
Das System funktioniert noch nicht reibungslos: Schiedsrichter Patrick Ittrich zieht während des Bundesliga-Spiels zwischen Stuttgart und Bayern München den Videobeweis zurate. Foto: Marijan Murat (Keystone)
Fifa-Präsident Gianni Infantino hatte eigentlich eine gute Idee, die er mehrfach verkündete: Bei der kommenden WM-Endrunde in Russland soll der Videobeweis zur Anwendung kommen. Der Videobeweis an sich ist eine gute Idee, eine sehr gute sogar, selbst wenn das noch nicht überall so gesehen wird. Aber wie die Dinge liegen, passen diese gute Idee und das wichtigste Turnier des Weltfussballs noch nicht zusammen.
Überall, wo der Videobeweis bis anhin zum Einsatz gekommen ist, gab und gibt es teils überaus heftige Diskussionen. Auch nach zwei Jahren Anwendung ist die Praxis in keiner Weise gefestigt. Allein in der deutschen Bundesliga, der vermutlich bestorganisierten Meisterschaft unserer Zeit, löst eine Debatte die andere ab. Es ist noch immer nicht klar, bei welchen Situationen der Videobeweis zum Zuge kommen soll, und es ist offensichtlich, dass die Verfeinerung der praxisgerechten Anwendung noch einige Zeit beanspruchen wird. Wenn aber in den wichtigsten Ligen der Welt mit den bestausgebildeten Spielleitern jede Woche Diskussionen um die Anwendung des Videobeweises ausbrechen, wie soll das System in Russland funktionieren?
Minutenlange Unterbrüche darf es nicht geben
Selbst wenn die Fifa nur Schiedsrichter aus Deutschland, England und Italien aufböte, würde das nicht klappen. Doch die Fifa muss schon aus politischen Gründen Spielleiter aus aller Welt engagieren. Aber selbst die besten Schiedsrichter Afrikas beispielsweise kennen den Videobeweis nur vom Hörensagen. Dass diese Schiedsrichter ein derart sensibles Thema noch kurz vor der WM-Endrunde in einer Schnellbleiche erlernen und beherrschen können, ist illusorisch. Normalerweise stehen viele Spielleiter allein schon wegen der letzten Instruktionen, die vor einem solchen Turnier für die üblichen Regelanwendungen herausgegeben werden, am Rande der Überforderung. Am Druck, der bei einer WM auf ihnen lastet, sind schon manche Schiedsrichter zerbrochen.
Die Fifa kann sich nicht eine Weltmeisterschaft leisten, bei welcher das Videosystem nicht reibungslos funktioniert. Minutenlange Unterbrüche für die Auswertung der Bilder und Kommunikationspannen unter den Offiziellen, die nicht die gleiche Sprache sprechen, darf es an einer WM nicht geben. Das erste Palaver würde von den Medien gleich gnadenlos skandalisiert, und Fehlentscheidungen – der Videobeweis vermindert die Fehlentscheidungen, kann sie aber nicht ausschliessen – würden unter diesen Umständen grosse Schatten auf das Turnier werfen.
Der Videobeweis ist eine gute Sache für den Fussball. Aber für das kommende Finalturnier kommt das System zu früh, es fehlt an Erfahrung, klaren Instruktionen und am Personal. Das Absturzrisiko ist für die Fifa zu gross. Das System ist ganz einfach noch nicht WM-tauglich.
Woher will Herr Tognoni wissen, welche Instruktionen die Spielleiter an der WM für die Handhabung des Videobeweises erhalten? Ist er noch immer so nahe dran am Geschehen, dass er diese Internas kennt? Ich kann mir gut vorstellen, dass eine ganz klare Regelung gelten wird, in welchen Situationen der Videobeweis herangezogen werden darf. Die These, der Videobeweis käme zu früh für die WM in Russland, erachte ich als unzutreffend. Denn mit dem gleichen Argumentatorium könnte man behaupten, die WM käme zu früh für Spielleiter aus fernen Ländern. Die FIFA kennt die Problematik der möglichen langen Unterbrüche und wird entsprechend handeln. Die Herren sind zwar geldgierig aber nicht blöd.