Sports Sorgen zu machen. Gianni Infantino hat zudem seine Wahlversprechen erfüllt: Es gibt für die Verbände mehr Geld und spätestens bei der Endrunde 2026 in Nordamerika 50 Prozent mehr Startplätze. Anderes zählt nicht.

Woher soll der Anreiz kommen, einen mit leeren Taschen kandidierenden Ramon Vega an Gianni Infantinos statt zu wählen? Zumindest für das Weltparlament des Fussballs gibt es keinen.

Die ständigen Hoffnungen aus der Ferne

Guido Tognoni am Donnerstag den 31. Januar 2019

Es ist noch kein Meister auf den Rasen gefallen: Letzikids-Camp des FC Blue Stars und des FC Zürich. (Foto: Keystone/Gaetan Bally)

Das Zürcher Fussballpublikum sollte sich – so ist zu hoffen – in der Rückrunde an neue und junge Spieler gewöhnen: Aly Mallé (Grasshopper), Salah Aziz Binous, Leven Kharaladze und Nicolàs Andereggen (alle FCZ) heissen die Hoffnungsträger, von denen nur Nicolás Andereggen vom Namen her an Nachfahren der Schlacht am Morgarten erinnert. Aber auch er kommt aus fernen Landen, nämlich aus Argentinien. Alle diese Spieler sind 18, 19 oder 20 Jahre alt. Die beiden Zürcher Clubs machen nur das, was von Bayern München bis Liverpool alle Vereine tun: Sie schürfen im Ausland nach Rohdiamanten. Solche sind bekanntlich selten, und ob ein Spieler vom Rohzustand zum Schmuckstück geschliffen werden kann, bleibt offen. Die Ausfallquote, gleichbedeutend mit zerstörten Hoffnungen von jugendlichen Spielern, die Nachfolge Messis und Ronaldos antreten zu können, ist sehr gross.

Wenn man sich die Namen der neuen Spieler von GC und des FCZ vor Augen hält, drängen sich zwei Fragen auf: Ist das Reservoir an förderungswürdigen Nachwuchstalenten, die aus dem Balkan stammen, in der Schweiz zu Fussballern ausgebildet worden sind und unseren Fussball immer noch prägen, am Versiegen? Wenn ja, würde das heissen, dass der Heisshunger auf Fussball bei der neuen, in der Schweiz aufgewachsenen Generation bereits gestillt ist? Anders gefragt: Hat unser Wohlstand die jungen Sportler aus dem Balkan bereits ebenso geprägt wie die ursprünglichen Schweizer?

Zu wenig Geduld mit dem eigenen Nachwuchs?

Es ist ein seltsames und bemerkenswertes Phänomen, wie sehr im Clubfussball die Mannschaften von ausländischen Spielern geprägt werden. Wenn etwa die Grasshopper keinen Schweizer Namen in der Startelf aufführen, stehen sie und andere Schweizer Clubs beileibe nicht allein da. Legendär sind die Aufstellungen von Arsène Wenger bei Arsenal, in denen sich oft kein britischer Spieler befand. Aber auch etwa bei Borussia Dortmund sind die Schulzes und Kunzes mittlerweile fast seltener als die Schweizer Namen. Und wie viele eigene Spieler bringt Bayern München aus der aufwendigen und als vorbildlich bezeichneten Nachwuchsbewegung in die erste Mannschaft hervor? Sie sind über Jahre hinweg an einer Hand abzuzählen. Stattdessen kaufen auch die Bayern für Millionen Jugendliche aus dem Ausland.

Die Debatte, ob sich eine Nachwuchsabteilung lohnt (sie lohnt sich rein kaufmännisch nicht), ist nutzlos. Allein als Fabrik der Träume für die Jugend hat die Nachwuchsarbeit eines jeden noch so kleinen Clubs eine wichtige soziale Aufgabe, ganz abgesehen von den sportlichen Ergebnissen. Der Unterschied zwischen Nachwuchsspielern aus den eigenen Reihen und zugekauften vermeintlichen oder echten Talenten besteht vor allem in der Geduld. Wenn die Jungen aus dem eigenen Nachwuchs auf gleich viel Geduld und Nachsicht zählen könnten, wie die Clubs mit eingekauften Spielern üben, wäre die Erfolgsquote grösser. Nicolás Andereggen ist Mittelstürmer, 19 Jahre alt und bringt statistische Werte mit vielen Nullen in die Schweiz mit. In einigen Monaten werden wir die Frage beantworten können, ob Willi Huber aus Schwamendingen, Benjamin Meier aus Wiedikon oder Peter Rüdisühli aus Affoltern die gleiche Chance wie der zugekaufte Hoffnungsträger aus San Jeronimo Norte verdient hätten.

Maurer und Infantino: Verliebt in Saudiarabien

Guido Tognoni am Donnerstag den 24. Januar 2019

Ueli Maurer begrüsst Saudiarabiens Botschafter Hisham Alqahtani beim Neujahrsempfang. (Foto: Keystone/Alessandro della Valle)

Weiss unser Bundespräsident Ueli Maurer eigentlich, was in Saudiarabien abgeht? Ist ihm bewusst, dass im November 2017 ein wichtiger Teil der saudischen Wirtschaftselite im Hotel Ritz in Riad eingesperrt wurde, dass es in diesem vornehmen Hotel Folterungen gab und dass den Eingesperrten die Freiheit mit Enteignungen und Geldzahlungen abgepresst wurde? Will Ueli Maurer das alles überhaupt wissen? Für den Auftragsmord am oppositionellen Journalisten Jamal Khashoggi in der saudischen Botschaft in Ankara hat Maurer, prominentes Mitglied der SVP, die sonst ihre freiheitlichen Werte überall und lautstark propagiert, jedenfalls die Absolution erteilt. Und für die Unterzeichnung des Vertrags über den gegenseitigen Informationsaustausch in Steuerfragen konnte es Ueli Maurer nicht schnell genug gehen, um nach Riad zu pilgern, obwohl der Austausch nicht gegenseitig, sondern nur einseitig vonstattengehen wird – von Bern nach Riad.

Fussballpiraterie mit lahmen Konsequenzen

Infantino und Saudiarabiens Kronprinz Muhammad an der WM 2018. (Fotos: Keystone)

Aber lassen wir die hohe Politik. Saudiarabien gebärdet sich nicht nur gegenüber Oppositionellen höchst unkonventionell. Seit Monaten stiehlt der TV-Sender mit dem demonstrativ provokativen Namen beoutQ (halte dich von Qatar fern) der Konkurrenz aus Katar, BeIn (sei dabei), das elektronische Satellitensignal und sendet Fussball (und auch Unterhaltungssendungen von anderen Rechtehaltern), ohne dafür zu bezahlen. Die Fifa hat untätig zugeschaut, wie die Saudis den von Saudiarabien neidvoll gehassten Katarern die hoch bezahlten Rechte für die WM-Endrunde in Moskau gestohlen haben.

Hat die Piraterie lange geduldet: Fifa-Präsident Infantino.

Erst dieser Tage konnte sich die Fifa dazu aufraffen, zusammen mit der Uefa, der englischen Premier League und der Bundesliga offen gegen diese Piraterie Stellung zu beziehen. Ob das damit zusammenhängt, dass Fifa-Präsident Gianni Infantino – zurzeit genauso verliebt in die Saudis wie Ueli Maurer – seinen kühnen Plan des Rechteverkaufs der Fifa an eine Investorengruppe mit saudischer Beteiligung ohne Kollateralschaden nicht realisieren können wird, bleibe dahingestellt.

Wo bleibt die Macht des Fussballs?

Die rein verbalen Verurteilungen dürften die Saudis nicht beeindrucken. Sie fühlen sich stark und sicher. Dabei hätte es die Fifa längst in der Hand gehabt, dem Rechtediebstahl ein Ende zu setzen. Eine simple Massnahme, die bei weniger einflussreichen Verbänden reichlich angewandt wird, hätte ausgereicht: die Androhung eines Ausschlusses aus der Fifa.

Dieser Schritt wäre einfach und für alle ohne juristische Akrobatik verständlich. Und er wäre wirksam. Das wäre ein sinnvoller Einsatz der viel zitierten Macht des Fussballs. Bis heute sind Faszination und Einfluss des saudischen Geldes wichtiger als der Schutz der Rechteerwerber, welche die Fussballfunktionäre reich machen.

Die EU, das Foul und das weiche Recht

Guido Tognoni am Freitag den 18. Januar 2019

Foul oder Ausgleichsmassnahme? EU-Kommissionspräsident Juncker drückt Bundesrätin Sommaruga einen Kuss auf. Foto: Olivier Hoslet (Keystone)

Die Schweiz ermüdet unter der Diskussion um das Rahmenabkommen mit der EU und um den UNO-Migrationspakt, dem auch noch der Flüchtlingspakt folgt. Im Streit der Experten und Politiker geht es um Kampfbegriffe, Deutungen, Verschleierungen, Worthülsen und seltsame Interpretationen von an sich klaren Begriffen. Zum Glück gibt es den Fussball, der uns die Möglichkeit bietet, das Palaver etwas zu ordnen.

Beginnen wir mit der Ausgleichsmassnahme. Die Befürworter des Rahmenabkommens verschleiern den Begriff Strafe für unbotmässiges, das heisst nicht EU-konformes Verhalten mit dem Begriff Ausgleichsmassnahme. Im Fussball gibt es für ein Foul einen Freistoss, einen Elfmeter, eine Verwarnung oder einen Ausschluss. In der Politikersprache nennt man solche Strafaktionen, von denen die Schweiz betroffen würde, Ausgleichsmassnahmen. Klingt wunderbar sanft, wird aber im Anwendungsfall schmerzliche Erfahrungen nach sich ziehen.

Etwas härter als Ausgleichsmassnahme tönt und ist der Begriff Retorsionsmassnahme. Im Fussball müsste man nicht gleich von einer Tätlichkeit, aber sicher von einem Revanchefoul sprechen, und jeder wüsste, was damit gemeint ist. Im Sport würde auch der seltsame Begriff Kohäsionsmilliarde, welche die Schweiz zähneknirschend der EU zahlen muss, praxisnah gedeutet. Im Fussball würde man eine solche Zahlung notfalls als Geschenk oder Motivation verbuchen.

Und nun zu den Pakten, etwa dem Migrationspakt: Bis vor kurzem war ein Pakt ein Vertrag. Den Begriff haben die alten Römer mit dem eisernen Grundsatz «pacta sunt servanda» – Verträge sind einzuhalten – geprägt. Da heute das Einhalten von Verträgen vielerorts Mühe bereitet oder die Verträge als solche abgelehnt werden, gehen die Deutungen über den Begriff Pakt plötzlich weit auseinander. Jene, die etwa den Migrationspakt wollen, sagen, er müsse gar nicht eingehalten werden. Jene, die den Pakt nicht wollen, sagen, eine Verpflichtung sei nun einmal eine Verpflichtung und der Pakt eben ein Vertrag. Fussballpräsidenten, die ihren Trainer oder einen Mittelstürmer mit Torstau loswerden möchten, würden sich bestimmt gerne an jene Politiker und Juristen anlehnen, die das Wort Pakt als Spassbegriff auffassen.

Und dann kommt noch das «soft law» ins Spiel, also das weiche Recht, das im Geschnatter um die Pakte neuerdings immer wieder auftaucht. Die Römer würden sich in ihren Gräbern umdrehen, wenn ihnen ein moderner Professor zu erklären versuchte, es gebe nicht nur Recht, sondern auch weiches Recht. Das Gegenteil zum weichen Recht müsste ja das harte Recht sein, und somit ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch – wie beim Käse – das halbharte Recht erfunden wird. Damit sind wir an jenem Punkt angelangt, an dem der Fussball der Politik bestens erklären kann, was weiches Recht ist: Es ist das Ermessen des Schiedsrichters, ein Foul als ein Foul zu erkennen oder auch nicht. Anders ausgedrückt: Weiches Recht ist Ansichtssache. Geeignet für den Fussball, aber untauglich für die Rechtssicherheit.

900 Franken fürs Einlaufen mit den Stars

Guido Tognoni am Montag den 7. Januar 2019
Nachspielzeit

Ein teures Geschenk: Kinder mit Spielern von Tottenham Hotspur und West Ham United vor einem Match im Januar 2018. Foto: Getty Images

Es sieht niedlich aus, wenn Knaben und Mädchen Hand in Hand mit den Fussballstars unserer Zeit auf den Rasen laufen. Es ist auch wirklich ein sympathischer Akt, dass vor dem Anpfiff Kinder die Gelegenheit erhalten, direkten Kontakt mit dem grossen Fussball zu erhalten. Man kann leicht darüber hinwegsehen, dass es sich bei diesem mittlerweile zur guten Gewohnheit gewordenen gemeinsamen Betreten des Rasens auch um eine wohldosierte Werbeaktion der Ausrüster handelt. Das einmalige Erlebnis der Kinder soll über kritischen Hintergedanken stehen.

Das britische Staatsfernsehen BBC hat mit einer Recherche nun allerdings die Idylle zerstört: 11 von 20 Mannschaften verlangen für dieses Einlaufen gewissermassen Kindergeld. Everton vor West Ham und Leicester lautet die unrühmliche Tabellenspitze, wobei Everton für den Einmarsch auf Kinderbeinen 718 Pfund –  rund 900 Franken – verlangt. Dieses Geld soll für einen wohltätigen Zweck verwendet werden. Dass ein Erinnerungsfoto, eine Eintrittskarte, ein Autogramm und die Fussballausrüstung dazugehören, macht die Sache nicht besser, zumal Hose, Hemd und Schuhe ohnehin vom Ausrüster zur Verfügung gestellt werden.

Swansea hat nach dem Abstieg das Kindergeld reduziert, würde aber in der Premier League immer noch zur unrühmlichen Spitze zählen. West Ham liess sich zudem einfallen, dass der Preis bei Spielen gegen die besten sechs der Rangliste erhöht wird. Gibt es noch mehr Raffgier?

Zur kleinen Ehrenrettung des Fussballs muss immerhin erwähnt werden, dass die beiden Topvereine aus Manchester sowie Arsenal, Chelsea und Liverpool auf dieses hässliche Sondergeld verzichten. Das tun auch Fulham, Huddersfield, Newcastle und Southampton.