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Aber natürlich ist das völlig absurd

Ueli Kägi am Freitag den 23. Juni 2017

Die machen ja, was sie wollen: Derzeit scheint im Fussballgeschäft schier alles möglich zu sein. (Foto: Keystone)

Wir haben uns ja schon an allerhand gewöhnt im Fussball. Manchester United trainiert in Los Angeles und spielt in Maryland. Die Fernsehanstalten finden den Confed-Cup ganz wichtig. Für Kylian Mbappé werden angeblich 135 Millionen Euro geboten. Der Adidas-Chef kann sich den DFB-Pokal-Final in Peking statt Berlin vorstellen. Und die Fifa möchte unter Gianni Infantino in den kommenden Jahren mindestens eine halbe Milliarde Dollar mehr einnehmen.

Und jetzt kommt noch das dazu: Ab kommender Saison spielt die chinesische U-20-Nationalmannschaft in der Regionalliga Südwest, der vierthöchsten deutschen Spielklasse. Kein Witz. Sie ist das 20. Team, die jeweils zwei Partien gegen die 19 Konkurrenten haben allerdings nur Testspiel-Charakter. Dafür gibts für jeden Gegner 15’000 Euro sowie  Zuschauereinnahmen und Vermarktungschancen. Darum haben auch alle Mannschaften schon zugestimmt. Es fehlt jetzt nur noch die letzte Genehmigung zur Umsetzung des Plans, aufgrund der klaren Meinungen bei Clubs und Deutschem Fussball-Bund (DFB) offenbar eine Formalität.

Scheinbar alles möglich

So nett wie einige Fussball-Funktionäre finden das allerdings nicht alle. Für die «Süddeutsche Zeitung» ist die Geschichte absurd genug, um an den Mäzen Hans Viol aus Bonn zu erinnern: «Viol, ein Unternehmer in der profitablen Granit- und Natursteinbranche, hatte 1999 genug von der chronischen Erfolglosigkeit des von ihm alimentierten Bonner SC in der Oberliga Nordrhein. Deshalb beschloss er, die kubanische Nationalmannschaft zu verpflichten. Und zwar: die ganze.»

Die Kubaner landeten dann tatsächlich auf dem Flughafen Köln-Bonn, allerdings fehlten ihnen die Spielberechtigungen, um Punkte zu gewinnen. Der Deutsche Fussball-Bund hatte sich gegen Viols Plan gestellt.

Das ist jetzt ganz anders. Jetzt, da im Fussball scheinbar alles möglich ist, wenn es nur mehr Zaster bringt. Auch beim DFB, der sich sonst ja gerne kritisch gibt, wenn die Fifa wieder mit einem neuen Furz auftaucht – und nachdem er mutmasslich die WM 2006 ins Land gekauft hat.

Gschäftlimacherei zum Davonlaufen

Die chinesischen Jungfussballer sollen in Deutschland auf die Olympischen Spiele 2020 in Tokio vorbereitet werden. Und der DFB soll natürlich auch profitieren von der Verbindung. Er hat 2016 zusammen mit der Deutschen Fussball-Liga und der chinesischen Regierung einen Kooperationsvertrag unterzeichnet. Das Geschäft läuft vorerst einmal bis 2021. Es soll dem deutschen Fussball mehr Umsatz bringen, bei TV-Verträgen oder Fanartikeln etwa.

Es gibt nahe Beobachter, die dieses Ding mit der chinesischen U-20 auch nicht so toll finden. Hajo Sommers zum Beispiel, Theaterleiter, Schauspieler und Präsident von Rot-Weiss Oberhausen, Regionalliga West: «Die Regionalliga wird zu einer Kirmesliga, damit der FC Bayern München mehr Trikots in China verkaufen kann», hat er zum «Reviersport» gesagt. Der DFB und die anderen grossen Mächte des Geschäfts aber sind sicher auch nach 2021 ganz offen für weitere tolle Ideen. Oder lamentieren sie dann schon darüber, dass dem Fussball das Volk davongelaufen ist?

Lucien Favre muss nach Dortmund

Ueli Kägi am Donnerstag den 11. Mai 2017
Erfolgsverwöhnt: Lucien Favre in Nizza. Foto: Jean-Christophe Bott (Keystone)

Erfolgsverwöhnt: Lucien Favre in Nizza. Foto: Jean-Christophe Bott (Keystone)

Der FCZ war Dauerkrise. Die Hertha träumte gross, aber spielte klein. Gladbach stand vor dem Abstieg. Und Nizza war höchstens für Schönwetterfussballer Traumziel.

Dann kam Lucien Favre. Den FCZ verliess er als zweifacher Meister. Die Hertha führte er zwischenzeitlich an die Bundesliga-Spitze. Mit Gladbach schaffte er es in die Champions League. Und in Nizza wird es jetzt mindestens Rang 3. Ob Favre deshalb in Südfrankreich bleibt? Es muss nicht sein. Und eigentlich: Es darf nicht sein.

Unberechenbar

Was ist an allen Favre-Stationen hängen geblieben vom Romand – neben den sportlichen Höhenflügen und plötzlichen Trennungen? Seine Unberechenbarkeit. Den FCZ hat er trotz anderer Beteuerungen Hals über Kopf verlassen. In Berlin rieb er sich in einem Machtkampf mit Dieter Hoeness auf. In Gladbach wollte er offenbar mehrmals zurücktreten, bis er dann nach fünf Niederlagen in Folge seinen sofortigen Abgang per Communiqué bekannt gab – ohne Rücksprache mit der Clubführung.

60-jährig wird Favre im November. Und wenn es weitergeht mit unerwarteten Wendungen, sollen doch jetzt bitte sein nächster Erfolg in Nizza und die lodernden Streitereien in Dortmund zwischen Clubchef Watzke und Trainer Tuchel vielleicht dazu führen, dass Favre doch noch die Chance erhält, sich bei einem Grossclub zu versuchen.

«Wird Favre neuer BVB-Trainer?», fragte die «Bild-Zeitung» am Dienstag auf ihrer ersten Seite (und hier online). Es gibt ja Fussballmitredner, die sagen: Favre bei einem grossen Club, das gehe nicht. Dafür sei er zu kompliziert und zappelig. Dafür könne er zu wenig gut mit schwierigen Menschen umgehen. Dafür sei er zu verletzlich.

Das passt

Nur: Woher wollen sie all das wissen? Favre selbst hat in einem Interview einmal gesagt: «Für mich wäre es kein Problem, wenn einmal ein Verein sagt: Herr Favre, wir verpflichten Sie, damit Sie den Titel gewinnen. Ich würde das akzeptieren.» Und über sich als Trainer ist er auch schon diesen Satz losgeworden: «Ich denke, ich bin gut. Punkt.»

Ja, gut ist er. Und deshalb wäre es grossartig, ihn nun noch bei einem Club mit Geld zu sehen. Favre in Dortmund, ein lebhafter Trainer bei einem lebhaften Club – da ist alles denkbar. Vom Champions-League-Sieg bis zum schnellen Scheitern. Und wenn ich wetten müsste: Ich nähme die Variante mit dem Pokal.

Mehr Geld für Petkovic? Nein!

Ueli Kägi am Freitag den 19. Februar 2016

Vladimir Petkovic, Schweizer Fussball-Nationalcoach, weiss, was er will und wie viel er will. Rechts guckt Peter Stadelmann, Delegierter des Verbandes für die Nationalteams. Foto: Keystone

Haben Sie kürzlich besonders gut gearbeitet auf der Baustelle, als Tramchauffeur oder auf Ihrem Zahnarztstuhl? Sind Sie vielleicht Lehrer, der den Kindern in den ersten Schuljahren mit Erfolg das ABC beigebracht hat? Oder haben sie ihrem Kunden gerade ein schönes Möbel geschreinert? Dann wäre es jetzt Zeit, mehr Lohn zu verlangen. Sprechen Sie bei Ihrem Chef vor. Sofort! Und nicht nur 10 Prozent mehr sollen es sein. Sondern mindestens 20. Und eher 50.

Nein? Das möchten Sie nicht? Weil Sie es unverschämt finden würden? Weil Sie glauben, dass Sie nur Ihren Job erledigt hätten? Dann muss ich Ihnen leider mitteilen, dass Sie fürs Fussballgeschäft völlig untauglich wären. Im Fussballgeschäft ist es nämlich so: Hat jemand die Erwartungen erfüllt, sei es ein Spieler, Trainer oder Manager, erwartet er mehr Lohn. Ungeachtet dessen, wie hoch die Erwartungen überhaupt gewesen sind. Manchmal sind sie ja von Beginn an recht tief. Dann und wann genügt es beispielsweise schon, nicht schlechter gewesen zu sein als alle anderen, um die Ziele zu erreichen.

Vladimir Petkovic ist auch im Fussballgeschäft. Er hat einen ziemlich guten Job als Schweizer Nationaltrainer: Rund 800’000 Franken Jahreslohn und ordentlich Freizeit, Dienstwagen, an der Arbeit oft in kurzen Hosen, schöne Hotels, gutes Essen, grosszügige Spesen.

Als Petkovic die Schweiz im Sommer 2014 als Nachfolger von Ottmar Hitzfeld übernahm, kündigte er an, wie die Auftritte des Teams unter ihm sein sollten. Er sagte zum Beispiel, die Mannschaft solle Fussball als Spiel begreifen, «die Begeisterung muss erkennbar sein», die positive Energie müsse spürbar sein.

Nun gut: Die Schweiz hat sich dann durch die EM-Qualifikation gekämpft. Oder auch recht häufig: gequält. Sie war gegen England chancenlos, sie stolperte in Slowenien und korrigierte ihren Fehlstart gegen Fussballzwerge wie Estland, Litauen und San Marino nicht immer ohne Mühe.

Aber immerhin: Am Ende stand sie auf Platz 2. Deshalb ist sie im Sommer an der Euro dabei. Petkovics aktueller Vertrag läuft noch bis dahin. Der Verband würde gerne mit ihm verlängern. Petkovic hat auch Interesse. Es gibt gegen eine weitere Zusammenarbeit auch nichts einzuwenden. Der Trainer hat ja nicht schlecht gearbeitet. Er ist auch nicht unsympathisch aufgetreten. Allerdings hat er auch nicht besonders gut gearbeitet. Oder beim Publikum mit seinen Auftritten und Aussagen Bonuspunkte gewonnen. Petkovic hat die Schweiz viel eher recht unberührt gelassen.

Trotzdem will er jetzt die Vertragsverlängerung unbedingt mit einer Lohnerhöhung verknüpfen. Er wünscht sich in erster Linie höhere Erträge mit Werbepartnern des Fussball-Verbandes, weil er sich in dieser Beziehung mit seinem Vorgänger vergleicht. Dabei verkennt er einige Dinge. Petkovic hat nicht die Vergangenheit, nicht den Ruf und nicht die Strahlkraft des Welttrainers Hitzfeld. Deshalb würde es ihm gut anstehen, den Vertrag einfach zu verlängern. Zu den gleichen Grundkonditionen, vielleicht mit einer hübschen Prämie, sollte sich die Schweiz für die WM 2018 in Russland qualifizieren. Das wäre eine sehr gute Leistung, die im Gegensatz zur EM-Qualifikation nicht einfach so erwartet werden darf.

Will Petkovic aber partout mehr Lohn, müsste der Schweizer Verband Abstand nehmen von der Idee einer gemeinsamen Zukunft. Es gibt genug Trainer, die ebenso fähig wären für diesen Job. Und mit weniger Geld zufrieden.

Ronaldo und die Unterhose

Ueli Kägi am Donnerstag den 21. Januar 2016

Cristiano Ronaldo und seine Liebe zu ihm. Also: zu ihm selbst. Es könnte ein Stoff für Bücher sein. Philosophische. Oder psychologische vielleicht auch. Eher wahrscheinlich. Es käme jetzt noch etwas neuer Stoff dazu. Cristiano Ronaldo in Unterhosen. Mit Schuhen. Und Ball. Und vor der Kamera.

Im Reich der wilden Fussballer

Ueli Kägi am Donnerstag den 17. September 2015
Swiss defender Stephan Lichtsteiner, right, speaks to Baris Simsek, Additional assisant referee, left, during the UEFA EURO 2016 qualifying match Switzerland against England at the St. Jakob-Park stadium in Basel, Switzerland, Monday, September 8, 2014. (KEYSTONE/Ennio Leanza)

Er ist der Rohrspatz auf dem Spielfeld: Stephan Lichtsteiner «diskutiert» mit dem Schiedsrichter. Foto: Ennio Leanza (Keystone)

Der Fussball bedient sich gern Grzimeks «Reich der wilden Tiere». Lionel Messi ist ein Floh (okay, ein kleines wildes Tier). Sven Hotz wollte einen schwedischen Bullen. Gennaro Gattuso war das Nashorn. Berti Vogts der Terrier. Frank Rijkaard ein Lama. Carlos Valderama sah wenigstens aus wie ein Löwe. Stefan Effenberg nannten sie Tiger. Pippo Inzaghi machte die Schwalbe. Edgar Davids spielte den Pitbull. Emilio Butragueño war ein Geier, Sepp Maier die Katze von Anzing, Jack Charlton eine Giraffe und Herbert Prohaska das Schneckerl. Und Stephan Lichtsteiner? Der schimpft nach fast jedem Schiedsrichterpfiff gegen seine Mannschaft wie ein Rohrspatz.

Zugegeben. Auch der Rohrspatz ist so wenig wildes Tier wie das Schneckerl. Spielt aber auch keine Rolle. Der Rohrspatz ist in diesen Zeilen nur Mittel zum Zweck, um endlich auf den Punkt zu kommen.

Es ist mit dem Rohrspatz im Fussball ja wie mit dem Spatz auf der Dachterrasse des Migros-Restaurants. Er hat sich breitgemacht. Rudelbildung kommt vor. Er holt sich, was er kann. Und was er sich einmal an Raum genommen hat, das lässt er sich nur schwer mehr nehmen.

Wer mit Schuld daran ist an diesem Reich der wilden Fussballer? Die Schiedsrichter. Einst wollten sie mit verschärften Regeln antreten und die Faucher, Kläffer, Rammler und Rudelbildner schnurstracks mit Gelb bestrafen. Das war 2005 und 2006. Und erneut 2012. Sie haben leider wenig umgesetzt von ihrem Vorsatz, eigentlich fast nichts. Und so brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn es auf dem Fussballplatz manchmal weiterhin zu und her geht wie im Urwald.

Hardturm, du fehlst!

Ueli Kägi am Donnerstag den 10. September 2015

Der Schweizer Fussballfan hat nicht den besten Ruf. Es wird über ihn fast ausschliesslich dann berichtet und gerichtet, wenn er bösartig aufgefallen ist. Er pinkelt in Vorgärten, schlitzt Polster in Zügen auf. Er wirft gezündete Pyro auf: den Rasen, die Tartanbahn, das gegnerische Publikum. Er trinkt zu viel. Er sucht Puff.

Wir müssen uns nichts vormachen. Es gibt den Matchbesucher in diesen hässlichsten Formen, den Krawallmacher und Chaoten, 400 davon sind im Schnitt bei einem Super-League-Spiel. Das sind nicht wenige. Die Zahl hilft aber auch, bei den Fakten zu bleiben: Fast 97 Prozent aller Matchbesucher haben mit dem Mob nichts zu tun.

Wer zum Fussball geht, ist im Normalfall ziemlich normal. Trinkt mit Freunden ein Bier. Isst mit den Kindern eine Wurst und danach noch Pommes, Glace und/oder eine Magnum-Packung M&M’s. Leidet mit der Mannschaft. Und geht dann wieder nach Hause. Glücklich oder halt weniger glücklich.

Und manchmal ist der Fussballfan auch ziemlich kreativ. Das ist in der Kurve zu sehen, wenn quer durch die Schweiz wieder Hundertschaften in der Turnhalle oder Garage an der nächsten Choreografie gebastelt haben. Oder an Tagen wie diesen.

Am vergangenen Samstag haben GC-Anhänger in einer schönen Aktion den Fussball zurück in den Hardturm gebracht. Der Hardturm? Die Älteren unter uns erinnern sich noch. Der Hardturm, geboren 1929, war einmal das vielleicht beste Fussballstadion der Schweiz. Eine Bastelei zwar mit alter Haupttribüne und einem Dreiviertelring um den Rest des Rasens. Da und dort auch etwas abgehalftert. Aber sympathisch. Mit Tribünen gleich am Rasen. Der Hardturm war als Fussballstadion so gut, dass selbst FCZ-Fans zugeben mussten, dass der Letzigrund eigentlich Käse war.

2007 starb der Hardturm 78-jährig. Tod durch Abrissbirne. Seither erlebte Fussball-Zürich Abstimmungen, Einsprachen, Architekturwettbewerbe, Abstimmungen, Ausschreibungen, aber kein richtiges Stadion mehr. Wo einst der Hardturm war, ist noch eine Brache. Bis eben Nostalgiker ein paar Quadratmeter Kunstrasen verlegten, ein paar Tribünen aufbauten, zwei Tore aufstellten, Altstars einluden, 2.20 Franken Eintritt verlangten und das alte Stadion in neuer Form wieder aufleben liessen.

Es kamen fast 3000 Zuschauer. Die noch standfeste Betonrampe der früheren Osttribüne sah aus wie ausverkauft. Der Anhang liess blauen Rauch in die Luft steigen und zündete auch Fackeln. Der Nachmittag machte trotzdem Lust auf mehr. Und führte schnell zur Frage, wieso es eigentlich nicht möglich sein soll, recht unkompliziert und zügig ein Stadion zu haben? Es braucht doch kein futuristisches Fünfeck, keine Mantelnutzung und keine 25’000 Plätze. Es braucht nur vier Tribünen, am besten altenglisch eckig. Es braucht einen gepflegten Rasen, ein paar Verpflegungsstände, vielleicht ein Restaurant, ordentliche Toiletten. Von mir aus noch ein schönes VIP-Zelt für alle, die Spitzenfussball in Zürich mitfinanzieren wollen und sollen. Kann doch nicht so schwer sein.

Das ist ein guter Captain

Ueli Kägi am Donnerstag den 26. März 2015
Zwei Persönlichkeiten, ein Job: Die Captains Chikhaoui (l.) und Gerrard. Fotos: Keystone

Zwei Persönlichkeiten, ein Job: Die Captains Chikhaoui (l.) und Gerrard. Fotos: Keystone

Ist Liverpools Steven Gerrard der bessere Captain als Zürichs Yassine Chikhaoui?

Es muss doch so sein! Gerrard suchte die Mikrofone, nachdem er im Match gegen Manchester United nach 40 Einsatzsekunden vom Platz geflogen war. Er entschuldigte sich für seine Dummheit bei der Mannschaft. Bei den Mitspielern. Bei den Zuschauern. FCZ-Spieler Chikhaoui tat nach seinem Platzverweis beim 0:3 gegen YB, was er öffentlich am liebsten immer tun würde. Er schwieg.

Ist Yassine Chikhaoui ein guter Captain? Der richtige Captain? Darf einer wie er überhaupt Captain werden, sein, jetzt bleiben? Ein missratener Nachmittag hat genügt, um Fragen auszulösen – sie sind schon fast reflexartig gekommen. Und der «Blick» hat sie schnell beantwortet: Chikhaoui sei ein Schönwetter-Captain und für diese Rolle zu sensibel, empfindlich, emotional und dünnhäutig.

Niemand, der den Fussball versteht, käme auf die Idee, Gerrard wegen einer Sekundbruchteil-Dämlichkeit als Captain infrage zu stellen. Das ist bei Chikhaoui anders. Er hat nicht die natürliche Autorität, die Gerrard schon kraft seiner Liverpooler Kindheit, seiner Leistungen, seiner Loyalität hat. Und vor allem: Chikhaoui polarisiert. Mit seinem Geist, mit seinen Bewegungen, mit seinen Aktionen und Reaktionen. Chikhaoui ist in der Aussensicht: schwarz oder weiss. Gut oder böse. Glücklich oder zornig. Klug oder blöd. Genial oder miserabel. Er ist erster Held im Sieg – wie im Herbst. Oder erster Schuldiger in der Niederlage, wie gerade jetzt. Mit seinen vielen Seiten teilt er selbst FCZ-Anhänger in Jubler und Stänkerer.

Ist Chikhaoui ein guter Captain? Die Frage darf gestellt werden. Immer. Und deshalb auch jetzt, in diesen sportlich schwierigen Tagen für ihn und den FCZ.

Ein guter Captain ist Verbindung zwischen Trainer und Mannschaft, zwischen Mannschaft und Präsidium. Ein guter Captain spürt und führt, er integriert und deeskaliert. Ein guter Captain löscht schon, bevor es brennt, ist dort zart und hier hart. Ein guter Captain stellt die Mannschaft ins Zentrum und tut vieles im Verborgenen. Ein guter Captain stellt sich auch der Öffentlichkeit  – nach guten und schlechten 90 Minuten.

Die Abneigung gegenüber Medien ist eine Schwäche des Tunesiers, aber für sich alleine so wenig entscheidend wie seine aufbrausende Reaktion mit Schienbeintritt, Ohrenziehen und Ohrfeige, nachdem ihm Steffen mutmasslich absichtlich in den Unterleib gegriffen hat. Chikhaoui deswegen als Captain infrage zu stellen oder gar abzusetzen – es wäre ein fatales Signal. Weil schwierige Phasen zum Reifeprozess gehören. Weil der Club zu seinem Captain stehen muss, wie der Captain zu seinem Club steht. Gerade jetzt, in diesen schon unruhigen Tagen.

Das bringt die zweite Saisonhälfte in der Super League

Ueli Kägi am Donnerstag den 5. Februar 2015
Nachspielzeit

Zwei, die immer für eine Schlagzeile gut sind: Veroljub Salatic von GC und Sion-Präsident Christian Constantin. Fotos: Keystone

Am Samstag geht es weiter mit dem Schweizer Fussball. Worauf dürfen wir hoffen? Was müssen wir befürchten? Was können wir erwarten? Die Liste.

  1. In Aarau hoffen wir auf das erste Meisterschaftstor von Daniel Gygax in dieser Saison. Und während wir warten, essen wir einen Aargauerspiess. Oder zwei. Oder drei. Genügend Zeit haben wir vermutlich.
  2. Bei GC erwarten wir: Ein Millionendefizit; und/oder die Versöhnung mit Salatic; und/oder die Freistellung von Präsident/Sportchef/Medienchef/Marketingchef/Nachwuchschef/Cafeteriachefin/Cheftrainer; und/oder die Rückkehr von Salatic als Spielertrainer; und/oder den Check von Heinz Spross; und/oder den Aufstieg von Johann Vogel zum Cheftrainer; und/oder Caios Abschied zu Eskisehirspor; und/oder die Verpflichtung von Pascal Zuberbühler als Generalmanager; und/oder die Rückkehr von Erich Vogel; und/oder einen Rentenvertrag für Emeghara; und/oder die Absage an die Nachwuchsförderung.
  3. In Thun hoffen wir, dass der Marder sein Comeback gibt, bevor der Club Konkurs geht.
  4. In St. Gallen erwarten wir, dass der Haarfön Jeff Saibene nicht im Stich lässt.
  5. Bei YB freuen wir uns, wenn der Club endlich sein Jahresdefizit offen legt. Schätzfrage: Sind es mehr als 10, mehr als 15 oder mehr als 20 Millionen Franken? (Ihre Antworten bitte unten)
  6. In Luzern erwarten wir die nächsten Eigentore von Walter Stierli. Und dass Rolf Fringer bald nicht mehr weiss, dass er eigentlich nie mehr Trainer sein wollte.
  7. Beim FCZ freuen wir uns darauf, dass er den Jahreslohn von Yassine Chikhaoui bekannt gibt. Vermutung: Er verdient wie bisher 700’000 Franken fix. Alles andere ist Beilage.
  8. Von Basel erwarten wir ein paar Niederlagen zu Beginn der zweiten Meisterschaftshälfte. Alle haben Anrecht auf ein bisschen Spannung in der Meisterschaft. Auch die Basler Zuschauer.
  9. Von Basel erwarten wir ein paar Siege zum Schluss der zweiten Meisterschaftshälfte. Niemand kann ernsthaft glauben, dass sich der FCB den sechsten Titel in Serie nehmen lässt.
  10. Von Vaduz hoffen wir nach Zwischenrang 7 auf den Ligaerhalt. Tun wir das wirklich?
  11. In Sion glauben wir an baldigen Streit zwischen wahlweise: Constantin und Tholot. Constantin und Salatic. Constantin und Constantin.

Holt die Schwalben vom Himmel

Ueli Kägi am Donnerstag den 25. September 2014
Arjen Robben of the Netherlands is fouled during their 2014 World Cup quarter-finals against Costa Rica at the Fonte Nova arena in Salvador

Keine Frage, kaum einer fliegt schöner als Arjen Robben. Und das Beste: Der Holländer kann das, ohne dass ihn jemand berührt hätte. Foto: Reuters

Sie treten, schlagen, spucken. Sie reklamieren, lamentieren, simulieren. Viele Fussballer haben keinen besonders guten Leumund. Besonders geächtet sind die Pepes dieser Welt, die Verteidiger mit Scheren an den Beinen.

Dabei wäre es Zeit, dass andere ebenso aufsteigen in den Olymp der Unbeliebten. Die Schnellflieger und Schwalbenkönige. Die Inzaghis (früher), Freds und Robbens (heute). Oder, auf unser kleines Fussballland bezogen: Die Nuzzolos oder Kahrabas.

Es gibt einige klare Regeln im Fussball (und einige unklare: zum Beispiel, was eigentlich Hands ist). Eine der unzweideutigen Regeln lautet: Wer dem Gegner mit einem Vergehen eine ausgezeichnete Torchance raubt, sieht Rot.

Was tut der Schwalbenkönig und Schnellflieger, wenn er im Strafraum fällt? Er versucht, sich selbst mit einem Regelverstoss eine klare Torchance zu schenken. Das wird mit Gelb bestraft. Weshalb hier Gelb, was dort Rot ist? Jede Wette: Platzverweis bei Schwalbe im Strafraum, die Nuzzolos, Kahrabas und Robbens dieser Welt hätten ganz schnell viel kräftigere Beine und widerstandsfähigere Oberkörper.

Mehr Punkte für GC? Hier ist das Hammersystem!

Ueli Kägi am Donnerstag den 18. September 2014
Könnte sich mit dem Hammersystem über 7 Punkte freuen: GC-Trainer Michael Skibbe nach dem 3:1 gegen den FC Basel am vergangenen Samstag. Foto: Ennio Leanza (Keystone)

Könnte sich mit dem Hammersystem über 6 Punkte freuen: GC-Trainer Michael Skibbe nach dem 3:1 gegen den FC Basel am vergangenen Samstag. Foto: Ennio Leanza (Keystone)

Die Gralshüter des Fussballs sind nicht dafür bekannt, auf die Schnelle neue Regeln einzuführen. Sie diskutieren vorwärts und rückwärts. Und vielleicht, so in sechs, sieben, acht Jahren, sind sie dann bereit. So ungefähr war das bei der Torlinientechnologie.

Deshalb sind die Chancen für Peter Hammer nicht besonders. Hammer lehrt seine Schüler von Berufs wegen Mathematik. In der Freizeit jasst er. Spielt Schach. Erfindet Spiele. Und ginge es nach ihm, hätten die Grasshoppers nach 8 Runden nicht 8 Punkte, sondern 22.

Wie im Fussball Sieger belohnt und Verlierer bestraft werden, gefällt Hammer nicht. «Inhuman» oder «menschlich fast entwürdigend» findet er es, wenn ein Team gut spielt und wegen einer einzigen Unachtsamkeit leer ausgeht. Oder wenn ein ganz Kleiner gegen einen ganz Grossen 3:4 verliert und dafür keinen Punkt erhält. Deshalb hat er etwas erfunden: das Hammersystem.

Es soll den Fussball gerechter, schöner machen. Und geht so: In jedem Match sind mindestens sechs Punkte zu verteilen. Gibt es einen Sieger, sind es dank Bonuspunkt für den Gewinner sieben. Konkret:

  • Bei einem Unentschieden erhalten beide Teams 3 Punkte.
  • Bei einem Tor Differenz erhält der Sieger 5 und der Verlierer 2.
  • Bei zwei Toren Unterschied lautet die Verteilung 6 und 1.
  • Bei drei oder mehr Treffern Differenz 7 und 0.

Hammer sieht neben der Gerechtigkeit weitere Vorteile. Er glaubt, dass der Offensivfussball gefördert und die Mutigen belohnt würden; dass ein 2:0-Zwischenstand keine Langeweile mehr auslöste; dass der Sport attraktiver wäre für Sponsoren; dass vielleicht sogar die Gewalt eingedämmt würde, weil der Frust nach Niederlagen kleiner wäre.

Beim Volk «hätte mein System gute Chancen», glaubt Peter Hammer.

Beim Volk «hätte mein System gute Chancen», glaubt Peter Hammer.

Das Hammersystem würde oft keine Umstürze in der Tabelle bewirken. Basel wäre zuletzt auch so Meister geworden. An der WM hätten sich keine anderen Teams für die Achtelfinals qualifiziert. Mit dem Hammersystem aber gäbe es im Verhältnis wesentlich geringere Punkteunterschiede zwischen den besten und schwächsten Teams, Meister und Absteiger würden kaum je früh feststehen. In der aktuellen Super-League-Rangliste hat Schlusslicht Luzern rund ein Viertel (5) der Punkte von Leader FCZ (19). Bei Hammer wären es halb so viele (19 zu 38).

«Zu kompliziert», finden einige, denen Hammer seine Idee vorgestellt hat. Er sagt: «Nach drei Runden wäre allen klar, wie es funktioniert.» Wenn sich sein System nicht bald bei den Profis durchsetzt, würde es Hammer wegen des Belohnungseffekts zumindest bei den Junioren und Frauen schleunigst einführen. Die Gralshüter des Fussballs werden sich das kaum vorstellen können. Hammer aber glaubt: «In einer Volksumfrage hätte mein System gute Chancen, eingeführt zu werden.»