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Der Fussball frisst die Leichtathletik

Guido Tognoni am Donnerstag den 29. Juni 2017
Nachspielzeit

Die Fans wollen näher ran: Laufbahnen, wie hier im Berliner Olympiastadion, machen das Zuschauen weniger attraktiv. Foto: Roberto Pfeil (Keystone)

Sie sind ungleich geworden, die beiden Brüder. Jahrzehntelang bildeten Fussballer und Leichtathleten ein Gespann. In der Mitte wurde Fussball gespielt, aussen herum rannten die Leichtathleten. Mittlerweile sind die Leichtathleten zunehmend verdrängt worden. Der Fussball, durch und durch professionalisiert und kommerzialisiert, frisst alles: Sponsorengelder, Zuschauer, Fernsehstunden, politische und öffentliche Aufmerksamkeit, Stadiongebrauch, und die Kinder drängen unter der geballten Anziehungskraft des Fussballs in solchen Strömen in die Clubs, dass in der Schweiz viele davon einen Aufnahmestopp erlassen müssen.

Parallel dazu zieht entweder der Fussball aus dem ehemals gemeinsamen Stadion weg, oder die Leichtathleten müssen weichen. Seit die Stadionsitze in Konkurrenz zu den häuslichen Fernsehfauteuils stehen und am Bildschirm jede Szene zwanzigfach analysiert werden kann, ist die Unverträglichkeit noch grösser geworden. Bayern München flüchtete schon vor Jahren aus dem Olympiastadion, Hertha Berlin droht mit dem gleichen Schritt, das Olympiastadion von London 2012 wurde mit viel Aufwand in eine Fussballarena mit beweglichen Tribünen umgebaut, und die Tartanbahn im Letzigrund wird nur noch geduldet, weil der LC Zürich jedes Jahr ein Weltklassemeeting durchführt, das dem Namen der Stadt einigen internationalen Glanz verleiht.

Aber Fussballstadien mit acht- oder gar neunspurigen Laufbahnen werden keine mehr gebaut, es sei denn, es gibt noch unverzagte Städte, die Olympische Spiele durchführen. Der Fussball braucht die Nähe der Fans, und jene, die ins Stadion kommen, wollen näher an die Spieler ran. Jene Zuschauer, die noch ein Fussballspiel aus der Ferne hinter den Toren und der weiten Tartankurve sehen wollen, verdienen eine Tapferkeitsmedaille.

Partner für die Leichtathleten gesucht

Eine Lösung ist nicht in Sicht, Kompromisse im Stadionbau sind für die Fussballer nicht mehr akzeptabel, der Fussball ist schlicht stärker als die Läufer, Springer und Werfer. Was bleibt zu tun? Es braucht kreativere Stadionlösungen als bisher. Die Leichtathleten müssen die Freizeitsportler ins Boot holen, die Skater, die verrückten Velokünstler, andere Ballspiele als Fussball. Vor Jahren verstand man unter einem multifunktionalen Stadion eine Anlage mit Ladengeschäften, Altersresidenzen und anderen, sportfremden Einnahmequellen. Dieser Rausch ist schon vorüber, die Erwartungen haben sich in vielen Fällen nicht erfüllt.

Multifunktional kann aber auch ein rein sportliches Argument sein: Leichtathleten plus Skateboarder plus Rollschuhfahrer plus Velo-Freestyler, warum nicht auch etwas Motorenlärm (ausser in Zürich). Wenn man denkt, mit wie viel unsinnigem Aufwand neue Fussballarenen gebaut werden, obwohl das Fussballstadion längst erfunden ist, kann man kaum glauben, dass für andere Stadionformen jegliche Fantasie fehlt. Dabei wird die Leichtathletik auf Dauer nur überleben, wenn sie sich neue Sportarten als Stadionpartner anlacht. Der Fussball ist ihr längst untreu geworden.

Guido Tognoni

Guido Tognoni

Als Ersatzspieler des FC Davos (3. Liga, untere Tabellenhälfte) erzielte er im Schneetreiben von Tavanasa vor einigen Jahrzehnten sein einziges Meisterschaftstor. Danach stieg er trainingsfrei mit dem FC Tages-Anzeiger in die höchste Firmenfussballklasse auf und hoffte meist vergeblich, dass seine Laserflanken zu Treffern führen würden. Da sein Talent auf dem Rasen nicht erkannt wurde, arbeitete er 15 Jahre an den Schreibtischen der Fifa und Uefa.

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