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Der Fall des Kaisers

Guido Tognoni am Donnerstag den 21. Dezember 2017

War einmal …: Franz Beckenbauer hat keine Auftritte mehr und lebt in seiner eigenen kleinen Welt. (Foto: Getty Images)

Die Szene war eindrücklich und bleibt haften: Unverhofft trat er aus einem Restaurant und vor die Kamera, Franz Beckenbauer, fast nicht zu erkennen, er ging leicht nach vorn gebeugt, mit Dächlikappe und in Jeans statt Massanzug, zu sehen war ein klappriger alter Mann. Franz Beckenbauer ist 72. Diesem Mann widmete die ARD am Dienstagabend einen längeren Beitrag mit dem Titel «Der Fall des Kaisers». Es war ein etwas bizarres Filmwerk über eine lebende Legende, über den weltweit berühmtesten lebenden Deutschen, über einen Mann, für den der Begriff «Lichtgestalt» hätte geprägt werden müssen, falls es ihn zuvor nicht bereits gab.

Nur: Franz Beckenbauer ist nicht mehr Lichtgestalt und mochte auch nicht in die Kamera reden. Wie er überhaupt nicht mehr reden mag seit einiger Zeit. Keine Analysen mehr bei Sky, keine Kolumnen in der «Bild», keine Interviews, selbst die Nachbarn in einer ruhigen Ecke Kitzbühels sehen ihn kaum mehr. Nach Jahrzehnten im Scheinwerferlicht hat sich der einstige grosse Strahlemann Franz Beckenbauer in seine eigene kleine Welt abgekapselt. Die ARD-Filmer machten wohl das Beste aus ihrem Bemühen, einen bedeutenden Zeitgenossen zu beschreiben, der nicht mehr über sich reden will. Dass der Film erst spät abends ausgestrahlt wurde, war wohl eine Mischung aus Achtung vor dem Betroffenen und der Einsicht, dass der Reportage das wohl wichtigste Element fehlte: Ex-Kaiser Franz, der über Kaiser Franz spricht.

Das grösste Opfer von allen

Jene, die über Franz Beckenbauer sprachen, taten das unterschiedlich subtil, aber jeder mit dem grösstmöglichen Respekt. Während Paul Breitner und Uli Hoeness ihren früheren Teamkollegen durchwegs vehement verteidigten, mischte sich beim Bayern-Politiker Edmund Stoiber und dem Fussballexperten Marcel Reif auch leise Kritik in das Mitgefühl. Auch Gefährten, die Franz Beckenbauer nach wie vor lieben, äusserten ihre Vorbehalte darüber, dass er sich nicht zu jenen Vorgängen äussert, die seit geraumer Zeit auf das viel gepriesene deutsche Sommermärchen ihre Schatten werfen (die Rede ist von der WM-Endrunde 2006 und die Umstände der erfolgreichen Bewerbung). Schatten, in welche die deutsche und Schweizer Justiz mit viel Aufwand seit Jahren Licht bringen möchten. Es wäre keine Überraschung, wenn der grosse Aufwand letztlich vergeblich wäre.

Die Korruptionsaffären der Fifa machten auch vor Franz Beckenbauer nicht halt. Der Klimawechsel aus der unbeschwerten Epoche, in der in den obersten Sphären des Fussballs alles möglich und alles erlaubt war, in die Zeit der Aufklärung und Kriminalisierung von zuvor üblichen Vorgängen in den grauen, dunkelgrauen und schwarzen Bereichen des Sports war abrupt. Dazu kamen bei Franz Beckenbauer der Tod seines Sohnes Stefan und eine schwere Herzoperation. Was ihm am meisten zugesetzt hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben. «Nach einer solchen Operation bist du nicht mehr der gleiche Mensch», sagt Beckenbauer-Freund Günter Netzer und spricht dabei aus eigener Erfahrung.

Der Höhenrausch des Fussballs hat in den vergangenen Jahren viele Opfer gefordert, die Sühneliste der Gesperrten und Geächteten wird immer noch länger und länger. Wer Franz Beckenbauer zu den Tätern zählen möchte, soll das tun. Der einst Unantastbare hat nicht einmal mehr Lust, sich zu verteidigen. Tatsache ist, dass er im trüben Spiel des Funktionärsfussballs das grösste Opfer von allen ist. Franz Beckenbauer liess sich tief fallen, freiwillig und viel zu tief. Unverdientermassen tief.

Guido Tognoni

Guido Tognoni

Als Ersatzspieler des FC Davos (3. Liga, untere Tabellenhälfte) erzielte er im Schneetreiben von Tavanasa vor einigen Jahrzehnten sein einziges Meisterschaftstor. Danach stieg er trainingsfrei mit dem FC Tages-Anzeiger in die höchste Firmenfussballklasse auf und hoffte meist vergeblich, dass seine Laserflanken zu Treffern führen würden. Da sein Talent auf dem Rasen nicht erkannt wurde, arbeitete er 15 Jahre an den Schreibtischen der Fifa und Uefa.

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12 Kommentare zu “Der Fall des Kaisers”

  1. Christoph Bögli sagt:

    Wieso “unverdientermassen”? Beckenbauer hat offenkundig an vorderster Stelle die Fäden gezogen und ist notabene ein Wiederholungstäter. Dass ihn das nun relativ spät einholt nachdem es auch privat nicht mehr so gut läuft, liegt einzig daran, dass er zuvor viel zu lange mit seinen Machenschaften durch kam. Wer quasi sein Leben lang es mit dem Gesetz und den Regeln nicht zu genau nimmt und mein, über allem zu stehen, sich gar noch als wohltätige und moralische Instanz aufspielt, der muss sich nicht wundern, wenn er irgendwann auf die Schnauze fällt. Mitleid ist da m.E. nicht angebracht.

  2. W. Hauser sagt:

    Derjenige der am wenigsten Schuld hat und noch den anständigsten Charakter, trifft es persönlich am härtesten.
    Das ist überall so, der menschlichste wird von allen seinen Kumpels missbraucht.

    • Claudio sagt:

      Sorry Herr Hauser – aber wenn man über 5 Mio abkassiert und noch diese am liebsten noch schwarz einheimsen will, zudem unbedarft sehr dubiose Geschäfte unterschreibt, dann ist man nicht einfach schuldlos und hat einen anständigen Charakter!
      .
      1978 musste er schon mal wegen Steuerproblemen zu New York Cosmos fliehen.
      .
      Er hat einfach immer nur unschuldig gewirkt, dazu eben leicht majestätisch. Schade dass er sich selber so demontiert hat mit all diesen Geschichten – wäre nicht wirklich nötig gewesen. Das Sommermärchen hätte man auch auf saubere Art und Weise hingekriegt würd ich mal meinen.

  3. Brumi sagt:

    Ja Ja Claudio
    Sie mögen in Ihrer Beurteilung mehrheitlich recht haben. Die Aufarbeitung des
    DFB und der externen Kontrollstelle hat bis dato aber keine rechtlichen Verfehlungen
    der Herren Beckenbauer, Zwanziger ect. offengelegt.
    Die Verflechtungen der verschiedenen geleisteten oder honorierten Arbeiten, wird selbst
    Herrn Tognoni überfordern. Mir fehlt die genaue Bezeichnung des Ehrenamtes und die
    dazugehörenden Aufgaben.
    Der Film als solches war für mich weder informativ oder aufschlussreich. Darüber noch
    viele Worte zu verlieren, lohnt sich eigentlich nicht.
    Auch in Zukunft werden bei Vergaben von solch grossen Anlässen, Absprachen an der
    Tagesordnung sein….

    • Claudio sagt:

      “Franz Beckenbauer hat als Chef des Organisationskomitees für die Fußball-WM 2006 nicht, wie vom DFB bislang behauptet, ehrenamtlich gearbeitet, sondern 5,5 Millionen Euro erhalten, die der DFB möglicherweise am Finanzamt vorbeischleusen wollte.
      Versteuert wurden die Beckenbauer-Millionen vom DFB erst vier Jahre, nachdem er das Geld kassiert hatte – Ende 2010, nach einer Betriebsprüfung des Finanzamts Frankfurt/Main.”
      .

      Das ist eigentlich noch viel übler — in der Oeffentlichkeit den unbedarften Ehrenamtlichen spielen, der alles ungesehen blind unterschreibt, was ihm seine “Vertrauenspersonen” vorgelegt haben und dann noch versuchen Steuern zu hinterziehen!
      .

      • Claudio sagt:

        Sorry aber die Lichtgestalt Beckenbauer hätte man alleine für diesen betrügerischen Steuerhinterziehungsversuch ruhig auch ein paar Jahre wie sein Spezi Hoeness einbuchten können!
        Gerade einer der die selbstlose Vorbildsfunktion raushängt und dann die Oeffentlichkeit auf eine solch miese Art in allen Belangen hintergeht – das geht einfach gar nicht!
        .
        Wieso wird bei diesen verfluchten korrupten Sportfunktionären immer so gemauschelt? Die sind noch echt übler als Investmentbanker und versauen einem den ganzen Sport und den Spass dran.

  4. André Dörflinger sagt:

    Ja, natürlich hat er den Bogen im Kielwasser des Fifa-Sepps als Organisator 2006 überzogen, keine Frage… Er ist eine weitere tragische Figur wie Kanzler Kohl und andere hochgejubelte Spitzen Super “Staren”, die die Wirklichkeit dann noch zu Lebzeiten einholt. > Fortsetzung folgt. (21.12.17)

    • Christoph Bögli sagt:

      Wieso im Kielwasser? Die strafrechtlichen Vorwürfe gegen Beckenbauer gehen viel weiter als irgendwas das man bisher Blatter vorwerfen konnte, ebenso stand Beckenbauer Blatter in Selbstinszenierung und Wichtigtuerei bestimmt nicht nach. Zudem waren es ja gerade Leute wie Beckenbauer, die das ganze Blatter-System erst ermöglichten und am Leben hielten. Ohne die ganzen Mauscheleien reicher und prominenter Figuren wäre aus Blatter nie mehr geworden als ein grauer Funktionär.

  5. Claudio sagt:

    Der “ehrenamtliche” Sportfunktionär, der dann aber doch 5.5 Mio € für das Sommermärchen kassiert hat und unbedarft alles unterschrieben hat! Seine Bayernspezies verteidigen ihn und verzeihen ihm alles.
    Sicher war er als Spieler und Trainer fast perfekt, nur als Sportfunktionär war er nur eine Marionette und am Ende ein Versager, selbst wenn das Sommermärchen nach Deutschland gebracht hat, aber so nicht.
    Wer einen auf “ehrenamtlich” macht, dann aber trotzdem Mio abkassiert und sich dann noch bei krummen Dingen erwischen lässt, den darf man nicht einfach so davonkommen lassen. Lichtgestalt hin oder her – da hat der Libero der Nation versagt!

    • Reto Werdenberg sagt:

      @Claudio Sicher war er als Spieler und Trainer fast perfekt. Darum hat er auch mit Bayern München bewussterweise
      und mit Betrug 3 x den Meistercup gewonnen!
      Soviel zum Charakter des Herrn Beckenbauer.

      • Claudio sagt:

        Werdenberg: Was mit “Betrug den Meistercup gewonnen”?? Davon ist mir nichts bekannt. Können Sie das bitte etwas spezifizieren???

        • Reto Werdenberg sagt:

          @Claudio. Damit will ich sagen, dass zumindest im Falle von 1975 gegen Leeds United der Schiedsrichter eine
          äusserst tragische Rolle gespielt hat! Sprich dieser Match war gekauft! Breitner äusserte sich ja einen Tag vor
          dem Spiel im ZDF wie folgt: Unter normalen Umständen würde Leeds diese Spiel gewinnen, aber es wird zu
          Gunsten von Bayern enden! Auch im 1976 gegen St. Etienne gewannen der Pflanzlandpächterverein, obwohl
          St. Etienne über 90 Minuten hoch überlegen war.
          Gruss R. Werdenberg_

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