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Ein Mann statt einer Mauer

Guido Tognoni am Mittwoch den 20. September 2017

Suchte beim Freistoss das Mann-gegen-Mann-Duell: Torhüter André Ter Stegen. (Foto: Reuters/Darren Staples)

Das Bild kennen wir seit ewigen Zeiten: Freistoss aus 18 Metern, die verteidigende Mannschaft bildet eine Mauer, der Torhüter schreit herum und dirigiert, der Schiedsrichter versucht, die reglementarische Distanz von 9,15 Metern durchzusetzen, zwei Schritte zurück, drei nach vorn, wieder zurück. Diskussionen, stossen, schieben, die Spieler stehen sich auf den Füssen herum und rangeln um ihre Positionen, helle Aufregung. Inzwischen kann der Schiedsrichter mit seiner Spraydose das Theater etwas verkürzen. Aber es bleibt jedes Mal ein Theater, das meistens mit einem Fehlschuss endet.

Was erstaunt: Die Leibermauer gehört zum festen Bestandteil des Fussballs, obwohl sie dem Torhüter weitgehend die Sicht verdeckt. Es gibt dann die «Mauerecke» und die «Torhüterecke». Für die Torhüterecke ist der Schlussmann verantwortlich, und wenn der Ball dank Schussfertigkeit des Schützen per Mauerecke ins Netz segelt, war das eben Pech für die verteidigende Mannschaft. Franz Beckenbauer, unter vielem anderem auch als Trainer Weltmeister, hat vor einiger Zeit auf die Frage, was er von der üblichen Leibermauer halte, die dem Torhüter weitgehend die Sicht verdeckt, in seiner für ihn typischen Art geantwortet: «Nu, wo soll ich denn sonst hin mit all den Spielern?»

Direktes Duell zwischen Torhüter und Schütze

Die Mauer gilt offenbar als sakrosankt. Nun aber gab es in Spanien eine Art Weltpremiere, zumindest auf höchster Ebene: Barcelonas Torhüter André Ter Stegen, allein kraft seiner Clubzugehörigkeit sicher kein Anfänger, forderte am Wochenende gegen Getafe nur einen Mann als Hindernis. Dies offensichtlich nicht als Mini-Schutzwall, sondern wohl eher als irritierendes Ärgernis für den Freistossschützen. Also weitgehend freie Schussbahn aufs Tor, dafür auch freie Sicht für den Torhüter. Ein Frei-Stoss eben. Ter Stegen überstand die kleine taktische Revolution ohne Schaden.

Man darf gespannt sein, ob er Nachahmer finden wird. Für den Zuschauer ist ein Freistoss ohne Leibermauer, also ein direktes Duell zwischen dem Schützen und dem Torhüter, sicher spektakulärer als die traditionelle Barrikade vor dem Tor. Und es ist nicht einzusehen, weshalb der Torhüter bei freier Sicht auf den Ball nicht grössere Abwehrchancen haben sollte, als wenn er den Schuss erst im letzten Moment sieht – falls er ihn überhaupt sieht. Rein mathematisch gesehen, dauert die Flugzeit des Balles von der Strafraumgrenze aus 16,4 Metern (18 Yards, genau gemessen) mindestens 33 Prozent länger als beim Elfmeter aus 10,92 Metern (12 Yards), und sie nimmt bekanntlich bei jedem weiteren Meter Distanz zum Tor zu. André Ter Stegen war also nicht nur mutig, sondern er liegt auch physikalisch richtig.

Guido Tognoni

Guido Tognoni

Als Ersatzspieler des FC Davos (3. Liga, untere Tabellenhälfte) erzielte er im Schneetreiben von Tavanasa vor einigen Jahrzehnten sein einziges Meisterschaftstor. Danach stieg er trainingsfrei mit dem FC Tages-Anzeiger in die höchste Firmenfussballklasse auf und hoffte meist vergeblich, dass seine Laserflanken zu Treffern führen würden. Da sein Talent auf dem Rasen nicht erkannt wurde, arbeitete er 15 Jahre an den Schreibtischen der Fifa und Uefa.

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Ein Kommentar zu “Ein Mann statt einer Mauer”

  1. Peter sagt:

    Auf die frage an hr.bregi,was nun zu tun sei ohne mauer,sagte er vor jahren, dann stellen wir selber eine hin!

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