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Autorenarchiv

Fischer, ein Gewinner in Basels Krise

Thomas Schifferle am Donnerstag den 21. September 2017

Urs Fischer verabschiedet sich von den Fans (2. Juni 2017). Foto: Georgios Kefalas (Keystone)

Bernhard Heusler sass diesen Sommer in einem Restaurant am Barfüsserplatz. Genau an dem Ort, an dem er in den letzten Jahren so viel zu feiern hatte – als er noch Präsident des FC Basel war. An diesem Abend im Juni war er nur noch der Ex-Präsident, entspannt und in kurzen Hosen sass er da, als ein Fan auf ihn zukam und sagte: «Du bist nicht blabla! Du bist Bravo!».

Heusler nahm das Lob, er sei kein Schwätzer, sondern ein Grosser, dankend entgegen. Ob er dabei aus Verlegenheit leicht rot wurde, war nicht zu erkennen. Dafür war er zu sonnengebräunt.

Drei Monate sind seither vergangen, Heusler hat jetzt, zusammen mit seinen alten Basler Mitstreitern Georg Heitz und Stephan Werthmüller, eine Beratungsagentur gegründet. Er hilft zudem den Volleyballerinnen von Sm’Aesch Pfeffingen als Verwaltungsrat und Aktionär.

Der Erfolg sei keine Selbstverständlichkeit und kein Selbstläufer, hatte Heusler stets betont, als er noch den FCB von Titel zu Titel leitete. Seine Nachfolger haben in wenigen Wochen schon den Beweis angetreten, wie recht Heusler hatte. Sie haben den FCB direkt in die Krise geführt.

Alles sollte besser werden

Dabei sollte alles wieder besser werden beim FCB, versprachen die Neuen, angeführt von Bernhard Burgener als Präsident und Marco Streller als Sportchef. Besser im Sinn von: Der FCB sollte nicht mehr nur einfach gewinnen, er sollte auch wieder Spektakel bieten für ein zunehmend verwöhntes Publikum. Der Präsident verkündete, sich an Bayern München zu orientieren. Der Sportchef, ein Lehrling im Amt wie sein Präsident, redete von einem jüngeren Basel mit mehr Baslern. Zusammen plauderten sie von ganz viel Rot-Blau.

Zuerst wurde darum der alte Trainer weggeschickt. Der Zürcher Urs Fischer war ihnen zu wenig unterhaltend, zu nüchtern in seiner Arbeit. Fischer hatte mit der Mannschaft in seinen zwei Basler Jahren während 71 von 72 Runden die Rangliste angeführt.

Und jetzt? Steht sein Nachfolger Raphael Wicky hilflos an der Linie und ist schon zufrieden, wenn sein FCB in der Champions League bei Manchester United nicht auseinanderfällt und nur 0:3 verliert. Fischer wäre im gleichen Fall heftigst kritisiert worden. Der frühere Trainer und heutige Teleclub-Experte Rolf Fringer sagt, Wicky habe die mit Abstand schlechteste Mannschaft zur Verfügung, die der FCB seit Jahren gehabt habe. Fischer hatte auch keine überragende Auswahl an Spielern zur Hand. Er führte sie trotzdem einmal mit 14 und dann mit 17 Punkten Vorsprung zum Titel. Fischer ist ein Gewinner in der Krise. Vielleicht lernen sie in Basel mit Abstand schätzen, was er geleistet hat.

Die Tore fehlen

Marc Janko und Seydou Doumbia sind andere Gewinner, beide im Sommer vom Hof gejagt, weil zu alt und zu teuer. Die Jungen sollten es fortan im Sturm richten. Streller erklärte Dimitri Oberlin gleich zum Juwel europäischen Ranges. Als Anfänger unterlaufen einem solche Fehler gern einmal. Die vielen Tore von Janko und Doumbia fehlen spürbar.

Matias Delgado wird als Captain vermisst, seit er, quasi über Nacht, den Verein informierte, er habe die Kraft nicht mehr, um Fussball zu spielen. Wenige Wochen vorher hatte er noch gesagt, wie ihm jeder Tag im Fussball Freude bereite. Hat er gespürt, dass es mit diesem neuen FCB nicht gut kommt, und ist darum gegangen?

Heusler war als Präsident zu spüren, Burgener ist es nicht. Dafür hat er mit Jean-Paul Brigger einen CEO geholt, von dem man nicht weiss, ob er schon angefangen hat oder schon wieder weg ist. Im Überschwang seiner Verpflichtung war ganz viel die Rede von seiner Arbeit bei der Fifa. Aber kein Wort verlor der Verein über Briggers zwölf Monate bei GC bis Ende 2004. Falls es Burgener nicht weiss: In Zürich war Brigger als Sportchef komplett durchgefallen.

Die Rangliste der Sportchefs: Heitz ist der Beste

Thomas Schifferle am Mittwoch den 11. November 2015
Nachspielzeit

Die Top 3 der Super-League-Sportchefs: Georg Heitz (Mitte), Andres Gerber (links), Manuel Huber. Fotos: Keystone

1. Georg Heitz (Basel)
Es ist ja gut möglich, dass er das, was er kann, in seiner Zeit als Journalist gelernt hat. Das spricht für ihn und seinen früheren Berufsstand. Heitz ist lange unterschätzt worden, weil ihm Gigi Oeri nur den Titel eines Sportkoordinators zubilligte. Und weil der heutige Präsident und Mehrheitsaktionär Bernhard Heusler viel vom Ruhm für die Endlosserie an Erfolgen abbekommen hat. Aber Heitz ist ein cleverer Kenner der Szene, guter Beobachter und mit einer Auffassungsgabe ausgerüstet, die so schnell ist wie sein Finger, mit dem er Anrufe entgegennimmt.

2. Andres Gerber (Thun)
Wer mit Thun nie Gefahr läuft, in Abstiegsgefahr zu kommen, wer mit Thun in die Europa League kommt, wer für Thun Spieler wie Luca Zuffi verpflichtet, die später Stammspieler in Basel werden, wer für Thun einen Trainer wie Urs Fischer holt, der als Zürcher perfekt ins Berner Oberland passt, wer sich nicht scheut, auch zur missglückten Wahl mit Ciriaco Sforza zu stehen, wer mit Thun all den finanziellen Problemen trotzt – der hat sich in der Rangliste der Sportchefs Platz 2 verdient. Bei Gerber fragt sich nur eines: Wie gut wäre er an einem Ort, wo es weit weniger beschaulich zu und her geht als in Thun?

3. Manuel Huber (GC)
Er ist in der Not Sportchef geworden, weil die Vereinsführung im Mai überraschend zur Einsicht gelangt war, mit Axel Thoma gebe es kein Weiterkommen. Huber, eigentlich der Geschäftsführer, darf mit seinem Namen für einen überragenden Entscheid stehen, für den besten überhaupt, den ein Super-League-Club diesen Sommer getätigt hat: die Verpflichtung von Kim Källström. Zudem hat er Munas Dabbur den Wunsch eines Wechsels nach Palermo ausgeredet und ihm klargemacht, dass er nur für einen bestimmten (Millionen-)Betrag weiterziehen darf. Allerdings profitiert er auch von einer Personalie, die noch sein in Ungnade gefallener Vorgänger zu verantworten hatte. Dank Thoma kann Pierluigi Tami als Trainer beweisen, dass er mehr kann, als nur die Schweizer U-21 zu betreuen.

4. Fredy Bickel (YB)
Mit dem FCZ Meister 2006, 2007 und 2009, Cupsieger 2005, Champions-League-Teilnehmer 2009. Und mit YB? Da ist er verantwortlich dafür, dass der Verein noch immer als Wohlfühloase wahrgenommen wird. Natürlich versteht Bickel sein Handwerk, dafür ist er auch schon lange genug dabei, und er profitiert bei seiner Wahrnehmung davon, ein geschickter Verkäufer seiner selbst zu sein. Nur weiss keiner besser als er, dass er bei der Finanzkraft der Gelb-Schwarzen irgendwann einen Titel präsentieren muss. Irgendwann wird nicht mehr diese Saison sein, aber 2017 muss das spätestens der Fall sein.

5. Giorgio Contini (Vaduz)
Gemach, gemach, natürlich trägt jetzt Bernt Haas den Titel Sportchef spazieren. Aber das tut er erst seit ein paar Tagen. Und darum ist das, wofür Vaduz steht, das Werk von Giorgio Contini. Ohne Mittel hat er sich eine Mannschaft zusammengestellt, die sich in der Super League ganz ansehnlich schlägt – und die vor allem ganz ansehnlichen Fussball spielt.

6. Christian Constantin (Sion)
Er macht gute Transfers, keine Frage. Dafür stehen Konaté, Assifuah, Lacroix, Vanins oder Salatic. Nur lässt sich auch sagen, wer so viel Personalumsatz macht wie Constantin, der kann sich gar nicht davor retten, zwischendurch einen guten Griff zu tun. Ohne den Besitzer-Präsidenten-Mäzen-Sportchef Constantin wäre Sion nicht das, was es ist: ein Verein mit Potenzial, der sich aber immer wieder selber im Weg steht.

7. Angelo Renzetti (Lugano)
Er ist die Tessiner Ausgabe von Constantin. Mit Zdenek Zeman ist ihm ein Coup gelungen, und wenn Zeman den Aufsteiger zum Ligaerhalt führt, darf Renzetti in dieser Rangliste getrost zwei Positionen vorrücken.

8. Rolf Fringer (Luzern)
Viel hat der frühere Trainer, der auf einmal seine Berufung als Sportchef entdeckt hat, bislang nicht bewiesen. Den besten Zuzug der letzten Zeit hat sein Vorgänger Alex Frei getätigt. Das ist die Verpflichtung von Markus Babbel als Trainer. Die Frage ist nun, ob Fringer über die Saison hinaus mit Babbel arbeiten will. In Luzern, einem Ort, der traditionell anfällig ist für Gerüchte, heisst es schon, er denke an Uli Forte.

9. Christian Stübi (St. Gallen)
Zugegeben, die Klassierung ist nicht fair. Zu wenig lang ist Stübi als Nachfolger des ungeliebten Heinz Peischl im Amt, um derart schlecht eingestuft zu werden. Aber zum einen muss einer Neunter sein. Zum anderen ist Neunter besser als (abgeschlagener) Zehnter. Und kann Stübi ganz schnell vorrücken, wenn sich die Verpflichtung von Trainer Josef Zinnbauer zum Glücksgriff entwickelt.

10. Ancillo Canepa (FCZ)
Ausser Trainer ist er alles: Präsident des Verwaltungsrates, Vorsitzender der Sportkommission, Mitglied der Marketingkommission, Vorsitzender von FCZ plus (was immer das genau ist), Mitglied der Finanzkommission, Mitglied der Gesamtleitung (was nun immer auch das ist), und damit es ihm nicht langweilig ist, steht er auch noch der Technischen Leitung vor, die zumindest gemäss Organigramm mit ihm allein besetzt ist. Der FCZ ist Canepas Werk, allenfalls noch das seiner Frau, die in sechs Kommissionen sitzt und vor allem das Geld gibt. Aber Canepa ist der, der für sich in Anspruch nimmt, den Fussball zu verstehen und sich darum einen Sportchef sparen zu können. Wie viel er davon versteht, zeigt sich in der Zusammensetzung des Kaders, den Leistungen auf dem Platz und der Platzierung in der Tabelle.

Flip-Flop-Walti for President

Thomas Schifferle am Donnerstag den 20. August 2015
Ein-Mann-Verteidigung: Mediendirektor Walter de Gregorio informiert nach der Verhaftung von hohen Fifa-Funktionären in Zürich, Ende Mai 2015. Foto: Urs Jaudas

Ein-Mann-Verteidigung: Mediendirektor Walter de Gregorio informiert nach der Verhaftung von hohen Fifa-Funktionären in Zürich, Ende Mai 2015. Foto: Urs Jaudas

Die Engländer haben so ihre Eigenheiten. Sie fahren mit ihren Autos auf der linken Seite, stehen Schlange, als wäre das eine Leidenschaft, verschwenden Millionen von Pfund für Fussballer, die alles sind, nur nicht Millionen von Pfund wert – und sie wetten ganz gerne auf alles, was ihnen so gerade in den Sinn kommt.

Um die Queen geht es dabei auch immer wieder, zum Beispiel um die Farbe ihre Kleider bei öffentlichen Auftritten. Oder gerne auch um weltbewegende Sachen wie ein Testspiel im Eishockey diese Woche zwischen Traktor Tscheljabinsk und Sibir Nowosibirsk. Oder es gab einmal einen Matthew Dumbrill aus London. Er wettete bei einer Quote von 1:1’000’000, dass die Welt vor dem Jahr 2000 untergeht. Nur eines erschloss sich dabei nicht: wie er seinen Gewinn abholen wollte, wenn er tatsächlich recht haben sollte.

Das Wetten ist ein Milliardengeschäft. Allein William Hill und Ladbrokes, zwei der grössten Anbieter für Sportwetten in Grossbritannien, setzen zusammen pro Jahr über 4 Milliarden Franken um. Dafür braucht es auch Pferde- und Hunderennen. Und eine Wahl des nächsten Fifa-Präsidenten.

62 Namen stehen derzeit bei insgesamt neun Anbietern auf der Liste, von P bis P, von Platini als grösstem Favoriten bis Putin als grösstem Aussenseiter mit einer Quote von 1:500, was bei einem Franken Einsatz einen Gewinn von 500 Franken ergibt. Putin wird es verschmerzen, dass er weit hinter Obama zurückliegt, der bei 1:150 steht. Ihre Erwähnung ist ohnehin nur mit englischem Humor zu erklären wie diejenige von Prinz William, Pelé oder Maradona.

Und dann findet sich da noch ein Name: Walter de Gregorio, der frühere Kommunikationsdirektor der Fifa. «Flip-Flop-Walti» hat ihn eine Boulevardzeitung genannt, als sie ihn diesen Sommer in kurzer Hose und in Sandalen auf dem Weg ins Kino am See erwischte.

De Gregorio wird mit einer Quote von 1:50 geführt, womit er immerhin in der Region des deutschen Verbandspräsidenten Wolfgang Niersbach liegt, der zugleich bei Uefa und Fifa im Exekutivkomitee sitzt. Jaja, sagt de Gregorio amüsiert, er nehme das zur Kenntnis und geniesse sonst das Leben ohne jegliche berufliche Verpflichtung. Das kann er wohl, weil er bis Ende Jahr auf der Lohnliste der Fifa steht.

Aber wieso eigentlich nicht er als Nachfolger von Sepp Blatter? Diverse Sprachen beherrscht er, Charme hat er, flirten kann er, gut schreiben und die Krawatte binden auch. Und irgendein einfallsloses Wahlprogramm bringt er auch noch zusammen, so wie es Platini und der Südkoreaner Chung in diesen Tagen wieder vormachen, wenn sie von Transparenz und Reformen und diesem ganzen Blabla reden.

Bislang ist keiner angetreten, der bei der Fifa nicht nur eine Reform plant, sondern eine Revolution. Der sagt, ich schaffe sie ab und erfinde sie neu; der aus einem Verein eine Aktiengesellschaft macht und einem aufgeblasenen Apparat die Luft rauslässt; der zuerst das Exekutivkomitee verkleinert und dann diese Kommissionen entschlackt, die in erster Linie viel Geld kosten, weil jeder der 209 Mitgliedsverbände das Anrecht auf einen Kommissionssitz hat.

Keiner hat bislang den Mut, ganz anders zu denken, weil er nur die Niederlage fürchtet. Wer weiss, vielleicht denkt «Flip-Flop-Walti» anders als Platini und Konsorten und tritt zur Wahl an. Risiko hätte er ohnehin nur eines zu tragen: dass er am Ende noch gewählt wird.

Und sie wollen Fans sein

Thomas Schifferle am Dienstag den 24. Februar 2015
Ein blutender Feyenoord-Anhänger wird am Nachmittag vor dem Roma-Spiel in der Nähe der Spanischen Treppe in Rom abgeführt. Foto: Yara Nardi (Reuters)

«Wilde Tiere, Kriminelle»: Ein Feyenoord-Anhänger wird am Nachmittag vor dem Roma-Spiel in der Nähe der Spanischen Treppe in Rom abgeführt. Foto: Yara Nardi (Reuters)

Es sollte eigentlich eine normale Fussballwoche im Februar sein. Was daraus wurde, ist beschämend.

  • Samstag, der 14.: In Mönchengladbach stürmen rund 30 Kölner Ultras den Platz, vermummt und in weisse Ganzkörperanzüge gekleidet. Gladbachs Sportdirektor Max Eberl vergleicht sie mit «wilden Tieren»; für den führenden CDU-Politiker Wolfgang Bosbach sind Typen, die Bengalos zünden und auf einen Platz rennen, «keine Fans, sondern Kriminelle». Der 1. FC Köln schliesst einen Fanclub namens Boyz umgehend aus.
  • Sonntag, der 15.: Luzerner Fans treiben einen Gesinnungsgenossen vor sich her, der sich als orthodoxer Jude verkleidet hat. Die jüdische Gemeinde ist entsetzt, der St. Galler Staatsanwalt Thomas Hansjakob erklärt den Vorfall erstaunlicherweise zum Fasnachtsscherz.
  • Dienstag, der 17.: Paris Saint-Germain und Chelsea bestreiten den ersten Achtelfinal in der Champions League. Nicht ihr 1:1 gibt danach tagelang zu reden, sondern ein kurzes Video aus der Metrostation Richelieu-Drouot: Eine kleinere Gruppe von Chelsea-Hooligans verweigert einem farbigen Franzosen den Zutritt zur Bahn und grölt: «Wir sind Rassisten, und so lieben wir es.» Ihnen drohen laut französischem Recht bis zu drei Jahre Gefängnis oder 50’000 Franken Busse. In einem Radiointerview behauptet ein Engländer, der dabei war: «Der Wagen war voll. Es war eine Art von Selbstverteidigung. Die Presse hat das alles nur aufgeblasen. Wie immer.»
  • Donnerstag, der 19.: Vor dem Europa-League-Spiel bei der AS Roma wütet der aus Rotterdam angereiste Feyenoord-Mob und hinterlässt eine Spur der Verwüstung. Auf 8 Millionen Euro wird der Sachschaden an Gebäuden, Denkmälern oder Autos geschätzt. 25 Hooligans haben Bussen von bis zu 45’000 Euro erhalten, einzelne sollen, so der «Corriere della Sera», den Betrag gleich bezahlt haben.
  • Samstag, der 21.: Die Polizei stoppt FCZ-Fans auf dem Weg zum Derby, weil sie wiederholt illegales Feuerwerk zündeten. Die Konfrontation ist heftig und dauert Stunden. Im Stadion übt die Südkurve den Protest und räumt ihre Plätze. Für die Vorfälle macht sie die Polizei verantwortlich. Es hätte auch überrascht, wenn sie eine klügere Version abgegeben hätte.

Eigentlich sollte es nur ums Spiel gehen. Diese eine Woche hat wieder einmal nur eine tiefe Fassungslosigkeit darüber hinterlassen, was Typen anrichten, die «wenig im Hirn» haben. Auch das sagt Gladbachs Eberl.

Die Vorfälle sind nicht zu vergleichen. Im Schlepptau von Chelsea und Feyenoord wüteten Hooligans, in Mönchengladbach und Zürich standen die Ultras im Mittelpunkt – die also, die vorgeben, das Fansein erfunden zu haben, die das Gefühl haben, der Fussball würde ohne sie nicht existieren, die sich wichtiger nehmen als das Spiel selbst.

In Hannover hat sich Präsident Martin Kind gegen einen Teil der Ultras zu Wehr gesetzt. Er nimmt damit in Kauf, dass sie deshalb nicht mehr zu den Spielen kommen und die Stimmung im Stadion weniger euphorisch ist. Er tut das, weil er ihre Gewaltexzesse nicht toleriert. In Köln ist das Stadion auch eine Woche nach dem Gladbacher Vorfall ausverkauft. Die Stimmung ist «angenehm», sagt Trainer Peter Stöger. Es muss ein Stich ins Herz der Ultras sein, die glauben, ohne sie sei auf den Tribünen nichts los.

Der «Kölner Stadt-Anzeiger» kommentiert:

«Entgegen anders lautender Beteuerung gewinnt der Fussball im Stadion, wenn das ununterbrochene Geschrei und der unabhängig vom Spielverlauf hochinszenierte Dauer-Support (kurz: «Stimmung») aus den Ultra-Ecken plötzlich fehlen. Das Spiel findet im Gegenteil zu sich selbst zurück. Wenn es langweilig wird auf dem Platz, verstummt es auf den Rängen; wenn es hitzig wird, reagiert das Publikum angemessen erregt und vor allem im Takt und in Entsprechung mit den Ereignissen auf dem Platz; wenn der Gegner drückt, werden die Nervosität und das Kribbeln der Leute im Stadion spürbar; und wenn ein Tor fällt, entlädt sich der Jubel authentisch und ohne die Vorgabe von Leuten, die – das darf man nicht vergessen – mit dem Rücken zum Spielfeld Sprechchöre, Klatschrhythmen und Lieder vorgeben und so ihren Irrtum zelebrieren, relevanter Teil des Ganzen zu sein. Wer aber vertritt die Interessen derer, denen das einfach nur auf die Nerven geht? Und die – das muss man sich mal vorstellen! – einfach nur ins Stadion gehen, um Fussball zu gucken?»

Genau aus diesem Grund stört es auch nicht, wenn im Letzigrund die Südkurve leer bleibt wie am Samstag beim Derby.

Roberto Di Matteo, der Angsthase

Thomas Schifferle am Donnerstag den 27. November 2014
Schalke-Trainer Di Matteo beim Champions-League-Gruppenspiel in Lissabon, 5. November 2014. Foto: Manuel de Almeida (Keystone)

Schalke-Trainer Di Matteo beim Champions-League-Gruppenspiel in Lissabon, 5. November 2014. Foto: Manuel de Almeida (Keystone)

Dass Eddy Achterberg und Ralf Zumdick hier erwähnt werden, hat nur mit den Anfangsbuchstaben ihrer Namen zu tun. Der eine steht deshalb eben ganz oben in der Liste mit den 371 Trainernamen, der andere ganz unten. Spuren haben sie sonst keine hinterlassen, seit 1963 die Fussball-Bundesliga gegründet wurde.

Das haben andere getan, der geniale Branko Zebec etwa, der Alkoholiker war und beim Hamburger SV mehrmals so betrunken auf die Bank sass, dass er zur zweiten Halbzeit in der Kabine bleiben musste. Oder der knorrige Hans Meyer, der einmal sagte: «Keiner liebt mich, da können Sie meine Frau fragen.» Oder der verkannte Berti Vogts, von dem die Einsicht stammte: «Wenn ich übers Wasser laufe, sagen meine Kritiker: Und schwimmen kann er auch nicht.»

Keiner hat Eloquenz, Entertainment und Erfolg (gut, im Moment ist es mit dem Erfolg in der Bundesliga so eine Sache) je so brillant vermischt wie Jürgen Klopp von Borussia Dortmund. Als Bester überhaupt gilt Ottmar Hitzfeld. Sein Leitspruch hiess: «Der Sieg ist zwar nicht alles, aber ohne Sieg ist alles nichts.»

Mit Armin Veh und Roberto Di Matteo verhält sich das anders. Vor allem wenn es um die Resultate geht. Veh hat am Montag in Stuttgart gleich selbst aufgegeben, weil es mit dem Siegen nicht so klappt und der VfB auf dem letzten Tabellenplatz liegt. Di Matteo wiederum hat bei Schalke 04 eine Mannschaft übernommen, die sich zuweilen schon vor Spielbeginn aufgegeben hat, wie am Dienstagabend beim 0:5 in der Champions League gegen Chelsea.

Ging, damit das Glück zurück zum VfB Stuttgart kommt: Armin Veh. Foto: Keystone

Armin Veh ging, damit das Glück zurück zum VfB Stuttgart findet. Foto: Keystone

Veh ist ein jovialer Typ und trocken sein Humor. «Das ist doch keine Beerdigung hier», sagte er am Montag, als er seinen Rücktritt bekannt gab. Er ging, weil er sich dafür verantwortlich machte, dass der Mannschaft das Glück fehlt. Und weil er das tat, verzichtete er auch darauf, sich eine Abfindung auszuhandeln. Dabei wäre sein bis 2016 laufender Vertrag noch rund 3 Millionen Euro wert gewesen. Wer ihn kennt, ihn, der schon als Spieler immer ein Künstler war und nie ein Kämpfer, den überrascht diese Art der Konsequenz kein bisschen.

Roberto di Matteo lässt bei Schalke 04 Angsthasenfussball spielen: Foto: Keystone

Roberto Di Matteo lässt bei Schalke 04 Angsthasenfussball spielen: Foto: Keystone

Di Matteo ist kein Veh. Im Gegensatz zu ihm hat er zwar schon die Champions League gewonnen, 2012 mit Chelsea, aber noch nie die Bundesliga. Und dienen seine ersten sieben Wochen als Beweis, kann ihm das mit diesem Schalke auf absehbare Zeit auch gar nicht gelingen. Schalke ist Chaos.

Der Italiener aus Schaffhausen wurde geholt, um das zu ändern. Zum Antritt erklärte er markig: «In einer Mannschaft kann es nur einen Chef geben, und der Chef bin ich.» Er liess Defensivfussball spielen, um für Stabilität zu sorgen. Und das Resultat ist ernüchternd: Trotz der Betonmischer-Mentalität des Kranführersohnes erhält Schalke mehr Tore als unter dem wenig geschätzten Vorgänger Jens Keller. Zwölf sind es allein in den drei Spielen in der Champions League.

Horst Heldt redete am Dienstag von «Angsthasenfussball». Und wenn er das sagt, ist das alarmierend. Als Sportvorstand ist er der Chef von Di Matteo.

Der VfB Stuttgart hat übrigens Huub Stevens zum Nachfolger von Veh gemacht. Das passt in diese Liga, wo die Leute aus den Chefetagen manchmal ziemlich einfach gestrickt denken. Stevens war schon Vehs Vorgänger. Auch von ihm stammt eine Weisheit: «Hinten muss die null stehen.» Vielleicht denkt Di Matteo einmal daran.

A. Canepa ist kein Yapi

Thomas Schifferle am Mittwoch den 12. November 2014
FUSSBALL, SUPER LEAGUE, SAISON 2014/15, FCZ, FC ZUERICH,

«Ich bin der FC Zürich»: Präsident Ancillo Canepa mangelt es nicht an Sendungsbewusstsein. Foto: Keystone

Es gibt im Schweizer Fussball Präsidenten, die führen in aller Ruhe und Souveränität. Wie Dölf Früh in St. Gallen. Sie tun es mit anhaltendem Erfolg, sportlich wie wirtschaftlich, mit so viel Erfolg gar, dass sie auf Kritik irgendwann mit einer Mischung aus Unverständnis und Empfindlichkeit reagieren. Wie Bernhard Heusler in Basel. Sie tun es, ohne dass man sie wirklich wahrnimmt, weil die Macht nicht bei ihnen liegt, sondern bei den Besitzern im Hintergrund. Wie Werner Müller bei den Young Boys in Bern. Sie tun es mit viel Einsatz, aber schaffen es nur, das geerbte Chaos zu verwalten. Wie Stephan Anliker bei GC.

Oder es gibt auch A. Canepa. Ein Blick aufs Organigramm des FC Zürich dient als Gedankenstütze, wer und was er zusammen mit seiner Frau H. Canepa ist. Verwaltungsrat: Präsident A. Canepa, Delegierte: H. Canepa. Sportkommission: A. Canepa (Vorsitz), H. Canepa. Marketingkommission: A. Canepa (Vorsitz), H. Canepa. FCZ plus: A. Canepa (Vorsitz), H. Canepa. Gesamtleitung: A. Canepa, H. Canepa. Technische Leitung: A. Canepa.

Ganz vollständig ist das Organigramm allerdings nicht. Zum einen fehlt die Antwort auf die Frage: Wann wird A. Canepa Trainer, damit er A. Canepa als Spieler einwechseln kann? Zum anderen fehlt ein bedeutender Hinweis: A. Canepa ist auch erster Fanbeauftragter seines Vereins.

Wer so viel ist wie A. Canepa, bei dem geraten manchmal gewisse Sachen durcheinander. Das zeigt sich beim Unglück von Gilles Yapi wieder einmal eindrücklich. A. Canepa poltert: «Ich lasse mir das nicht bieten.» Ja: ich. Als hätte er einen Totalschaden im Knie, nicht Yapi, als würde er leiden, nicht Yapi. Er will das Zivilgericht bemühen, obschon er das gar nicht kann, nur Yapi. Er poltert, als sässe er am Stammtisch und hätte nicht auch eine Verantwortung für den ganzen Fussball. Einen jungen Mann, Aaraus Sandro Wieser, der zweifellos Täter ist, aber kein Verbrecher, kriminalisiert er.

Die Reaktionen fallen entsprechend aus, auch und gerade im WWW. Canepa nehme sich zu wichtig, heisst es da unter anderem. A. Canepa hat Yapis Schicksal benutzt, um gegen einen 21-Jährigen zu hetzen. Mit seinen Äusserungen hat er den Fall über Massen emotionalisiert, fahrlässig, ohne jede Not. Er hätte Grösse zeigen können, indem er beruhigend eingewirkt hätte. Diese Chance hat sich ihm geboten. Er hat sie vergeben, wie der Stürmer, der den Ball neben das leere Tor schiesst. Gilles Yapi hat auf den Vorfall ohne jeglichen Groll reagiert. Er ist eben kein A. Canepa.

Übrigens, es gibt noch einen speziellen Typ Präsidenten. Der findet sich im Wallis, heisst Christian Constantin und herrscht über seinen Verein, den FC Sion, wie ein Sonnenkönig. Er hält sich für unantastbar und gibt das auch jedem zu verstehen. Er teilt aus, aber er steckt auch ein und leistet sich die Generosität, Interviews nicht gegenzulesen, weil er zu dem steht, was er sagt. Er hat so viel Charisma und Humor, dass er einem immer lieber ist als andere.

Wers noch nicht gesehen haben sollte: Das brutale Foul an Gilles Yapi:
Quelle: Youtube

Und so reagierte der aufgebrachte FCZ-Präsident A. Canepa:
Quelle: Youtube

Shaqiris falscher Stammplatz

Thomas Schifferle am Montag den 29. September 2014
Unfreiwillige Randfigur: Xerdhan Shaqiri an einem Fototermin mit dem FC Bayern im Juli 2013. Foto: Michaela Rehle (Reuters)

Pep Guardiolas «bester Einwechselspieler»: Xherdan Shaqiri an einem Fototermin mit dem FC Bayern München im Juli 2013. Foto: Michaela Rehle (Reuters)

Diese Woche gab es eine grosse Anzeige in einer grossen Zeitung Deutschlands. Sie zeigte Xherdan Shaqiri und Lionel Messi. Oder eher: Shaqiri neben Messi, 1,69 m neben 1,69 m, der talentierteste Schweizer neben dem Talentiertesten der Welt. Shaqiri durfte sich geehrt fühlen, «Fifa 15» bewerben zu dürfen, die neueste Version des Videospiels.

Sportlich dagegen gab es in den letzten Tagen von Shaqiri wenig zu sehen. Am Dienstag, als der FC Bayern München dem Überraschungsleader aus Paderborn beim 4:0 eine Lektion erteilte, sass er 90 Minuten lang auf der Bank. Und als am Samstag mit dem 1. FC Köln gleich noch der zweite Aufsteiger 2:0 besiegt wurde, musste er sich während 75 Minuten wieder mit seinem Stammplatz begnügen – auf der Ersatzbank.

Der talentierteste Schweizer neben dem Talentiertesten der Welt.

Der talentierteste Schweizer neben dem Talentiertesten der Welt. Foto: PD

Am 10. Oktober wird Shaqiri 23 Jahre alt – es ist der Tag nach dem zweiten Einsatz der Schweizer in der EM-Qualifikation, einem tückischen Spiel, weil sich in Maribor gegen Slowenien harter Widerstand ankündigt. Dass Shaqiri da spielen wird, steht ausser Frage. Zu wichtig ist er für die Nationalmannschaft.

Im Verein verhält sich das anders. Da darf er zwar die Nummer 11 tragen, erste Wahl ist er trotzdem nicht. In der Hierarchie der Spieler, die auf dem Flügel zum Einsatz kommen, muss er weit hinten anstehen: hinter Franck Ribéry, Arjen Robben, Mario Götze und Thomas Müller. Was sein Trainer Pep Guardiola schon über ihn gesagt hat, tönt schwärmerisch, ist in erster Linie aber verräterisch: «Xherdan Shaqiri ist der beste Einwechselspieler, den ich kenne.»

2012 hatte Shaqiri für rund 18 Millionen Franken als Lehrling vom FC Basel nach München gewechselt. Er wusste, er musste Geduld haben. Seine Bilanz nach dem ersten Jahr las sich hervorragend: In 38 Einsätzen von 1905 Minuten Dauer leistete er seinen Anteil am Triple mit Champions League, Meisterschaft und DFB-Pokal. Das zweite Jahr wurde zur Geduldsprobe: Wegen dreier Muskelverletzungen verpasste er 21 Spiele, es reichte noch zu 23 Einsätzen mit insgesamt 1037 Minuten. Wenigstens durfte er sich zum Trost den Gewinn des Doubles auf die Visitenkarte schreiben.

Leben in der Gegenwart

Im Sommer folgten die Spekulationen: Shaqiri zu Liverpool, zu Juventus, zu Inter, zu Atlético Madrid. Konkret war das Interesse des Liverpool FC, der 15 Millionen Pfund Ablöse bot. Das flachte ab, nachdem Shaqiri an der WM in den ersten beiden Spielen enttäuscht hatte. Seine herausragenden Leistungen beim 3:0 gegen Honduras und im Achtelfinal gegen Argentinien kamen zu spät, bestärkten aber seinen Arbeitgeber in München, Shaqiri unter keinen Umständen abzugeben. «Er bleibt, er ist unsere Zukunft», erklärte Sportdirektor Matthias Sammer. Darauf twitterte Shaqiri: «Ich lebe in der Gegenwart, nicht in der Zukunft.» Den Bayern gefiel diese Antwort angeblich nicht so gut.

Die Gegenwart liest sich so: 199 Minuten in den ersten sechs Runden der Bundesliga, verteilt auf vier Einsätze, 55 Minuten im Cup (in Münster), 0 in der Champions League (gegen Manchester City). 254 Minuten total, knapp 32 im Schnitt.

«Er ist Gott in seinem Heimatland», hat Guardiola über Shaqiri auch schon gesagt. Es zeigt zuerst einmal nur, dass er die Verhältnisse in der Schweiz nicht kennt. Und was es grundsätzlich wert ist, lässt sich aus einem anderen Zitat des Katalanen ableiten. Den schon wieder verletzten Verteidiger Holger Badstuber bezeichnete er einmal als «besten Spieler, den ich je hatte». Richtig gelesen: Badstuber, nicht Messi.

Staunen über den FC Bayern

Thomas Schifferle am Donnerstag den 28. August 2014

Toni Kroos wollte bei Bayern München mehr Geld verdienen, viel mehr. Das Doppelte sollte es ab dieser Saison mindestens schon sein, hiess es, also 8 statt 4 Millionen Euro. Denn Kroos glaubte, er gehöre in die Gehaltsklasse eines Götze, Schweinsteiger, Ribéry oder Lahm. Wobei die offenbar noch mehr verdienen, bis zu 12 Millionen.

Es geht hier nun nicht um die Diskussion, wie berechtigt solche Gehälter sind. Es geht um die Personalplanung der Bayern, die in diesen Tagen nicht so leicht nachvollziehbar ist. Kroos beschieden sie, dass sie seiner Forderung nicht nachkommen würden. Dabei lässt er sich mit gutem Willen als Spieler bezeichnen, den sie selbst ausgebildet haben. Als 16-Jähriger war er aus Rostock nach München gekommen.

Kroos spielte diesen Sommer in Brasilien eine hervorragende WM, abgesehen von seinem ziemlich missglückten Rückpass mit dem Kopf im Final gegen Argentinien, der beinahe zum 0:1 durch Gonzalo Higuaín führte. Der Mittelfeldspieler, gesegnet mit dem Auge und dem Fuss für den weiten Pass, kehrte als Weltmeister heim nach Deutschland, schaute kurz in München vorbei und flog gleich weiter nach Madrid, um da einen Vertrag bis 2020 zu unterschreiben. Denn da bekommt er, was er möchte, 6 Millionen Euro im Jahr, netto. Was in Deutschland 12 Millionen brutto entspricht.

Bayern tröstete sich mit den 30 Millionen Ablöse, die es von Real für Kroos erhielt. Aber Bayern hatte bald ein Problem. Javi Martínez zog sich beim Supercup gegen Dortmund einen Kreuzbandriss zu. Danach schien besonders für Trainer Pep Guardiola gleich alles auseinanderzubrechen. Martínez hatte er als Kopf der Dreierabwehr vorgesehen, die er neu einführen wollte. Ausgerechnet jenen Martínez, der letzte Saison noch nicht seinen Ansprüchen genügt hatte.

Jetzt auch noch Xabi Alonso

Betriebsamkeit kam auf an der Säbener Strasse, wo die Bayern ihren Hauptsitz unterhalten. Denn Martínez war nicht der einzige, der verletzt ausfiel, das galt auch für Thiago und Bastian Schweinsteiger, zwei Spieler für die Position, die heute Sechser-Position genannt wird oder Doppelsechs.

Aber zuerst brauchte Guardiola Ersatz für Martínez. Er hat ihn bekommen, in Mehdi Benatia, einem Marokkaner aus Frankreich. Vor fünf Jahren war Benatia beim SC Freiburg zum Probetraining eingeladen gewesen und durchgefallen, «die Qualität reicht nicht», befand der damalige Freiburger Sportchef Dirk Dufner. Benatia spielte danach in Lorient, Clermont-Ferrand und in Udine, bis er vor einem Jahr bei der AS Roma unterkam.

Gegen 30 Millionen legen die Bayern nun für ihn aus. So viel also, wie sie für Kroos erhalten haben. Sie entlohnen ihn mit 5,5 Millionen, was ein gutes Stück mehr ist, als sie Kroos zahlten. Und jetzt ist es ganz speziell geworden: Sie stehen kurz vor der Verpflichtung von Xabi Alonso.

Xabi Alonso ist, anders als Benatia, eine Grösse im Fussball, Weltmeister 2010, Europameister 2008 und 2012, Kopf von Real Madrid. Aber über den Sommer hat er im Verein Konkurrenz bekommen, die Plätze in der Mannschaft sind nicht zuletzt nach den Zuzügen von James Rodríguez und von Kroos, ja diesem Kroos, noch ein wenig härter umkämpft als sonst schon. Die Bayern haben die Chance erkannt, mit Alonso die Lücke zu füllen, die bei ihnen auch der Abgang von Kroos aufgerissen hat.

Für Alonso steht eine Ablöse von 10 Millionen Euro im Raum und ein Gehalt von ebenfalls 10 Millionen. Das sind 150 Prozent mehr, als Kroos bekommen hatte. Kroos ist seit Januar 24, Alonso wird im November 33. Ausgewogene Zukunftsplanung betreiben die Bayern mit diesem Tausch auch nicht. Und mag sie verstehen, wer will. Am Ende werden sie wohl wieder Meister sein und sich darum sagen können, sie hätten wieder alles richtig gemacht.

Kroos braucht das alles nicht weiter zu beschäftigen. In Madrid schwärmen sie bereits von ihm.

Sepp Blatters Gnade des Vergessens

Thomas Schifferle am Mittwoch den 13. August 2014

Sepp Blatter berichtet gerne, wie es im Wallis so zu und her geht. Zum Beispiel bei seiner Geburt am 10. März 1936, die Mutter hängte an jenem Tag in ihrem Garten in Visp die Wäsche auf, als er auf die Welt drängte, zwei Monate zu früh. «Damals hiess es: Überlebt er, dann überlebt er, überlebt er nicht, dann halt …», erzählt er selbst.

Brutkästen gab es damals keine, aber in der schmuckvollsten Variante seiner Erinnerungen soll das Ofenrohr als Lösung gedient, in das ihn man ihn gesteckt habe, um ihn zu wärmen. Jedenfalls hat er überlebt. Inzwischen kennt ihn die Welt seit 16 Jahren als Präsidenten der Fifa mit der einen oder andern Erinnerungslücke.

«Niemand hat gesagt, ich solle aufhören»

Im Wallis hat er seinen Rückzugsort und sein Heimspiel, hier fühlt er als gewöhnlicher Walliser, und wenn er mit «Herr» angesprochen wird, zeigt er sich generös und sagt, «nein, sagt mir Sepp». Am Samstag ist er wieder hier gewesen, in Ulrichen, wo die Ausläufer von Furka und Grimsel auf den Aufstieg zum Nufenen treffen. Zum 17. Mal hat er zum Turnier geladen, das so heisst wie er. Altstars haben gegeneinander gespielt, Türkyilmaz, Bickel und Co.

Blatter hat seinen Strohhut gelupft und in die Menge gegrüsst, strahlend, zufrieden. Er hat auch geredet, munter und zufrieden, etwa im Walliser «Nouvelliste». Darum erfährt man, dass er bei guter Gesundheit ist und darum keinen Grund sieht, nächstes Jahr nicht mehr als Präsident zu kandidieren. Zudem habe er beim Kongress in São Paulo enorme Unterstützung erhalten, und viele Verbandsvertreter hätten ihn gebeten, mit dem Abenteuer fortzufahren. Und was lernt der Mann von Welt daraus? «Dass es ein Fehler wäre, nicht weiterzumachen.» Und überhaupt, sagt er, «alle Teilnehmer sind mir gegenüber positiv gewesen. Niemand hat mir gesagt, ich solle aufhören.»

Selektive Wahrnehmung

Da staunt wiederum der Leser. War es nicht Greg Dyke, der Präsident des englischen Verbandes, der ihm unverhohlen und direkt ins Gesicht sagte, er solle zurücktreten? War es nicht der Holländer Michael van Praag, der ihn, Blatter, für das schlechte Image der Fifa verantwortlich machte? Waren es also nicht Europäer, die ihn so offen herausforderten, dass er verärgert darauf reagierte und brummend davonstampfte?

Vielleicht muss das irgendwann so sein, wenn man aus dem Ofenrohr kommt. Dann setzt die selektive Wahrnehmung ein oder die Gnade des Vergessens, wie man will. Bei Blatter ist das kein ganz neues Phänomen. Vor drei Jahren, nach seiner letzten Wahl, hat er noch hoch und heilig geschworen, das sei jetzt seine letzte Amtszeit, 2015 trete er definitiv zurück.